Verwaltungsdigitalisierung als Daueraufgabe in der Zeitenwende
Der NKR prüft als unabhängiges Expertengremium seit 2006 die Folgekosten von Gesetzesvorhaben und berät die Bundesregierung, den Deutschen Bundestag und den Bundesrat zum Thema Bürokratieabbau. Seit 2023 kontrolliert das Gremium auch, inwieweit bei der Erarbeitung von neuen Regelungen in Gesetzentwürfen die Möglichkeiten der digitalen Ausführung bedacht wurden (sogenannter Digital-Check). Darüber hinaus berät der NKR die Bundesregierung in Sachen „Bessere Rechtsetzung“. In dieser Funktion erstellte das Gremium den nun veröffentlichten Jahresbericht 2023.
Regulierungskosten so hoch wie noch nie – Aufgabenlast für die Verwaltung nimmt zu
Aus dem Bericht des NKR geht hervor, dass der jährliche Erfüllungsaufwand für die Bürgerinnen und Bürger, die Wirtschaft sowie für die Verwaltung massiv um 54 Prozent gegenüber dem vorangegangenen Berichtszeitraum auf insgesamt rund 26,8 Mrd. EUR gewachsen ist. Dies stellt einen der höchsten Sprünge seit Beginn der Aufzeichnungen dar. Der jährliche Erfüllungsaufwand misst den Aufwand für die Umsetzung bzw. Befolgung der gesetzlichen Vorgaben durch die Normadressaten. Daraus lässt sich nach Einschätzung des NKR auch ablesen, dass die Regulierungsintensität und damit die Aufgabenlast für die Verwaltung steigt. Umso wichtiger sei es, so der NKR, die Verwaltung durch eine zügige Digitalisierung zu entlasten.
NKR: Schleppende Verwaltungsdigitalisierung gefährdet Handlungsfähigkeit des Staates
Die Umsetzung der Verwaltungsdigitalisierung sei insbesondere in Zeiten der Personalknappheit unentbehrlich, um der Überlastung innerhalb der Verwaltung entgegenzuwirken. Lutz Goebel, Vorsitzender des NKR, mahnt: „Sonst droht Verlangsamung bis zum Stillstand. Anträge werden nicht beschieden, Genehmigungen zu spät erteilt, Gelder verzögert ausgezahlt. Pflichtaufgaben werden nur unzureichend erledigt und Transformationsaufgaben nicht einmal begonnen.“ Dabei sei die Handlungsfähigkeit des Staates insgesamt in Gefahr, zumal auch die Glaubwürdigkeit der Politik und die Akzeptanz der demokratischen Institutionen leide.
Verstreichen der Umsetzungsfrist aus dem Onlinezugangsgesetz
Deutschland kommt mit der Verwaltungsdigitalisierung aktuell nur langsam voran: Das 2017 verabschiedete Onlinezugangsgesetz (OZG) verpflichtete den Bund, die Länder und die Gemeinden bereits bis Ende des Jahres 2022 dazu, insgesamt 575 Verwaltungsleistungen elektronisch über Verwaltungsportale anzubieten. In den meisten Bundesländern werden jedoch auch knapp ein Jahr nach Verstreichen der Umsetzungsfrist noch immer weniger als 200 der zwischenzeitlich sogar 582 vorgesehenen Verwaltungsleistungen elektronisch angeboten. Schlusslicht ist derzeit Sachsen-Anhalt mit 153 Verwaltungsleistungen, die flächendeckend elektronisch angeboten werden. Damit rückt auch die Erreichung der europarechtlichen Vorgaben in weite Ferne, wonach bis Ende 2023 die wichtigsten Leistungen europaweit digital anzubieten sind (Single Digital Gateway Verordnung der EU).
Änderung des OZG: Bundesregierung plant weder Nachfrist noch Sanktionen
Eine Nachfrist für die unterbliebene Umsetzung des OZG sieht der aktuelle Entwurf des OZG-Änderungsgesetzes (OZGÄndG) nach einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Fraktion CDU/CSU vom 10.11.2023 bewusst nicht vor. Hierdurch soll klargestellt werden, dass Bund und Länder bereits jetzt zum elektronischen Angebot ihrer Verwaltungsleistungen verpflichtet sind. Zudem wird dadurch der Charakter der Verwaltungsdigitalisierung als Daueraufgabe verankert. Um eine möglichst schnelle und flächendeckende Umsetzung zu erzielen, erfolgt eine Priorisierung auf bestimmte Fokusleistungen, die bis Ende 2024 digitalisiert werden soll. Belohnungs- oder Sanktionsmechanismen für eine schnelle bzw. langsame OZG-Umsetzung sind weiterhin nicht vorgesehen. Das OZGÄndG sieht auf Basis des laufenden Monitorings alle drei Jahre eine qualitative Evaluierung vor. Die Kosten für die Umsetzung des OZGÄndG belaufen sich nach Angaben der Bundesregierung auf insgesamt 694 Mio. EUR an einmaligen Mehrausgaben sowie laufende Mehrausgaben in Höhe von 27,4 Mio. EUR jährlich. Dem steht eine Entlastung der öffentlichen Haushalte um rund 102,2 Mio. EUR jährlich gegenüber.
