Stufenlaufzeit bei einschlägiger Berufserfahrung
Das BAG hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem sich eine Lehrerin und das Land Baden-Württemberg über die Anrechnung der bei anderen Arbeitgebern erworbenen einschlägigen Berufserfahrung und die Berücksichtigung förderlicher Beschäftigungszeiten im Rahmen der Stufenzuordnung bei Einstellung der Klägerin stritten.
Die Klägerin war von September 1998 bis März 2015 bei verschiedenen Kindertagesstätten in kirchlicher und kommunaler Trägerschaft als Erzieherin beschäftigt. Vom 21. März 2015 bis zum 29. Juli 2015 und vom 15. September 2015 bis zum 30. Januar 2016 war sie beim beklagten Land als Vertretungslehrerin an der H-Schule, einer sonderpädagogischen Bildungseinrichtung mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung, bzw. an der A-Schule, einer Schule für geistig Behinderte, eingesetzt. In diesen Arbeitsverhältnissen erhielt sie eine Vergütung nach Entgeltgruppe 9 Stufe 3 TV-L. Von Februar 2016 bis Juli 2017 absolvierte sie im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses den Vorbereitungsdienst für die Laufbahn des Fachlehrers an Sonderschulen für geistig Behinderte - Abteilung Sonderpädagogik. Seit dem 8. September 2017 ist sie als Lehrerin für allgemeine Unterrichtstätigkeiten beim beklagten Land abermals an der H-Schule angestellt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) Anwendung.
Land berücksichtigte Beschäftigungszeiten als Erzieherin bei Stufenzuordnung nicht
Die Klägerin erhielt ab ihrer Einstellung zum 8. September 2017 zunächst eine Vergütung nach Entgeltgruppe 9 Stufe 1 TV-L. Das beklagte Land berücksichtigte auf ihren Antrag vom 8. Januar 2018 die tariflich vorgesehenen 6 Monate für den Vorbereitungsdienst sowie ihre Beschäftigungszeiten als Vertretungslehrerin als einschlägige Berufserfahrung und ordnete sie rückwirkend auf den Tag ihrer Einstellung der Stufe 2 der Entgeltgruppe 9 TV-L zu. Die Tätigkeit der Klägerin als Erzieherin erkannte das beklagte Land bei der Stufenzuordnung nicht an.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin geltend gemacht, sie sei bereits seit ihrer Einstellung am 8. September 2017 der Stufe 3 der Entgeltgruppe 9 TV-L zuzuordnen gewesen. Bei ihrer jetzigen Tätigkeit handele es sich aufgrund der erheblichen geistigen und körperlichen Beeinträchtigungen der Kinder eher um eine Erzieher- als um eine Lehrertätigkeit. Sie greife beständig auf die Materialien und Erfahrungen aus ihrer Arbeit als Erzieherin zurück. Diese Zeiten seien daher bei der Stufenzuordnung als einschlägige Berufserfahrung zu berücksichtigen.
Berücksichtigung förderlicher Zeiten zur Deckung des Personalbedarfs
Ihr Anspruch auf Vergütung nach Stufe 3 der Entgeltgruppe 9 TV-L ab diesem Zeitpunkt begründe sich zudem daraus, dass der Personalbedarf an der H-Schule weder quantitativ noch qualitativ anderweitig habe gedeckt werden können.
BAG: Tätigkeit als Erzieherin keine einschlägige Berufserfahrung für Tätigkeit als Lehrerin
Das BAG hat die Revision der Klägerin abgelehnt. Das Land Baden-Württemberg war nicht verpflichtet, die Klägerin bei der Einstellung nach der Stufe 3 der Entgeltgruppe 9 TV-L zu vergüten.
Das BAG stellte klar, dass die Klägerin während ihrer Tätigkeiten als Erzieherin keine einschlägige Berufserfahrung im Sinne des § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L erworben hat.
Definition der „einschlägigen Berufserfahrung“ im Sinne des TV-L bzw. TVöD
Eine einschlägige Berufserfahrung ist eine berufliche Erfahrung in der übertragenen oder einer auf die Aufgabe bezogen entsprechenden Tätigkeit. Der Beschäftigte muss also in der früheren Tätigkeit einen Kenntnis- und Fähigkeitszuwachs erworben haben, der für die nach der Einstellung konkret auszuübende Tätigkeit erforderlich und prägend ist und ihm damit weiterhin zugutekommt. Das ist nach dem hinter dem Stufensystem des TV-L stehenden Leistungsgedanken der Fall, wenn die frühere Tätigkeit im Wesentlichen unverändert fortgesetzt wird oder zumindest gleichartig war. Das setzt nach der Rechtsprechung des BAG grundsätzlich voraus, dass der Beschäftigte die Berufserfahrung in einer Tätigkeit erlangt hat, die in ihrer eingruppierungsrechtlichen Wertigkeit der Tätigkeit entspricht, die er nach seiner Einstellung auszuüben hat.
