Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsweg. berufsbezogene Zuwendung. Ballettänzer

 

Leitsatz (amtlich)

Auch nach Änderung der Anl 1 Nr 17 AAÜG durch Art 1 Nr 10 AAÜGÄndG entscheiden über Streitigkeiten betreffend die Gewährung von berufsbezogener Zuwendung an Personen, die beim Ausscheiden aus dem Tänzerberuf Ballettmitglied an einer staatlichen Einrichtung der ehemaligen DDR waren, –  jedenfalls für Zeiten bis zum Eintritt eines Versicherungsfalls in der gesetzlichen Rentenversicherung – nicht die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit, sondern die Gerichte für Arbeitssachen (Weiterentwicklung von BSG SozR 3-8570 § 17 Nr 1).

 

Normenkette

AAÜG § 17; AAÜG Anl. 1 Nr. 17; SGG § 51; ArbGG § 2; GVG § 17a

 

Verfahrensgang

LSG Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 16.06.1994; Aktenzeichen L 1 S (An) 13/94)

SG Magdeburg (Beschluss vom 08.04.1994; Aktenzeichen S 8 S An 2/94)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluß des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 16. Juni 1994 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Beteiligten einander für das Verfahren der Beschwerde und weiteren Beschwerde keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten haben.

 

Tatbestand

I

Im Ausgangsverfahren begehrt die Klägerin im wesentlichen die Fortzahlung der ihr gewährten berufsbezogenen Zuwendung (bbZ) über den 31. Dezember 1991 hinaus. Hier ist zunächst über die Zulässigkeit des von der Klägerin beschrittenen Sozialrechtswegs zu entscheiden.

Die 1941 geborene Klägerin erhielt nach Beendigung ihrer aktiven Tätigkeit als Ballettänzerin am Theater der Beklagten zu 1.) von 1985 an eine bbZ in Höhe von monatlich 387,50 M der DDR (ab Juli 1990 387,50 DM). Grundlage dieser von dem genannten Theater gezahlten Leistung war die vom Ministerium für Kultur der ehemaligen DDR mit Wirkung ab 1. Juli 1983 erlassene “Anordnung über die Gewährung einer berufsbezogenen Zuwendung an Ballettmitglieder in staatlichen Einrichtungen der DDR” (bbZAO 1983). Zum 31. Dezember 1991 wurden die Zahlungen eingestellt.

Dagegen wandte sich die Klägerin mit ihrer am 21. Dezember 1992 beim Sozialgericht Magdeburg (SG) erhobenen Klage. Durch Beschluß vom 8. April 1994 hat das SG den Sozialrechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht (ArbG) Magdeburg verwiesen. Das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (LSG) hat die Beschwerde der Klägerin durch Beschluß vom 16. Juni 1994 zurückgewiesen. Diese Entscheidung beruht im wesentlichen auf folgenden Erwägungen:

Eine Zulässigkeit des Sozialrechtsweges folge nicht aus § 17 des Gesetzes zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets (Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz ≪AAÜG≫), da sich der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch nicht auf eine Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem iS des § 1 Abs 1 AAÜG stützen lasse. Die in Anl 1 Nr 17 AAÜG erwähnte “zusätzliche Altersversorgung der Ballettmitglieder in staatlichen Einrichtungen, eingeführt mit Wirkung vom 1. September 1976” beziehe sich zwar auch auf die bbZAO 1983; die bbZ trage jedoch während der Dauer eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses des früheren Ballettmitglied zu einem Ensemble oder Theater eindeutig die Züge einer arbeitsvertraglich abgesicherten betrieblichen Sonderzuwendung. Erst mit dem Eintritt eines Versicherungsfalls in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV) wandele sich der Charakter der Leistung in eine zusätzliche Altersversorgung. Im Hinblick darauf sei der Rechtsweg zu den Sozialgerichten auch nicht nach der Grundregel des § 51 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eröffnet, welcher das Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit auf dem Gebiet der Sozialversicherung (SV) voraussetze.