Weitergehende Forderungen des NKR zur Verwaltungsdigitalisierung
In seinem am 20.11. erschienenen Jahresbericht 2023 begrüßt der NKR grundsätzlich die Novelle des OZG. Der Gesetzentwurf enthalte einige Verbesserungen, wie etwa die Möglichkeit, dass hoch standardisierte Verwaltungsleistungen unter bestimmten Voraussetzungen zentral durch den Bund vollzogen werden können bzw. der Bund hierfür zumindest eine zentrale digitale Lösung zur Verfügung stellt. Aus Sicht des NKR seien die Regelungen jedoch noch nicht ausreichend, um die dringend nötige Trendumkehr bei der Verwaltungsdigitalisierung zu gewährleisten. Gefordert werden daher weitergehende Maßnahmen, wie
- das Einführen verbindlicher Architekturvorgaben und schnellerer Entscheidungsverfahren,
- eine leichtere IT-Beschaffung,
- ein öffentliches Umsetzungs-Monitoring und
- eine noch stärkere Abkehr von der föderalen Aufgabenverteilung.
Einfluss der Registermodernisierung auf die Umsetzung des OZG
Ein zentraler Kritikpunkt des NKR bezieht sich darüber hinaus auf das Festhalten an der derzeitigen heterogenen Registerlandschaft, welche auf Grundlage des im Jahr 2021 verabschiedeten Registermodernisierungsgesetzes ebenfalls noch zu überarbeiten sei. Der NKR gelangt zu dem Ergebnis, dass die erfolgreiche Umsetzung des OZG nur auf Basis einer Registermodernisierung gelingen könne. Diese ziele auf die Vernetzung und Harmonisierung der Daten ab, die derzeit in über 350 verschiedenen Registern und Verwaltungsdatenbanken gespeichert und oftmals redundant abgefragt werden. Scharfe Kritik übt der NKR auch an der zu knappen Zeitplanung bei der Vorbereitung der komplexen Gesetze, die einen schlechten Qualitätsstandard und infolgedessen häufig aufwändige Korrekturen sowie Verzögerungen im Vollzug zur Folge hätte. Nur bei 25 % der Gesetzgebungsvorhaben seien die Mindestfristen beachtet worden. Der NKR forderte die Bundesregierung deshalb auf, der fachlichen Ausarbeitung und qualitätssichernden Überprüfung von Gesetzentwürfen mehr Zeit einzuräumen.
dbb für mehr Tempo und Mittel bei Digitalpolitik
Auch der Bundesvorsitzende des dbb, Ulrich Silberbach, kritisiert:
Die ambitionierten digitalpolitischen Ziele aus dem Koalitionsvertrag und der Digitalstrategie sind schön und gut, entscheidend ist am Ende die Umsetzung – und da sieht es gar nicht gut aus. Die Bundesregierung muss jetzt Tempo machen und dem Thema mehr Priorität einräumen.
Auch aus seiner Sicht besteht bei der Verwaltungsdigitalisierung kein Erkenntnis-, sondern vielmehr ein Umsetzungsproblem. Es fehle bislang sowohl am versprochenen Digitalbudget als auch an der erforderlichen Koordinierung. Zudem bremsten unklare Kompetenzen und Zuständigkeiten die digitale Transformation aus. Silberbach resümiert: „Gespart werden sollte nicht bei Zukunftsthemen. Eine digitalisierte Verwaltung ist entscheidend für die Handlungs- und Krisenfähigkeit des Staates.“
Digital-Gipfel 2023: Einigkeit der Regierungsparteien bei Digitalisierung
Während des Digital-Gipfels am 20./21.11. in Jena betonte die Bundesregierung die Einigkeit über die große Bedeutung der Digitalisierung und die Entschlossenheit, diese zügig voranzutreiben. Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr bekundete:
Wir müssen auf Digitalisierung setzen, wenn Dinge schneller und effizienter laufen sollen. […] Wir beschleunigen künftig auch den Bau von Mobilfunkmasten und digitalisieren Verwaltungsverfahren.
Es bleibt abzuwarten, ob sich die Absichtserklärungen in absehbarer Zeit auch an der tatsächlichen Umsetzung der jeweiligen Vorhaben innerhalb der Verwaltung messen lassen.
Detaillierte Informationen finden Sie hier: Jahresbericht 2023 – Weniger, einfacher, digitaler.
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