Entscheidungsstichwort (Thema)

Fehlendes Feststellungsinteresse für Antrag

 

Normenkette

ZPO § 256 Abs. 1; BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 2; MTV für die Arbeiter und Angestellten in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden vom 28. Juni 1984 und 24. April 1987 § 7 Nr. 5

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Beschluss vom 26.08.1988; Aktenzeichen 2 TaBV 1/88)

ArbG Stuttgart (Beschluss vom 18.01.1988; Aktenzeichen 11 BV 11/87)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 26. August 1988 – 2 TaBV 1/88 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß der Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des Spruchs der Einigungsstelle vom 24. August 1987 als unzulässig zurückgewiesen wird.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

A. Arbeitgeber (Antragsteller) und Betriebsrat streiten in erster Linie über die Wirksamkeit eines Spruchs der Einigungsstelle vom 24. August 1987. Die Einigungsstelle wurde gebildet, weil sich Arbeitgeber und Betriebsrat nicht über die Umsetzung der tarifvertraglichen Arbeitszeitregelung in der Metallindustrie im Betrieb des Arbeitgebers in U einigen konnten.

Der Arbeitgeber begehrte im Rahmen eines Einigungsstellenverfahrens für verschiedene Bereiche mit über 4.500 Arbeitern seines Werkes U die Verlängerung der täglichen Betriebsnutzungszeit von acht auf neun Stunden im Einschichtbetrieb und von 16 auf 18 Stunden im Zweischichtbetrieb. Dazu sollte die tägliche Arbeitszeit im Einschichtbetrieb jeweils neun Stunden betragen; die Schichten sollten je nach Bereich zwischen 6.00 und 7.00 Uhr beginnen und zwischen 15.30 und 17.00 Uhr enden. Bei einer individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden sollte sich dabei nach 5,9 Tagen eine Freischicht ergeben. Im Zweischichtbetrieb sollte die tägliche Arbeitszeit jeweils zehn bzw. acht Stunden und neun bzw. acht Stunden betragen; die ersten Schichten sollten von 6.00 bis 14.30 Uhr und die zweiten Schichten von 14.30 bis 1.00 Uhr bzw. von 14.30 bis 24.00 Uhr dauern. Bei einer individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden sollte sich beim Acht- bzw. Zehnstundenmodell nach 5,9 Tagen und beim Acht- bzw. Neunstundenmodell nach 9,6 Tagen eine Freischicht ergeben. Die Betriebspartner sind unterschiedlicher Auffassung darüber, ob dieses Modell tarifvertraglich zulässig ist.

Nach § 7 Nr. 1 des seit 1. April 1985 gültigen Manteltarifvertrages für die Arbeiter und Angestellten in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden vom 28. Juni 1984 (MTV 1984) wurde die wöchentliche Arbeitszeit von 40 auf 38,5 Stunden verkürzt. § 7 MTV 1984 lautet auszugsweise:

„§ 7 Regelmäßige Arbeitszeit

7.1 Die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit ohne Pausen beträgt 38 1/2 Stunden.

Die Arbeitszeit im Betrieb wird im Rahmen des Volumens, das sich aus der für den Betrieb festgelegten wöchentlichen Arbeitszeit von 38 1/2 Stunden im Durchschnitt aller Vollzeitbeschäftigten ergibt, durch Betriebsvereinbarung geregelt. Dabei können für Teile des Betriebes, für einzelne Arbeitnehmer oder für Gruppen von Arbeitnehmern unterschiedliche wöchentliche Arbeitszeiten festgelegt werden.

Die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit kann zwischen 37 und 40 Stunden (Vollzeitbeschäftigte) betragen.

Die Spanne zwischen 37 und 40 Stunden soll angemessen ausgefüllt werden. Dabei sind die betrieblichen Bedürfnisse zu berücksichtigen.

Wenn keine andere Regelung getroffen wird, beträgt für Vollzeitbeschäftigte die regelmäßige tägliche Arbeitszeit 1/5 der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit.

Im Falle der Nichteinigung über die Festlegung und Anpassung der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeiten entscheidet die Einigungsstelle im Sinne des § 76 BetrVG auf Antrag jeder Seite verbindlich.

