Entscheidungsstichwort (Thema)

Beihilfeanspruch. Verfall

 

Normenkette

BSHG §§ 28, 43 Abs. 2, § 90 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 28.01.1991; Aktenzeichen 16 Sa 1115/90)

ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 10.05.1990; Aktenzeichen 2 Ca 402/89)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 28. Januar 1991 – 16 Sa 1115/90 – aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 10. Mai 1990 – 2 Ca 402/89 – insoweit abgeändert, als die Klage in Höhe von 35.474,– DM abgewiesen wurde.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 35.474,– DM zu zahlen.

4. Die Kosten des 1. Rechtszuges hat die Klägerin zu 2/3, die Beklagte zu 1/3 zu tragen. Die Kosten der Berufung und Revision hat die Beklagte zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Klägerin ist bei dem Beklagten als Küchenhilfe beschäftigt. Kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung finden auf das Arbeitsverhältnis die Bestimmungen des Berufsgenossenschafts-Arbeitertarifvertrages (BG-ArbT II) Anwendung. Danach ist Beihilfe nach Maßgabe der Beihilfevorschriften für Bundesbeamte zu gewähren. Die cm 24. November 1968 geborene Tochter der Klägerin ist schwerstbehindert. In der Zeit vom 1. Januar 1983 bis 31. März 1986 war die Tochter im S. in R. – untergebracht. Die Unterbringungskosten in Höhe von 75.609,12 DM für die Zeit 1. Januar 1983 bis 31. Dezember 1984 wurden vom Landeswohlfahrtsverband Hessen getragen. Die Unterbringungskosten für die Zeit vom 1. Januar 1985 bis 31. März 1986 in Höhe von 35.474,– DM wurden von der Sozialhilfeverwaltung Bezirk Oberbayern aufgebracht. Anfang des Jahres 1987 haben beide Sozialhilfeträger erstmals erfahren, daß die Klägerin beihilfeberechtigt ist. Daraufhin teilte die Sozialhilffeverwaltung Oberbayern der Klägerin mit Schreiben vom 26. März 1987 die von ihr übernommenen Kosten für die Heimunterbringung der Tochter mit. Mit Schreiben vom 2. April 1987 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten Beihilfe für die Zeit vom 1. Januar 1985 bis 31. März 1986. Diesen Antrag auf Beihilfe lehnte der Beklagte ab, weil die Antragsfrist von einem Jahr gemäß § 17 Abs. 10 Beihilfevorschriften (BhV) in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung für die Gewährung von Beihilfe nicht gewahrt sei. § 17 Abs. 10 BhV lautete u.a.:

„Eine Beihilfe wird nur gewahrt, wenn der Beihilfeberechtigte sie innerhalb einer Antragsfrist vom einem Jahr nach Entstehen der Aufwendungen oder der ersten Ausstellung der Rechnung beantragt hat. …”

Die Klägerin hat mit der am 2. November 1989 zugestellten Klage die Auffassung vertreten, die Jahresfrist beginne nicht mit dem Datum der Rechnungstellung durch das Heim, sondern erst mit der Rechnungstellung durch den Sozialhilfeträger. Erst wenn sich der Sozialhilfeträger wegen der Kosten an den Beihilfeberechtigten gewandt habe, könne dieser eine Beihilfe beantragen. Demnach seiten die Mitteilungen der Sozialhilfeträger an die Klägerin über die Höhe der Aufwendungen als Rechnung im Sinne von § 17 Abs. 10 Satz 1 BhV zu verstehen.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 35.474,– DM zu zahlen.

Der Beklagte hat beantrag,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, soweit ein Sozialhilfeträger Leistungen erbringe, beginne die einjährige Ausschlußfrist mit der Ausstellung der Rechnung des Unterbringungsheimes, sofern der Sozialhilfeträger die Beihilfeansprüche nach § 99 BSHG auf sich überleiten könne. Zudem sei auch die sechsmonatige Ausschlußfrist des § 72 BG-ArbT II verstrichen. Außerdem sei der geltend gemachte Anspruch verjährt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage auf Beihilfe für die Zeit vom 1. Januar 1983 bis 31. März 1986 in Gesamthöhe von 111.083,12 DM abgewiesen. Die Klägerin hat gegen dieses Urteil insoweit Berufung eingelegt, als der Beihilfeanspruch für die Zeit vom 1. Januar 1985 bis 31. März 1986 in Höhe von 35.474,– DM abgewiesen wurde. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr zweitinstanzliches Klagebegehren weiter. Der Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe den Beihilfeanspruch nicht innerhalb der Jahresfrist des § 17 Abs. 10 BhV geltend gemacht. Diese Frist beginne, wenn derjenige, der die beihilfefähigen Leistungen erbracht habe, die Rechnung ausstelle. Dabei sei es unbeachtlich, daß die Rechnung nicht an die beihilfeberechtigte Klägerin, sondern an den Sozialhilfeträger gerichtet sei. Der Sozialhilfeträger sei auch Kostenschuldner. Er könne gemäß § 90 BSHG durch Überleitung des Beihilfeanspruchs diesen selbst rechtzeitig geltend machen oder den Beihilfeberechtigten veranlassen, den Beihilfeantrag rechtzeitig zu stellen. Dies entspreche dem Sinn und Zweck des § 17 Abs. 10 BhV, Beihilfeansprüche möglichst zeitnah zu erfassen. Dieser Zweck würde verhindert, wenn auf den Zeitpunkt der Ausstellung der Rechnung durch den Sozialhilfeträger an die Beihilfeberechtigte abgestellt werde und es damit ins Belieben des Sozialhilfeträgers gestellt sei, wann er die Rechnung ausstelle. Auch wenn dem Sozialhilfeträger die Beihilfeberechtigung unbekannt sei, könne er sich durch rechtzeitige Rückfragen bei der Klägerin oder dem Beklagten vergewissern, ob ein Beihilfeanspruch bestehe.

