Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsanwaltsbeiordnung in Kindschaftssachen
Leitsatz (redaktionell)
1. Wegen ihrer generellen Bedeutung ist bei Beiordnung eines Rechtsanwalts in Kindschaftssachen grundsätzlich erforderlich.
2. Eine Beiordnung ist insbesondere dann geboten, wenn der Antragsteller sprachlich nicht in der Lage ist, die gebotenen Schritte zur Wahrnehmung seiner Rechte eigenständig zu unternehmen und sein Anliegen dem Gericht ausreichend schriftlich darzulegen.
Normenkette
FamFG § 78 Abs. 2, § 111 Nr. 2
Verfahrensgang
AG Reinbek (Beschluss vom 18.11.2009) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Reinbek vom 18.11.2009 teilweise geändert.
Der Antragstellerin wird Rechtsanwältin B. in Neumünster beigeordnet, aber mit der Maßgabe, dass die aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung auf die Gesamtvergütung begrenzt ist, die an einen im Bezirk des OLG Schleswig niedergelassenen Rechtsanwalt sowie an einen Verkehrsanwalt zu zahlen wäre.
Gründe
I. Die beteiligten Eltern, beide türkischstämmig, streiten um das Sorgerecht für ihren gemeinsamen Sohn Erkan (geb. 8.2.1993). Das Sorgerecht war bereits Gegenstand des langwierigen Scheidungsverfahrens der zerstrittenen Beteiligten (9 F 154/07 AG Reinbek). Erkan lebt seitdem beim Antragsgegner, die Tochter Rabia (geb. 27.8.1997) bei der Antragstellerin. Diese sieht das Kindeswohl Erkans gefährdet, weil der Antragsgegner sich um Erkan nicht mehr kümmere. Erkan treibe sich herum. Er sei bereits straffällig geworden und besuche auch die Schule nicht mehr regelmäßig.
Die anwaltlich vertretene Antragstellerin macht geltend, zwar der deutschen Sprache mächtig zu sein, aber sich in Wort und Schrift nicht so gut ausdrücken zu können. Sie sei auch deshalb nicht in der Lage, die richtigen Anträge zu stellen. Der Antragsgegner spreche im Übrigen noch viel schlechter deutsch als sie.
Das AG hat der Antragstellerin Verfahrenskostenhilfe bewilligt, die Beiordnung ihrer zu Vertretung bereiten Anwältin indes abgelehnt, weil eine über das übliche Maß hinausgehende Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage nicht erkennbar sei.
Dagegen richtet sich das Rechtsmittel der Antragstellerin.
5Der Einzelrichter hat die Sache wegen grundsätzlicher Bedeutung zur Entscheidung auf den Senat übertragen.
II. Das gem. §§ 76 Abs. 2 FamFG, 567 ff. ZPO zulässige Rechtsmittel hat Erfolg.
Entgegen der Auffassung des Familiengerichts ist der Antragstellerin im konkreten Fall die von ihr ausgewählte Rechtsanwältin als Verfahrensbevollmächtigte beizuordnen (§ 78 Abs. 2 FamFG).
1. In Familiensachen des § 111 Nr. 2 FamFG (Kindschaftssachen) ist die Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht vorgeschrieben. Die Beiordnung eines zur Vertretung bereiten Rechtsanwaltes im Rahmen der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe hat nur zu erfolgen, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint (§ 78 Abs. 2 FamFG). Nach der amtlichen Begründung (BT-Drucks. 16/6308, 213/214) soll die Erforderlichkeit einer Anwaltsbeiordnung sich allein nach objektiven Kriterien richten. Für die Beiordnung eines Rechtsanwalts soll es ausschließlich auf die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage ankommen.
Zwar gilt in Sorgeverfahren der Grundsatz der Amtsermittlung (§ 26 FamFG). Das Familiengericht hat von Amts wegen die zur Ausfüllung des Begriffs des Kindeswohls bedeutsamen Tatsachen zu ermitteln. Stets bedarf es aber der Darlegung aller für diese Frage entscheidenden Kriterien durch die Beteiligten. Dazu sind die Tatsachen dazulegen, aus denen sich ergibt, dass die erstrebte Regelung des Sorgerechts dem Wohle des Kindes dient. Insgesamt erscheint wegen der existentiellen Bedeutung der Kindschaftssachen grundsätzlich eine Anwaltsbeiordnung erforderlich (vgl. auch OLG Frankfurt, NJW 2007, 230). Streiten Eltern um das Sorgerecht für ihr Kind und damit um das Kindeswohl, geht es in aller Regel auch um schwierige Sach- und Rechtslagen. Im Zweifel ist auch hier darauf abzustellen, ob ein beteiligter Elternteil, der den Rechtsstreit aus eigenen Mitteln finanzieren müsste, vernünftigerweise einen Rechtsanwalt beiziehen würde.
Nach Auffassung des Senates müssen jedoch auch subjektive Kriterien berücksichtigt werden, weil nur so dem aus dem Sozialstaats- und Rechtsstaatsprinzip folgenden Gebot der Gleichstellung von Bemittelten und Unbemittelten (vgl. dazu BVerfG NJW 2004, 1789; NJW-RR 2007, 1713; NJW 2008, 1831) zur Verwirklichung eines effektiven Rechtsschutzes Genüge getan wird.
Deshalb ist - unter Beachtung der Grundsätze der Berücksichtigung des Einzelfalles (BGH FamRZ 2009, 1857) - nach wie vor von Bedeutung, inwieweit ein Beteiligter subjektiv in der Lage ist, seine Rechte und Interessen im Verfahren angemessen selbst zu vertreten, insb., ob er in der Lage ist, sich mündlich und schriftlich auszudrücken (so zutreffend OLG Celle, Beschl. v. 11.11.2009 - 17 WF 131/09 - m.w.N., Quelle: Juris; ebenso OLG Zweibrücken, Beschl. v. - 2 W...