Entscheidungsstichwort (Thema)

Anrechnung der Sozialversicherungsrente auf Beamtenversorgung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Darf ein leitender Arzt eines Krankenhauses nach seinem Arbeitsvertrag im Krankenhaus freiberuflich als niedergelassener Arzt tätig werden, ist im Zweifel anzunehmen, daß es ihm überlassen bleibt, in bezug auf diese Tätigkeit für seinen Versorgungsbedarf im Alter und bei Invalidität selbst zu sorgen.

2. Beantragt der Arzt wegen seiner selbständigen Erwerbstätigkeit die Aufnahme in die gesetzliche Rentenversicherung (§ 2 Abs 1 Nr 11 AVG), bleiben die aus dieser Versicherung erwachsenden Ansprüche im Zweifel bei der Berechnung der für die Tätigkeit im Krankenhaus geschuldeten Altersversorgung unberücksichtigt, auch wenn eine Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen vereinbart war.

 

Normenkette

BVG § 55; BGB §§ 157, 242, 611, 133; BetrAVG § 1

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 29.04.1986; Aktenzeichen 6 Sa 2234/85)

ArbG Minden (Entscheidung vom 24.10.1985; Aktenzeichen 1 Ca 665/85)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Anrechnung einer Sozialversicherungsrente eines leitenden Arztes, die auf einer Pflichtversicherung kraft Antrages beruht, auf eine Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen.

Der im Jahre 1921 geborene Kläger war vom 1. Juni 1966 bis zum 31. August 1984 angestellter leitender Arzt der Inneren Abteilung des Kreiskrankenhauses R, dessen Träger der beklagte Landkreis ist. Der Kläger erhielt für seine Tätigkeit ein Gehalt nach der VergGr. I a BAT. Im Arbeitsvertrag vom 1. Juni 1966 war darüber hinaus vereinbart worden, daß der Kläger in den Krankenhausräumen freiberuflich eine private Praxis als niedergelassener Arzt für Privat- und Kassenpatienten betreiben konnte. Für die Benutzung der Krankenhauseinrichtung zur freiberuflichen Tätigkeit hatte der Kläger einen Teil seiner Einkünfte an den Beklagten abzuführen. Wegen der Altersversorgung des Klägers heißt es in § 11 des Vertrages:

"1. Der Landkreis L gewährt Herrn

Dr. B - unter Beibehaltung des

Angestelltenverhältnisses im übrigen eine

Alters- und Hinterbliebenenversorgung

entsprechend beamtenrechtlichen

Bestimmungen. Der Versorgung wird die

Besoldungsgruppe eines Regierungsrates,

also gegenwärtig A 13 des Besoldungsgesetzes

für das Land Nordrhein-Westfalen

in der Fassung vom 19.8.1965, nach Erreichung

der neunten Dienstaltersstufe die

Besoldungsgruppe eines Oberregierungsrates

(A 14), zugrunde gelegt.

2. Mit Rücksicht auf die gewährte Altersversorgung

entfällt die Angestelltenversicherung."

Im Jahre 1981 wurde vereinbart, daß die Versorgung sich nach der Besoldung eines Regierungsdirektors in Besoldungsgruppe A 15 BBG richten solle.

Als der Kläger seine Tätigkeit als leitender Arzt aufnahm, beendete er seine bis dahin bestehende Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung für Angestellte. Zur zusätzlichen Alterssicherung schloß er eine Lebensversicherung ab. Nachdem im Jahre 1972 die gesetzliche Rentenversicherung auch für Selbständige eröffnet worden war, löste er die Lebensversicherung auf und beantragte am 31. März 1973 als selbständiger Arzt bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte seine Versicherung. Den Rückkaufswert der Lebensversicherung verwandte er zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge (Art. 2 § 49 a AnVNG) sowie von Pflichtbeiträgen (§ 140 AVG). Vom 1. April 1973 bis zum 31. August 1984, der Vollendung seines 63. Lebensjahres, leistete er insgesamt 67.960,-- DM Beiträge. An diesen beteiligte sich der Beklagte nicht.

Nach dem Inkrafttreten des BeamtVG im Jahre 1977 kam es zwischen den Parteien zu einem Schriftwechsel darüber, ob die Rente aus der Pflichtversicherung kraft Antrages auf die Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen angerechnet werden könne. Dem Kläger wurde in Aussicht gestellt, daß dieser Teil der Rente anrechnungsfrei sein würde.

