Entscheidungsstichwort (Thema)
Jahressonderzahlung nach Anlage 14 der AVR.DW.EKD. negatives betriebliches Ergebnis. Nachweis durch Testat. Anwendungstreue der AVR oder gleichwertige Arbeitsvertragsgrundlage. gliedkirchliches Territorialprinzip. „Dritter Weg”
Orientierungssatz
1. Abs. 4 Satz 2 Anlage 14 der AVR.DW.EKD regelt eine Beweiserleichterung zugunsten des Arbeitgebers. Legt der Arbeitgeber der Mitarbeitervertretung bis zum 30. Juni ein entsprechendes Testat vor, so gilt das negative betriebliche Ergebnis für das vorausgegangene Betriebsjahr als nachgewiesen.
2. Die Regelung soll verhindern, dass es nach der externen Begutachtung und der Prüfung durch die Mitarbeitervertretung noch zu individuellen Streitigkeiten kommt. Legt der Arbeitgeber der Mitarbeitervertretung bis zum 30. Juni kein Testat vor, so ist er im späteren Prozess mit dem Arbeitnehmer gleichwohl nicht gehindert, den Beweis für das negative Ergebnis zu erbringen.
3. Die Arbeitsvertragsrichtlinien der Johanniter sind weder „AVR” iSd. § 1 Abs. 5 AVR.DW.EKD noch „gleichwertige Arbeitsvertragsgrundlage” iSd. Anmerkung zu § 1 Abs. 5 AVR.DW.EKD.
Normenkette
AVR.DW.EKD § 1 Abs. 5; AVR.DW.EKD Anlage 14
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Urteil vom 24.01.2013; Aktenzeichen 15 Sa 419/12) |
ArbG Hildesheim (Urteil vom 23.02.2012; Aktenzeichen 3 Ca 174/11) |
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 24. Januar 2013 – 15 Sa 419/12 – wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Zahlung der zweiten Hälfte der Jahressonderzahlung für das Jahr 2010. In diesem Zusammenhang streiten die Parteien darüber, ob die Beklagte von der in Anlage 14 der AVR.DW.EKD (jetzt: AVR.DD) vorgesehenen Kürzungsmöglichkeit Gebrauch machen durfte; Voraussetzung hierfür ist, dass die Beklagte ein negatives betriebliches Ergebnis nachweist und die AVR.DW.EKD oder gleichwertige Arbeitsvertragsgrundlagen auf alle Arbeitsverhältnisse anwendet.
Die Beklagte betreibt mit rund 290 Mitarbeitern ein Krankenhaus, in dem jährlich etwa 5.000 Patienten behandelt werden. Sie ist ein Unternehmen des Johanniter-Verbundes und Mitglied des Diakonischen Werks der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers e. V. (DW.H). Die Mitglieder des DW.H sind nach § 8 Abs. 2 der Satzung des DW.H (Fassung vom 6. Mai 2009) verpflichtet, die Arbeitsvertragsrichtlinien der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen für Einrichtungen, die sich dem ARRGD angeschlossen haben (AVR-K) oder ein anderes kirchliches Arbeitsvertragsrecht in der jeweils gültigen Fassung anzuwenden. Dazu gehören auch die AVR.DW.EKD.
Die Klägerin ist bei der Beklagten seit 1982 als Kinderkrankenschwester beschäftigt. Sie ist Vorsitzende der im Hause der Beklagten gebildeten Mitarbeitervertretung. In ihrem Dienstvertrag ist mit einer hier nicht interessierenden Ausnahme die Anwendung der Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werks – Innere Mission und Hilfswerk – der Evangelischen Kirche in Deutschland (im Folgenden: AVR.DW.EKD) in der jeweils gültigen Fassung vereinbart. Nach Anlage 14 der AVR.DW.EKD leistet der Dienstgeber eine Jahressonderzahlung, die je zur Hälfte im November des laufenden und im Juni des folgenden Jahres fällig wird.
Auf dieser Grundlage zahlte die Beklagte im November 2010 ihren Mitarbeitern 50 % der Jahressonderzahlung aus, im Falle der Klägerin 1.175,98 Euro. Im Juni 2011 leistete die Beklagte unter Berufung auf ein negatives betriebliches Ergebnis im Jahr 2010 keine Zahlung.
