Entscheidungsstichwort (Thema)
Abwicklung nach Einigungsvertrag
Normenkette
Einigungsvertrag Art. 13, 20 Abs. 1; Einigungsvertragsgesetz Art. 1
Verfahrensgang
LAG Berlin (Urteil vom 15.06.1992; Aktenzeichen 9 Sa 20/92) |
ArbG Berlin (Urteil vom 10.12.1991; Aktenzeichen 86 A Ca 16877/91) |
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 15. Juni 1992 – 9 Sa 20/92 – aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 10. Dezember 1991 – 86 A Ca 16877/91 – abgeändert und die Klage abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreites zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis der Klägerin gemäß Art. 20 Abs. 1 Einigungsvertrag (EV) in Verbindung mit Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 2 Sätze 2 und 5 (im folgenden Nr. 1 Abs. 2 EV) in der Zeit vom 1. Januar 1991 bis zum 30. Juni 1991 geruht und mit Ablauf des Ruhenszeitraumes geendet hat. Darüber hinaus begehrt die Klägerin Zahlung der Vergütungsdifferenz für die Dauer des Ruhenszeitraumes.
Die im Jahre 1962 geborene Klägerin war ab dem 1. September 1979 zunächst als Lehrling und später als Kellnerin in der Versorgungseinrichtung des Ministerrates der DDR (im folgenden VEM) zu einem Monatsgehalt in Höhe von zuletzt 1.320,– DM brutto beschäftigt.
Die VEM war eine Einrichtung zur Betreuung und Versorgung von Gästen und Nomenklaturkadern des Zentralkomitees der SED, des Staatsrates der DDR, des Ministerrates der DDR sowie der vom Leiter des Sekretariats des Ministerrates, des Leiters der Abteilung Betriebe und Einrichtungen des Sekretariats des Ministerrates und des Leiters der Protokollabteilung des Sekretariats des Ministerrates eingewiesenen Gäste (§ 1 Abs. 1 der Ordnung über die Stellung und die Aufgaben der VEM vom 16. Juli 1984). Die VEM war Haushaltsorganisation und juristische Person. Im Rechtsverkehr wurde die VEM durch den Direktor vertreten. Die VEM war in fünf Direktionsbereiche gegliedert. Dem Direktionsbereich Gastronomie war das Gästehaus … zugeordnet. In diesem Gästehaus war die Klägerin tätig.
Am 25. September 1990 einigten sich Vertreter des Ministerrates der DDR, des Bundeskanzleramtes und des Bundesministers der Finanzen darauf, daß die Entscheidung nach Art. 13 Abs. 2 EV hinsichtlich der VEM durch den Bundesminister der Finanzen getroffen werden sollte. Der Bundesminister der Finanzen schob den Ruhensbeginn gemäß Fußnote 2 zu Nr. 1 Abs. 2 EV bis zum 31. Dezember 1990 hinaus.
Mit Erlaß vom 11. Dezember 1990 entschied der Bundesminister der Finanzen, die Betriebe und Einrichtungen des früheren Amtes des Ministerpräsidenten der DDR, für die gemäß Fußnote 2 der Ruhensbeginn bis zum 31. Dezember 1990 hinausgeschoben worden war, nicht in die Verwaltung des Bundes zu überführen. Er übertrug der Oberfinanzdirektion Berlin die Aufgabe, die Einrichtung in geeigneter Weise wirtschaftlich zu verwerten. Um dieses Ziel nicht zu beeinträchtigten, sollte ein kontinuierlicher Übergang ermöglicht und zu diesem Zwecke Arbeitskräfte vorübergehend beschäftigt werden.
Die Oberfinanzdirektion Berlin teilte der Klägerin mit Schreiben vom 14. Dezember 1990 mit, daß ihre Beschäftigungseinrichtung nicht weitergeführt werde und deshalb ihr Arbeitsverhältnis mit Wirkung ab 1. Januar 1991 ruhe.