7.5 Die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit kann gleichmäßig oder ungleichmäßig auf 5 Werktage in der Woche verteilt werden (vgl. dazu § 7.5 und 7.6 des bisherigen Manteltarifvertrages und den dazu ergangenen Schiedssspruch, s. Fußnote).

Die wöchentliche Arbeitszeit muß im Durchschnitt von 2 Monaten erreicht werden.

…”

Der Schiedsspruch (2) vom 22. April 1974 (Anl. 3 zu § 7.5 MTV 1980) lautet:

„Es wird festgestellt, § 2.5 MTV – Arbeiter vom 20.10.1973 (nunmehr § 7.5 MTV für Arbeiter und Angestellte vom 29.10.1979) ist wie folgt auszulegen:

Mit Zustimmung des Betriebsrats kann die tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit so auf die Tage einer einzelnen Woche von Montag bis Freitag unter Beachtung der gesetzlichen und tariflichen Arbeitszeitregelungen verteilt werden, daß an einzelnen Wochentagen mehr oder weniger als 8 Stunden täglich gearbeitet wird.

Soweit nicht mit Zustimmung des Betriebsrats eine abweichende Regelung getroffen wird, gilt die tarifliche regelmäßige tägliche Arbeitszeit von 8 Stunden.”

Der Teilschiedsspruch (5) vom 21. März 1974 (= Anl. 4 zum MTV 1980 und 1984) lautet:

„§ 4.1 MTV-Arbeiter (nunmehr § 9.1 MTV 1980) ist wie folgt auszulegen:

An einzelnen Wochentagen über die Dauer der regelmäßigen Arbeitszeit hinaus geleistete Mehrarbeitsstunden sind nach §§ 5.1.1 und 5.1.2 (nunmehr §§ 10.1.1 und 10.1.2) dann mit Mehrarbeitszuschlägen zu vergüten, wenn die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden überschritten wird.”

In Bayern hat eine tarifliche Schiedsstelle am 24. Februar 1986 entschieden, daß die festgelegte Spanne für gewerbliche Arbeitnehmer der Bayerischen Metallindustrie – zwischen 37 und 39 1/2 (ab 1. April 1989 36 1/2 und 39) Stunden – ausschließlich für die Festlegung der Dauer der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit und nicht für deren zulässige ungleichmäßige Verteilung gilt.

Nach dem vom Vorsitzenden der Einigungsstelle gefertigten Protokoll der Sitzung am 24. August 1987 erläuterten beide Betriebsparteien ihre unterschiedlichen Auffassungen zur Auslegung der einschlägigen tariflichen Vorschriften. Darüber hinaus nahmen sie zur Frage des betrieblichen Bedürfnisses für die beantragte Arbeitszeitregelung Stellung. Im Anschluß daran beantragte der Arbeitgeber unter Bezugnahme auf sein Schreiben an den Vorsitzenden der Einigungsstelle vom 14. Juli 1987, die Arbeitszeit in den Bereichen VOB, PGE, PAC, PRW, PMO, ZWT, PV, WPI und MW seines Betriebes nach Maßgabe der in Anlage 1 des vorgenannten Schreibens vom 14. Juli 1987 beigefügten Übersicht zu regeln. Die Einigungsstelle beschloß, den Antrag des Arbeitgebers mit der Begründung zurückzuweisen, das Begehren des Arbeitgebers verstoße gegen § 7 Nr. 1 MTV 1984. Auch § 7 Nr. 5 Abs. 2 MTV 1984 lasse eine derartige Regelung nicht zu.

Am 24. April 1987 wurde der am 1. April 1988 in Kraft getretene Manteltarifvertrag für Arbeiter und Angestellte in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden (MTV 1988) unterzeichnet. Gemäß § 21 Nr. 2 MTV 1988 ersetzt dieser Manteltarifvertrag den MTV 1984. Nach § 7 Nr. 1 MTV 1988 wurde die Arbeitszeit zum 1. April 1988 auf 37,5 und ab 1. April 1989 auf 37 Stunden verkürzt. § 7 Nr. 5 Abs. 1 blieb gleich. Nach § 7 Nr. 5 Abs. 2 MTV 1988 kann die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit auch ungleichmäßig auf mehrere Wochen verteilt werden. Sie muß aber im Durchschnitt von längstens 6 Monaten erreicht werden.