Am 1. September 1984 trat der Kläger in den Ruhestand. Die Westfälisch-Lippische Versorgungskasse, die für den beklagten Landkreis die Versorgung auszahlt, berechnete die Ruhegehaltsansprüche nach beamtenrechtlichen Grundsätzen bis zum Dezember 1984 ungekürzt. Alsdann kürzte sie den Versorgungsanspruch nach § 55 BeamtVG um einen Teil der Sozialversicherungsrente. Diese betrug bei Eintritt des Versorgungsfalles 2.679,30 DM. Sie beruht für die Zeit vom 6. September 1945 bis 31. August 1984 auf insgesamt 8.145,08 Werteinheiten. Hiervon entfallen 1.950,93 Werteinheiten auf die freiwillige Versicherung und 1.906,58 Werteinheiten auf die Versicherung als selbständiger Arzt. Lediglich den Rentenanteil, der auf freiwilligen Versicherungsbeiträgen beruhte (1.950,93 Werteinheiten = 641,76 DM), ließ sie anrechnungsfrei.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die von ihm aus eigenen Mitteln erworbene Sozialversicherungsrente dürfe nicht angerechnet werden. Sie entspreche einer privaten Lebensversicherung und sei von der Anrechnungsregel des § 55 BeamtVG ausgenommen. Darüber hinaus sei der beklagte Kreis schadenersatzpflichtig, wenn er ihn nicht richtig informiert habe.

Der Kläger hat zuletzt beantragt

festzustellen, daß der beklagte Kreis von der

Sozialversicherungsrente des Klägers (8.145,08

Werteinheiten) über einen nicht berücksichtigten

Teil in Höhe von 1.950,93 Werteinheiten hinaus

einen weiteren, 1.906,58 Werteinheiten entsprechenden

Teil nicht auf das Altersruhegeld anrechnen

darf.

Der beklagte Landkreis hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat sich zur Rechtfertigung seiner Ruhegehaltskürzung auf § 55 BeamtVG berufen, der nach Wortlaut und Systematik die Berücksichtigung der strittigen Versicherungszeiten verlange.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers der Klage stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Revision des beklagten Kreises, mit der er die Wiederherstellung des Urteils erster Instanz anstrebt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Der beklagte Landkreis darf den Teil der Sozialversicherungsrente, der auf einer Pflichtversicherung kraft Antrags beruht, nicht auf die Versorgungsbezüge des Klägers anrechnen.

1. Arbeitgeber und Arbeitnehmer entscheiden in ihrem Arbeitsvertrag, in welchem Umfange der Arbeitgeber Ansprüche auf eine Altersversorgung des Arbeitnehmers begründen will. Im vorliegenden Fall ergibt die Vereinbarung, daß der Teil der Sozialversicherungsrente, der auf einer Pflichtversicherung kraft Antrags beruht, nicht auf die Versorgungsbezüge anzurechnen ist.

a) Im Arbeitsvertrag des Klägers wird sorgfältig unterschieden zwischen seiner Tätigkeit als angestellter Arzt im Krankenhaus und seiner freiberuflichen Tätigkeit als niedergelassener Arzt. Nach seinem Arbeitsvertrag war der Kläger verpflichtet, die Aufgaben eines leitenden Arztes wahrzunehmen. Für diese Tätigkeit erhielt der Kläger eine Vergütung und die Möglichkeit der Liquidation bei solchen Patienten, die eine gesonderte Abrechnung der ärztlichen Leistungen wünschten.

Neben dieser Tätigkeit als leitender Arzt durfte der Kläger in den Diensträumen des Krankenhauses eine freiberufliche Arztpraxis ausüben. Aus dieser freiberuflichen Tätigkeit standen ihm Honoraransprüche gegen die von ihm behandelten Patienten oder die Vergütung als Kassenarzt aus der kassenärztlichen Versorgung zu. Mit dieser Tätigkeit hatte der beklagte Landkreis während der Dauer des Arbeitsverhältnisses nichts zu tun. Für die Benutzung der Krankenhauseinrichtung zahlte der Kläger ein Entgelt in Höhe eines Teils seiner Einkünfte.

b) Die Unterscheidung der Tätigkeit als angestellter Krankenhausarzt von der freiberuflichen Tätigkeit als niedergelassener Arzt hat auch Bedeutung für die Frage, wie die Ruhestandsbezüge zu berechnen sind. Nach § 11 Nr. 1 des Arbeitsvertrags gewährt der beklagte Landkreis "unter Beibehaltung des Angestelltenverhältnisses im übrigen" eine Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen. Die Altersversorgung des Klägers war insoweit ein Entgelt für die Tätigkeit als leitender Arzt im Krankenhaus. Mit Rücksicht auf diese Altersversorgung entfiel nach § 11 Nr. 2 des Arbeitsvertrags die Angestelltenversicherung. Aus der Tätigkeit als Arbeitnehmer des beklagten Landkreises konnten damit keine sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche erwachsen. Der beklagte Landkreis wollte den Versorgungsbedarf des Klägers aus der abhängigen Tätigkeit selbst abdecken.

