Leitsatz (amtlich)
1. Bei einem Auftrag zur Munitionsberäumung eines ehemaligen Truppenübungsplatzes liegt ein ungewöhnliches Wagnis i.S.v. § 9 Nr. 2 VOB/A nicht schon darin, dass der voraussichtliche Leistungsumfang des Auftrages durch "Hochrechnung" des Leistungsumfangs der Beräumung von Testfeldern ermittelt wird, wenn weder dem Auftraggeber noch den Bietern der tatsächliche Umfang der Bodenbelastung mit Munition, Munitionsteilen und Schrott und damit der genaue Leistungsumfang des Vertrages bekannt ist und dieser auch durch keine andere Methode zuverlässig vorab zu ermitteln ist (vgl. OLG Naumburg, Urt. v. 22.1.2002 - 1 U Kart 2/01; Urt. v. 22.3.2005 - 1 U 65/04).
Dies gilt auch dann, wenn die Testfelder lediglich 0,3 % der zu beräumenden Fläche ausmachen.
2. Ein ungewöhnliches Wagnis i.S.v. § 9 Nr. 2 VOB/A wird dem potentiellen Auftragnehmer dem ggü. jedoch aufgebürdet, wenn der Auftraggeber die Vorerkundung auf den vorab ausgewählten Testfeldern nicht vollständig durchführt und die Vorerkundungsergebnisse nicht vollständig in der Leistungsbeschreibung darstellt (hier: Abbruch der Testberäumung eines von drei Testfeldern und Verschweigen der Vorerkundungsergebnisse dieses besonders hoch belasteten Testfelds).
3. Im Falle positiver Kenntnis außergewöhnlich hoher Bodenbelastungen in Teilbereichen der zu beräumenden Fläche verstößt es auch gegen das vergaberechtliche Transparenzgebot, wenn der Auftraggeber nur pauschal auf die Möglichkeit von Belastungsabweichungen von einer durchschnittlichen Belastung hinweist, und zwar selbst dann, wenn er - entgegen der Auffassung des von ihm beauftragten Sachverständigen - die Ergebnisse des hoch belasteten Testfelds als nicht repräsentativ ansieht.
Verfahrensgang
LG Magdeburg (Urteil vom 22.12.2004; Aktenzeichen 5 O 1689/02) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 22.12.2004 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des LG Magdeburg aufgehoben.
Die Klageforderung ist dem Grunde nach gegeben.
Im Übrigen, insb. zur Ermittlung der Höhe des Anspruchs wird die Sache zur weiteren Verhandlung und erneuten Entscheidung an die Kammer zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt der Schlussentscheidung des LG vorbehalten.
Die Revision wird nicht zugelassen. Die Beschwer beider Parteien übersteigt jeweils 20.000 EUR.
Gründe
A. Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ansprüche auf Nachzahlung und Schadensersatz aus einer von ihr durchgeführten Räumung von Altmunition auf dem Truppenübungsplatz A. geltend.
Die Klägerin betreibt ein Unternehmen, das sich mit der Bergung und Beseitigung von Kampfmitteln befasst. Sie beteiligte sich an einer Ausschreibung zur Beräumung von Altmunition auf dem Truppenübungsplatz A., Südteil, und gab für das Los Nr. 2 von 9 Losen ein Angebot ab, auf dessen Grundlage nach Zuschlagserteilung ein Einheitspreisvertrag zwischen den Parteien geschlossen wurde.
Die Munitionsbeseitigungsarbeiten sollten vom 16.10.2000 bis 28.2.2001 durchgeführt werden. Nach den Ausschreibungsunterlagen und dem Inhalt des späteren Vertrages war unter Ziff. 4.1.110 für erschwertes Bergen eine Zulage für bis zu 45.000 qm vorgesehen. Nach Ziff. 4.1.120 sollte für erforderlichen Bodenaushub eine höhere Zulage fällig werden. Hierfür war ein Volumen von 3.000 m3 vorgesehen.
Als Kalkulationsgrundlage und zur Vorbereitung der Angebotsabgabe waren im Vergabeverfahren Bodenuntersuchungen durchgeführt worden. Während zwei Testfelder in dem streitgegenständlichen Losflächenbereich durchschnittlich nur 2,1 Störpunkte pro Quadratmeter aufwiesen, stellte der beauftragte Gutachter Prof. M. bei dem dritten Testfeld (Parzelle 1 SB 3) eine sehr hohe Kontaminierung mit Munition fest. Daraufhin hat das Staatshochbauamt die Vorerkundungen in diesem Feld abgebrochen, denn die mit der Ausschreibung befassten Mitarbeiter der Behörde hielten das dritte Testfeld wegen der extrem hohen Belastung nicht für repräsentativ. Die bis dahin geborgenen Objekte wurden ausweislich des Sachverständigengutachtens vom 4.1.2000 (S. 7) nicht mit in die Auswertung einbezogen. Dieses stark belastete Testfeld fiel in den Bereich des Loses 2, für das die Klägerin den Zuschlag erhielt.
Am 12.3.2001 erstattete die Klägerin eine Behinderungsanzeige, in der sie darauf hinwies, dass in dem von ihr zu beräumenden Bereich 15,23 Störpunkte pro Quadratmeter im Durchschnitt festgestellt worden seien und die Erde insgesamt per Hand bzw. maschinell umgesetzt werden müsse. Hierzu erteilte sie der Beklagten am 25.4.2001 ein Nachtragsangebot verbunden mit dem Vorschlag, entweder nach Aufwand abzurechnen oder neue höhere Einheitspreise zu vereinbaren.
Hierauf ließ sich die Beklagte jedoch nicht ein. Am 11.6.2001 verwies sie die Klägerin darauf, die Erschwernisse unter den Zulagen nach Ziff. 4.1.110/120 abzurechnen. Anerkannt hat sie im Laufe der Arbeiten Erschwernisse für 190.139,30 qm, mithin mehr als das Vierfache des ursprünglich vorgesehenen Umfangs, und für Bodenaushub einen Mehraufwand im Umfang von 86.816,5...