Entscheidungsstichwort (Thema)
Urlaubsabgeltung bei Vorruhestand
Leitsatz (redaktionell)
§ 16 Abs 6 Unterabs 3 des Manteltarifvertrages vom 1. Januar 1986 für die Mitarbeiter der co op Unternehmen (Einzelhandelsbereich) (MTV co op), nach dem Mitarbeiter, die wegen Bezugs vorgezogenen Altersruhegeldes in der zweiten Jahreshälfte ausscheiden, den vollen Jahresurlaub erhalten, findet keine Anwendung, wenn das Arbeitsverhältnis durch Vorruhestandsvereinbarung endet und der Arbeitnehmer in diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für den Bezug vorgezogenen Altersruhegeldes nicht erfüllt. In diesem Fall besteht nur Anspruch auf anteiligen Jahresurlaub nach § 16 Abs 3 MTV co op.
Normenkette
TVG § 1; BUrlG §§ 3, 5 Abs. 4; RVO § 1248 Abs. 1-3; BUrlG § 13 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Buchst. c
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 10.04.1987; Aktenzeichen 10 Sa 152/87) |
ArbG Oberhausen (Entscheidung vom 11.12.1986; Aktenzeichen 1 Ca 1821/86) |
Tatbestand
Die Klägerin ist am 12. Juni 1927 geboren. Seit 17. April 1961 war sie als Verkäuferin im Betrieb der Beklagten beschäftigt. Als Teilzeitkraft verdiente sie zuletzt 1.068,-- DM brutto monatlich. Auf das Arbeitsverhältnis war der Manteltarifvertrag vom 1. Januar 1986 für die Mitarbeiter der co op Unternehmen (Einzelhandelsbereich) - im folgenden MTV - anzuwenden. Darin ist u. a. geregelt:
"Vorruhestand
§ 9
(1) Arbeitnehmern, die die Voraussetzungen
des Vorruhestandsgesetzes erfüllen und An-
spruch auf vorgezogenes Altersruhegeld haben,
kann der Vorruhestand gewährt werden.
(2) Das Vorruhestandsgeld beträgt 75 % des
letzten Bruttoeinkommens. Die Errechnung er-
folgt gemäß § 3 Abs. 2 VRG. Einmalzahlungen,
vermögenswirksame Leistungen sowie Mehrarbeits-
und steuerfreie Zuschläge werden nicht einbe-
zogen.
(3) Ein Anspruch auf Vorruhestand entsteht für
männliche Arbeitnehmer mit Vollendung des 62.
Lebensjahres und für weibliche Arbeitnehmer mit
Vollendung des 59. Lebensjahres und einer Be-
triebszugehörigkeit von mindestens 25 Jahren.
Ein Antrag auf Vorruhestand kann abgelehnt wer-
den, wenn er aus betrieblichen oder wirtschaft-
lichen Gründen eine unzumutbare Belastung für
das Unternehmen darstellt.
...
Urlaub
§ 16
...
(3) Im Laufe des Kalenderjahres eintretende oder
ausscheidende Mitarbeiter haben für jeden ange-
fangenen Kalendermonat Anspruch auf ein Zwölftel
des vollen Jahresurlaubs. Mitarbeiter, die weniger
als sechs Monate beschäftigt sind, erhalten auf
angefangene Kalendermonate keinen anteiligen Ur-
laub, soweit sie nicht Saisonbeschäftigte sind.
Bei der Berechnung des anteiligen Urlaubs werden
Bruchteile von Urlaubstagen auf volle Urlaubstage
aufgerundet.
...
(6) Mitarbeiter, die wegen Erreichens der Alters-
grenze in der ersten Jahreshälfte ausscheiden,
haben Anspruch auf die Hälfte des Jahresurlaubs.
Mitarbeiter, die wegen Erreichens der Altersgrenze
in der zweiten Jahreshälfte ausscheiden, haben An-
spruch auf den vollen Jahresurlaub.
Entsprechendes gilt auch für Mitarbeiter, die von
der Möglichkeit des Bezuges vorgezogenen Alters-
ruhegeldes Gebrauch machen.
Urlaubsdauer
§ 17
(1) Der Jahresurlaub beträgt für Mitarbeiter
...
e) ab vollendetem 30. Lebensjahr 36 Werktage.
