Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslösung im Baugewerbe

 

Leitsatz (amtlich)

  • Ein gewerblicher Arbeitnehmer des Baugewerbes hat Anspruch auf Auslösung, wenn er (1) auf einer Baustelle tätig wird, die mehr als 25 km vom Betrieb entfernt ist, (2) ihm die tägliche Rückkehr zur Wohnung nicht zugemutet werden kann und (3) hierdurch eine getrennte Haushaltsführung verursacht wird.
  • Die getrennte Haushaltsführung setzt voraus, daß außerhalb des Hauptwohnsitzes eine Einrichtung vorhanden ist, in der der Arbeitnehmer übernachtet und seinen Haushalt führt. Das kann eine Wohnung, ein Campingbus oder möglicherweise auch ein Auto mit Schlafstelle sein.
  • Der Arbeitnehmer ist dafür darlegungs- und beweispflichtig, daß er außerhalb seines Erstwohnsitzes übernachtet hat. Hierzu kann er alle in der Zivilprozeßordnung vorgesehenen Beweismittel verwenden. Dagegen hat der Arbeitgeber keinen eigenen bürgerlich-rechtlichen Anspruch darauf, daß die Übernachtung in bestimmten Formen (z.B. Bestätigung durch Vermieter) nachgewiesen wird.
 

Normenkette

TVG § 1 Tarifverträge: Bau; Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe i.d.F. des Änderungstarifvertrages vom 27. April 1990, § 7 Abs. 4

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 05.07.1991; Aktenzeichen 17 Sa 478/91)

ArbG Düsseldorf (Urteil vom 13.02.1991; Aktenzeichen 4 Ca 5348/90)

 

Tenor

  • Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 5. Juli 1991 – 17 Sa 478/91 – teilweise aufgehoben, soweit es über die Widerklage und die Kosten entschieden hat.
  • Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 13. Februar 1991 – 4 Ca 5348/90 – insoweit abgeändert. Die Widerklage wird abgewiesen.
  • Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
  • Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu 1/6 und die Beklagte zu 5/6 zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger ist seit 1985 bei dem beklagten Bauunternehmen mit Sitz in Düsseldorf als Kampfmittelräumer beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Tarifverträge für das Baugewerbe Anwendung.

Der Kläger hat eine überwiegend von ihm unterhaltene Wohnung in Hamminkeln-Brünen. Am 1. und 2. Oktober 1990 arbeitete er auf der Räumstelle der Beklagten im Staatsforst Reichswald, die mehr als 25 Kilometer vom Betrieb der Beklagten entfernt ist. Der normale Zeitaufwand für den einzelnen Weg von dieser Arbeitsstelle zur Wohnung des Klägers beträgt bei Benutzung des zeitlich günstigsten öffentlichen Verkehrsmittels mehr als 1 ¼ Stunden.

Einziger Auftraggeber des Kampfmittelräumdienstes der Beklagten ist das Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch den Regierungspräsidenten Düsseldorf. Die Beklagte hat mit dem Land Nordrhein-Westfalen einen Selbstkostenerstattungspreis vereinbart. Hiernach erhält die Beklagte die von ihr an ihre Arbeitnehmer im Kampfmittelräumdienst nach dem BRTV-Bau gezahlten Löhne und Nebenleistungen vom Land Nordrhein-Westfalen erstattet. Bei einer Überprüfung der erstatteten Auslösungen gelangte das Land Nordrhein-Westfalen im Jahre 1988 zur Auffassung, daß in zahlreichen Fällen die Voraussetzungen einer getrennten Haushaltsführung nach § 7 Nr. 4.1 BRTV-Bau nicht vorgelegen hätten. Mit Schreiben vom 23. August 1988 hat das Land Nordrhein-Westfalen die Beklagte aufgefordert, bei der Rechnungsstellung der gezahlten Auslösungen für jeden Arbeitnehmer die Anschrift des zweiten Wohnsitzes zu benennen und von den Arbeitnehmern einen Nachweis über die Errichtung eines zweiten Wohnsitzes (Hotelrechnung, Bescheinigung des Vermieters, Mietverträge o. ä.) beizubringen. In den von der Beklagten verwendeten formularmäßigen Anträgen auf Gewährung einer Auslösung wird nunmehr vom Arbeitnehmer die Anschrift des zweiten Wohnsitzes sowie ein Nachweis eines zweiten Wohnsitzes verlangt.