Die die Jahressonderzahlung regelnde Anlage 14 der AVR.DW.EKD lautet, soweit von Interesse, wie folgt:
„Jahressonderzahlung
(1) Die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter, die oder der sich am 1. November eines Jahres in einem Beschäftigungsverhältnis befindet, das mindestens bis zum 31. Dezember des Jahres besteht, erhält eine Jahressonderzahlung.
(2) Die Höhe der Jahressonderzahlung errechnet sich aus der Summe der Bezüge gemäß Unterabsatz 3 der Monate Januar bis einschließlich Oktober des Jahres, dividiert durch zehn. …
(3) Die Jahressonderzahlung wird zur Hälfte im November des laufenden Jahres, die zweite Hälfte im Juni des Folgejahres gezahlt. Die Höhe der Zahlung im Juni ist vom betrieblichen Ergebnis der Einrichtung abhängig. Dies gilt auch für die wirtschaftlich selbständig arbeitenden Teile der Einrichtung, wenn die zuständige Mitarbeitervertretung in einer Dienstvereinbarung der Anwendung einer von der Dienstgeberin bzw. dem Dienstgeber vorgelegten Liste von wirtschaftlich selbständig arbeitenden Teilen der Einrichtung zugestimmt hat.
(4) Weist die Dienstgeberin bzw. der Dienstgeber nach, dass bei voller Juni-Zahlung der anteiligen Bruttopersonalkosten der Jahressonderzahlung für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein negatives betriebliches Ergebnis im Vorjahr (Wirtschaftsjahr der geleisteten Novemberzahlung) vorliegen würde, entfällt der Anspruch auch teilweise in dem Maße, in dem die Reduzierung in Summe zu einem ausgeglichenen Ergebnis führt. Der Nachweis gilt als erbracht, wenn die Dienststellenleitung der Mitarbeitervertretung ein Testat eines vereidigten Wirtschaftsprüfers oder einer Treuhandstelle vorlegt, aus dem sich der Umfang des negativen betrieblichen Ergebnisses und die Summe der regulären betrieblichen Juni-Zahlung ergibt. Bestandteil der vorzulegenden Unterlagen ist die Zuordnung der Kosten der zentralen Dienste zu den wirtschaftlich selbständig arbeitenden Teilen der Einrichtung.
(5) Ein negatives betriebliches Ergebnis liegt vor, wenn der Jahresüberschuss, der sich aus § 243 HGB ableitet
- ohne betriebsfremde Aufwendungen und Erträge
- ohne außerordentliche Aufwendungen und Erträge im Sinne von § 277 Abs. 4 HGB
- ohne aperiodische Aufwendungen und Erträge
- ohne Ergebnisauswirkungen aus Bilanzierungsund Bewertungsänderungen
- mit Pflichtrückstellungen für Altersteilzeit, Jubiläumszuwendungen und bereits beauftragten Instandhaltungsmaßnahmen, die im ersten Quartal des Folgejahres abgeschlossen werden
- ohne Erträge aus der Auflösung bzw. ohne Aufwendungen aus der Bildung von Aufwandsrückstellungen gemäß § 249 Abs. 2 HGB
- bei Einrichtungen, die zur Finanzierung laufender Kosten regelmäßig und betriebsüblich Spenden einsetzen, mit Spenden in der entsprechenden Höhe
- mit außerordentlichen Erträgen aus Pflegesatzstreitigkeiten
negativ ist.”
Zu der danach gegebenen Kürzungsmöglichkeit trifft § 1 Abs. 5 AVR.DW.EKD folgende Regelung:
„(5) Von den Abweichungsmöglichkeiten in § 17 und den Anlagen 14 und 17 der AVR können Einrichtungen nur Gebrauch machen, wenn
- auf alle Dienstverhältnisse der Einrichtung und der mit ihr verbundenen Einrichtungen, die Mitglied in einem Diakonischen Werk sind, die Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) oder eine gleichwertige Arbeitsvertragsgrundlage angewandt werden,
…”
In der Anmerkung zu § 1 Abs. 5 AVR.DW.EKD heißt es:
„Gleichwertig ist eine Arbeitsvertragsgrundlage, die nach Maßgabe der jeweils anzuwendenden kirchlichen Arbeitsrechtsregelung zustande gekommen ist, sowie die für den öffentlichen Dienst geltenden tarifvertraglichen Regelungen.”
