Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorruhestand im Beitrittsgebiet

 

Leitsatz (amtlich)

Hat ein Vorruheständler nach dem 3. Oktober 1990 bei der Bundesanstalt für Arbeit beantragt, Vorruhestandsgeld nach Maßgabe a der Nr. 5 der Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet E Abschnitt III des Einigungsvertrages zu zahlen, ist der bisherige Arbeitgeber von seinen Verpflichtungen zur Zahlung von Vorruhestandsgeld freigeworden (Bestätigung der Senatsrechtsprechung, Urteil vom 9. August 1994 – 9 AZR 199/93 – DB 1995, 636, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Das gilt nicht, wenn sich der Arbeitgeber in einer wirksamen Betriebsvereinbarung verpflichtet hat, den Anspruch auf Vorruhestandsgeld entsprechend künftiger tarifvertraglicher Erhöhung der Vergütung selbst zu erfüllen.

Eine Betriebsvereinbarung, die im Beitrittsgebiet nach dem Inkrafttreten des sog. Mantelgesetzes der DDR vom 21. Juni 1990 und vor dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland zwischen dem Arbeitgeber und einer Betriebsgewerkschaftsleitung geschlossen worden ist, ist nur wirksam, wenn die Betriebsgewerkschaftsleitung nach demokratischen Grundsätzen i.S. des § 30 Mantelgesetz gewählt worden ist.

 

Normenkette

Verordnung über die Gewährung von Vorruhestandsgeld vom 8. Februar 1990 der DDR § 2; Einigungsvertrag Art. 9 Abs. 2 i.V. mit Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet E Abschn. III Nr. 5; Mantelgesetz der DDR vom 21. Juni 1990 § 30 Nr. 3; Verordnung zu Übergangsregelungen bis zur erstmaligen Wahl der Betriebsräte nach dem BetrVG vom 11. Juli 1990 § 1; BetrVG § 26 Abs. 3, § 77

 

Verfahrensgang

LAG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 14.12.1993; Aktenzeichen 3 (1) Sa 121/93)

ArbG Rostock (Urteil vom 17.12.1992; Aktenzeichen 8 Ca 86/92)

 

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 14. Dezember 1993 – 3 (1) Sa 121/93 – wird zurückgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Vorruhestandsgeld.

Die Kläger waren bis zum 30. September 1990 bei der Schiffswerft N… GmbH in R… beschäftigt. Seit dem 1. Oktober 1990 befinden sie sich im Vorruhestand. Die Kläger erhielten zunächst von ihrem letzten Arbeitgeber monatlich 70 % des letzten durchschnittlichen Nettolohnes nach den Bestimmungen der Verordnung der ehemaligen DDR über die Gewährung von Vorruhestandsgeld vom 8. Februar 1990 (GBl. I S. 42). Später bekamen sie – wie im Einigungsvertrag vorgesehen – entsprechend ihren Anträgen vom 29. November 1990 bzw. 10. Dezember 1990 das Vorruhestandsgeld von der Bundesanstalt für Arbeit, zunächst in Höhe von 65 % der letzten Nettovergütung. Die Beträge wurden 1991 und 1992 nach den Vorschriften des Einigungsvertrages in Verb. mit § 112a AFG angehoben. Unberücksichtigt blieben die Bestimmungen des zwischenzeitlich in Kraft getretenen Gehaltsrahmentarifvertrags für die Metallindustrie Mecklenburg-Vorpommerns.

Im Betrieb der Rechtsvorgängerin der Beklagten fand erstmals am 6. November 1990 eine Betriebsratswahl statt. Zuvor war am 3. August 1990 im damaligen Betrieb eine “Betriebsvereinbarung zur Gewährung von Vorruhestandsgeld” geschlossen worden, die von der Geschäftsführung und – unter der Bezeichnung “Betriebsrat” von einem Vertreter der Betriebsgewerkschaftsleitung, Herrn R… S…, unterzeichnet ist. Darin ist u.a. folgendes bestimmt:

  • Gesetzliche Grundlage:
  • “Verordnung über die Gewährung von Vorruhestandsgeld” vom 8.2.1990 (Gbl. I Nr. 7/S. 42)
  • Durchführungsbestimmung sowie 2. DB zur Verordnung über die Gewährung von Vorruhestandsgeld vom 16.2.1990 bzw. 1.3.1990 (Gbl. I Nr. 12/S. 93).