Mit seinem am 24. September 1987 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag hat der Arbeitgeber geltend gemacht, der Spruch der Einigungsstelle sei unwirksam. Der Arbeitgeber hat vorgetragen, die IG Metall habe die Flexibilisierung der Arbeitszeit als Preis für deren Verkürzung akzeptieren müssen. Für die tatsächliche Verteilung der Arbeitszeit innerhalb von zwei Monaten schreibe der MTV 1984 weder Unter- noch Obergrenzen vor; er erweitere sogar die Verteilung über die fünf Werktage der Woche hinaus. In einzelnen Wochen dürfe die Arbeitszeit aufgrund der zulässigen ungleichen Verteilung der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit 37 Stunden unterschreiten und 40 Stunden überschreiten. Es müsse lediglich nach § 7.5 MTV 1984 im Durchschnitt von zwei Monaten die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit erreicht werden. Der Schiedsspruch (2) vom 22. April 1974 finde in der zweimonatigen Frist des § 7.5 MTV 1984 seine Entsprechung und Fortentwicklung. Das von ihm begehrte Arbeitszeitmodell stehe mit diesen tariflichen Vorgaben in Einklang. Der Betriebsrat verwechsele die Verteilung und die Dauer der Arbeitszeit. Falls in dem zweimonatigen Zeitraum eine Wochenarbeitszeit von 40 Stunden nicht über- und eine Wochenarbeitszeit von 37 Stunden nicht unterschritten werden dürfe, scheide eine Flexibilisierung nach dem MTV 1984 bei allen Arbeitnehmern mit einer individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 37 oder 40 Stunden pro Woche von vornherein vollständig aus.

Der Arbeitgeber hat in erster Instanz beantragt festzustellen, daß

  1. der am 24. August 1987 gefällte Spruch der Einigungsstelle, bestehend aus dem Richter am Arbeitsgericht S als Vorsitzendem sowie den Herren Dr. B, Dr. H, Ba, U, M, F, R und S, rechtsunwirksam ist;
  2. Arbeitgeber und Betriebsrat als Betriebsverfassungsparteien nach dem MTV 84 für die Arbeiter und Angestellten in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden berechtigt sind, bei der Verteilung der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von Arbeitnehmern im Werk U der Antragstellerin die Wochenstundenzahl von 37 Stunden in der Woche zu unterschreiten und die Wochenstundenzahl von 40 Stunden in der Woche zu überschreiten, sofern die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit solcher Arbeitnehmer im Durchschnitt von 2 Monaten (§ 7.5 Abs. 2 MTV 84) erreicht wird.

Der Betriebsrat hat in erster Instanz beantragt, die Anträge des Arbeitgebers zurückzuweisen.

Nach seiner Auffassung darf auch bei ungleichmäßiger Verteilung der Arbeitszeit in den einzelnen Wochen nicht mehr als 40 Stunden gearbeitet werden, ohne daß zuschlagspflichtige Mehrarbeit vorliegt. Die innere Verknüpfung und die Abfolge der Regelungen über Verteilung und Dauer der Arbeitszeit spreche dafür, daß stets eine wöchentliche Arbeitszeit mit einer Untergrenze von 37 Stunden und einer Obergrenze von 40 Stunden eingehalten werden müsse. Der Schiedsspruch vom 22. April 1974 habe lediglich Unklarheiten bei der Interpretation einer Obergrenze der wöchentlichen Arbeitszeit im MTV 1984 beseitigen sollen. Der Spruch der bayerischen Schiedsstelle sei ohne Bedeutung und Erkenntniswert für den MTV von Nordwürttemberg/Nordbaden.

Das Arbeitsgericht hat die Anträge des Arbeitgebers abgewiesen. Dagegen hat der Arbeitgeber mit Schriftsatz vom 12. Februar 1988 Beschwerde eingelegt.

