Entscheidungsstichwort (Thema)

Ruhen des Arbeitsverhältnisses bei Arbeitslosengeld

 

Normenkette

BGB § 611; AFG §§ 101, 105a; Tarifvertrag über die Zahlung einer Sondervergütung im Kraftfahrzeuggewerbe des Landes Nordrhein-Westfalen vom 26. Oktober 1990, § 3 Abs. 4

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 09.02.1994; Aktenzeichen 11 Sa 1760/93)

ArbG Wuppertal (Urteil vom 07.10.1993; Aktenzeichen 2 Ca 4131/93)

 

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 9. Februar 1994 – 11 Sa 1760/93 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten der Revision.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um eine restliche Jahres sonder Zahlung für das Jahr 1992.

Der im Anspruchs Zeitraum 53 Jahre alte, schwerbehinderte Kläger war seit August 1968 bei der Beklagten als Kraftfahrzeugmechaniker beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Tarifverträge für das Kraftfahrzeughandwerk in Nordrhein-Westfalen kraft beiderseitiger Tarifbindung Anwendung, darunter auch der Tarifvertrag über die Zahlung einer Sondervergütung im Kraftfahrzeuggewerbe des Landes Nordrhein-Westfalen vom 26. Oktober 1990 (im folgenden TV Sondervergütung).

Der Kläger ist seit dem 3. Juli 1991 arbeitsunfähig krank, sein Anspruch auf Krankengeld ist ausgelaufen.

Auf Veranlassung des Arbeitsamtes W. unterschrieben die Parteien am 26. November 1992 eine vom Arbeitsamt vorformulierte Erklärung, die wie folgt lautet:

(Der Kläger) erklärt, daß er seine Dienstbereitschaft, die er aufgrund des bestehenden Arbeitsverhältnisses schuldet, nicht mehr anerkennt, weil er aus gesundheitlichen Gründen keine Einsatzmöglichkeiten bei der Fa. O.-A. GmbH sieht.

Die Fa. O.-A. GmbH als Arbeitgeber ihrerseits erklärt das Beschäftigungsverhältnis für beendet und verzichtet auf die Verfügungsmacht gegenüber dem Arbeitnehmer.

Nach § 101 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) ist der Arbeitnehmer arbeitslos und hat bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Das Arbeitsverhältnis besteht rechtlich nach wie vor.

Im Juni 1993 verlangte der Kläger von der Beklagten die Zahlung der tariflichen Sondervergütung. Die Beklagte zahlte daraufhin nur 11/12 der Sondervergütung mit der Begründung, im Dezember 1992 habe das Arbeitsverhältnis der Parteien wegen der am 26. November 1992 abgegebenen Erklärungen geruht.

Der TV-Sondervergütung hat, soweit vorliegend von Interesse, folgenden Wortlaut:

§ 2

1. Die gewerblichen Arbeitnehmer … erhalten eine Sondervergütung nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen: Der Anspruch auf die Sondervergütung setzt voraus, daß der Arbeitnehmer am 1. Dezember des jeweiligen Kalenderjahres mehr als 6 Monate dem Betrieb ununterbrochen angehört … und sein Arbeitsverhältnis bis zum 31. Dezember des jeweiligen Jahres fortbesteht.

§ 3

1. Die Sondervergütung wird nach folgender Staffel gezahlt:

4. Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr ruht, erhalten keine Leistung. Ruht das Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr teilweise, so erhalten sie für jeden Kalendermonat der Tätigkeit im Betrieb 1/12 der Sondervergütung.

5. …

Mit der vorliegenden Klage verlangt der Kläger das restliche Zwölftel der Sondervergütung und hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 117,54 DM netto nebst 4 % Zinsen seit dem 18. Juni 1993 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch weiter, während die Beklagte um Zurückweisung der Revision bittet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Dem Kläger steht für den Monat Dezember 1992 eine Sondervergütung nicht zu.

I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung damit begründet, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien im Dezember 1992 geruht habe. Das Ruhen des Arbeitsverhältnisses hätten die Parteien mit ihren Erklärungen vom 26. November 1992 vereinbart.

Diese Begründung läßt einen Rechts fehler nicht erkennen.

II.1. Das Landesarbeitsgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, daß die seit Juli 1991 bestehende Arbeitsunfähigkeit des Klägers für sich allein nicht zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses geführt hat. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 23. August 1990 – 6 AZR 124/89BAGE 66, 34 = AP Nr. 93 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie; Urteil vom 22. Februar 1995 – 10 AZR 782/93 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Ebenso entspricht es dieser Rechtsprechung, daß die Parteien auch für die Zeit einer Arbeitsunfähigkeit oder des Bezugs einer Erwerbsunfähigkeitsrente vereinbaren können, daß das Arbeitsverhältnis ruhen soll (BAG Urteil vom 7. Juni 1990, BAGE 65, 187 = AP Nr. 92 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie).

2. Das Landesarbeitsgericht hat eine solche Vereinbarung über das Ruhen des Arbeitsverhältnisses in den Erklärungen der Parteien vom 26. November 1992 gesehen.

