Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsweg. Geschäftsführender Direktor der Staatlichen Bühnen

 

Normenkette

ArbGG § 5 Abs. 1; GVG § 17 a Abs. 2

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Beschluss vom 21.10.1998; Aktenzeichen 6 Ta 310/95)

ArbG Braunschweig (Beschluss vom 27.07.1995; Aktenzeichen 7 Ca 370/95)

 

Tenor

1. Die weitere sofortige Beschwerde des klagenden Landes gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 21. Oktober 1998 – 6 Ta 310/95 – wird zurückgewiesen.

2. Das klagende Land hat die Kosten der weiteren sofortigen Beschwerde zu tragen.

3. Streitwert: 139.629,00 DM.

 

Tatbestand

A. Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche.

Der Beklagte war vom 1. August 1990 bis zum 31. Juli 1993 geschäftsführender Direktor an den staatlichen Schauspielbühnen B… (SSB) des klagenden Landes. In § 2 des Dienstvertrages vom 29. September 1989 heißt es:

“§ 2

1. Dem Geschäftsführenden Direktor obliegt in Zusammenarbeit mit den übrigen Direktionsmitgliedern, insbesondere in enger Abstimmung mit dem Generaldirektor, die wirtschaftliche und organisatorische Leitung der SSB. Er ist gemeinsam mit dem Generaldirektor zur Einhaltung des Haushaltssatzes der SSB verpflichtet und hat die übrigen Direktionsmitglieder über alle wesentlichen Angelegenheiten seines Geschäftsbereiches auf dem laufenden zu halten.

2. Der Geschäftsführende Direktor koordiniert die Zusammenarbeit der Abteilungen von Technik und Verwaltung mit dem künstlerischen Betrieb und bearbeitet die Vertrags- und Personalangelegenheiten der SSB.

3. Der Geschäftsführende Direktor ist darüber hinaus an allen wesentlichen, die künstlerisch und künstlerisch-technischen Belange der SSB betreffenden Entscheidungen zu beteiligen. Seine Zustimmung zu Entscheidungen des Generaldirektors kann er im Falle der Überschreitung der im Haushaltsplan der SSB festgesetzten finanziellen Mittel verweigern.”

Nach § 3 des Vertrages hatte der Kläger “seine Arbeitskraft vorrangig für die SSB einzusetzen”; zur Ausübung von Nebentätigkeiten bedurfte er der vorherigen Zustimmung der Senatsverwaltung. Nach § 11 des Vertrages sollten “zur Behandlung von Meinungsverschiedenheiten oder Rechtsstreitigkeiten” die dem Vertrag anliegende Schiedsordnung gelten, in der es wie folgt heißt:

“§ 1

Kommt bei einer Meinungsverschiedenheit zwischen Rechtsträger und Geschäftsführendem Direktor eine gütliche Einigung nicht zustande, so muß sich jede Partei der Vermittlung einer Schlichtungsstelle bedienen, die beim Vorstand des Deutschen Bühnenvereins errichtet worden ist.

§ 2

Für Rechtsstreitigkeiten aus dem Vertrag wird der ordentliche Rechtsweg ausgeschlossen. Rechtsstreitigkeiten werden ausschließlich durch ein Schiedsgericht, das aus einem rechtskundigen Obmann und zwei Beisitzern besteht, endgültig entschieden. Der Obmann wird vom Präsidenten des Deutschen Bühnenvereins berufen. Jede Partei hat einen Beisitzer zu benennen, der in der Sache nicht die eine oder andere Partei vorher vertreten haben darf. Erfolgt auf Anforderung der anderen Partei die Benennung nicht innerhalb von drei Wochen, erfolgt die Benennung durch den Vorstand des Deutschen Bühnenvereins.”

Der Beklagte ließ im S… theater eine Tribüne einbauen. Das Land wirft ihm vor, er habe mit der Auftragsvergabe gegen Vertrag und Landeshaushaltsordnung verstoßen, da dafür keine Haushaltsmittel zur Verfügung gestanden hätten. Das Land hat Klage auf Schadensersatz vor dem Arbeitsgericht Berlin erhoben.

Zur Zuständigkeit hat das klagende Land vorgetragen: Die Schiedsvereinbarung sei nach den §§ 4, 101 ff. ArbGG unwirksam, da der Beklagte Arbeitnehmer oder arbeitnehmerähnliche Person gewesen sei und sich sein Arbeitsvertrag nicht nach einem Tarifvertrag bestimmt habe. Das Arbeitsgericht Berlin sei nach § 29 ZPO örtlich zuständig.

Der Beklagte hat die sachliche und örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts gerügt und dazu die Auffassung vertreten, er sei weder Arbeitnehmer noch arbeitnehmerähnliche Person gewesen. Daher sei die Schiedsvereinbarung wirksam.

Das Arbeitsgericht Berlin hat sich durch Beschluß vom 8. Juni 1995 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Braunschweig verwiesen. Dieses hat durch Beschluß vom 27. Juli 1995 entschieden, daß der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten zulässig ist. Dagegen hat sich der Beklagte mit der sofortigen Beschwerde gewandt.