Mit schriftlichem Antrag vom 1. Oktober 1990 verlangte der Kläger für den 1. und 2. Oktober 1990 von der Beklagten Auslösung in der rechnerisch unstreitigen Höhe von 120,60 DM. Die im Antragsformular verlangten Angaben über die Benennung und den Nachweis eines zweiten Wohnsitzes hat der Kläger nicht erbracht.

Der Kläger hat gemeint, ihm stehe die geltend gemachte Auslösung zu, weil das Merkmal der getrennten Haushaltsführung i. S. von § 7 Nr. 4.1 Abs. 3 BRTV-Bau erfüllt sei. Er habe in seinem PKW auf der Arbeitsstelle und damit außerhalb seiner Erstwohnung im Tarifsinne übernachtet. Einen zweiten Wohnsitz müsse er weder benennen noch nachweisen, da dieses keine tarifliche Anspruchsvoraussetzung sei. Soweit das Land Nordrhein-Westfalen von der Beklagten derartige Nachweise verlange, sei dieses für das Arbeitsverhältnis der Parteien ohne Bedeutung.

Der Kläger hat beantragt

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 120,60 DM netto nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung (25. Oktober 1990) zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen und

festzustellen, daß die Beklagte ein Zurückbehaltungsrecht gegenüber geltend gemachten Auslösungsansprüchen des Klägers hat, wenn der Kläger nicht

  • zum Zwecke der Überprüfung der auswärtigen Übernachtung den Ort der Übernachtung angibt sowie den Namen desjenigen, der ihm die Übernachtungsgelegenheit gewährt hat (privater Vermieter, Hotelier u. ä.);
  • eine Bescheinigung desjenigen beifügt, der ihm die Übernachtungsgelegenheit gewährt hat, aus der sich ergibt, daß die fragliche Zeit Übernachtung gewährt worden ist.

Sie hat die Auffassung vertreten, dem Kläger stehe gemäß § 7 Nr. 4.1 BRTV-Bau die Auslösung nur zu, wenn er außerhalb seiner Erstwohnung übernachtet habe. Der Kläger sei damit tariflich verpflichtet, den Ort der Übernachtung nachzuweisen. Zudem erhalte sie die Auslösungen vom Land Nordrhein-Westfalen nur erstattet, wenn sie diesem einen Nachweis über den zweiten Wohnsitz des Arbeitnehmers vorlege. Der Kläger habe daher die arbeitsvertragliche Nebenpflicht, die geforderten Nachweise zu erbringen. Jedenfalls habe sie ein Zurückbehaltungsrecht gegenüber geltend gemachten Auslösungsansprüchen des Klägers, solange dieser den Ort der auswärtigen Übernachtung weder angebe noch nachweise.

Der Kläger hat beantragt, die Widerklage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers hinsichtlich der Klage als unbegründet und hinsichtlich der Widerklage als unzulässig zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag sowie seinen Antrag auf Abweisung der Widerklage weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nur zum Teil begründet. Der Kläger kann von der Beklagten keine Auslösung verlangen. Andererseits steht aber auch der Beklagten gegen den Kläger kein Auskunftsanspruch zu. Insoweit hat das Landesarbeitsgericht die Berufung zu Unrecht als unzulässig zurückgewiesen.