      • Höhe des Vorruhestandsgeldes

        • Das Vorruhestandsgeld beträgt für Arbeitnehmer, die zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsrechtsverhältnisses

          • vollbeschäftigt waren, 70 Prozent des durchschnittlichen Nettolohnes, mindestens jedoch 500 Mark/Monat. Betrug der durchschnittliche Nettolohn weniger als 500 Mark/Monat, wird das Vorruhestandsgeld in Höhe des bisherigen Nettolohnes gezahlt.

        • Organisatorische Maßnahmen

          • Neuberechnung des Vorruhestandsgeldes,

            wenn im Betrieb Lohnveränderungen gem. § 6 der 5. Durchführungsbestimmung vom 7. März 1985 zur Verordnung über die Berechnung des Durchschnittsverdienstes und über die Lohnzahlung eintreten, die für den Arbeitnehmer bei Fortsetzung seiner Tätigkeit wirksam geworden wären. Das gilt auch für tarifvertragliche Regelungen.

            Diese Betriebsvereinbarung gilt bis zum 31.12.1990 bzw. solange nicht andere gesetzliche Bestimmungen dem entgegenstehen.

Der Betriebsvereinbarung ist unterhalb der Unterschriften folgender Zusatz angefügt:

Die Geschäftsführung der Schiffswerft “N…” GmbH und der Betriebsrat stimmen überein, daß den Kolleginnen und Kollegen, die vor dem 31.12.1990 in den Vorruhestand getreten sind, im Sinne dieser Vereinbarung bis zum Erreichen des Rentenalters durch die Schiffswerft “N…” GmbH die Zahlung des Vorruhestandsgeldes gesichert wird.

Danach folgt wieder unter den Bezeichnungen “Geschäftsführung” und “Betriebsrat” jeweils eine Unterschrift, wobei für den Betriebsrat eine andere Person als Herr S… unterzeichnet hat.

Die Kläger haben gemeint, sie seien bei Fortführung ihrer Tätigkeit in die Gehaltsgruppe 8 des Gehaltsrahmentarifvertrages für die Metallindustrie in Mecklenburg-Vorpommern einzugruppieren gewesen. Die Beklagte sei nach der Betriebsvereinbarung verpflichtet, 70 % dieser fiktiven Nettogehälter abzüglich des von der Bundesanstalt für Arbeit gezahlten Vorruhestandsgeldes zu zahlen. Die Kläger haben hierzu ausgeführt, im Frühjahr 1990 sei die Betriebsgewerkschaftsleitung nach demokratischen Grundsätzen neu gewählt worden. Der unterzeichnende Herr S… sei berechtigt gewesen, die Vereinbarung zu unterschreiben. Nach einer Anerkennungsvereinbarung zwischen der Konzernmutter und dem Rat der Betriebsgewerkschaftsleitungsvorsitzenden könne die Beklagte die demokratische Legitimation der Betriebsgewerkschaftsleitung nicht bestreiten.

Der Kläger zu 1) hat beantragt,

  • die Beklagte zu verpflichten, den Kläger entsprechend dem Lohnrahmentarifvertrag für die Metallindustrie in Mecklenburg-Vorpommern vom 1. April 1991 einzugruppieren und das Vorruhestandsgeld auf der Grundlage des Bruttodurchschnittslohns der letzten 12 Monate entsprechend der Eingruppierung zu errechnen.
  • die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 5.826,64 DM netto zuzüglich 4 % Zinsen auf jeweils 406,77 DM seit dem 1. April 1991, dem 1. Mai 1991, dem 1. Juni 1991, auf je 255,77 DM seit dem 1. Juli 1991, dem 1. August 1991, dem 1. September 1991, dem 1. Oktober 1991, dem 1. November 1991, dem 1. Dezember 1991, auf je 121,77 DM seit dem 1. Januar 1992, dem 1. Februar 1992 und dem 1. März 1992 sowie auf jeweils 440,80 DM seit dem 1. April 1992, dem 1. Mai 1992 und dem 1. Juni 1992, und auf jeweils 276,80 DM seit dem 1. Juli 1992, dem 1. August 1992, dem 1. September 1992, dem 1. Oktober 1992 und dem 1. November 1992 zu zahlen.

