Eingruppierung von Beschäftigten in einer Serviceeinheit eines Amtsgerichts
Die Klägerin ist seit dem 1.8.1988 bei dem beklagten Land beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand ursprünglich der BAT und anschließend der TV-L Anwendung. Seit dem 1.10.2002 ist sie am Amtsgericht H als Geschäftsstellenverwalterin in einer Serviceeinheit für Zivilprozesssachen beschäftigt. Gemäß der zugrunde liegenden Tätigkeitsdarstellung hatte sie alle Befugnisse des Geschäftsstellenverwalters des mittleren Justizdienstes einschließlich Vorschusskostenprüfung und Anforderung, ausgenommen Schlusskostenberechnung; sie hatte Tätigkeit in einer Service-Einheit auszuüben (Büro- und Schreibtätigkeiten, soweit nicht schwierig) mit einem zeitlichen Anteil von 58,22 % und ca. 36,78 % schwierige Tätigkeiten wie z. B. Vorprüfung der Zuständigkeit, Aufstellung von Vorschusskostenrechnungen für die Prozessgebühren in Zivilsachen, PN 2 e, Erteilung von Rechtskraftzeugnissen, Erteilung von Vollstreckungsklauseln, Aufgaben bei der Bewilligung von PKH mit Zahlungsbestimmung, Unterschriftsreife Vorbereitung von Anerkenntnis- und Versäumnisurteilen etc. Mit 5 % war Inhaltsprotokollführung in Strafsachen angegeben.
Das beklagte Land leitete die Klägerin zum 1.11.2006 aus der VG Vc der Anlage 1a zum BAT in die Entgeltgruppe 8 TV-L über und vergütet sie seither entsprechend.
Die Klägerin vertritt dagegen die Auffassung, sie habe einen Anspruch auf eine Vergütung nach Entgeltgruppe 9 bzw. seit Januar 2019 Entgeltgruppe 9a TV-L. Ihre Tätigkeit habe bereits bei Überleitung in den TV-L die tariflichen Anforderungen der VG Vb BAT erfüllt. Die Tätigkeit einer Geschäftsstellenverwalterin in einer Serviceeinheit bilde einen Arbeitsvorgang, innerhalb dessen sie zu 36,78 % schwierige Tätigkeiten ausübe.
Tätigkeiten bilden einen einzigen Arbeitsvorgang
Die Klage hatte Erfolg. Das BAG führte aus, dass die Klägerin in der Vergütungsgruppe eingruppiert sei, deren Tätigkeitsmerkmalen die gesamte von ihr nicht nur vorübergehend auszuübende Tätigkeit entspricht. Es müssten hierzu zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale dieser Vergütungsgruppe erfüllen.
Nach Auffassung des Gerichts bildete die Tätigkeit der Klägerin – mit Ausnahme der Fertigung von Inhaltsprotokollen in Strafsachen – einen einheitlichen, 95 % der Gesamtarbeitszeit erfassenden Arbeitsvorgang aus. Es führte hierzu aus, dass Bezugspunkt der tariflichen Bewertung der Arbeitsvorgang sei. Für die Beurteilung, ob eine oder mehrere Einzeltätigkeiten zu einem Arbeitsergebnis führen, seien eine natürliche Betrachtungsweise und die durch den Arbeitgeber vorgenommene Arbeitsorganisation ausschlaggebend. Dabei könne die gesamte vertraglich geschuldete Tätigkeit einen einzigen Arbeitsvorgang ausmachen. Einzeltätigkeiten können dann nicht zusammengefasst werden, wenn die verschiedenen Arbeitsschritte von vornherein auseinandergehalten und organisatorisch voneinander getrennt seien. Hierfür reiche jedoch die theoretische Möglichkeit nicht aus, einzelne Arbeitsschritte oder Einzelaufgaben verwaltungstechnisch isoliert auf andere Angestellte zu übertragen. Bei der Zuordnung zu einem Arbeitsvorgang können wiederkehrende und gleichartige Tätigkeiten zusammengefasst werden. Die tarifliche Wertigkeit der verschiedenen Einzeltätigkeiten oder Arbeitsschritte bleibt dabei zunächst außer Betracht. Erst nachdem die Bestimmung des Arbeitsvorgangs erfolgt ist, ist dieser anhand des in Anspruch genommenen Tätigkeitsmerkmals zu bewerten (BAG, Urteil v. 9.9.2020, 4 AZR 195/20).
In Anwendung der vorstehenden Grundsätze bildeten nach Auffassung des Gerichts – mit Ausnahme der Erstellung von Inhaltsprotokollen in Strafsachen – sämtliche der Klägerin übertragenen Tätigkeiten einen Arbeitsvorgang. Die Tätigkeiten dienten dem Arbeitsergebnis der Betreuung der Aktenvorgänge in der Serviceeinheit vom Eingang bis zum Abschluss des Verfahrens. Bei natürlicher Betrachtung seien die einzelnen Aufgaben der Klägerin lediglich notwendige Zwischenschritte auf dem Weg zum endgültigen Abschluss des Verfahrens, die für sich genommen nicht zu einem eigenen Arbeitsergebnis führen.
Tätigkeitsmerkmal der „schwierigen Tätigkeit“ ist erfüllt
Bei der innerhalb des 95 % der Arbeitszeit ausmachenden Arbeitsvorgangs auszuübenden Tätigkeit der Klägerin handelte es sich um die einer Angestellten als Geschäftsstellenverwalterin bei Gericht i. S. d. VG Vc Fallgruppe 1/Vb Fallgruppe 1 BAT, die sich dadurch aus der VG VIb Fallgruppe 1 BAT heraushebt, dass sie schwierig ist.
Das Gericht führte hierzu aus, dass im Rahmen des Arbeitsvorgangs "Betreuung der Akten in einer Serviceeinheit" die schwierigen Tätigkeiten in rechtserheblichem Ausmaß anfielen. Ohne diese könne ein sinnvoll verwertbares Arbeitsergebnis im Hinblick auf den Zuschnitt der auszuübenden Tätigkeiten nicht erzielt werden, da ansonsten die Aktenbearbeitung unvollständig wäre. Bei der Bewertung eines Arbeitsvorgangs sei es zur Erfüllung einer qualifizierenden tariflichen Anforderung, hier der "schwierigen Tätigkeit“, ausreichend, wenn diese innerhalb des Arbeitsvorgangs in rechtlich erheblichem Ausmaß vorliege. Nicht erforderlich ist, dass innerhalb eines Arbeitsvorgangs schwierige Tätigkeiten ihrerseits in dem von § 22 Abs. 2 Satz 2, Satz 5 BAT bestimmten Maß anfallen.
Die Klägerin war somit zunächst ab dem 1.10.2002 in die VG Vc Fallgruppe 1 BAT sowie nach Ablauf der Bewährungszeit ab dem 1.10.2005 in die VG Vb Fallgruppe 1 BAT eingruppiert und wurde zum 1.11.2006 in die "kleine" Entgeltgruppe 9 TV-L übergeleitet (jetzt die EG 9a TV-L).
(BAG, Urteil vom 26.4.2023, 4 AZR 275/20)
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