I. Die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf ist zulässig.

1. Das Arbeitsgericht hat den Streitwert für Klage und Widerklage auf 6.120,60 DM festgesetzt. Es hat damit den Wert der Widerklage mit 6.000,-- DM bemessen. Da die Streitwertbemessung aber einen Urteilsbestandteil darstellt, ist sie als Rechtsmittelstreitwert für das Berufungs- und Revisionsgericht bindend (BAGE 44, 13, 19 = AP Nr. 6 zu § 64 ArbGG 1979, zu I 3c, cc der Gründe), es sei denn, daß sie offensichtlich unrichtig ist. Dies ist jedoch bei der Wertfestsetzung auf 6.000,-- DM nicht der Fall. Möglicherweise hat das Arbeitsgericht den Wert nach der Summe der von der Beklagten erhobenen Auskunftsansprüche bewertet, möglicherweise aber auch die Regelsätze des Klägers geschätzt.

2. Die Berufung des Klägers wegen seines Unterliegens gegenüber der Widerklage ist zulässig.

a) Nach § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO, § 64 Abs. 6 ArbGG muß die Berufungsbegründung die bestimmte Bezeichnung der im einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) sowie der neuen Tatsachen, Beweismittel und Beweiseinreden enthalten, die die Partei zur Rechtfertigung ihrer Berufung anzuführen hat. Der Sinn der Begründungspflicht besteht darin, im Interesse der Konzentration des Prozeßstoffes und der sachgerechten Vorbereitung der mündlichen Verhandlung einen Druck auf den Berufungskläger auszuüben, deutlich zu sagen, was ihn an dem Urteil beschwert. Zur Ordnungsmäßigkeit der Berufungsbegründung gehört, daß allein das Durchlesen des erstinstanzlichen Urteils und der Berufungsbegründung genügt, um klarzustellen, welche Angriffe erhoben werden (BAG Urteil vom 20. Juli 1971 – 1 AZR 314/70 – AP Nr. 25 zu § 519 ZPO; BGH Beschluß vom 18. Februar 1981 – IVb ZB 505/81 – AP Nr. 34 zu § 519 ZPO; ständig). Das Arbeitsgericht hat auf mehr als vier Seiten dargelegt, warum es die Widerklage für begründet erachtet. Mit den speziellen Ausführungen zur Widerklage hat sich der Kläger nur in einem einzigen Satz befaßt: Geht man aber nur von den Anspruchsvoraussetzungen des Tarifvertrages aus, ist der Anspruch auf Auslösung des Klägers begründet und automatisch die Widerklage unbegründet. Dies ist im allgemeinen für eine Berufungsbegründung unzulänglich.

b) Die vorstehenden strengen Anforderungen an eine Berufungsbegründung können dann nicht gestellt werden, wenn die Begründetheit eines Anspruches von der Begründetheit eines anderen Anspruches praktisch unmittelbar abhängt oder beide Ansprüche auf dem selben einheitlichen Lebenssachverhalt beruhen und nur verfahrensrechtlich in anderer Gestalt auftreten (BAG Urteil vom 24. März 1977 – 3 AZR 232/76 – AP Nr. 12 zu § 630 BGB, zu III der Gründe; Urteil vom 16. Juni 1976 – 3 AZR 1/75 – AP Nr. 27 zu § 72 ArbGG 1953 Streitwertrevision, zu I 2 der Gründe). So ist die Rechtslage hier. Die von der Beklagten geltend gemachten Auskünftsansprüche werden einredeweise der Klageforderung entgegengesetzt und darüber hinaus weitergehend mit der Widerklage verfolgt. Dies führt zur Zulässigkeit der Berufung auch wegen der Widerklage.

II. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Auslösung gegen die Beklagte nicht zu.

1. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet im Klagezeitraum (1. und 2. Oktober 1990) der Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe vom 3. Februar 1981 i. d. F. vom 27. April 1990 (BRTV-Bau) kraft Allgemeinverbindlichkeit mit unmittelbarer und zwingender Wirkung Anwendung (§ 4 Abs. 1 Satz 1, § 5 Abs. 4 TVG). Für die Klageforderung sind folgende Vorschriften des BRTV-Bau heranzuziehen:

§ 7

Fahrtkostenabgeltung, Verpflegungszuschuß und Auslösung

  • Bau- oder Arbeitsstellen ohne tägliche Heimfahrt

    • Auslösung

      Der Arbeitnehmer, der auf einer Bau- oder Arbeitsstelle tätig ist, die mehr als 25 km vom Betrieb entfernt ist, und dem die tägliche Rückkehr zur Wohnung (Erstwohnung) nicht zuzumuten ist, hat für jeden Kalendertag, an dem die getrennte Haushaltsführung hierdurch verursacht ist, Anspruch auf eine Auslösung.