Der Kläger zu 2) hat beantragt,

  • die Beklagte zu verpflichten, den Kläger entsprechend dem Lohnrahmentarifvertrag für die Metallindustrie in Mecklenburg-Vorpommern vom 1. April 1991 einzugruppieren und das Vorruhestandsgeld auf der Grundlage des Bruttodurchschnittslohns der letzten 12 Monate entsprechend der Eingruppierung zu errechnen.
  • die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 4.692,64 DM netto zuzüglich 4 % Zinsen auf jeweils 306,77 DM seit dem 1. April 1991, dem 1. Mai 1991, dem 1. Juni 1991, auf je 203,77 DM seit dem 1. Juli 1991, dem 1. August 1991, dem 1. September 1991, dem 1. Oktober 1991, dem 1. November 1991, dem 1. Dezember 1991, auf je 62,77 DM seit dem 1. Januar 1992, dem 1. Februar 1992 und dem 1. März 1992, auf je 381,80 DM seit dem 1. April 1992, dem 1. Mai 1992, dem 1. Juni 1992 und auf je 210,80 DM seit dem 1. Juli 1992, dem 1. August 1992, dem 1. September 1992, dem 1. Oktober 1992 und dem 1. November 1992 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihre jeweiligen Anträge zu Nr. 2 weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Kläger haben unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gegen die Beklagte einen Anspruch auf Vorruhestandsgeld.

I. Die Kläger haben gegen die Rechtsvorgängerin der Beklagten ab 1. Oktober 1990 einen Anspruch auf Zahlung von Vorruhestandsgeld erworben. Dieser Anspruch entstand nach den Normen der DDR-Verordnung über die Gewährung von Vorruhestandsgeld vom 8. Februar 1990 (GBl. I S. 42). Er beruht nicht auf einer schuldrechtlichen Vereinbarung der Parteien.

1. Die Verordnung über die Gewährung von Vorruhestandsgeld vom 8. Februar 1990 sah bis zum Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland für die Begründung des Anspruchs keine Vereinbarung der Werktätigen mit ihrem Betrieb vor. Erfüllten sie die persönlichen, gesundheitlichen und betrieblichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 VO, so mußten sie lediglich einen Antrag an ihren Betrieb richten, um den Anspruch auf Vorruhestandsgeld entstehen zu lassen, § 2 Abs. 2 Satz 1 VO (Senatsurteil vom 9. August 1994 – 9 AZR 199/93 – DB 1995, 636, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Die nach § 5 Abs. 1 der Zweiten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Gewährung von Vorruhestandsgeld vom 1. März 1990 (GBl. I S. 96) vorgeschriebene schriftliche Vereinbarung zwischen Betrieb und Werktätigen hat nur zum Inhalt, die für den entstandenen Anspruch maßgeblichen Umstände zu dokumentieren.

2. Mit dem Inkrafttreten des Einigungsvertrages ist die das Vorruhestandsverhältnis regelnde Rechtsgrundlage der DDR nicht aufgehoben worden. Sie gilt vielmehr für Arbeitnehmer, die bis zum Wirksamwerden des Beitritts die Voraussetzungen der Verordnung erfüllten, mit den fünf Maßgaben der Buchstaben a – e der Anl. II Kap. VIII Sachgeb. E Abschn. III Nr. 5 des Einigungsvertrages weiter. Für die bereits im Vorruhestand befindlichen ehemaligen Arbeitnehmer ermöglichen die Bestimmungen des Einigungsvertrages, auf Antrag das Vorruhestandsgeld von der Bundesanstalt für Arbeit zu beziehen. In diesem Fall tritt ein gesetzlich vorgesehener Schuldnerwechsel ein. An die Stelle eines arbeitsrechtlichen Anspruchs tritt ein sozialrechtlicher Anspruch (Senatsurteil vom 9. August 1994 – 9 AZR 199/93 –, aaO; BSG Urteile vom 1. Juni 1994 – 7 RAr 14/94 –, – 7 RAr 48/93 – und – 7 RAr 118/93 – zur Veröffentlichung bestimmt). Der nach den Bestimmungen der Verordnung vom 8. Februar 1990 begründete Anspruch des Arbeitnehmers gegen seinen früheren Arbeitgeber geht unter (BSG Urteil vom 1. Juni 1994 – 7 RAr 14/94 –). Der bisherige arbeits-rechtliche Schuldner wird von seinen Leistungspflichten frei. So verhält es sich auch bei den Klägern, die von der Möglichkeit des Einigungsvertrages Gebrauch gemacht haben. Die nachfolgenden tariflichen Änderungen in der Vergütung der Arbeitnehmer des ehemaligen Arbeitgebers sind ohne Bedeutung.