...
13. Monatsentgelt
§ 21
(1) Die Mitarbeiter erhalten ein 13. Monats-
gehalt bzw. einen 13. Monatslohn nach Maßgabe
der Abs. 2 bis 6.
...
(3) Die Leistung gelangt in zwei gleichen Raten
zur Auszahlung, und zwar am 31. Mai (Urlaubsgeld)
und am 30. November (Weihnachtsgeld).
...
(6) Mitarbeiter, die aus Anlaß der Pensionierung
wegen Erreichens der Altersgrenze, Erwerbs- oder
Berufsunfähigkeit aus dem Unternehmen ausscheiden,
erhalten für jeden vollen Monat der Betriebszuge-
hörigkeit im laufenden Kalenderjahr ein Zwölftel
des 13. Monatsgehaltes oder Monatslohnes. Ent-
sprechendes gilt für Mitarbeiter, die vorgezogenes
Altersruhegeld beziehen.
...
Erlöschen des Arbeitsverhältnisses
§ 32
Das Arbeitsverhältnis endet mit Ablauf des
Monats, in dem der Mitarbeiter Altersruhegeld
aus der Rentenversicherung bezieht, spätestens
jedoch mit Ablauf des Monats, in dem er das
65. Lebensjahr vollendet hat."
Am 29. Juli 1986 schlossen die Parteien eine Vorruhestandsvereinbarung. In ihr beendeten sie das Arbeitsverhältnis zum 31. Juli 1986. Weiter heißt es in der Vereinbarung:
"Hinsichtlich der Gewährung von Jahresurlaub,
Urlaubsgeld, der Jahressondervergütung oder
sonstigen tariflichen Leistungen gelten die
Regelungen, die in dem Manteltarifvertrag für
den Fall des Ausscheidens eines Mitarbeiters
vereinbart worden sind."
Für 1986 hat die Klägerin 19 Tage Urlaub erhalten. Weitere zwei Urlaubstage wurden ihr abgegolten. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr stehe für das Jahr 1986 nach § 16 Abs. 6 MTV der volle Jahresurlaub zu. Die Beklagte müsse ihr daher weitere 15 Urlaubstage abgelten, und zwar unter Berücksichtigung des nach § 21 MTV geschuldeten Urlaubsgeldes. Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihr 1.150,15 DM
brutto nebst 4 % Zinsen ab Klagezustellung
zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, der Klägerin stehe für das Jahr 1986 nur Teilurlaub nach § 16 Abs. 3 MTV zu. Dieser Anspruch sei erfüllt.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin den Klageantrag in Höhe von 841,15 DM weiter, nachdem sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesarbeitsgericht ihre Klage hinsichtlich des Urlaubsgeldes mit Zustimmung der Beklagten teilweise zurückgenommen hat.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg. Der Klägerin steht die geforderte Urlaubsabgeltung nicht zu. Dies haben die Vorinstanzen richtig entschieden.
I. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß der Klägerin für das Jahr 1986 kein Urlaub mehr zusteht.
1. Der für das Arbeitsverhältnis der Parteien geltende Manteltarifvertrag, der auch gemäß ausdrücklicher Abrede im Vorruhestandsvertrag hinsichtlich der Gewährung von Urlaub und Urlaubsabgeltung anzuwenden ist, enthält keine besondere Bestimmung über die Urlaubsabgeltung. Es gilt somit § 7 Abs. 4 BUrlG, wonach Urlaub, der wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann, abzugelten ist.
2. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund der Vorruhestandsvereinbarung vom 31. Juli 1986. Für das Jahr 1986 standen der Klägerin nach § 16 Abs. 3 Satz 1 MTV von dem insgesamt 36 Werktage betragenden Jahresurlaub (§ 17 Abs. 1 Buchst. e MTV) 21 Werktage zu. Diesen Anspruch hat die Beklagte erfüllt.
3. Entgegen der Auffassung der Revision hat die Klägerin keinen Anspruch auf weitere 15 Urlaubstage für das Jahr 1986. § 16 Abs. 6 MTV ist nicht anwendbar.