      Bei dem Arbeitnehmer, der vor einem Einsatz nach Nr. 1 bereits einen getrennten Haushalt führte, gilt der Einsatz nach Nr. 1 als ursächlich für die getrennte Haushaltsführung, wenn er auf einer mindestens 25 km vom Betrieb entfernten Bau- oder Arbeitsstelle tätig ist, und wenn ihm die tägliche Rückkehr weder zu seiner Erstwohnung noch zu seiner beibehaltenen oder aufgegebenen Zweitwohnung zuzumuten ist.

      Das Merkmal der getrennten Haushaltsführung gilt als erfüllt, wenn der Arbeitnehmer die Unterhaltungskosten mindestens einer Wohnung (Erst- oder Zweitwohnung) überwiegend trägt und außerhalb seiner Erstwohnung übernachtet.

      Die tägliche Rückkehr ist nicht zumutbar, wenn der normale Zeitaufwand für den einzelnen Weg von der Wohnung zur Bau- oder Arbeitsstelle bei Benutzung des zeitlich günstigsten öffentlichen Verkehrsmittels oder eines vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten ordnungsgemäßen Fahrzeugs mehr als 1 ¼ Stunden beträgt.

2. Der Kläger erfüllt nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichtes nur einen Teil der Anspruchsvoraussetzungen des Auslösungsanspruches.

a) Der Kläger war im Klagezeitraum unstreitig auf einer Arbeitsstelle tätig, die mehr als 25 km vom Betrieb der Beklagten entfernt war. Die Arbeitsstelle lag im Staatsforst Reichswald, der Betriebssitz in Düsseldorf.

b) Dem Kläger war auch die tägliche Rückkehr zu seiner Wohnung nicht zuzumuten. Nach dem erläuternden Klammerzusatz verstehen die Tarifvertragsparteien unter dem Begriff der Wohnung i. S. des § 7 Nr. 4.1 Abs. 1 BRTV-Bau die Erstwohnung des Arbeitnehmers (BAG Urteil vom 25. September 1991 – 4 AZR 73/91 – AP Nr. 146 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Die Erstwohnung des Klägers ist seine Wohnung in 4236 Hamminkeln-Brünen. Der normale Zeitaufwand für den einzelnen Weg von dieser Wohnung zur Arbeitsstelle im Staatsforst Reichswald beträgt bei Benutzung des zeitlich günstigsten öffentlichen Verkehrsmittels unstreitig mehr als 1 ¼ Stunden. Dem Kläger war daher die tägliche Rückkehr zur Erstwohnung nicht zumutbar i. S. der bindenden tariflichen Begriffsbestimmung gemäß § 7 Nr. 4.1 Abs. 4 BRTV-Bau (vgl. BAG Urteil vom 25. September 1991 – 4 AZR 73/91 – AP Nr. 146 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau).

3. Dagegen erfüllt der Kläger nicht die Voraussetzungen einer getrennten Haushaltsführung.

a) Was unter getrennter Haushaltsführung zu verstehen ist, haben die Tarifvertragsparteien in § 7 Nr. 4.1 Abs. 3 BRTV-Bau verbindlich festgelegt (BAG Urteil vom 25. September 1991 – 4 AZR 73/91 – AP Nr. 146 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Danach gilt das Merkmal der getrennten Haushaltsführung als erfüllt, wenn der Arbeitnehmer die Unterhaltungskosten mindestens einer Wohnung (Erst- oder Zweitwohnung) überwiegend trägt und außerhalb seiner Erstwohnung übernachtet.