Am 7. März 1988 haben die Betriebspartner eine Betriebsvereinbarung zur Regelung der Arbeitszeit in den Zentralressorts, den Zentralfunktionen der Geschäftsbereiche und im Werk U nebst Anlagen und Protokollnotizen abgeschlossen, die am 1. April 1988 in Kraft getreten und mit einer Frist von drei Monaten, erstmals zum 31. März 1990, kündbar ist.

Nach Auffassung des Arbeitgebers ist sein Rechtsschutzinteresse am vorliegenden Verfahren nicht durch das Außerkrafttreten des MTV 1984 entfallen. Der MTV 1988 enthalte in allen entscheidungsmaßgeblichen Regelungspunkten die gleichen Regelungen wie der MTV 1984. Wenn die wöchentliche Arbeitszeit weiter herabgesetzt werde und der Durchschnitt von zwei auf sechs Monate erhöht werde, beseitige dieses den vorliegenden Regelungsstreit nicht. Wenn in den jeweiligen Arbeitswochen die tarifliche Arbeitszeitspanne nicht unterschritten oder überschritten werden dürfe, bringe gerade die weitere Arbeitszeitverkürzung durch den MTV 1988 eine zusätzliche Einschränkung der Flexibilisierung und eine Beeinträchtigung der täglichen Betriebsnutzungszeit mit sich. Die Betriebsvereinbarung vom 7. März 1988 berühre die hier streitigen Regelungsfragen nicht; sie stehe einer ergänzenden Betriebsvereinbarung mit flexibler Verteilung in einem Zeitraum von sechs Monaten für einzelne Beschäftigungsgruppen nicht entgegen. Sie habe mit der Festlegung der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit nicht bis zur rechtskräftigen Entscheidung des vorliegenden Verfahrens zuwarten können, da die Festlegung für sie sofort notwendig gewesen sei.

Der Arbeitgeber hat vor dem Landesarbeitsgericht beantragt:

  1. Der Beschluß des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 18.01.88, zugestellt am 27.01.88, – 11 BV 11/87 –, wird abgeändert.
  2. Es wird festgestellt, daß der am 24.08.87 gefällte Spruch der Einigungsstelle, bestehend aus dem Richter am Arbeitsgericht S als Vorsitzendem sowie den Herren Dr. B, Dr. H, Ba, U, M, F, R und S, rechtsunwirksam ist.
  3. Weiter wird festgestellt, daß Antragstellerin und Antragsgegner als Betriebsverfassungsparteien nach dem MTV 87/88 für die Arbeiter und Angestellten in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden berechtigt sind, bei der Verteilung der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von Arbeitnehmern im Werk U der Antragstellerin die Wochenstundenzahl von 37 Std./Woche, ab 01.04.89 die Wochenstundenzahl von 36,5 Std./Woche zu unterschreiten und die Wochenstundenzahl von 39,5 Std./Woche, ab 01.04.89 von 39 Std./Woche einerseits und die Wochenstundenzahl von 40 Std./Woche andererseits zu überschreiten, sofern die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit solcher Arbeitnehmer im Durchschnitt von 6 Monaten (§ 7.5 Abs. 2 MTV 87/88) erreicht wird.

Der Betriebsrat hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Das Rechtsschutzinteresse für das Begehren des Arbeitgebers sei inzwischen entfallen. Der Spruch der Einigungsstelle sei auf der Grundlage des MTV 1984 ergangen, der mit Ablauf des 31. März 1988 außer Kraft sei. Im übrigen habe der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat die Betriebsvereinbarung vom 7. März 1988 ohne Vorbehalt abgeschlossen, die zudem von einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden, also mehr als 39,5 Stunden, ausgehe. In den Verhandlungen sei der Arbeitgeber peinlich darauf bedacht gewesen, bei der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit die Obergrenze von 40 Stunden nicht zu überschreiten. Eine Unterschreitung der 37-Stunden-Woche sei nie angesprochen worden. Schließlich sei die in der zweiten Instanz erfolgte Antragserweiterung – eine Antragsänderung –, in die der Betriebsrat ausdrücklich nicht eingewilligt hat, nicht sachdienlich.

Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Arbeitgebers gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts als unbegründet zurückgewiesen und den Antrag zu 3 als unzulässig abgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers.