Durch Beschluß vom 8. Oktober 1996 hat das Landesarbeitsgericht Niedersachsen den Beschluß des Arbeitsgerichts Braunschweig abgeändert, die Übernahme des Rechtsstreits aufgrund des Verweisungsbeschlusses des Arbeitsgerichts Berlin vom 8. Juni 1995 abgelehnt und die Sache dem Bundesarbeitsgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Das Bundesarbeitsgericht hat durch Beschluß vom 17. März 1997 – 5 AS 3/97 – diese Vorlage für unzulässig erklärt und ausgesprochen, daß das Landesarbeitsgericht über die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Braunschweig vom 27. Juli 1995 zu entscheiden hat. Nunmehr hat das Landesarbeitsgericht Niedersachsen durch Beschluß vom 21. Oktober 1998 den Beschluß des Arbeitsgerichts abgeändert, den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Hildesheim verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

B. Die weitere sofortige Beschwerde des klagenden Landes hat keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat richtig entschieden. Der Beklagte war weder Arbeitnehmer noch arbeitnehmerähnliche Person (§ 5 Abs. 1 Satz 1, 2 ArbGG).

I. 1. Das Arbeitsverhältnis unterscheidet sich vom freien Dienstverhältnis durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in der sich der zur Dienstleistung Verpflichtete befindet. Der Arbeitnehmer ist in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers eingegliedert. Die Eingliederung zeigt sich insbesondere darin, daß der Beschäftigte dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt (vgl. § 121 GewO). Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist namentlich der Mitarbeiter, der nicht im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann (vgl. § 84 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 HGB).

Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt auch von der Eigenart und der Organisation der zu leistenden Tätigkeit ab. Manche Tätigkeiten können sowohl im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses als auch im Rahmen eines anderen Rechtsverhältnisses erbracht werden, andere regelmäßig nur im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses. Bei untergeordneten und einfacheren Arbeiten ist eher eine Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation anzunehmen als bei gehobenen Tätigkeiten. Ein Arbeitsverhältnis kann aber auch bei Diensten höherer Art gegeben sein, selbst wenn dem Dienstverpflichteten ein hohes Maß an Gestaltungsfreiheit, Eigeninitiative und fachlicher Selbständigkeit verbleibt. Der jeweilige Vertragstyp ergibt sich aus dem wirklichen Geschäftsinhalt. Widersprechen sich Vereinbarungen und tatsächliche Durchführung, so ist letztere maßgebend. Für die Abgrenzung von Bedeutung sind demnach in erster Linie die Umstände, unter denen die Dienstleistung zu erbringen ist, und nicht die Bezeichnung, die die Parteien ihrem Rechtsverhältnis gegeben haben, oder eine von ihnen gewünschte Rechtsfolge. Dabei kommt es auf eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls an; die Verkehrsanschauung ist zu berücksichtigen (BAG Urteil vom 6. Mai 1998 – 5 AZR 347/97 – AP Nr. 94 zu § 611 BGB Abhängigkeit, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt).

Für den Bereich Medien (Rundfunk und Fernsehen) hat der Senat entschieden, daß Rundfunk- und Fernsehmitarbeiter nicht schon deshalb Arbeitnehmer sind, weil sie auf den Apparat der Anstalt und das Mitarbeiterteam angewiesen sind (BAG Urteil vom 30. November 1994 – 5 AZR 704/93 – BAGE 78, 343 = AP Nr. 74 zu § 611 BGB Abhängigkeit). Für den Bereich Kunst und Unterhaltung und damit auch für Theater gilt nichts anderes.

2. Hieran gemessen war der Beklagte nicht Arbeitnehmer im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, haben die Parteien ihr Vertragsverhältnis als freien Dienstvertrag ausgestaltet und auch so durchgeführt. Der Beklagte gehörte der vierköpfigen “Direktion”, also dem Leitungsgremium der staatlichen Schauspielbühnen an. Ihm oblag unter anderem die wirtschaftliche Organisation und organisatorische Leitung der Bühnen; er hatte die Vertrags- und Personalangelegenheiten zu bearbeiten. Zwar hatte er mit den übrigen Direktionsmitgliedern, insbesondere mit dem Generaldirektor zusammenzuarbeiten; umgekehrt war er an allen wesentlichen künstlerischen und künstlerisch-technischen Entscheidungen zu beteiligen. Es handelte sich um eine Tätigkeit auf der höchsten Leitungsebene eines großen Bühnenbetriebes. Der Beklagte konnte damit im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen.