Das erste Merkmal ist erfüllt. Der Kläger trägt die Unterhaltungskosten seiner Erstwohnung in Hamminkeln-Brünen unstreitig überwiegend.

b) Der Kläger hat keine Einrichtung unterhalten, an der er außerhalb seiner Erstwohnung übernachtet hat. Nach dem bloßen Wortlaut des Tarifvertrages ist für die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen allein maßgebend, daß der Kläger außerhalb seiner Erstwohnung übernachtet. Nach dem Wortlaut des Tarifvertrages kann auch die Übernachtung in einem PKW die Übernachtung außerhalb der Erstwohnung sein.

Bei der Auslegung von Tarifverträgen ist jedoch nicht nur der reine Tarifwortlaut zu berücksichtigen, sondern auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, weil nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm ermittelt werden kann (BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung). Der Auslösungsanspruch knüpft an eine durch die auswärtige Tätigkeit verursachte getrennte Haushaltsführung an und soll die hierdurch erhöhten Kosten des Arbeitnehmers ausgleichen (BAG Urteil vom 6. Mai 1987 – 4 AZR 590/86 –, n.v.; BAG Urteil vom 25. September 1991 – 4 AZR 73/91 – AP Nr. 146 zu § 1 TVG Tarifverträge:Bau). Dieser Zweck ergibt sich auch aus § 2 des Tarifvertrages über die Auslösungssätze für die gewerblichen Arbeitnehmer des Baugewerbes vom 1. März 1990. Nach ihm ist es “Ersatz für den Mehraufwand für Verpflegung und Übernachtung (Unterkunft) im Sinne der steuerrechtlichen Vorschriften”.

Unter Berücksichtigung der tariflichen Zwecksetzung hat der Senat in seinen früheren Urteilen den Begriff der getrennten Haushaltsführung dahin definiert, daß der Bauarbeiter neben seinem Haushalt am Wohnort auch noch am auswärtigen Arbeitsort einen zweiten Haushalt führen muß, wobei es ausreicht, wenn er dort eine Unterkunft unterhält und sich in der Regel selbst beköstigen muß (BAGE 16, 199 = AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG Urteil vom 14. November 1973 – 4 AZR 78/73 – AP Nr. 17 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAG Urteil vom 6. Mai 1987 – 4 AZR 590/86 –, n.v.). Der Senat hat damit an den im Steuerrecht verwandten Begriff der doppelten Haushaltsführung angeknüpft und diesen für den Tarifbegriff der getrennten Haushaltsführung weitgehend übernommen. Auch im Schrifttum ist weitgehend die Auffassung vertreten worden, daß sich der tarifliche Begriff der doppelten Haushaltsführung mit dem steuerrechtlichen deckt (Brocksiepe/Sperner, Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe, 5. Aufl., Sonderdruck zu §§ 1 und 7, S. 151 f.; Karthaus/Müller, Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe, 2. Aufl., S. 146).

Wenn die Tarifvertragsparteien 1981 die Anspruchsvoraussetzungen für die Auslösung modifiziert haben, so geht die Modifikation jedenfalls nicht soweit, daß von einer Einrichtung, in der der Haushalt außerhalb des Hauptwohnsitzes geführt wird, abgesehen werden kann. Hiervon ist auch der Senat in seiner letzten Entscheidung ausgegangen (BAG Urteil vom 25. September 1991 – 4 AZR 73/91 – AP Nr. 146 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Von einer Einrichtung für eine Übernachtung außerhalb der Erstwohnung mag bei einer festen Wohnung, einem Campingwagen oder möglicherweise auch einem Wagen mit Schlafeinrichtung gesprochen werden.

c) Der Kläger hat nicht nachgewiesen, daß er in einer Einrichtung außerhalb seiner Erstwohnung übernachtet hat. Das Landesarbeitsgericht hat den Kläger als beweisfällig dafür angesehen, daß er in seinem PKW auf der Baustelle übernachtet hat. Die hiergegen erhobenen Verfahrensrügen sind nicht gerechtfertigt.