Seit dem Oktober 2010 vereinbarte die Beklagte mit insgesamt 22 neu eingestellten Arbeitnehmern die Geltung der Arbeitsvertragsrichtlinien der Johanniter (AVR-J). Die AVR-J sind am 8. Oktober 2009 durch Beschluss der für den Johanniter-Verbund auf der Grundlage des Arbeitsrechtsregelungsgesetzes für die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburgschlesische Oberlausitz (ARRG.EKBO) gebildeten Arbeitsrechtlichen Kommission (nachfolgend: AK Johanniter) geschaffen worden.
Zwischen den Parteien besteht Streit über die Frage, ob die AVR-J als „AVR” oder als mit den AVR.DW.EKD „gleichwertige” Arbeitsvertragsgrundlagen anzusehen sind. Hintergrund dieses Streits sind kirchengerichtliche Auseinandersetzungen insbesondere darüber, ob die AVR-J auf kirchenrechtlich zulässigem Wege zustande gekommen sind.
Im Verlauf dieser Auseinandersetzungen entschied die Schiedsstelle der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen und der Diakonischen Werke Braunschweig, Hannover, Oldenburg und Schaumburg-Lippe mit Beschluss vom 3. September 2010 (– 3 VR MVG 24/10 –), die Beklagte sei nicht berechtigt, die AVR-J anzuwenden. Der Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland hat die hiergegen eingelegte Beschwerde der Beklagten mit Beschluss vom 8. September 2011 (– KGH.EKD I-0124/S67-10 –) zurückgewiesen. Zur Begründung hat der Gerichtshof ausgeführt, die AVR-J seien zwar formell im Dritten Weg zustande gekommen. Sie dürften jedoch wegen des Territorialitätsprinzips nicht von der Beklagten angewendet werden. Im Wesentlichen ebenso entschied der Kirchengerichtshof der EKD mit Beschluss vom 10. Dezember 2012 (– KGH.EKD II-0124/U20-12 –) in einem vergleichbaren Fall.
In der zweiten Hälfte des Jahres 2011 bot die Beklagte den seit 2010 zu den Bedingungen der AVR-J neu eingestellten Mitarbeitern an, die AVR-J durch die AVR.DW.EKD rückwirkend zu ersetzen. Das Angebot wurde teils angenommen, teils abgelehnt.
Nachdem die Klägerin im Mai 2011 die vorliegende Klage erhoben hatte, legte die Beklagte mit Schriftsatz vom 15. Februar 2012 eine unter dem 12. August 2011 gefertigte „Bescheinigung gemäß Anlage 14 AVR.DW.EKD” vor. Darin bescheinigte die B Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Prüfung in entsprechender Anwendung der §§ 317 ff. HGB unter Beachtung der vom Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V. festgestellten deutschen Grundsätze ordnungsgemäßer Abschlussprüfung habe stattgefunden.
In der Bescheinigung heißt es zum Ergebnis der Prüfung:
„Aufgrund der bei der Prüfung gewonnenen Erkenntnisse bestätigen wir, dass das in der beigefügten Anlage aufgeführte negative betriebliche Ergebnis gemäß Anlage 14 AVR.DW.EKD für das Geschäftsjahr 2010 in Höhe von TEUR -1.663 entsprechend den Vorgaben der Anlage 14 AVR.DW.EKD aus den Zahlen des Geschäftsjahres 2010 der Johanniter-Krankenhaus G GmbH hergeleitet wurde. Die Höhe der zweiten Hälfte der Sonderzahlung 2010 (ohne etwaige Kürzung gemäß Anlage 14 AVR.DW.EKD) wurde auf Basis der Auszahlung der ersten Hälfte von der Personalabteilung plausibel geschätzt.”