Die Klägerin, die seit dem 1. Januar 1991 nicht mehr beschäftigt wurde, hat mit ihrer Klage geltend gemacht, die Beklagte habe den Restaurantbetrieb tatsächlich überführt, so daß ihr Arbeitsverhältnis nicht geruht und nicht mit Ablauf des 30. Juni 1991 geendet habe. Deshalb schulde ihr die Beklagte die Vergütungsdifferenz zwischen tatsächlich gezahltem Wartegeld und vertraglich geschuldetem Entgelt.
Die Klägerin hat beantragt
- festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien über den 30. Juni 1991 hinaus fortbesteht,
- die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.400,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, die Aufgaben und Ziele der VEM seien vom Bund nicht übernommen oder weiterverfolgt worden. Sie habe die Übernahme des Restaurantbetriebes durch einen privaten Träger angestrebt. Die befristete Einstellung früherer Mitarbeiter habe der vorgesehenen Übertragung auf einen privaten Unternehmer gedient. Diese Verwertungsmöglichkeit habe aber nicht kurzfristig realisiert werden können.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die zugelassene Revision der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat gem. Art. 20 Abs. 1 Einigungsvertrag in Verbindung mit Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 2 Sätze 2 und 5 in der Zeit vom 1. Januar 1991 bis zum 30. Juni 1991 geruht und endete mit Ablauf dieser Frist. Die Klägerin gehörte zu den „übrigen Arbeitnehmern” der öffentlichen Verwaltung der DDR im Sinne von Nr. 1 Abs. 2 Satz 2 EV, deren Arbeitsverhältnisse wegen unterbliebener Überführung ihrer Beschäftigungseinrichtung kraft Gesetzes ruhten und endeten.
I. Wurde bis zum 3. Oktober 1990 keine positive Überführungsentscheidung getroffen, trat kraft Gesetzes die Auflösung der Einrichtung bzw. der nicht überführten Teile ein. Wurde ein überführungsfähiger Teil überführt, erfaßte die Abwicklung den Rest der früheren Gesamteinrichtung. Die Abwicklung diente der Umsetzung dieser Auflösung und war auf die Liquidation der Einrichtung oder der nicht überführten Teile gerichtet. In diesem Falle ruhten die Arbeitsverhältnisse der in der abzuwickelnden (Teil-)Einrichtung Beschäftigten gemäß Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 2 EV grundsätzlich ab dem 3. Oktober 1990. Dieser Ruhensbeginn konnte um bis zu drei Monate hinausgeschoben werden. Die Kündigungsvorschriften des Mutterschutzrechts durften allerdings nicht durchbrochen werden.
Die Überführung einer Einrichtung gemäß Art. 13 EV bedurfte einer auf den verwaltungsinternen Bereich zielenden Organisationsentscheidung der zuständigen Stelle. Diese Überführungsentscheidung konnte eine Einrichtung als ganze oder als eine Teileinrichtung betreffen, die ihre Aufgabe selbständig erfüllen konnte (BAG Urteil vom 3. September 1992 – 8 AZR 45/92 – AP Nr. 1 zu Art. 13 Einigungsvertrag, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Die Überführungsentscheidung war mangels außenwirksamer Regelung kein Verwaltungsakt (BAG a.a.O.; BVerwG Urteil vom 12. Juni 1992 – 7 C 5/92 – ZIP 1992, 1275).
Eine Einrichtung oder Teileinrichtung wurde im Sinne von Art. 13 EV überführt, wenn der Träger öffentlicher Verwaltung die (Teil-)Einrichtung unverändert fortführte oder er sie unter Erhaltung der Aufgaben, der bisherigen Strukturen sowie des Bestandes an sächlichen Mitteln in die neue Verwaltung eingliederte (Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 169/92 – zur Veröffentlichung vorgesehen).
Die Überführung im Sinne von Art. 13 EV erforderte nicht nur die vorübergehende, sondern eine auf Dauer angelegte Fortsetzung der Verwaltungstätigkeit. Wurde die (Teil-)Einrichtung nur vorläufig mit dem Ziele der Auflösung fortgeführt, lag hierin keine Überführung im Sinne von Art. 13 EV (Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 169/92 –, a.a.O.).
Weil die gesetzliche Folge der Abwicklung immer dann eintrat, wenn es an einer positiven, ggf. auch konkludenten Überführungsentscheidung fehlte, war nur durch sie die Abwicklung der Einrichtung zu verhindern.