 

Entscheidungsgründe

B. Die zulässige Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers ist nicht begründet.

I. Der auf Feststellung der Unwirksamkeit des Spruchs der Einigungsstelle gerichtete Antrag ist unzulässig, weil das erforderliche Feststellungsinteresse nicht mehr besteht.

1. Nach § 256 Abs. 1 ZPO, der auf das Beschlußverfahren entsprechend anwendbar ist (Senatsbeschluß vom 18. August 1987, BAGE 56, 18 = AP Nr. 23 zu § 77 BetrVG 1972 und Senatsbeschluß vom 13. Oktober 1987 – 1 ABR 10/86BAGE 56, 197 = AP Nr. 24 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit), muß der Antragsteller ein rechtliches Interesse daran haben, daß ein Rechtsverhältnis – und nicht nur bloße Elemente oder Vorfragen (BAG Urteil vom 12. Dezember 1984, BAGE 47, 314 = AP Nr. 6 zu § 2 KSchG 1969) – durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt wird. An der Feststellung der Unwirksamkeit des Spruchs einer Einigungsstelle besteht zwar grundsätzlich das auch im Beschlußverfahren stets notwendige Feststellungs- bzw. Rechtsschutzinteresse (Senatsbeschluß vom 21. Juni 1957 – 1 ABR 1/56 – AP Nr. 2 zu § 81 ArbGG 1953 und Senatsbeschluß vom 18. August 1987, aaO). Dieses kann aber wegfallen, so daß es dem Gericht versagt ist, in der Sache selbst zu entscheiden, weil es anderenfalls nicht streitentscheidend, sondern gutachterlich tätig würde. Das ist mit den Aufgaben der Gerichte für Arbeitssachen auch im Beschlußverfahren nicht zu vereinbaren. Der Wegfall des Interesses ist somit noch in der Rechtsbeschwerdeinstanz zu beachten (Senatsbeschluß vom 17. Februar 1970 – 1 ABR 14/69 – AP Nr. 2 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit, m.w.N.). Das Rechtsschutzinteresse entfällt, wenn ein konkreter Vorgang, der zum Verfahren geführt hat, in der Vergangenheit liegt und zur Zeit der gerichtlichen Entscheidung bereits abgeschlossen ist, ohne daß auch nur eine geringe Wahrscheinlichkeit besteht, daß sich ein gleichartiger Vorgang wiederholen kann (BAG Beschluß vom 29. Juli 1982, BAGE 39, 259 = AP Nr. 5 zu § 83 ArbGG 1979, mit umfangreichen weiteren Nachweisen). Deshalb kann keine Entscheidung begehrt werden, in der lediglich ausgesprochen wird, ob eine bestimmte Rechtsauffassung lediglich in der Vergangenheit zutreffend war (Senatsbeschluß vom 10. April 1984 – 1 ABR 73/82 – AP Nr. 3 zu § 81 ArbGG 1979 m.w.N.). Ebenso fehlt es am Rechtsschutzinteresse, wenn der Spruch einer Einigungsstelle in seiner Wirksamkeit nicht umstritten ist und im Betrieb angewandt wird, der Arbeitgeber aber gleichwohl die Feststellung begehrt, daß dem Betriebsrat bezüglich der von der Einigungsstelle getroffenen Regelung ein Mitbestimmungsrecht nicht zusteht (Senatsbeschlüsse vom 13. Oktober 1987 – 1 ABR 10/86 – aaO, und – 1 ABR 53/86 – AP Nr. 7 zu § 81 ArbGG 1979). Im Anschluß hieran ist der Senat in seinem Beschluß vom 12. Januar 1988 – 1 ABR 54/86 – AP Nr. 8 zu § 81 ArbGG 1979 davon ausgegangen, daß es für einen Antrag des Betriebsrats auf Feststellung seines Mitbestimmungsrechts bei bestimmten Überstunden am Feststellungsinteresse fehlt, wenn die Betriebspartner die Beteiligung des Betriebsrats bei diesen Überstunden inzwischen in einer Betriebsvereinbarung geregelt haben. In einem solchen Falle sei es aufgrund der bestehenden Betriebsvereinbarung für die Rechtsbeziehungen der Betriebspartner ohne Bedeutung, ob dem Betriebsrat insoweit ein Mitbestimmungsrecht zustehe und er die getroffene Regelung auch aufgrund seines Mitbestimmungsrechts über einen entsprechenden Spruch der Einigungsstelle hätte erzwingen können.