Unterschiedliche Eingruppierungsvoraussetzungen von Erziehern und Lehrern
Das BAG weist darauf hin, dass einschlägige Berufserfahrung zwar bei anderen Arbeitgebern auch in Tätigkeiten erworben werden kann, die einem von den Bewertungsgrundsätzen des TV-L abweichenden Entgeltsystem unterfallen, sofern die Vorbeschäftigung qualitativ im Wesentlichen die gesamte inhaltliche Breite der aktuellen Beschäftigung abdeckt und deshalb einschlägig ist. Wenn aber dieselben Tarifvertragsparteien für bestimmte Tätigkeiten - wie beispielsweise die von Erziehern und Lehrern - grundlegend unterschiedliche Eingruppierungsvoraussetzungen geschaffen und diese in verschiedene Eingruppierungsregelungen eingebettet haben, bringen sie hierdurch ihre Vorstellung zum Ausdruck, dass sich die jeweiligen Tätigkeiten bezogen auf ihre Anforderungen und ihre Inhalte so maßgeblich unterscheiden, dass keine Einschlägigkeit im Sinne des Tarifrechts vorliegt.
Keine Deckung des Personalbedarfs
Außerdem habe es auch keinen quantitativen oder qualitativen Bewerbermangel gegeben. Die Ausschreibung der H-Schule lässt nur den Schluss zu, dass es lediglich einen konkreten Personalbedarf gegeben habe.
Keine Bindung an früheres Verhalten der Verwaltung
Das beklagte Land hat sich auch nicht selbst gebunden, weil es die Klägerin während ihrer Tätigkeiten als Vertretungslehrerin von März 2015 bis Juli 2015 und von September 2015 bis Januar 2016 der Stufe 3 der Entgeltgruppe 9 TV-L zugeordnet und sie entsprechend vergütet hat. Die Anerkennung förderlicher Zeiten gilt nur für das jeweils begründete Arbeitsverhältnis. Bei jeder Einstellung ist eine (erneute) Stufenzuordnung nach § 16 Abs. 2 TV-L erforderlich. Damit sind auch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L vom Arbeitgeber anhand der aktuellen Bewerberlage jeweils neu zu prüfen.
(BAG, Urteil v. 15.10.2021, 6 AZR 268/20)
Hinweis:
Die Entscheidung ist auch auf den TVöD übertragbar.
§ 16 Abs. 2 TV-L lautet:
§ 16 Stufen der Entgelttabelle
(2) Bei der Einstellung werden die Beschäftigten der Stufe 1 zugeordnet, sofern keine einschlägige Berufserfahrung vorliegt. Verfügen Beschäftigte über eine einschlägige Berufserfahrung von mindestens einem Jahr aus einem vorherigen befristeten oder unbefristeten Arbeitsverhältnis zum selben Arbeitgeber, erfolgt die Stufenzuordnung unter Anrechnung der Zeiten der einschlägigen Berufserfahrung aus diesem vorherigen Arbeitsverhältnis. Ist die einschlägige Berufserfahrung von mindestens einem Jahr in einem Arbeitsverhältnis zu einem anderen Arbeitgeber erworben worden, erfolgt die Einstellung in die Stufe 2, beziehungsweise - bei Einstellung nach dem 31. Januar 2010 und Vorliegen einer einschlägigen Berufserfahrung von mindestens drei Jahren - in Stufe 3. Unabhängig davon kann der Arbeitgeber bei Neueinstellungen zur Deckung des Personalbedarfs Zeiten einer vorherigen beruflichen Tätigkeit ganz oder teilweise für die Stufenzuordnung berücksichtigen, wenn diese Tätigkeit für die vorgesehene Tätigkeit förderlich ist.
§ 16 Abs. 2 TVöD lautet:
§ 16 Stufen der Entgelttabelle
(2) Bei Einstellung werden die Beschäftigten der Stufe 1 zugeordnet, sofern keine einschlägige Berufserfahrung vorliegt. Verfügt die/der Beschäftigte über eine einschlägige Berufserfahrung von mindestens einem Jahr, erfolgt die Einstellung in die Stufe 2; verfügt sie/er über eine einschlägige Berufserfahrung von mindestens drei Jahren, erfolgt in der Regel eine Zuordnung zur Stufe 3. Unabhängig davon kann der Arbeitgeber bei Neueinstellungen zur Deckung des Personalbedarfs Zeiten einer vorherigen beruflichen Tätigkeit ganz oder teilweise für die Stufenzuordnung berücksichtigen, wenn diese Tätigkeit für die vorgesehene Tätigkeit förderlich ist.
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