Nach dieser Bestimmung haben Mitarbeiter, die wegen Erreichens der Altersgrenze in der zweiten Jahreshälfte ausscheiden, Anspruch auf den vollen Jahresurlaub (Unterabs. 2); entsprechendes gilt auch für Mitarbeiter, die von der Möglichkeit des Bezuges vorgezogenen Altersruhegeldes Gebrauch machen (Unterabs. 3).
a) Die Klägerin ist nicht wegen Erreichens der Altersgrenze ausgeschieden. Für die Bestimmung des Begriffs der Altersgrenze hat das Landesarbeitsgericht zutreffend § 32 MTV herangezogen. Danach endet das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Monats, in dem der Mitarbeiter Altersruhegeld aus der Rentenversicherung bezieht, spätestens jedoch mit Ablauf des Monats, in dem er das 65. Lebensjahr vollendet hat. Ohne Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß in § 16 Abs. 6 Unterabs. 2 MTV, der seinem Wortlaut nach anders als § 16 Abs. 6 Unterabs. 3 MTV nicht auf den Bezug von Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung abstellt, unter der Altersgrenze die in § 32 MTV bezeichnete Vollendung des 65. Lebensjahres verstanden wird. Die Klägerin ist mit 59 Jahren ausgeschieden. Sie hatte somit die Altersgrenze nicht erreicht.
b) Die Klägerin ist aber auch nicht ausgeschieden, weil sie von der Möglichkeit des Bezugs vorgezogenen Altersruhegeldes Gebrauch gemacht hat (§ 16 Abs. 6 Unterabs. 3 MTV). Dem Landesarbeitsgericht ist auch darin zu folgen, daß dieser Tatbestand der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht vorliegt.
Die Klägerin ist aufgrund der Vorruhestandsvereinbarung ausgeschieden, nicht weil sie von der Möglichkeit des Bezugs vorgezogenen Altersruhegeldes Gebrauch machte. Als die Klägerin aus dem Betrieb der Beklagten ausschied, hatte sie das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet. Ein Anspruch auf vorgezogenes Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung stand ihr somit noch nicht zu (vgl. § 1248 Abs. 1 bis 3 RVO).
Es kommt nicht darauf an, daß nach dem Vorruhestandsvertrag der Anspruch auf Vorruhestandsgeld erlischt, sobald der Klägerin vorgezogenes Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung zusteht, die Klägerin sich also praktisch mit Vertragsschluß bereits dafür entschieden hat, vorgezogenes Altersruhegeld in Anspruch zu nehmen, falls und sobald sie die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt. § 16 Abs. 6 Unterabs. 3 MTV regelt bei Bezug von vorgezogenem Altersruhegeld "entsprechendes" wie Unterabs. 2; er sieht somit den vollen Jahresurlaub nur für Mitarbeiter vor, die wegen dieses Tatbestandes "ausscheiden". Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß § 16 Abs. 6 Unterabs. 3 MTV den in § 32 MTV geregelten Beendigungstatbestand des Bezugs von Altersruhegeld vor Vollendung des 65. Lebensjahres bezeichnet. Die hier gegebene Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Vorruhestandsvereinbarung ist damit nicht identisch.
c) Zu Recht hat das Berufungsgericht es auch abgelehnt, aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang, auf den es bei Berücksichtigung des wirklichen Willens der Tarifvertragsparteien über den Tarifwortlaut hinaus ankommt (BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung), das Ausscheiden aufgrund einer Vorruhestandsvereinbarung dem in § 16 Abs. 6 Unterabs. 3 i. Verb. m. § 32 MTV geregelten Ausscheiden wegen Bezugs vorgezogenen Altersruhegeldes gleichzustellen.
Die Klägerin meint, die Gewährung des Vorruhestandes hänge nach § 9 Abs. 1 MTV nicht nur davon ab, daß der Arbeitnehmer die Voraussetzungen des Vorruhestandsgesetzes erfülle, sondern auch davon, daß er einen Anspruch auf vorgezogenes Altersruhegeld habe. Der Bezug dieser Leistung sei es aber gerade, der den Anspruch auf erhöhten Urlaub im Jahr des Ausscheidens nach § 16 Abs. 6 Unterabs. 3 MTV auslöse. Somit müsse diese Bestimmung auch auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Vorruhestandsvereinbarung angewendet werden.