2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze fehlt es für den Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des Spruchs der Einigungsstelle am erforderlichen Interesse des Arbeitgebers.

a) Die Einigungsstelle hatte ausschließlich den Auftrag, den Konflikt zwischen den Betriebspartnern zu lösen, der auf der durch den MTV 1984 notwendig gewordenen Regelung der Arbeitszeit im Werk U des Arbeitgebers beruhte. Dort galt es, eine dem MTV 1984 entsprechende Regelung der Arbeitszeit zu treffen bzw. diesen Manteltarifvertrag betrieblich umzusetzen. Zu diesem Zwecke wurde das Einigungsstellenverfahren eingeleitet und dessen Gegenstand durch entsprechenden Antrag des Arbeitgebers bestimmt. Da die Einigungsstelle nicht von Amts wegen entscheidet, darf sie die Angelegenheit nur insoweit regeln, als diese unter den Betriebspartnern streitig ist und die betreffende Regelungsstreitigkeit in den „Anträgen” Ausdruck findet; hierbei haben Anträge und Erklärungen vornehmlich den Sinn, die regelungsbedürftige Angelegenheit zu umschreiben und Vorschläge für deren Lösung zu machen (Senatsbeschluß vom 30. Januar 1990 – 1 ABR 2/89 – zur Veröffentlichung vorgesehen).

b) Es kann dahinstehen, ob infolge des Außerkrafttretens des MTV 1984 der Spruch der Einigungsstelle gegenstandslos geworden ist oder ob – wie der Arbeitgeber meint – wegen der Ähnlichkeit der Regelung des § 7 Nr. 5 MTV 1988 noch ein Rechtsschutzinteresse an dem Antrag festzustellen, daß der Spruch der Einigungsstelle unwirksam ist, bestehen kann.

Auf jeden Fall besteht kein Rechtsschutzinteresse für den Antrag zu 1 mehr, seit die Betriebspartner durch Betriebsvereinbarung vom 7. März 1988 sich auf die Regelung der Arbeitszeit im Werk U geeinigt haben. Gegenstand dieser Betriebsvereinbarung ist insbesondere die Festlegung der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit, die Regelung der betrieblichen Arbeitszeit einschließlich Zeitausgleich und die Verteilung der Freischichten. Somit besteht nunmehr im Werk U des Arbeitgebers eine umfassende Arbeitszeitregelung. Daher ist es für die Betriebspartner ohne jede Bedeutung, ob der Spruch der Einigungsstelle vom 24. August 1987 in Ordnung ist oder nicht.

Nunmehr ist allein die Betriebsvereinbarung vom 7. März 1988 maßgeblich, deren Geltung und Wirksamkeit zwischen den Betriebspartnern nicht im Streit steht. Im Verhältnis von zwei aufeinanderfolgenden Tarifverträgen gilt die sog. Zeitkollisionsregel. Die Tarifvertragsparteien können eine Tarifnorm zugunsten wie auch zum Nachteil der betroffenen Arbeitnehmer ändern bzw. ablösen durch eine ihr nachfolgende. Das entspricht der ganz herrschenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. etwa BAGE 41, 163, 168 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Besitzstand, zu II 3 der Gründe; BAG Urteil vom 28. November 1984 – 5 AZR 195/83 – AP Nr. 2 zu § 4 TVG Bestimmungsrecht, zu 1 a, 3 a der Gründe und BAG Urteil vom 10. Oktober 1989 – 3 AZR 200/88 – zur Veröffentlichung vorgesehen, zu II 3 der Gründe; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 4 Rz 149). Das Gleiche gilt für Betriebsvereinbarungen. Dementsprechend tritt auch eine neue Betriebsvereinbarung grundsätzlich an die Stelle der alten. Dieser Vorgang wird ebenfalls als Ablösung bezeichnet (Beschluß des Großen Senats vom 16. September 1986, BAGE 53, 42 = AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972 und Senatsurteil vom 21. September 1989 – 1 AZR 454/88 – EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 33).