II. Die geltend gemachten Ansprüche ergeben sich auch nicht aus der Vereinbarung, die zwischen der Geschäftsführung und der Betriebsgewerkschaftsleitung am 3. August 1990 abgeschlossen und die als Betriebsvereinbarung bezeichnet worden ist. Durch diese Regelung sind keine unmittelbar und zwingend geltenden Rechtsnormen entstanden. Am 3. August 1990 bestand im damaligen Betrieb der jetzigen Beklagten keine Interessenvertretung der Arbeitnehmer, die befugt war, mit dem Arbeitgeber normative Regelungen zu vereinbaren.

1. Es bestand kein Betriebsrat, der nach den mit Wirkung vom 1. Juli 1990 übernommenen Bestimmungen des BetrVG gewählt worden war, § 30 Nr. 3 Mantelgesetz (MTG) der DDR vom 21. Juni 1990 (GBl. I S. 357, 362).

2. Die zu jener Zeit bestehende Betriebsgewerkschaftsleitung war nicht berechtigt, eine Betriebsvereinbarung abzuschließen.

a) Nach § 30 Nr. 3 MTG DDR nahmen die Betriebsräte oder Arbeitnehmervertretungen, die vor dem 31. Oktober 1990 nach demokratischen Grundsätzen von der Belegschaft in geheimer Abstimmung gewählt worden sind, die den Betriebsräten nach dem BetrVG 1972 und anderen Gesetzen zustehenden Rechte und Pflichten wahr.

b) Arbeitnehmervertretungen im Sinne dieser Vorschrift waren auch die gewählten betrieblichen gewerkschaftlichen Interessenvertretungen, die nach demokratischen Grundsätzen in geheimer Abstimmung von der Mehrheit der Belegschaft gewählt worden sind, § 1 der Verordnung zu Übergangsregelungen bis zur erstmaligen Wahl der Betriebsräte nach dem Betriebsverfassungsgesetz vom 11. Juli 1990 (GBl. I S. 715).

c) Die Kläger sind zwar der Darstellung der Beklagten, die Betriebsgewerkschaftsleitung sei vor der “Wende” im Herbst 1989 im Rahmen einer Einheitswahl bestimmt worden, entgegengetreten und haben behauptet, der “Betriebsrat” sei demokratisch legitimiert gewesen, weil im Frühjahr 1990 die Betriebsgewerkschaftsleitung nach demokratischen Grundsätzen neu gewählt worden sei. Dieses Vorbringen ist nicht ausreichend. Den Klägern hat oblegen, im einzelnen vorzutragen, wann ein geheime, unmittelbare, freie, allgemeine und gleiche Wahl aller Betriebsangehörigen im Betrieb der Rechtsvorgängerin der Beklagten stattgefunden hat und welches Ergebnis festgestellt worden ist (BAG Urteil vom 12. November 1992 – 8 AZR 232/92 – AP Nr. 1 zu § 30 MantelG DDR).

d) Der Beklagten ist es nicht verwehrt, die demokratische Legitimation der gewerkschaftlichen Interessenvertretung zu bestreiten, weil sie eine Anerkennungsvereinbarung mit dem Rat der Betriebsgewerkschaftsleitungen abgeschlossen haben soll, wonach die Legitimation der Betriebsgewerkschaftsleitungen akzeptiert wird. Die Wirksamkeit betriebsverfassungsrechtlicher Normen ist von Amts wegen zu prüfen und nicht nur auf Einwand einer Partei. Eine Anerkennungsvereinbarung der Beklagten mit dem Rat der Betriebsgewerkschaftsleitungen kann eine Norm nicht ersetzen.

e) Die Vereinbarung vom 3. August 1990 ist auch deshalb unwirksam, weil sie nicht durch einen hierzu befugten Vertreter unterzeichnet worden ist. Betriebsvereinbarungen sind nach § 77 Abs. 2 BetrVG schriftlich niederzulegen und – soweit sie nicht auf einem Spruch der Einigungsstelle beruhen – von beiden Seiten zu unterzeichnen. Die schriftliche Niederlegung und Unterzeichnung durch die Parteien ist für das Zustandekommen der Betriebsvereinbarung Wirksamkeitsvoraussetzung. Der Betriebsrat oder eine demokratisch legitimierte Arbeitnehmervertretung wird dabei von dem Vorsitzenden und im Fall seiner Verhinderung von dessen Stellvertreter vertreten. Die Kläger haben nicht behauptet, daß Herr Schriever eine dieser Funktionen in der Interessenvertretung ausgeübt hat Die Auffassung der Revision, für einen Übergangszeitraum nach Inkrafttreten des BetrVG dürften keine allzu strengen Anforderungen an die Einhaltung der Formvorschriften des BetrVG gestellt werden, ist unzutreffend. Eine gesetzlichen Grundlage dafür ist nicht ersichtlich. In den Übergangsregelungen des MTG, der dazu ergangenen Verordnungen und dem Einigungsvertrag ist abschließend geregelt, von welchen Rechtsnormen im Interesse einer schnellen Umsetzung übergangsweise abgewichen werden konnte. Dazu gehören nicht die hier in Frage stehenden Vorschriften.