Die ruhenden Arbeitsverhältnisse endeten kraft Gesetzes nach Ablauf von sechs bzw. neun Monaten Wartezeit, wenn nicht der einzelne Arbeitnehmer weiterverwendet wurde. Macht ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes der ehemaligen DDR geltend, sein Arbeitsverhältnis sei gemäß Nr. 1 Abs. 2 Satz 1 EV auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen und bestehe als aktives fort, hat er die Überführung seiner Beschäftigungs(teil-)einrichtung darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen (BAG Urteil vom 15. Oktober 1992 – 8 AZR 145/92 – DB 1993, 585, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
II. Die Beklagte hat weder die VEM als Einrichtung noch das Gästehaus … als Teileinrichtung durch ausdrückliche oder konkludente Entscheidung gemäß Art. 13 EV in ihre Trägerschaft überführt.
1. Die Beklagte hat, vertreten durch den Bundesminister der Finanzen, am 11. Dezember 1990 ausdrücklich und uneingeschränkt entschieden, die VEM nicht in ihre Verwaltung oder auf einen anderen Hoheitsträger zu überführen. Eine spätere ausdrückliche oder konkludente Entscheidung einer zuständigen Stelle der Beklagten zur Überführung der VEM oder einer Teileinrichtung ist nicht festgestellt worden.
2. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte habe das Gästehaus … überführt, beruht auf einer Fehlinterpretation des Rechtsbegriffs „Überführung”.
Die Regelungen des Einigungsvertrages machten es nicht erforderlich, am 3. Oktober 1990 oder spätestens am 3. Januar 1991 die nicht zu überführenden Einrichtungen der ehemaligen DDR zu schließen. Vielmehr war gemäß Art. 13 EV auch die Abwicklung „zu regeln”. Damit entsprach der Einigungsvertrag der Notwendigkeit einer geordneten „Liquidation” der nicht zu überführenden Einrichtungen. Dementsprechend lag, wie bereits mit Urteil vom 28. Januar 1993 (– 8 AZR 169/92 –, a.a.O.) entschieden, keine Überführung im Sinne von Art. 13 EV vor, wenn eine Einrichtung nur vorläufig mit dem Ziele der Auflösung fortgeführt wurde. Die Überführung setzte vielmehr voraus, daß die Einrichtung unverändert fortgeführt oder unter Erhaltung der Aufgaben, der bisherigen Strukturen sowie des Bestandes an sächlichen Mitteln in die neue Verwaltung eingegliedert wurde. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. April 1991 (BVerfGE 84, 133, 151) schloß die Überleitung auf einen „anderen Hoheitsträger” die Annahme der Abwicklung aus, wenn die Einrichtung tatsächlich erhalten blieb. Hingegen lag eine „geregelte” Abwicklung vor, wenn die Tätigkeit geordnet zu Ende geführt wurde.
Die Entscheidung des Trägers öffentlicher Verwaltung, die Organisationseinheit der DDR-Verwaltung nicht im Rahmen der öffentlichen Verwaltung fortzuführen, sondern das Objekt entgeltlich einem privaten Träger zu überlassen und dadurch wirtschaftlich zu verwerten, bewirkte folglich keine „Überführung in öffentliche Verwaltung”. Dem entspricht Nr. 6 des bei Unterzeichnung des Einigungsvertrages vereinbarten Protokolls, das nach Art. 1 des Einigungsvertragsgesetzes vom 18. September 1990 (BGBl. II S. 885) Gesetzeskraft hat. Danach mußten Einrichtungen oder Teileinrichtungen, die bis zum Wirksamwerden des Beitritts Aufgaben erfüllten, die künftig nicht mehr von der öffentlichen Verwaltung wahrgenommen werden sollten, im Sinne des Einigungsvertrages abgewickelt werden. Die „Privatisierung” einer Einrichtung der DDR-Verwaltung war somit ungeachtet ihres realen Fortbestehens keine „Überführung” im Sinne von Art. 13, 20 EV.