Dabei hat das Landesarbeitsgericht die in dem Vordruck des Arbeitsamtes enthaltenen Erklärungen der Parteien ausgelegt. Die Auslegung solcher nicht typischer Erklärungen der Parteien ist grundsätzlich Sache der Tatsachengerichte und vom Revisionsgericht nur dahin überprüfbar, ob die Auslegung entsprechend den Vorschriften der §§ 133, 157 BGB erfolgt ist, ob dabei gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen worden ist und ob der Tatsachenstoff vollständig verwertet wurde (BAG Urteil vom 4. März 1961 – 5 AZR 169/60 – AP Nr. 21 zu § 611 BGB Gratifikation und in ständiger Rechtsprechung).

Bei den von den Parteien am 26. November 1992 abgegebenen Erklärungen handelt es sich um solche nicht typischen Erklärungen. Zwar haben die Parteien einen vom Arbeitsamt vorformulierten Text, der sicher in einer Vielzahl von Fällen Verwendung findet, unterzeichnet. Inhalt und Bedeutung der Erklärungen für das Arbeitsverhältnis der Parteien erschließen sich aber nur aus den näheren, nur die Parteien berührenden Umständen, unter denen es zur Unterzeichnung dieses Vordrucks gekommen ist.

Die Auslegung durch das Landesarbeitsgericht läßt einen Rechts fehler nicht erkennen.

a) Nach dem Wortlaut des Vordrucks erklärt der Kläger, daß er seine Dienstbereitschaft, die er aufgrund des bestehenden Arbeitsverhältnisses schulde, nicht mehr anerkenne, weil er aus gesundheitlichen Gründen keine Einsatzmöglichkeit bei der Beklagten mehr sehe. Die Beklagte als Arbeitgeber ihrerseits erklärt das Beschäftigungsverhältnis für beendet und verzichtet auf die Verfügungsmacht gegenüber dem Kläger. Beide Parteien erklären daneben ausdrücklich, daß das Arbeitsverhältnis rechtlich nach wie vor bestehe.

Das Landesarbeitsgericht hat in der Erklärung des Klägers nicht nur einen tatsächlichen Hinweis darauf gesehen, daß er aus gesundheitlichen Gründen keine Einsatzmöglichkeit bei der Beklagten mehr sehe. Aus dem Umstand, daß der Kläger sich arbeitslos gemeldet und darüber hinaus ausdrücklich erklärt habe, er erkenne seine geschuldete Dienstbereitschaft nicht mehr an, ergebe sich, daß er seine Verpflichtung aus dem Arbeitsverhältnis suspendiert habe. Aus der Erklärung der Beklagten, sie verzichte auf ihre Verfügungsmacht gegenüber dem Kläger, hat es hergeleitet, daß sie vom Kläger keine Arbeitsleistung mehr verlange und ihm auch keine Vergütung mehr zahlen werde.

Wenn das Landesarbeitsgericht aus diesen Erklärungen eine Vereinbarung über das Ruhen des Arbeitsverhältnisses herleitet, so ist das rechtlich nicht zu beanstanden. Ein Arbeitsverhältnis ruht, wenn die wechselseitigen Hauptpflichten aus dem Arbeitsvertrag, die Pflicht zur Arbeitsleistung und zur Zahlung der vereinbarten Vergütung, suspendiert sind und somit der jeweilige Gläubiger von seinem Schuldner die Erbringung der Leistung nicht mehr verlangen und durchsetzen kann. Wenn der Kläger seine geschuldete Dienstbereitschaft nicht mehr anerkennt und die Beklagte auf ihre Verfügungsmacht gegenüber dem Kläger verzichtet, dann wird damit die Dienstleistungspflicht des Klägers suspendiert. Daß damit auch die Verpflichtung des Arbeitgebers, eine vereinbarte Vergütung zu zahlen, suspendiert ist, bedarf keiner zusätzlichen ausdrücklichen Erwähnung mehr.

b) Bei den Erklärungen der Parteien auf dem Vordruck des Arbeitsamtes handelt es sich entgegen der Ansicht der Revision nicht lediglich um die Schilderung eines bestehenden tatsächlichen Zustandes. Dieser Zustand, nämlich daß der Kläger seit Juli 1991 arbeitsunfähig krank ist, bei der Beklagten nicht mehr arbeitet und von dieser keinen Arbeitslohn mehr bezieht, war dem Arbeitsamt bekannt. Um dem Kläger Arbeitslosengeld bewilligen zu können, hielt es das Arbeitsamt für nötig, über diesen tatsächlichen Zustand hinaus Feststellungen darüber treffen zu müssen, ob das „Beschäftigungsverhältnis” im Gegensatz zum „Arbeitsverhältnis” beendet ist. Arbeitslosengeld kann nach § 101 AFG schon dann gezahlt werden, wenn der Arbeitnehmer trotz rechtlichen Fortbestandes seines Arbeitsverhältnisses nicht mehr in einem „Beschäftigungsverhältnis” steht.

