Stufenzuordnung nach TV-L bei Einstellung: Anerkennung von Berufserfahrung
Eine Sachbearbeiterin im Bereich Weiterbildung war an der Technischen Universität D tätig. Zunächst wurde sie befristet beschäftigt. Nach fünf Jahren wurde die Klägerin am 1.4.2017 unbefristet eingestellt. Die ihr nunmehr übertragene Tätigkeit verlangt eine "hochschuldidaktische Zusatzqualifikation", welche die Klägerin im Jahr 2015 erworben hatte. Bis zum 31.3.2017, d. h. im Rahmen der befristeten Arbeitsverhältnisse, war die Klägerin eingruppiert in EG 10 TV-L. Seit dem 1.4.2017 erhält die Klägerin eine Vergütung nach EG 11 TV-L, da die in der zugrunde liegenden Stellenbeschreibung angeführte Tätigkeit "Konzeption der Weiterbildungsangebote und inhaltliche Vorgaben zu den zu vermittelnden Themen" sich durch besondere Schwierigkeit und Bedeutung aus der Entgeltgruppe 9b Fallgruppe 1 TV-L heraushebt und der Zeitanteil dieser Tätigkeit von 35 % auf 50 % der Gesamttätigkeit angewachsen ist.
Zuordnung in Stufe 3 statt in Stufe 1?
Hinsichtlich der Stufenzuordnung erhielt die Klägerin ab dem 1.4.2017 das Entgelt der Stufe 1 der EG 11 TV-L. Die Klägerin vertrat die Auffassung, ihre in den befristeten Arbeitsverhältnissen erworbene Berufserfahrung sei nach § 16 Abs. 2 TV-L als "einschlägig" anzurechnen, was zu einer Zuordnung zur Stufe 3 bereits ab dem 1.4.2017 führe. Der Beklagte vertrat dagegen die Auffassung, dass es keine entgeltgruppenübergreifende Berufserfahrung gebe. Außerdem entspreche die Tätigkeit, welche die Klägerin bis zum 31.3.2017 in der EG 10 TV-L ausgeübt habe, ihrer Wertigkeit nach nicht der Tätigkeit, die sie seit dem 1.4.2017 in der EG 11 TV-L zu verrichten habe.
Einschlägige Berufserfahrung bei der Stufenzuordnung nach TV-L
Das BAG entschied zu Gunsten der Klägerin. Es stellte klar, dass einschlägige Berufserfahrung i. S. v. § 16 Abs. 2 TV-L bei Aufbaufallgruppen auch in einer niedrigeren Entgeltgruppe erlangt werden kann. Dies setzt voraus, dass die höhere Bewertung der Tätigkeit nach der Wiedereinstellung aus der bloßen Erhöhung des Zeitanteils eines Arbeitsvorgangs resultiert. Die Klägerin hätte also bei ihrer Einstellung zum 1.4.2017 der Stufe 3 der EG 11 TV-L zugeordnet werden müssen, weil sie in den vorangegangenen, mit dem Beklagten bestehenden befristeten Arbeitsverhältnissen seit dem 1.7.2012 einschlägige Berufserfahrung erworben hatte.
Einschlägige Berufserfahrung auch bei früherer niedrigerer Eingruppierung
Für das Vorliegen einschlägiger Berufserfahrung ist allein maßgeblich, ob die frühere Tätigkeit fachliche Anforderungen gestellt hat, die den Entfall einer Einarbeitungszeit erwarten lassen. Das sei regelmäßig nicht nur dann der Fall, wenn die frühere Tätigkeit im Wesentlichen unverändert fortgesetzt werde, sondern auch dann, wenn sie gleichartig war und zwischen früherer und neuer Tätigkeit eine eingruppierungsrechtliche Gleichwertigkeit besteht.
Einschlägige Berufserfahrung kann nicht nur in derselben Entgeltgruppe erworben werden, denn die Beurteilung, ob einschlägige Berufserfahrung vorliegt, beziehe sich stets auf die in Aussicht genommene Tätigkeit beim neuen Arbeitgeber. Bei dieser Prüfung sei ein tätigkeitsbezogener Vergleich zwischen den in der Vergangenheit erlangten Kenntnissen und Fähigkeiten mit den künftig zu bewältigenden Aufgaben erforderlich. Und diese eigenständige Prüfung weise nur bezüglich der Wertigkeit der zu vergleichenden Tätigkeiten einen Bezug zum Eingruppierungsrecht auf. Im Übrigen sei Beurteilungsmaßstab allein der Vergleich der fachlichen Anforderungen der bisherigen und der nunmehr auszuübenden Tätigkeit.
Einschlägige Berufserfahrung bei Aufbaufallgruppen
Aus diesen Gründen könne bei Aufbaufallgruppen (wie hier der Wechsel von EG 10 zu EG 11) einschlägige Berufserfahrung auch in einer niedrigeren Entgeltgruppe erlangt werden, wenn die höhere Bewertung der neuen Tätigkeit allein daraus resultiert, dass der Zeitanteil eines Arbeitsvorgangs gestiegen ist. Und das lag in diesem Fall vor: die höhere Vergütung aus der EG 11 TV-L resultierte allein daraus, dass sich der zeitliche Anteil der Tätigkeiten, die sich nach übereinstimmender Ansicht der Parteien durch besondere Schwierigkeit und Bedeutung aus der Entgeltgruppe 9b Fallgruppe 1 TV-L herausheben, von 35 % auf 50 % erhöht hatte. Allein die Veränderung der Zeitanteile der von der Klägerin auszuübenden Tätigkeiten erforderte keine neue Einarbeitung.
(BAG, Urteil vom 29.6.2022, 6 AZR 475/21)
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