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen für eine Kürzung der Jahressonderzahlung nach § 1 Abs. 5 AVR.DW.EKD seien für das Jahr 2010 nicht erfüllt gewesen. Die Beklagte habe nicht auf alle Dienstverhältnisse die Arbeitsvertragsrichtlinien oder gleichwertige Arbeitsvertragsgrundlagen angewendet. Insbesondere seien die AVR-J keine gleichwertige Arbeitsvertragsgrundlage. Eine solche müsste nach Maßgabe der jeweils anzuwendenden kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen zustande gekommen sein. Dies treffe auf die AVR-J nicht zu. Außerdem habe ein negatives betriebliches Ergebnis für 2010 bei Auszahlung der zweiten Hälfte der Jahressonderzahlung nicht vorgelegen. Die Beklagte habe der Mitarbeitervertretung den Jahresabschluss für das Kalenderjahr 2010 nicht, jedenfalls aber nicht rechtzeitig, vorgelegt. Die Nichtvorlage des Testats bis zum Eintritt der Fälligkeit der zweiten Hälfte der Jahressonderzahlung am 30. Juni lasse das Kürzungsrecht des Dienstgebers endgültig entfallen. Ein im Verlaufe des Rechtsstreits mit einem Arbeitnehmer vorgelegtes Testat könne daran nichts ändern.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.175,98 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 1. Juli 2011 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, sie habe sich regeltreu im Sinne des § 1 Abs. 5 AVR.DW.EKD verhalten. Die AVR-J seien kirchenrechtlich ordnungsgemäß zustande gekommenes Arbeitsvertragsrecht. Sie seien durch eine paritätische Kommission beschlossen worden und entsprächen damit den Maßgaben der anzuwendenden kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen. Was das negative betriebliche Ergebnis 2010 und seinen Nachweis betreffe, so sei die Mitarbeitervertretung schon am 17. Januar 2011 durch den Geschäftsführer Herrn S über das betriebliche Ergebnis informiert worden; zudem sei die Mitarbeitervertretung durch Übersendung des Testats des Wirtschaftsprüfers an ihre Vorsitzende – die Klägerin – im Laufe des Prozesses rechtzeitig unterrichtet worden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr entsprochen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis richtig entschieden. Der Klägerin steht der eingeklagte Betrag zu.
I. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung von 1.175,98 Euro brutto.
1. Grundlage des Anspruchs ist Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 Anlage 14 der AVR.DW.EKD. Dass die dort genannten Voraussetzungen gegeben sind, steht nicht im Streit.
2. Allerdings ist der Beklagten die Berufung auf ein negatives betriebliches Ergebnis nach Abs. 4, Abs. 5 Anlage 14 der AVR.DW.EKD nicht deshalb verwehrt, weil sie der Mitarbeitervertretung bis zum Zeitpunkt der Fälligkeit der zweiten Hälfte der Jahressonderzahlung nach Abs. 3 Satz 1 Anlage 14 der AVR.DW.EKD kein Testat iSd. Abs. 4 Satz 2 Anlage 14 der AVR.DW.EKD vorgelegt hat. Der Nachweis eines negativen Betriebsergebnisses im Vorjahr als Voraussetzung für den teilweisen oder vollständigen Wegfall der Verpflichtung zur Leistung der zweiten Hälfte einer Jahressonderzahlung kann entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts auch nach dem in Abs. 3 Satz 1 Anlage 14 der AVR.DW.EKD genannten Zeitpunkt gegenüber dem klagenden Arbeitnehmer geführt werden (ebenso: LAG Berlin-Brandenburg 24. Februar 2012 – 6 Sa 1943/11 – Rn. 23).
a) Bereits der Wortlaut der Regelung, von dem bei der Auslegung von Arbeitsvertragsrichtlinien wie bei der Tarifauslegung zunächst auszugehen ist (zu den Grundsätzen der Auslegung von AVR: BAG 21. Oktober 2009 – 10 AZR 786/08 – Rn. 28; 17. Juli 2008 – 6 AZR 635/07 – Rn. 9), spricht für dieses Verständnis der maßgeblichen Regelung. Nach Abs. 3 Satz 2 Anlage 14 der AVR.DW.EKD ist die Höhe des zweiten Teils der Sonderzahlung abhängig vom Betriebsergebnis. Nach der diese Maßgabe näher ausgestaltenden Regelung in Abs. 4 Anlage 14 der AVR.DW.EKD entfällt der Anspruch, soweit der Dienstgeber nachweist, dass bei voller Juni-Zahlung der anteiligen Bruttopersonalkosten der Jahressonderzahlung für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein negatives betriebliches Ergebnis im Vorjahr (Wirtschaftsjahr der geleisteten Novemberzahlung) vorläge. In Abs. 5 Anlage 14 der AVR.DW.EKD ist ausgeführt, welche Voraussetzungen im Einzelnen erfüllt sein müssen, damit ein negatives betriebliches Ergebnis angenommen werden kann. Der Nachweis eines solchen gilt nach Abs. 4 Satz 2 Anlage 14 der AVR.DW.EKD als erbracht, wenn die Dienststellenleitung der Mitarbeitervertretung ein Testat eines vereidigten Wirtschaftsprüfers oder einer Treuhandstelle vorlegt, aus dem sich der Umfang des negativen betrieblichen Ergebnisses und die Summe der regulären betrieblichen JuniZahlung ergeben (vgl. BAG 19. Januar 2011 – 10 AZR 863/09 – Rn. 13).