Die Revision rügt, der Kläger habe dargelegt, daß er außerhalb seiner Erstwohnung übernachtet habe und zum Beweis dafür das Zeugnis seiner Ehefrau angeboten. Diese hätte bei ihrer Zeugenvernehmung bestätigt, daß er außerhalb seiner Erstwohnung übernachtet hätte. Die Revisionsrüge ist unbegründet. Nach § 554 Abs. 3 Nr. 3b ZPO ist in der Revisionsbegründung im einzelnen anzugeben, welche Tatsachen der Kläger im Berufungsrechtsstreit vorgetragen und welche Beweismittel zu welchem Beweisthema angeboten wurden. Der Beweisantritt des Klägers befindet sich bereits in der ersten Instanz. Ob er für die zweite Instanz überhaupt wiederholt wurde, war für das Landesarbeitsgericht nicht ersichtlich, da im Berufungsrechtszug nicht auf das Vorbringen erster Instanz verwiesen worden ist. Überdies hat der Kläger nach dem Inhalt der Sitzungsniederschrift des Landesarbeitsgerichtes auf Befragen durch die Berufungskammer erklärt, “er habe an den hier fraglichen Tagen zwischen dem 1. und 2. Oktober 1990 auf der Baustelle im Reichswald in seinem PKW, einem Orion, übernachtet. Zeugen habe er dafür allerdings nicht”. Bei dieser Sachlage war für das Landesarbeitsgericht nicht erkennbar, daß der Kläger den Antrag auf Vernehmung seiner Ehefrau aus dem erstinstanzlichen Rechtszug aufrecht erhalten wollte, zumal der Beweisantrag nur eine aushäusige Übernachtung beinhaltete.

III. Der Beklagten steht kein Zurückbehaltungsrecht für die Erfüllung von Auslösungsansprüchen zu, bis diese in bestimmten Formen nachgewiesen sind. Dagegen muß der Kläger bei streitigen Auslösungsansprüchen die Anspruchsvoraussetzungen gegenüber dem Arbeitgeber nachweisen.

1. Die Widerklage ist zulässig gemäß § 256 Abs. 1 ZPO. Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, daß das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt wird. Ein Rechtsverhältnis ist dann gegeben, wenn zwischen mehreren Personen oder zwischen Personen und Sachen rechtliche Beziehungen bestehen (BAGE 63, 232, 237 = AP Nr. 6 zu § 611 BGB Berufssport; BAG Urteil vom 27. Juni 1989 – 1 AZR 404/88 – AP Nr. 113 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). Das Bestehen eines Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 Abs. 1 BGB ist ein Rechtsverhältnis in diesem Sinne. Ein Feststellungsinteresse ist zu bejahen. Die Feststellungsklage ist die einzige Möglichkeit der Beklagten, die zwischen den Parteien bestehende rechtliche Ungewißheit über das Bestehen ihres Zurückbehaltungsrechts mit der Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung zu beseitigen. Durch eine Verurteilung Zug um Zug gemäß § 274 Abs. 1 BGB erwächst nur die Feststellung der Leistungspflicht des Schuldners in Rechtskraft, nicht jedoch die Pflicht des Gläubigers zur Gegenleistung (Palandt/Heinrichs, BGB, 50. Aufl., § 274 Rz 1 m. w. N.).

2. Die Widerklage ist unbegründet. Die Beklagte hat kein Zurückbehaltungsrecht gegenüber geltend gemachten Auslösungsansprüchen des Klägers für den Fall, daß der Kläger den Ort der auswärtigen Übernachtung sowie den Namen desjenigen, der ihm die Übernachtung gewährt hat nicht angibt und auch keine Bescheinigung über die Gewährung einer Übernachtung beifügt. Der Anspruch des Klägers auf Bezahlung der Auslösung gemäß § 7 Nr. 4.1 Abs. 1 BRTV-Bau hat nicht zur Voraussetzung, daß der Kläger den Ort der auswärtigen Übernachtung sowie den Namen desjenigen, der ihm die Übernachtungsgelegenheit gewährt hat, angibt oder eine Bescheinigung desjenigen beifügt, der ihm die Übernachtungsgelegenheit gewährt hat.