Die Stellung des Beklagten entsprach der des Mustervertrages für Intendanten. Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Urteil vom 17. Dezember 1968 (– 5 AZR 86/68 – AP Nr. 17 zu § 5 ArbGG 1953) entschieden, daß ein Theaterintendant, dessen Dienstvertrag in den wichtigen Punkten mit dem vom Deutschen Bühnenverein entworfenen Muster eines Intendantenvertrages übereinstimmt, in einem solchen Ausmaß Arbeitgeberfunktionen wahrnimmt, daß er nicht mehr als Arbeitnehmer oder arbeitnehmerähnliche Person angesehen werden kann. Dies entspricht auch der Verkehrsanschauung. Danach hat der Bühnenleiter die Stellung eines freien Dienstnehmers. Bei dem Streit der Parteien handelt es sich letztlich um eine Streitigkeit im “Arbeitgeberlager”, für die die Arbeitsgerichte nicht zuständig sind.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der – im Übrigen üblichen – Vertragsbestimmung, daß der Beklagte seine Arbeitskraft vorrangig für das klagende Land einzusetzen hatte und Nebentätigkeiten der Zustimmung des Vertragspartners bedurften. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, war dieser Zustimmungsvorbehalt für Nebentätigkeiten das einzige Korrektiv des klagenden Landes, den weder an Anweisungen, noch an Dienstzeiten gebundenen Beklagten zu überprüfen. Auch die vom klagenden Land weiter genannten Vertragsbestimmungen sprechen nicht für das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses. Das gilt für § 4 des Vertrages, wonach der Beklagte mindestens vier Wochen von insgesamt sechs Wochen Urlaub in den Theaterferien nehmen mußte und Urlaub außerhalb der Theaterferien, also maximal zwei Wochen, der rechtzeitigen vorherigen Anzeige bedurfte. Soweit dem Beklagten durch § 6 des Vertrages Rechte bei Arbeitsunfähigkeit und hinsichtlich der Berufsunfähigkeit, Alters- und Hinterbliebenenversorgung vergleichbar einem Arbeitnehmer zugebilligt wurden, ergibt sich daraus weder ein Weisungsrecht, noch eine Eingliederung des Beklagten in die Theaterbetriebe.

II. Der Beklagte war auch nicht arbeitnehmerähnliche Person (§ 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG). Arbeitnehmerähnliche Personen sind Selbständige. Sie unterscheiden sich von Arbeitnehmern durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit. Arbeitnehmerähnliche Personen sind – in der Regel wegen ihrer fehlenden oder gegenüber Arbeitnehmern geringeren Weisungsgebundenheit, oft auch wegen fehlender oder geringerer Eingliederung in eine betriebliche Organisation – in wesentlich geringerem Maße persönlich abhängig als Arbeitnehmer. An die Stelle der persönlichen Abhängigkeit tritt das Merkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit bzw. wirtschaftlichen Unselbständigkeit. Außerdem muß der wirtschaftlich Abhängige seiner gesamten sozialen Stellung nach einem Arbeitnehmer vergleichbar sozial schutzbedürftig sein. Dafür sind die gesamten Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung maßgeblich (BAG Beschluß vom 16. Juli 1997 – 5 AZB 29/96 – AP Nr. 37 zu § 5 ArbGG 1979, auch zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung bestimmt).

Der Beklagte war zwar wirtschaftlich von dem klagenden Land abhängig; er war jedoch nicht seiner gesamten sozialen Stellung nach einem Arbeitnehmer vergleichbar schutzbedürftig. Er hatte Bezüge in einer Höhe zu beanspruchen, wie sie für Geschäftsführer oder Vorstandsmitglieder typisch sind, ergänzt um weitreichende Ansprüche bei Krankheit, Berufsunfähigkeit und Alter. Entscheidend ist aber, daß er zusammen mit den drei weiteren Direktionsmitgliedern die wesentlichen Arbeitgeberfunktionen innehatte. Auch die Verkehrsanschauung geht dahin, daß Intendanten und bei einer kollegialen Leitung größerer Bühnen auch die Mitglieder des höchstes Leitungsgremiums weder Arbeitnehmer noch arbeitnehmerähnliche Personen sind.

III. Es handelt sich demnach um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit, für die nach § 13 GVG der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben ist. Da der Streitwert die Summe von 10.000,00 DM übersteigt, ist die Zuständigkeit der Landgerichte gegeben (§ 23 Nr. 1, § 71 Abs. 1 GVG). Der Rechtsstreit ist daher an das zuständige Landgericht zu verweisen. Örtlich zuständig ist das Landgericht Hildesheim, in dessen Gerichtsbezirk der Beklagte seinen Wohnsitz hat (§ 13 ZPO).

Eine Verweisung des Rechtsstreits an das nach § 11 des Dienstvertrages in Verbindung mit der Schiedsordnung allein zuständige Schiedsgericht kommt nicht in Betracht. Nach § 1032 ZPO hat das Gericht die Klage als unzulässig abzuweisen, sofern der Beklagte dies vor Beginn der mündlichen Verhandlung zur Hauptsache rügt. Es ist dann Sache der klagenden Partei, das Verfahren vor dem Schiedsgericht einzuleiten. Über die Zulässigkeit der Klage unter diesem Gesichtspunkt hat das im gegebenen Rechtsweg zuständige Gericht, hier also das Landgericht, zu entscheiden.

 

Unterschriften

Griebeling, Reinecke, Kreft

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2628930

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