aa) Dass der Anspruch ohne Weiteres in voller Höhe gerechtfertigt wäre, wenn der Mitarbeitervertretung ein Testat vor dem 30. Juni nicht vorgelegt wurde, ist damit an keiner Stelle ausgesagt. Einen Zeitpunkt, bis zu dem der Nachweis zu führen wäre, bestimmt die Vorschrift nicht. In Abs. 4 Satz 2 Anlage 14 der AVR.DW.EKD ist vielmehr lediglich als Erleichterung für den Dienstgeber angeordnet, dass der Nachweis als erbracht anzusehen ist, wenn ein Testat vorgelegt wird. Weder heißt es, der Nachweis gelte „nur” als erbracht, noch wird für ihn ein bestimmter Zeitpunkt vorgesehen.
bb) Mit dem Fehlen jeglicher zeitlicher Begrenzung im Wortlaut der Regelung lässt sich eine so weitgehende Rechtsfolge wie die vom Landesarbeitsgericht angenommene nicht vereinbaren. Immerhin soll danach der Schuldner mit einer Einwendung endgültig ausgeschlossen sein, wenn er ihre tatsächlichen Voraussetzungen bis zur Fälligkeit nicht in bestimmter Weise bewiesen hat. Das widerspricht den allgemeinen Grundsätzen, nach denen Anspruchsvoraussetzungen ebenso wie die Voraussetzungen erheblicher Einwendungen im – regelmäßig nach Fälligkeit der Forderung geführten – Rechtsstreit um die Berechtigung der Forderung vorgetragen und ggf. nachgewiesen werden können, ohne dass andere zeitliche Grenzen zum Tragen kämen als die allgemeinen Verspätungsvorschriften des Prozessrechts.
b) Dass die Beklagte sich auf die Kürzungsmöglichkeiten nicht mehr berufen dürfte, wenn sie der Mitarbeitervertretung bis zum 30. Juni – Zeitpunkt der Fälligkeit – ein Testat nicht vorgelegt hat, lässt sich auch nicht dem Sinn und Zweck der Vorschrift entnehmen.
aa) Abs. 4 Satz 2 Anlage 14 der AVR.DW.EKD verlangt keinen testierten Nachweis gegenüber dem Mitarbeiter, sondern gegenüber der Mitarbeitervertretung. Es handelt sich nicht um eine – bestimmte Einwendungen ausschließende – Beweisregelung für den Fall, dass ein Arbeitnehmer die Beklagte in Anspruch nimmt. Der Sinn ist ein anderer. Die Vorschrift will der Mitarbeitervertretung die Möglichkeit geben, den von der Beklagten zu erbringenden Nachweis zu prüfen. Die Regelung soll verhindern, dass es nach der externen Begutachtung und der Prüfung durch die Mitarbeitervertretung noch zu individuellen Streitigkeiten kommt. Sie sieht deshalb eine verobjektivierte Feststellung gegenüber der Mitarbeitervertretung als ausreichend an (BAG 19. Januar 2011 – 10 AZR 863/09 – Rn. 16). Im Rechtsstreit des Arbeitnehmers gelten dagegen die allgemeinen Regeln zur Darlegung und zum Bestreiten der Anspruchsvoraussetzungen, zur Beweisbedürftigkeit und zum Beweis.