Zum Zusammentreffen von Versorgungsbezügen mit Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung konnte es nur wegen der Zeiten kommen, für die der Kläger schon zuvor Anwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung erworben hatte. Insoweit bedurfte es einer Vereinbarung über die Berechnung der Versorgungsbezüge mit Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung. In diesem Zusammenhang haben die Parteien des Arbeitsvertrags durch Verweisung auf die beamtenrechtlichen Bestimmungen in ihrer jeweils gültigen Fassung, zuletzt auf § 55 BeamtVG, verwiesen. Diese Verweisung betrifft aber nur die Versorgung, die als Entgelt für die Tätigkeit als Arbeitnehmer im Krankenhaus versprochen wurde.

c) Aus dem Vertrag ergibt sich weiter, daß es dem Kläger überlassen blieb, für seinen Versorgungsbedarf selbst zu sorgen, soweit seine Einnahmen als aktiver Arzt auf der freiberuflichen Tätigkeit beruhten. Insoweit blieb ihm die Eigenvorsorge überlassen. Insoweit sollte § 11 Nr. 2 des Arbeitsvertrags die Entstehung von Ansprüchen aus der Eigenvorsorge - auch in Form einer Rente aus der Angestelltenversicherung - nicht verhindern.

Da dem Kläger die Eigenvorsorge in bezug auf die freiberufliche Tätigkeit überlassen war, konnte er auch von den Möglichkeiten Gebrauch machen, die die gesetzliche Rentenversicherung ihm 1973 bot. Er hatte die Möglichkeit, ein Versicherungsverhältnis auf Antrag zu begründen (§ 2 Abs. 1 Nr. 11 AVG). Diese Pflichtversicherung auf Antrag war nur möglich, weil der Kläger eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübte. Die Begründung der Ansprüche aus der Sozialversicherung hat deshalb nichts mit der Tätigkeit des Klägers als angestellter Arzt im Krankenhaus zu tun.

d) Die Parteien haben ursprünglich die Vereinbarungen zur Altersversorgung auch in diesem Sinne der Trennung zwischen freiberuflicher Tätigkeit und der Tätigkeit als angestellter Arzt im Krankenhaus verstanden. Der beklagte Landkreis hat wiederholt geäußert, er werde die vom Kläger erworbenen Sozialversicherungsrenten bei dieser Pflichtversicherung auf Antrag nicht berücksichtigen. Tatsächlich hat die Zahlstelle die Versorgungsbezüge zunächst auch ungekürzt ausgezahlt.

2. Auf die Auslegung des § 55 BeamtVG kommt es deshalb nicht an. Nach dieser Bestimmung werden Versorgungsbezüge neben Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder aus einer zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung nur bis zum Erreichen von Versorgungshöchstgrenzen gezahlt. Das Gesetz will verhindern, daß ein nach beamtenrechtlichen Grundsätzen Versorgter höhere Versorgungsbezüge erhält, als wenn er von vornherein Beamter gewesen wäre. Die öffentlichen Kassen sollen vor einer Doppelbelastung geschützt werden. Insoweit ist es nicht zu beanstanden, wenn der beklagte Landkreis den Anteil der Sozialversicherungsrente berücksichtigt, der auf der früheren Angestelltenpflichtversicherung des Klägers beruht. Anders verhält es sich mit der Pflichtversicherung des Klägers, die auf einer freiberuflichen Tätigkeit neben der Haupttätigkeit beruht. Hier geht es nicht um ein zeitliches Nacheinander, sondern um ein Nebeneinander verschiedener Tätigkeiten, für die ein Versorgungsbedarf im Alter entstehen kann. Ob § 55 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG auch Sozialrenten berücksichtigt wissen will, die auf einer solchen Nebentätigkeit beruhen, sei es freiberuflich, sei es in abhängiger Stellung, braucht hier nicht entschieden zu werden. Im vorliegenden Fall haben die Parteien schon im Arbeitsvertrag zum Ausdruck gebracht, daß der Kläger unabhängig von der Tätigkeit im Krankenhaus Eigenvorsorge, bezogen auf seine freiberufliche Tätigkeit, betreiben kann.

3. Eine solche Vereinbarung der Parteien über die Anrechnungsfreiheit der Rententeile aus der Pflichtversicherung kraft Antrags verstößt nicht gegen § 55 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG. Selbst wenn das Beamtenversorgungsgesetz Renten aus einer zweiten Tätigkeit neben einer Beamtentätigkeit erfassen sollte, kann diese Anrechnungsbestimmung in einem Arbeitsverhältnis abbedungen werden. Wenn beamtenrechtliche Bestimmungen nur kraft Verweisung gelten, steht es den Vertragsparteien frei, sie ganz oder teilweise in Bezug zu nehmen. Der beklagte Landkreis kann dem Kläger deshalb nicht das Verbot der Doppelbelastung öffentlicher Kassen entgegenhalten.

Dr. Heither Schaub Griebeling

Lichtenstein Dr. Schmidt

 

Fundstellen

Haufe-Index 438522

BB 1988, 2034-2035 (LT1-2)

DB 1988, 1860 (L1-2)

NZA 1989, 104-105 (LT1-2)

RdA 1988, 255

AP § 1 BetrAVG Beamtenversorgung (LT1-2), Nr 6

EzA § 1 BetrAVG, Nr 1 (LT1-2)

EzBAT § 46 BAT, Nr 8 (LT1-2)

VersR 1988, 1168 (L)

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