f) Aus den vorstehenden Gründen können die Kläger auch keine Zahlungsansprüche aus dem unter den Unterschriften der “Betriebsvereinbarung” befindlichen Zusatz herleiten.

g) Auf den weiteren Streit der Parteien über die Bedeutung der Betriebsvereinbarung für die geltend gemachte Forderung kommt es daher nicht an.

III.1. Die unwirksame Betriebsvereinbarung kann nicht in eine einzelvertragliche Vereinbarung aller Arbeitnehmer mit dem Arbeitgeber umgedeutet werden. Der Inhalt einer Betriebsvereinbarung kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Inhalt der Einzelverträge der Arbeitnehmer werden (BAG Urteil vom 23. August 1989 – 5 AZR 391/88 – AP Nr. 42 zu § 77 BetrVG 1972). Das setzt jedoch voraus, daß besondere tatsächliche Umstände vorliegen, aus denen die Arbeitnehmer schließen mußten, daß sich der Arbeitgeber über die betriebsverfassungsrechtliche Verpflichtung hinaus für eine bestimmte Leistung einzelvertraglich binden wollte. An die Annahme eines solchen Verpflichtungswillens sind strenge Anforderungen zu stellen. Eine vertragliche Einheitsregelung in Form einer Gesamtzusage anstelle einer unwirksamen Betriebsvereinbarung setzt voraus, daß der Arbeitgeber die Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung kannte und dennoch die darin festgelegten Leistungen gewähren wollte. Will der Arbeitgeber mit den Leistungen lediglich eine vermeintliche kollektiv rechtliche Verpflichtung aus einer Betriebsvereinbarung erfüllen, fehlt es an einem darüber hinausgehenden Bindungswillen.

Die Rechtsvorgängerin der Beklagten wollte stets ihre angeblich normativ geregelte Schuld erfüllen. Tatumstände, aus denen sich ergibt, daß die Rechtsvorgängerin der Beklagten über die aus der für sie verbindlich erscheinenden Betriebsvereinbarung hinaus zusätzliche Leistungen erbringen wollte, sind von den Klägern nicht dargelegt.

2. Die Kläger haben auch keinen Anspruch aufgrund betrieblicher Übung. Zwar können die Regelungen einer nichtigen Betriebsvereinbarung auch kraft betrieblicher Übung Inhalt des Arbeitsvertrags werden. Das setzt jedoch ebenfalls ein Verhalten des Arbeitgebers voraus, aufgrund dessen der Arbeitnehmer darauf vertrauen kann, daß ihm eine Leistung oder Vergünstigung auf Dauer unabhängig vom Normvollzug gewährt werden soll. Auch insofern sind keine Tatsachen vorgetragen, die auf einen entsprechenden Bindungswillen der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin hinweisen.

3. Ein Anspruch der Kläger folgt auch nicht aus den von ihnen behaupteten Äußerungen des Personalbeauftragten E… in den Arbeitnehmerversammlungen vom 29. November 1990 bzw. 10. Dezember 1990. Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts, diesen Erklärungen sei ein Verpflichtungswille nicht zu entnehmen, sondern Herr E… habe nach entsprechenden Fragen lediglich seine Meinung geäußert, hat die Revision nicht gerügt.

4. Die Klage kann letztlich auch deshalb keinen Erfolg haben, weil sie tarifrechtlich unschlüssig ist. Die Kläger haben ihre von der Beklagten bestrittene Auffassung, sie wären in die höhere Gehaltsgruppe 8 einzugruppieren gewesen, wenn sie das Arbeitsverhältnis fortgesetzt hätten, nicht mit Tatsachen belegt. Die Kläger haben nicht einmal dargestellt, welche Tätigkeiten sie vor ihrem Vorruhestand ausgeübt haben. Der Hinweis auf die Aktennotiz des Betriebsrats vom 2. Dezember 1991 ersetzt einen schlüssigen Tatsachenvortrag zu den tariflichen Anspruchsvoraussetzungen nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Leinemann, Düwell, Dörner, Fr. Holze, Schodde

 

Fundstellen

Haufe-Index 870849

BAGE, 205

NZA 1996, 480

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