bb) Dieser Zweck der Regelung, nämlich für den Arbeitgeber eine Beweiserleichterung zu schaffen, wird verfehlt, wenn der Nachweis gegenüber der Mitarbeitervertretung nicht oder erst nach Fälligkeit des Anspruchs geführt wird. Die Arbeitnehmer sind dann im Unklaren darüber, ob ihr – bereits fällig gewordener – Zahlungsanspruch besteht oder nicht. Sie werden sich eher veranlasst sehen, Zahlungsklage zu erheben. Rechtsstreitigkeiten werden auf diese Weise nicht verhindert.
cc) Dies rechtfertigt jedoch nicht die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung, nach der der Beklagten der Nachweis eines negativen betrieblichen Ergebnisses auch im Prozess mit den Mitarbeitern schlechthin verwehrt ist, wenn sie ihn nicht bis zum 30. Juni eines Jahres durch Testat gegenüber der Mitarbeitervertretung geführt hat. Die Regelung in Abs. 4 Satz 2 Anlage 14 der AVR.DW.EKD behält nach wie vor ihren Sinn, indem sie der Beklagten einen Weg zur Vermeidung individueller rechtlicher Angriffe weist. Die Beklagte ist aber nicht gezwungen, diesen – leichteren – Weg zu gehen. Die Vorlage des Testats gegenüber der Mitarbeitervertretung ist hinreichende, nicht aber notwendige Bedingung für den Nachweis eines negativen betrieblichen Ergebnisses. Der Beweis, sofern er nach dem beiderseitigen Prozessvortrag überhaupt geführt werden muss, kann mit jedem prozessrechtlich zulässigen Beweismittel und zu jedem prozessrechtlich zulässigen Zeitpunkt geführt werden.
c) Die wirtschaftlichen Voraussetzungen der Kürzung nach Abs. 4, Abs. 5 Anlage 14 der AVR.DW.EKD dürften vorliegen. Das Arbeitsgericht hat es als erwiesen angesehen, dass die in Abs. 4 Anlage 14 der AVR.DW.EKD genannten Voraussetzungen gegeben sind. Es hat eine zwar knappe, aber ausreichende Beweiswürdigung vorgenommen. Die Beklagte hat zum Beweis das Testat der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vom 12. August 2011 vorgelegt. Es ist, wie sich aus dem Testat selbst ergibt, auf der Grundlage der Vorgaben der Anlage 14 der AVR.DW.EKD erstellt worden. Es weist für 2010 ein negatives betriebliches Ergebnis in Höhe von rund 1,6 Millionen Euro aus, das bei Zahlung des zweiten Teils der Sonderzahlung an die Mitarbeiter um etwas mehr als 300.000,00 Euro anstiege. Die im Berufungsverfahren vorgebrachte Rüge der Klägerin, es sei nicht ausgeschlossen, dass das Testat zu Unrecht ergebniswirksame Rückstellungen für Altersteilzeitverträge außer Acht gelassen habe, ist ohne jede greifbare Tatsachengrundlage erfolgt. Wenn die Klägerin geltend macht, es sei „keineswegs ausgeschlossen”, dass Bewertungs- und Bilanzierungsänderungen zu einer Ergebnisveränderung in relevantem Umfang führten, so erschöpft sich dies angesichts der Aussage des Testats in bloßer Mutmaßung. Letztlich kommt es aber für die Entscheidung des Rechtsstreits auf die wirtschaftliche Lage der Beklagten nicht an.
3. Der Beklagten ist es nach § 1 Abs. 5 AVR.DW.EKD verwehrt, von der Kürzungsmöglichkeit nach Abs. 4, Abs. 5 Anlage 14 der AVR.DW.EKD Gebrauch zu machen. Die Beklagte hat im Jahr 2010 nicht auf alle Dienstverhältnisse ihrer Einrichtung „die Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR)” oder eine „gleichwertige Arbeitsvertragsgrundlage” angewandt.
a) Nach § 1 Abs. 5 AVR.DW.EKD sollen nur solche Dienstgeber die Kürzungsregelung nutzen dürfen, die im Übrigen das in den AVR.DW.EKD oder gleichwertigen Regelungswerken niedergelegte Verhältnis von Leistungen und Gegenleistungen gewährleisten. Der Dienstgeber soll nicht die Möglichkeit haben, sich einerseits die Kürzungsrechte bei den Jahressonderzahlungen und andere Sonderrechte zu sichern, im Übrigen aber das System der Rechtsgewinnung nach den jeweils anwendbaren kirchenrechtlichen Vorschriften des Dritten Weges zu verlassen, es sei denn, er wendet Tarifverträge des öffentlichen Dienstes an (sog. „Tariftreueklausel”). Auf einen materiellen Günstigkeitsvergleich kommt es nicht an.
