Leitsatz (amtlich)
Der sog. verkürzte Versorgungsweg mit Brillen ist unter wettbewerbs-/standesrechtlichen Aspekten nicht gleichzusetzen mit demjenigen auf dem Gebiet der Hörgeräteakustik. Werbeaussagen eines Brillenlieferanten gegenüber Augenärzten, mit denen diese zur Teilnahme am sog. verkürzten Versorgungsweg für Brillengläser und -fassungen gewonnen werden sollen, können unlautere Anstiftung zu einem Verstoß gegen §§ 3, 4 Nr. 1 UWG und §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i.V.m. § 3 II und 34 V BOÄ darstellen. Dasselbe gilt, wenn Augenärzten zur Weitergabe an Patienten bestimmtes Werbe-material für den verkürzten Versorgungsweg überlassen wird oder ihnen zur Verwen-dung in der Arztpraxis eine Musterkollektion von Brillenfassungen oder eine system-spezifische Computerausstattung zur Verfügung gestellt wird.
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 28.12.2007; Aktenzeichen 38 O 105/06 KfH) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der Vorsitzenden der 38. Kammer für Handelssachen des LG Stuttgart vom 28.12.2007 (Az.: 38 O 105/06 KfH) abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, im Wettbewerb handelnd
a) im Internet und/oder durch in Deutschland verbreitete Print-Werbung gegenüber Augenärzten das E.-Brillensystem und/oder das E. System, durch welches die Augenärzte in die Lage versetzt werden, in ihrer Augenarztpraxis von der Beklagten hergestellte Fassungen und Gläser anzupassen und zu vertreiben, mit den Angaben zu bewerben,
aa) es offeriere die computergestützte Brillenabgabe in der Augenarztpraxis und /oder
bb) mit ihm sei eine Brillenwahl beim Augenarzt möglich und/oder
cc) dieses optimiere ihr Angebot für die Brille aus der Augenarztpraxis und/oder
dd) noch nie sei es so einfach gewesen, computergestützt die Brillenwahl in der Augenarztpraxis durchzuführen und/oder
ee) dieses System fände in jeder Augenarztpraxis Platz und/oder
ff) es sei das Brillenwahl- und Anpassungssystem für die Augenarztpraxis und/ oder
gg) es könne ohne großen Aufwand als ideale Abrundung in das augenärztliche Leistungsprogramm integriert werden, wie dies in den Werbeunterlagen Anlage K 2d, K 2e, K 2 f. und K 2h geschieht, welche diesem Urteil als Anlagen 1 bis 4 beigefügt sind,
und/oder
b) Ärzten das auf S. 3 der Klageschrift abgebildete Faltblatt, welches diesem Urteil als Anlage 5 beigefügt ist, zur Weitergabe an deren Patienten zur Verfügung zu stellen, in dem für E.-Brillen und/oder eine Brillenanpassung mit dem E.-Computer geworben wird,
und/oder
c) Augenärzten eine Musterkollektion von E.-Brillenfassungen und/oder des E.-Computers in deren Praxis zur Verfügung zu stellen zur Unterstützung des Verkaufs bzw. Vertriebs von E.-Brillen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 189 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 13.5.2006 zu bezahlen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 2/5 und die Beklagte 3/5.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Jeder der Parteien wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung gegen sich durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des gegen sie vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern nicht die Vollstreckende vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des beizutreibenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Streitwert für das Berufungsverfahren: 180.000 EUR bis zum 8.10.2008, danach 108.000.
Gründe
Zum Zwecke der Veröffentlichung des Urteils folgender Sachbericht:
Die Beklagte vertreibt Brillenfassungen und -gläser unter entgeltlicher Einschaltung von Augenärzten. Sie wirbt diesen gegenüber mit Aussagen, die besondere Vorzüge ihres Vertriebsweges über die Augenarztpraxis herausstellen. Außerdem stellt sie den Augenärzten Werbematerial zum Zwecke der Weitergabe an die Patienten und außerdem eine Musterkollektion von Brillenfassungen und eine spezifische Computerausstattung für die Brillenanpassung zur Verwendung in der Arztpraxis zur Verfügung.
Der klagende Verband greift die konkret veröffentlichten Werbeaussagen und die Hingabe von Patientenwerbematerial und von Ausstattungen mit Klaganträgen auf Unterlassung an, weil es sich um unlautere Anstiftung zum Verstoß gegen ärztliches Standesrecht handele.
Das LG hat sämtliche Klaganträge abgewiesen. Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihre Unterlassungsanträge a) bis c) weiter.
Sie trägt hierzu vor, das erstinstanzliche Urteil erwecke den Eindruck, das LG sei sich der Differenzierung in den verschiedenen Klageanträgen nicht bewusst geworden. Seine Argumentation passe, wenn überhaupt, nur auf die Anträge c) und d).
Eine Ausnahme von § 34 Abs. 5 MBO, der die Auffassung der Ärzteschaft wiedergebe, sei nur gerechtfertigt, wenn ein objektiver Grund von medizinischem Gewicht sie trage.
Auch lasse das LG die Abwägung vermissen, welche vor der Annahme erforderlich sei, es liege ein Ausnahmetatbestand vor. Das LG lasse die Nachteile unbeachtet, welche der Patient dadurch erleide, dass er den in seinem F...