Wäre vorliegend der Spruch der Einigungsstelle wirksam, hätte dieser bereits am 24. August 1987 die Einigung zwischen den Betriebspartnern ersetzt. Dieser Zeitpunkt liegt vor dem der Betriebsvereinbarung vom 7. März 1988, die dann als neue den Vorrang hätte. Wäre der vorgenannte Spruch unwirksam, würde nichts anderes gelten. Zwar wäre dann theoretisch demnächst mit einem Spruch der Einigungsstelle zu rechnen, der rein zeitlich gesehen später als die Betriebsvereinbarung vom 7. März 1988 angesiedelt ist. Gleichwohl wäre diese Betriebsvereinbarung aber als neue zu qualifizieren, da diese auf dem MTV 1988 beruht und dem fiktiven Spruch der Einigungsstelle noch der alte MTV 1984 zugrunde liegen würde. Tarifverträge sind gegenüber Betriebsvereinbarungen ranghöher angesiedelt. Neue Tarifverträge haben Vorrang vor den alten. Deshalb ist diejenige von mehreren Betriebsvereinbarungen maßgeblich, die auf dem neueren Tarifvertrag beruht. Erst dann, wenn mehrere Betriebsvereinbarungen auf demselben Tarifvertrag beruhen, kommt es darauf an, welche von den beiden Betriebsvereinbarungen die jüngere ist.

II. Es kann dahinstehen, ob das Landesarbeitsgericht ohne Rechtsfehler den in der Beschwerdeinstanz erstmals gestellten Feststellungsantrag betreffend den MTV 1988 nicht mehr zur Entscheidung angenommen hat, denn auch für diesen Antrag ist mit dem Abschluß der Betriebsvereinbarung vom 7. März 1988 das Rechtsschutzinteresse entfallen.

Arbeitgeber und Betriebsrat haben ausdrücklich zur Durchführung des Manteltarifvertrages vom 24. April 1987 (MTV 1988) die Betriebsvereinbarung vom 7. März 1988 zur Regelung der Arbeitszeit im Werk U vereinbart. Die Betriebsvereinbarung enthält eine vollständige Umsetzung des MTV 1988 für die Arbeitszeit. Sie enthält Regelungen über die Betriebsnutzungszeit, die individuelle wöchentliche Arbeitszeit und deren Umsetzung im Betrieb U. In dieser Betriebsvereinbarung sind auch Elemente der Flexibilisierung enthalten. Außerdem bleibt nach Nr. 3.1 der Betriebsvereinbarung die betriebliche Nutzungszeit von 40 Stunden pro Woche und Schicht bestehen, die tägliche Arbeitszeit der vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer beträgt 8 Stunden. Der erforderliche Zeitausgleich wird durch arbeitsfreie Tage gewährt. Es besteht also zwischen den Beteiligten kein Streit über die Umsetzung des MTV 1988 im Betrieb U .

Mit der Betriebsvereinbarung ist auch nicht etwa nur eine Regelung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit getroffen worden. Für eine solche, nur vorläufige Regelung fehlt es an jedem Anhaltspunkt. Dem einleitenden Satz, daß die Betriebsvereinbarung der Durchführung des MTV 1988 dient und der Regelung, daß sie erstmals zum 31. März 1990 mit einer Frist von drei Monaten kündbar ist, kann nur entnommen werden, daß mit der Betriebsvereinbarung vom 7. März 1988 die Arbeitszeit losgelöst vom vorliegenden Rechtsstreit auf der Basis des MTV 1988 auf unbestimmte Zeit hat geregelt werden sollen.

Besteht also ein Regelungsstreit über die Umsetzung der individuellen wöchentlichen Arbeitszeit nach dem MTV 1988 zwischen den Beteiligten nicht, war dementsprechend der Feststellungsantrag des Arbeitgebers wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses als unzulässig abzuweisen.

 

Unterschriften

Dr. Kissel, Matthes, Dr. Weller, Weinmann, H. Paschen

 

Fundstellen

Dokument-Index HI969652

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