b) Die danach maßgeblichen Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt.
aa) Die AVR-J sind keine „AVR” im Sinne von § 1 Abs. 5 AVR.DW.EKD. Zu Recht weist das Landesarbeitsgericht darauf hin, dass § 1 Abs. 5 AVR.DW.EKD durch die Verwendung des bestimmten Artikels („die” AVR) nicht auf alle als AVR zu bezeichnenden Regelwerke verweist, sondern allein auf dasjenige, zu dem § 1 Abs. 5 selbst gehört, also die AVR.DW.EKD. Dies schließt es aus, auch irgendwelche anderen Arbeitsvertragsrichtlinien als „AVR” iSd. § 1 Abs. 5 AVR.DW.EKD einzubeziehen. Es ist zwar richtig, dass mehrere auf dem Dritten Weg zustande gekommene Regelwerke bestehen, für die als Sammelbegriff „AVR” passen mag. Indes würde es nicht nur dem Wortlaut, sondern auch dem erkennbaren Sinn der Vorschrift widersprechen, die Anwendung aller als „AVR” zu bezeichnenden Regelwerke zu ermöglichen. Nur derjenige Arbeitgeber soll von der Kürzungsmöglichkeit Gebrauch machen dürfen, der auch die ihm von den AVR.DW.EKD auferlegten Lasten gegenüber allen Arbeitnehmern trägt. Die mit der Kürzungsmöglichkeit verbundene Entlastung setzt ein bestimmtes Maß an Belastungen voraus, das grundsätzlich allein durch das Regelwerk bestimmt sein kann, das die wechselseitigen Rechte und Pflichten festsetzt.
bb) Die AVR-J sind keine „gleichwertigen Arbeitsvertragsgrundlagen”. Sie dürfen von der Beklagten nicht angewandt werden. Es handelt sich nicht um kirchengesetzlich legitimierte Arbeitsvertragsgrundlagen.
(1) Gleichwertig sind nach der Anmerkung zu § 1 Abs. 5 AVR.DW.EKD solche Arbeitsvertragsgrundlagen, die nach Maßgabe der „jeweils anzuwendenden” kirchlichen Arbeitsrechtsregelung zustande gekommen sind. Entscheidend ist daher, ob die gerade für den betroffenen Dienstgeber zutreffende kirchliche Arbeitsrechtsregelung die Anwendung der AVR-J erlaubt. Nicht ausreichend ist, wenn die Arbeitsvertragsregelung, die als gleichwertig angesehen werden soll, irgendeiner anderen kirchlichen Arbeitsrechtsregelung entspricht. Bei einem anderen Verständnis wären sämtliche AVR ohne Weiteres „gleich-wertig”. Die in der Anmerkung zu § 1 Abs. 5 AVR.DW.EKD getroffene Regelung, nach der eben dies nicht der Fall ist, würde in ihr Gegenteil verkehrt.
(2) Wie bereits der Kirchengerichtshof festgehalten hat, sind die AVR-J nicht nach den für die Beklagte maßgeblichen Arbeitsrechtsregelungen zustande gekommen. Die Einrichtung der Arbeitsrechtlichen Kommission, durch die die AVR-J geschaffen wurden, erfolgte nicht nach Maßgabe des für das DW.H geltenden Arbeitsrechtsregelungsgesetzes. Es geschah vielmehr auf der Grundlage von § 6 Abs. 4 ARRG.EKBO sowie der Arbeitsrechtsregelungsordnung des DWBO (ARRO.DWBO) vom 1. Juli 2005. Die Rechtsetzungsmacht einer Gliedkirche – hier der EKBO – oder die von ihr auf ihr Diakonisches Werk delegierte Rechtsetzungsbefugnis beinhaltet jedoch keine Legitimation für die Geltung dieser Gesetze oder sonstiger rechtlich verbindlicher Regelungen für einen rechtlich selbständigen Rechtsträger, der – wie die Beklagte – nur im Gebiet einer anderen Gliedkirche oder deren Diakonischen Werks ansässig ist und nur eben diesem Diakonischen Werk angehört. Dies folgt aus dem grundsätzlich zu beachtenden Territorialprinzip. Es beansprucht Geltung nicht nur unter den Gliedkirchen und Landeskirchen, sondern auch unter deren Diakonischen Werken (st. Rspr. des Kirchengerichtshofs, vgl. KGH 10. Dezember 2012 – KGH.EKD II-0124/U20-12 –; 8. September 2011 – KGH.EKD I-0124/S67-10 –).