Dem ist nicht zu folgen. § 16 Abs. 6 Unterabs. 3 MTV erfordert, daß das Arbeitsverhältnis dadurch endet, daß der Arbeitnehmer von der Möglichkeit des Bezugs vorgezogenen Altersruhegeldes aus der gesetzlichen Rentenversicherung Gebrauch macht. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin endete jedoch nicht dadurch, daß sie die gesetzliche Rente in Anspruch nahm, sondern durch Vorruhestandsvereinbarung und damit durch Aufhebungsvertrag in einem Zeitpunkt, in dem die Klägerin die gesetzliche Altersrente noch nicht erhalten konnte.
d) Darin, daß die Tarifvertragsparteien das Ausscheiden aufgrund einer Vorruhestandsvereinbarung nicht mit der Regelung des § 16 Abs. 6 Unterabs. 3 MTV gleichgestellt haben, liegt kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG).
Das Landesarbeitsgericht hat bereits darauf hingewiesen, daß bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 32 MTV die Zahlungspflicht des Arbeitgebers endet, während sie dann, wenn der Arbeitnehmer aufgrund einer Vorruhestandsvereinbarung ausscheidet, fortbesteht. Außerdem stellt die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis vor dem tariflich vorgesehenen Zeitpunkt (§ 32 MTV) unter Beibehaltung eines Leistungsanspruches gegen den Arbeitgeber beenden zu können, für den an einem frühzeitigen Ausscheiden interessierten Arbeitnehmer einen Vorteil dar. Diese Gesichtspunkte lassen es gerechtfertigt erscheinen, beim Ausscheiden aufgrund einer Vorruhestandsvereinbarung nur den Anspruch auf Teilurlaub nach § 16 Abs. 3 MTV zu gewähren und nicht den in § 16 Abs. 6 Unterabs. 3 MTV unter den dortigen Voraussetzungen vorgesehenen Anspruch auf Vollurlaub.
e) Der Klägerin stand somit für das Jahr 1986 nur der Teilurlaub nach § 16 Abs. 3 MTV zu. Entgegen der Auffassung der Klägerin verstößt die von der Beklagten aufgrund dieser Bestimmung vorgenommene Urlaubskürzung nicht gegen § 5 Abs. 1 Buchstabe c BUrlG. Nach dieser Bestimmung erhält der Arbeitnehmer, der in der zweiten Jahreshälfte ausscheidet, seinen vollen Jahresurlaub. Dies gilt jedoch nur für den gesetzlichen Urlaub. Er kann durch eine tarifliche Regelung nicht ausgeschlossen oder gemindert werden; eine Tarifnorm, die eine Zwölftelung des gesetzlichen Urlaubs vorsieht, ist nicht wirksam (vgl. BAGE 45, 199 = AP Nr. 15 zu § 13 BUrlG). Für den über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehenden Urlaubsanspruch sind die Tarifvertragsparteien nicht zu einer den § 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG entsprechenden Regelung verpflichtet. Den gesetzlichen Urlaub für 1986 in Höhe von 18 Werktagen (§ 3 Abs. 1 BUrlG) hat die Klägerin jedoch dadurch erhalten, daß ihr 19 Werktage gewährt und weitere zwei Werktage abgegolten wurden.
II. Aus den gleichen Gründen hat die Klägerin keinen Anspruch auf Zahlung eines anteiligen 13. Monatsgehalts. § 21 Abs. 6 MTV gilt nicht, wenn der Arbeitnehmer aufgrund einer Vorruhestandsvereinbarung ausscheidet. Dies hat das Berufungsgericht richtig entschieden.
Michels-Holl Dr. Peifer Dr. Wittek
Fox Dr. Pühler
Fundstellen
Haufe-Index 441625 |
DB 1989, 1730 (LT1) |
RdA 1989, 200 |
AP § 7 BUrlG Abgeltung (LT1), Nr 46 |
AR-Blattei, ES 1640 Nr 323 (LT1) |
AR-Blattei, Urlaub Entsch 323 (LT1) |
EzA § 13 BUrlG, Nr 42 (LT1) |