Diese Bestimmungen des Einigungsvertrages und des Protokolls verstoßen nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen Art. 12 GG. Die das Erfordernis individueller Kündigungen beseitigende Regelung der arbeitsrechtlichen Folgen der Abwicklung in Nr. 1 Abs. 2 EV dient dem Schutz eines überragend wichtigen Gemeinschaftsgutes (BVerfGE 84, 133, 151) und stellt einen verhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes dar. Durch den Vollzug dieser besonderen Regelung konnten deshalb die allgemeinen Kündigungsvorschriften nicht „umgangen” werden. Im übrigen hat die Klägerin selbst darauf hingewiesen, daß der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland dem „Staatskonkurs” zuvorkam. Der Bestand der Arbeitsverhältnisse im öffentlichen Dienst der DDR war somit bereits vor dem Wirksamwerden des Beitritts nicht mehr ungefährdet. Zudem hat sich der Bundesgesetzgeber veranlaßt gesehen, für den Bereich der Privatwirtschaft des Beitrittsgebietes den Bestandsschutz von Arbeitsverhältnissen durch Art. 232 § 5 EGBGB (BGBl. 1991 I S. 854 und 1992 I S. 2116) insbesondere in der Gesamtvollstreckung erheblich einzuschränken.
3. Damit folgte weder aus dem Erlaß des Bundesministers der Finanzen vom 11. Dezember 1990 noch seiner tatsächlichen Umsetzung eine Überführungsentscheidung im Sinne von Art. 13 EV. Durch den der Oberfinanzdirektion Berlin erteilten Auftrag, das Gästehaus … wie andere Untereinheiten der VEM baldmöglichst wirtschaftlich zu verwerten, wurde dementsprechend das Abwicklungsverfahren eingeleitet. Daß der Bundesminister der Finanzen für die Übertragung auf Dritte keinen bestimmten Zeitpunkt bezeichnen konnte, versteht sich wegen der Notwendigkeit, geeignete private Vertragspartner zu finden, von selbst und begründet keine auch nur vorläufige Eingliederung der VEM in die öffentliche Verwaltung.
4. Darüber hinaus stand einer „Überführung” der VEM oder des Gästehauses … im Sinne des Einigungsvertrages der Fortfall der bisherigen Aufgabenstellung entgegen. Die in § 1 der Ordnung der VEM bezeichneten Nutznießer dieser Organisation waren spätestens mit dem Wirksamwerden des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland fortgefallen. Dies wird vom Berufungsgericht unzutreffend gewürdigt, wenn es annimmt, die Beklagte habe mit dem kaufmännischen Hotelbetrieb den vormaligen Zweck weiterverfolgt. Die Zwecke der VEM ergaben sich aus der zitierten Ordnung und konnten nach der Abschaffung der Nomenklaturkader nicht mehr weiterverfolgt werden. Ein Hotel ist nicht das gleiche wie die Versorgungseinrichtung der Privilegierten der DDR.
III. Als gesetzliche Folge der unterlassenen Überführung der Versorgungseinrichtung des Ministerrates bzw. des Gästehauses … trat am 1. Januar 1991 das Ruhen des Arbeitsverhältnisses der Klägerin ein. Weil es zu keiner Weiterverwendung der Klägerin kam, endete ihr Arbeitsverhältnis mit Ablauf des gesetzlichen Ruhenszeitraumes (Nr. 1 Abs. 2 Satz 5 EV).
IV. Die Frage, ob die Beklagte die im Rahmen der Abwicklung vorläufig beschäftigten Arbeitnehmer nach rechtlich vertretbaren Gesichtspunkten ausgewählt hat, ist im vorliegenden Rechtsstreit nicht entscheidungserheblich, denn ein etwaiger Einstellungs-, Weiterverwendungs- oder Schadensersatzanspruch der Klägerin hätte die kraft Gesetzes eingetretenen Folgen der Abwicklung unberührt gelassen.
V. Der Klägerin steht der geltend gemachte Vergütungsanspruch nicht zu, denn während des Ruhens des Arbeitsverhältnisses war der Klägerin lediglich das Wartegeld zu zahlen.
VI. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Unterschriften
Michels-Holl, Dr. Ascheid, Dr. Müller-Glöge, Dr. Gaber, Hickler
Fundstellen