Dieses Ergebnis ergibt sich auch aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang. Der BRTV kennt verschiedene Regelungen über den Nachweis und die Bestätigungspflicht gegenüber dem Arbeitgeber. Gemäß § 4 Nr. 4 BRTV-Bau muß der Arbeitnehmer in bestimmten Fällen der Arbeitsbefreiung den Grund der Verhinderung “unverzüglich glaubhaft machen”, widrigenfalls der Lohnanspruch entfällt. In § 7 Nr. 3.1 Abs. 2 BRTV-Bau ist bestimmt, daß die “nachgewiesenen Kosten ” für die Fahrt zur Bau- oder Arbeitsstelle erstattet werden. Gemäß § 7 Nr. 3.2 BRTV-Bau erhält der Arbeitnehmer einen Verpflegungszuschuß, wenn er “dem Arbeitgeber schriftlich bestätigt”, daß er ausschließlich aus beruflichen Gründen mehr als zehn Stunden von seiner Wohnung abwesend war. In § 12 Nr. 2 BRTV-Bau ist normiert, daß der Arbeitnehmer eine Freistellung zur Suche einer neuen Arbeitsstelle nur dann erhält, wenn er auf Verlangen des Arbeitgebers diesen den “erforderlichen Nachweis” hierfür erbringt. Für die Bestätigung der doppelten Haushaltsführung ist damit kein Raum.

b) Die Beklagte habe aber auch keine selbständigen Ansprüche auf Bestätigung oder Nachweisung gegen den Kläger. Eine entsprechende Anwendung von § 666 BGB kommt nicht in Betracht. Hiernach ist der Beauftragte verpflichtet, dem Auftraggeber die erforderlichen Nachrichten zu geben, auf Verlangen über den Stand des Geschäftes Auskunft zu erteilen und nach der Ausführung des Auftrages Rechenschaft abzulegen. Die Tarifvertragsparteien haben die Voraussetzungen des Anspruches auf Auslösung jedoch abschließend geregelt.

c) Der Kläger hat auch keinen aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) abgeleitete Pflicht zur Erbringung der Nachweise in bestimmter Form. Wenn das Land Nordrhein-Westfalen von der Beklagten derartige Nachweise verlangt, betrifft dieses ausschließlich das Rechtsverhältnis zwischen der Beklagten und dem Land Nordrhein-Westfalen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien richtet sich aber nach dem BRTV-Bau, welcher besondere Nachweisungen nicht vorsieht.

3. Die Ausführungen des Senates dürfen nicht dahin mißverstanden werden, daß der Senat den Kläger von der Darlegung und dem Beweis der Anspruchsvoraussetzungen für den Auslösungsanspruch freistellt. Es entspricht einem allgemeinen Grundsatz des Zivil und Arbeitsrechtes, daß dann, wenn Ansprüche bestritten werden, die Anspruchsvoraussetzungen dargelegt und nachgewiesen werden müssen. Die Beklagte hat die Anspruchsvoraussetzungen in legitimer Weise bestritten (§ 138 Abs. 4 ZPO), da sie nicht Gegenstand ihrer Wahrnehmung sind. Für den Nachweis sieht die Zivilprozeßordnung hinreichende Beweismittel vor. Insoweit mag der Kläger auch gegenüber seinem Arbeitgeber die ihm geeignet erscheindenden Beweismittel aussuchen. Hierdurch wird er nicht übermäßig belastet; insbesondere wird nicht in seine Intimsphäre eingegriffen, wenn er seinen Übernachtungsort nicht preisgeben will.

 

Unterschriften

Schaub, Bitter, Schneider, Hecker, Dr. Apfel

 

Fundstellen

Haufe-Index 846748

NZA 1993, 851

RdA 1992, 405

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