(3) Hinzu kommt, dass die Beklagte Mitglied des DW.H ist. Sie ist deshalb verpflichtet, die AVR.DW.EKD anzuwenden. Tut sie es nicht, handelt sie nicht im Einklang mit den kirchenrechtlichen Vorgaben (vgl. KGH 8. September 2011 – KGH.EKD I-0124/S67-10 –).
cc) Die Beklagte hat die Voraussetzungen von § 1 Abs. 5 AVR.DW.EKD auch nicht deshalb gewahrt, weil sie den im Jahr 2010 zu den Bedingungen der AVR-J eingestellten Mitarbeitern im Jahr 2011 angeboten hat, die AVR-J durch die AVR.DW.EKD zu ersetzen.
(1) Nach § 1 Abs. 5 AVR.DW.EKD muss die dort geforderte Anwendungstreue in dem Jahr erbracht werden, für das die Sonderzahlung geschuldet ist. Das ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der Kürzungsregelung des Abs. 4, Abs. 5 Anlage 14 der AVR.DW.EKD. Danach hängt die Kürzung vom Betriebsergebnis für das jeweilige Bezugsjahr ab. Der Regelung liegt die Vorstellung zugrunde, dass Be- und Entlastung des Arbeitgebers in einem bestimmten Verhältnis zum Betriebsergebnis im Bezugsjahr stehen sollen. Wie bereits ausgeführt, ist dabei das sich aus der Anwendung der AVR.DW.EKD ergebende Maß die Grundlage. Dementsprechend muss dann auch der Maßstab für die Anwendungstreue das Bezugsjahr sein. Der Arbeitgeber soll von den Vorteilen, die er durch die Anwendung anderer Regelwerke erstrebt und erreicht, nicht profitieren dürfen.
(2) Gemessen daran hat die Beklagte sich im Jahr 2010 nicht anwendungstreu verhalten. Sie hat vielmehr, wie unstreitig, ab Herbst 2010 zunächst durchgehend die Geltung der AVR-J vereinbart.
(3) Die Beklagte hat auch nicht nachträglich durch das im Jahr 2011 unterbreitete Angebot der Ersetzung der AVR-J durch die AVR.DW.EKD die Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 AVR.DW.EKD erfüllt. Es kann dahinstehen, ob ein Dienstgeber, der – etwa versehentlich – in marginalem Umfang nicht gleichwertige Arbeitsvertragsgrundlagen vereinbart hat, durch die nachträgliche Verabredung rückwirkender Anwendung der „richtigen” Arbeitsvertragsrichtlinien die geforderte Anwendungstreue wiederherstellen kann. Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben. Die Beklagte trägt selbst nicht vor, dass sie die betreffenden Arbeitsverhältnisse rückwirkend ab jeweiligem Vertragsbeginn nach den Maßgaben der AVR.DW.EKD abgerechnet und etwa sich ergebende Nachzahlungen geleistet hätte.
(4) Im Übrigen spricht gegen die Möglichkeit nachträglicher Anwendungstreue, dass andernfalls ein Anreiz für den Arbeitgeber entstünde, zunächst von Anwendungstreue abzusehen und abzuwarten, ob sich dies wirtschaftlich lohnt oder die Rückkehr zum „richtigen” Regelwerk „billiger” ist.
II. Die Zinsforderung ist nach § 286 Abs. 1, Abs. 2, § 288 Abs. 1 BGB begründet.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Mikosch, W. Reinfelder, Schmitz-Scholemann, D. Kiel, W. Guthier
Fundstellen
Haufe-Index 6707540 |
FA 2014, 187 |
NZA 2014, 808 |
EzA-SD 2014, 12 |
EzA 2014 |
ZMV 2014, 290 |
PflR 2014, 431 |
NJOZ 2014, 905 |