Dieser Auffassung vermag der Senat aus Rechtsgründen nicht zu folgen.

II. Die Klage ist in Höhe von 35.474,– DM begründet. Die Klägerin hat den von Grund und Höhe zwischen den Parteien unstreitigen Beihilfeanspruch innerhalb der Jahresfrist gemäß § 17 Abs. 10 BhV mit Schreiben vom 2. April 1987 beantragt, nachdem sie erstmals durch Schreiben des Sozialhilfeträgers vom 26. März 1987 die Rechnung der übernommenen Kosten für die Heimunterbringung ihrer minderjährigen Tochter für den Zeitraum vom 1. Januar 1985 bis zum 31. März 1986 erhalten hatte. Diese Mitteilung ist als Ausstellung der Rechnung i. S. von § 17 Abs. 10 BhV anzusehen.

1. Nach dieser Vorschrift wird eine Beihilfe nur gewährt, wenn der Beihilfeberechtigte sie innerhalb einer Antragsfrist von einem Jahr nach Entstehen der Aufwendungen oder nach der ersten Ausstellung der Rechnung beantragt hat. Eine Rechnung ist nach dieser Vorschrift dann ausgestellt, wenn eine Kostenaufstellung und -anforderung desjenigen vorliegt, der die Aufwendungen i. S. des § 5 BhV selbst unmittelbar erbracht hat. Wird diese Rechnung an den Beihilfeberechtigten gerichtet, beginnt die Antragsfrist mit Ausstellung der Rechnung. Eine Ausstellung der Rechnung i. S. des § 17 Abs. 10 BhV liegt aber auch in der Mitteilung des Sozialhilfeträgers, der die Kosten zunächst übernommen hat, über die Höhe der Aufwendungen und deren Einforderung gemäß § 43 Abs. 3 Satz 2 BSHG beim Beihilfeberechtigten. Nach § 17 Abs. 10 BhV kann nur ein Beihilfeberechtigter einen Beihilfeantrag stellen. Danach kann die Antragsfrist erst zu laufen beginnen, wenn dem antragsberechtigten Beihilfeberechtigten gegenüber eine Rechnung ausgestellt wird, gleichgültig ob sie vom ursprünglichen oder einem späteren Leistungserbringer an ihn gerichtet wird.

Da der Sozialhilfeträger im vorliegenden Fall den Beihilfeanspruch weder gemäß § 90 BSHG auf sich übergeleitet hat, noch der Sozialhilfeträger sich den Beihilfeanspruch der Klägerin hat abtreten lassen (vgl. BAG Urteil vom 18. Februar 1970 – 4 AZR 440/69 – AP Nr. 1 zu Nr. 4 a Beihilfevorschriften), war gemäß § 2 BhV allein die Klägerin beihilfeberechtigt. Ihre Beihilfeberechtigung erstreckte sich gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 BhV auch auf die Aufwendungen für selbst nicht beihilfefähige Kinder. Diese Aufwendungen sind in dem Zeitpunkt entstanden, in dem die sie begründende Leistung erbracht wird (§ 5 Abs. 2 Satz 2 BhV). Da diese beihilfefähigen Aufwendungen trotz der Vorleistung des Sozialhilfeträgers gemäß § 43 Abs. 2 Nr. 3, § 28 BSHG rechtlich Aufwendungen der unterhaltspflichtigen Klägerin sind (vgl. BAGE 37, 361 = AP Nr. 1 zu Nr. 1 Beihilfevorschriften; BVerwG Urteil vom 22. Oktober 1976 – VI C 55.72 – ZBR 1977, 186), konnte sie als Beihilfeberechtigte den Beihilfeantrag aber erst stellen, als ihr gegenüber die Rechnung über die Aufwendungen vom Sozialhilfeträger erstmals ausgestellt wurde. Erst zu diesem Zeitpunkt wußte die Beihilfeberechtigte, daß der Sozialhilfeträger nicht auf die Kostenbeteiligung hinsichtlich der Beihilfe verzichtet, und sie konnte erstmals die beihilfefähigen Aufwendungen rechnungsmäßig gegenüber dem zur Beihilfe Verpflichteten belegen. Damit waren erstmals mit der Mitteilung des Sozialhilfeträgers über die Höhe der Aufwendungen die Voraussetzungen zur Geltendmachung des Beihilfeanspruchs durch die Beihilfeberechtigte in vollem Umfang gegeben.

2. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts steht dem nicht entgegen, daß der Sozialhilfeträger den Beihilfeanspruch nicht innerhalb eines Jahres nach Entstehen der Aufwendungen oder nach der Rechnungstellung an ihn gemäß § 90 Abs. 1 Satz 1, § 28 BSHG übergeleitet hat, so daß er selbst als Beihilfeberechtigter den Beihilfeanspruch hätte rechtzeitig geltend machen können bzw. nicht dafür Sorge getragen hat, daß die Klägerin den Beihilfeanspruch in diesem Zeitraum selbst hätte geltend machen können. Mit der Überleitung des Beihilfeanspruchs gemäß § 90 Abs. 1 Satz 1, § 28 BSHG soll dem Sozialhilfeträger die Möglichkeit geschaffen werden, in vermehrtem Umfang selbständig an Stelle des Berechtigten Ansprüche geltend zu machen. Nimmt der Sozialhilfeträger diese Möglichkeit jedoch nicht wahr, so verbleibt es insoweit bei dem Nachrang der Sozialhilfe gemäß § 2 BSHG. Dieser Grundsatz der Nachrangigkeit der Sozialhilfe gilt auch gegenüber dem Beihilfeanspruch (vgl. BAGE 37, 361 = AP, a.a.O.), so daß die Beihilferegel des § 17 Abs. 10 BhV anzuwenden ist. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist es zwar, beihilfefähige Aufwendungen möglichst zeitnah zu erfassen, so daß der zur Beihilfezahlung Verpflichtete nach Ablauf eines Jahres nicht mehr mit der Inanspruchnahme rechnen muß. Um dies zu erreichen zwingt diese Regelung aber nur den Beihilfeberechtigten selbst, innerhalb der Jahresfrist den Beihilfeantrag zu stellen, will er nicht den Beihilfeanspruch verlieren. Darüberhinaus bewirkt diese Vorschrift in der damaligen Fassung jedoch nicht, daß der Sozialhilfeträger die Rechnung innerhalb einer vom Entstehen der Aufwendungen i. S. des § 5 Abs. 2 Satz 2 BhV an gerechneten Jahresfrist stellt oder dafür Sorge zu tragen hat, daß der Beihilfeberechtigte innerhalb dieses Zeitraums den Beihilfeantrag stellen kann.

3. Der Beihilfeanspruch der Klägerin ist auch nicht gemäß § 72 BG-ArbT II verfallen. Diese Vorschrift findet neben der speziellen Ausschlußfrist des § 17 Abs. 10 BhV keine Anwendung (BAG Urteil vom 21. Dezember 1973 – 4 AZR 59/73 – AP Nr. 1 zu Nr. 4 Beihilfevorschriften). Im übrigen hat die Klägerin mit der Antragstellung am 2. April 1987 die sechsmonatige Ausschlußfrist des § 72 BG-ArbT II auch gewahrt. Die Besonderheit der Jahresfrist des § 17 Abs. 10 Satz 1 BhV besteht darin, daß einerseits die Antragstellung an diese Frist gebunden ist, andererseits aber die Beihilfe auch nur auf Antrag gewährt wird. Der Beihilfeanspruch wird somit erst mit Antragstellung fällig, da der Beihilfeberechtigte die Leistung erst ab diesem Zeitpunkt verlangen kann. Der Regelungsbereich der tariflichen Ausschlußfrist setzt somit erst mit der Antragstellung ein, da die tarifliche Ausschlußfrist erst mit der Fälligkeit der Leistung in Lauf gesetzt wird.

4 Der Beihilfeanspruch ist auch nicht gemäß § 196 Abs. 1 Nr. 8 BGB verjährt. Der Anspruch ist am 26. März 1987 fällig geworden. Gemäß § 201 BGB verjährte dieser Anspruch erst mit Ablauf des 31. Dezember 1989. Die Klageerhebung am 2. November 1989 war somit, rechtzeitig.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, Dr. Reinecke, Carl, Spiegelhalter

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1065149

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