Um diese Feststellungen über den Fortbestand oder die Beendigung des „Beschäftigungsverhältnisses” treffen zu können, hat das Arbeitsamt den Kläger – wie er selbst vorträgt – veranlaßt, diese Erklärung zu unterschreiben und auch von der Beklagten unterschreiben zu lassen. Als die Parteien die Erklärung unterschrieben, war ihnen daher bewußt, daß sie nicht nur einen tatsächlichen Zustand beschrieben sondern diejenigen Erklärungen abgaben, die nach Ansicht des Arbeitsamtes notwendig waren, wenn dem Kläger Arbeitslosengeld gezahlt werden sollte. Die vom Arbeitsamt für notwendig erachteten Erklärungen hatten aber den Inhalt, daß der Arbeitgeber seine Verfügungsgewalt über den Arbeitnehmer und dessen Arbeitskraft nicht mehr beansprucht (Eckert, GK-AFG, § 101 Rz 14; Schieckel, AFG, § 101 Anm. III 1) und/oder der Arbeitnehmer die Verfügungsgewalt des Arbeitgebers über seine Arbeitskraft nicht mehr anerkennt (Knigge/Ketelsen/Marschall/Wittrock, AFG, § 101 Rz 15). Diese Erklärungen haben der Kläger und die Beklagte abgegeben.

Dabei ist es unerheblich, ob für die Zahlung von Arbeitslosengeld an den Kläger diese vom Arbeitsamt geforderten ausdrücklichen Erklärungen überhaupt erforderlich waren. Es kommt daher auch nicht darauf an, wie diese Erklärungen sozialversicherungsrechtlich zu würdigen sind.

c) Auch der Umstand, das die Erklärungen der Parteien für das Arbeitsamt bestimmt waren, hindert nicht, sie auch als für einander bestimmte Erklärungen zu werten. Dem Kläger war der Inhalt der Erklärung der Beklagten, der Beklagte der Inhalt der Erklärung des Klägers bekannt. Sie wollten mit ihren Erklärungen diejenigen Voraussetzungen schaffen, die aus ihrer Sicht das Arbeitsamt für erforderlich hielt, damit der Kläger Arbeitslosengeld erhalten konnte. Einen Vorbehalt, daß durch diese Erklärungen ihre arbeitsrechtlichen Beziehungen nicht berührt werden sollten, läßt sich den Erklärungen und den Umständen, unter denen sie abgegeben wurden, nicht entnehmen. Sie waren sich, wie die Erklärungen ausweisen, darüber einig, daß das Arbeitsverhältnis nach wie vor rechtlich besteht. Insoweit haben sie gesehen, daß durch diese Erklärungen ihr Arbeitsverhältnis in seinem rechtlichen Bestand nicht berührt werden sollte. Daß aber der Kläger gleichwohl seine Dienstbereitschaft aufgrund des bestehenden Arbeitsverhältnisses weiter anerkennt und die Beklagte nicht daran dachte, auf die Verfügungsmacht gegenüber dem Kläger zu verzichten, die Erklärungen also nur zum Schein für das Arbeitsamt abgegeben wurden, ist nicht ersichtlich und wird vom Kläger auch nicht behauptet.

d) Die Annahme, mit ihren Erklärungen vom 26. November 1992 hätten die Parteien ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses vereinbart, ist auch nicht deswegen fehlerhaft, weil nicht jede Beendigung des „Beschäftigungsverhältnisses” im Sinne von § 101 AFG zu einem Ruhen des Arbeitsverhältnisses führt oder ein solches Ruhen voraussetzt. Wird das Arbeitsverhältnis von einer der Vertragsparteien unwirksam gekündigt, so endet damit zwar das „Beschäftigungsverhältnis”, die unwirksame Kündigung führt jedoch nicht zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses. Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber die angebotene Arbeitsleistung des Arbeitnehmers auf Dauer nicht annimmt oder nicht annehmen kann und damit in Annahmeverzug gerät. Auch dadurch kann es zu einer Beendigung des „Beschäftigungsverhältnisses” kommen, ohne daß das Arbeitsverhältnis deswegen ruht.

Im vorliegenden Falle sind jedoch solche anderen Umstände, die zu einer Beendigung des „Beschäftigungsverhältnisses” führen konnten und genügten, um damit den Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld zu begründen, nicht ersichtlich. Es bedurfte daher anderer Handlungen, um das Beschäftigungsverhältnis zu beenden, nämlich des – gleich aus welchen Gründen erfolgenden – freiwilligen Verzichts des Arbeitgebers auf seine Verfügungsmacht gegenüber dem Kläger und der Erklärung des Klägers, daß er seine an sich aus dem Arbeitsverhältnis geschuldete Dienstbereitschaft nicht mehr anerkenne und damit notwendig auch einen Anspruch auf Zahlung der vereinbarten Vergütung aufgab.

Nach allem ist das Landesarbeitsgericht zu Recht davon ausgegangen, daß die Parteien am 26. November 1992 das Ruhen ihres Arbeitsverhältnisses vereinbart haben.

Nach § 3 Abs. 4 TV-Sondervergütung steht dem Kläger daher für den Monat Dezember 1992 eine anteilige Sondervergütung nicht zu.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Matthes, Hauck, Böck, Brose, J. Wingefeld

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1087190

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