Mit ihrer vom LSG zugelassenen Beschwerde an das Bundessozialgericht (BSG) macht die Klägerin weiterhin die Zulässigkeit des Sozialrechtswegs geltend. Insoweit setzt sie sich insbesondere kritisch mit den Gründen des Beschlusses des BSG vom 24. August 1994 – 4 BS 4/93 – (SozR 3-8570 § 17 Nr 1) auseinander. Weiter trägt sie im wesentlichen vor:

Streitigkeiten aufgrund der bbZAO würden – auch unter dem Gesichtspunkt der Effektivität des Rechtsschutzes – insgesamt von § 17 AAÜG erfaßt. Gegen einen arbeitsvertraglichen Charakter der bbZ spreche insbesondere, daß es keine Rolle spiele, wie lange ein Ballettmitglied bei der zur Zahlung verpflichteten Einrichtung beschäftigt gewesen sei. Letztlich sei das Ministerium für die Entscheidung, Kontrolle und Gewährleistung der Mittel, die Einrichtung dagegen für die Planung der Mittel und die regelmäßige Auszahlung der bbZ verantwortlich gewesen. Dabei habe die Einrichtung lediglich aus einem “Durchgangskonto” gezahlt, das die streng zweckgebundenen Mittel für die bbZ enthalten habe. Unter diesen Umständen sei die Bewilligungsentscheidung des Ministeriums für Kultur der ehemaligen DDR als Verwaltungsakt zu qualifizieren, der gemäß Art 19 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag – (EinigVtr) weiter gelte.

Die Beklagten beantragen sinngemäß, die Beschwerde der Klägerin zurückzuweisen. Sie halten die Entscheidungen der Vorinstanzen für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Beschwerde der Klägerin ist zulässig. Ihr Gegenstand ist die Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtsweges zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit iS von § 202 SGG iVm § 17a des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG). Die (weitere) Beschwerde gegen eine diesbezügliche Beschwerdeentscheidung des LSG ist gemäß § 202 SGG iVm § 17a Abs 4 Satz 3 GVG statthaft, wenn sie – wie hier – vom LSG zugelassen worden ist. Nach Maßgabe des entsprechend anwendbaren § 173 SGG (vgl BSG SozR 3-8570 § 17 Nr 1) ist die Beschwerde auch form- und fristgerecht erhoben worden.

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Zulässigkeit des Sozialrechtsweges im Ergebnis zu Recht verneint. Der Rechtsstreit ist zutreffend an das zuständige ArbG Magdeburg verwiesen worden.

Für die gerichtliche Entscheidung über den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Weiterzahlung der bbZ über den 31. Dezember 1991 hinaus ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten nicht gemäß § 17 AAÜG eröffnet. Nach dieser Vorschrift, auf die § 51 Abs 4 SGG allgemein verweist, entscheiden über Streitigkeiten aufgrund des AAÜG die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit. Das AAÜG gilt für Ansprüche und Anwartschaften, die aufgrund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind (vgl § 1 Abs 1 AAÜG), wobei gemäß § 1 Abs 2 AAÜG Zusatzversorgungssysteme die in Anl 1 AAÜG genannten Systeme sind. Nach der Nr 17 dieser Anlage idF des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des AAÜG (AAÜG-Änderungsgesetz ≪AAÜG-ÄndG≫) vom 11. November 1996 (BGBl I S 1674) gehört dazu auch die “zusätzliche Altersversorgung der Ballettmitglieder im Rahmen der Anordnung über die Gewährung einer berufsbezogenen Zuwendung an Ballettmitglieder in staatlichen Einrichtungen der DDR, eingeführt mit Wirkung vom 1. September 1976”. Diese Regelung kann nicht Grundlage des hier streitigen Anspruchs sein.

Durch die rückwirkend zum 1. August 1991 in Kraft getretene Änderung der Anl 1 Nr 17 AAÜG (vgl Art 7 Abs 2 AAÜG-ÄndG) ist zum einen klargestellt, daß Ansprüche und Anwartschaften nach der bbZAO 1983 überhaupt in das AAÜG einbezogen werden sollten (vgl dazu auch § 5 Abs 1 Satz 3 AAÜG neuer Fassung ≪nF≫). Damit erscheinen die diesbezüglichen Zweifel des 4. Senats des BSG (vgl BSG SozR 3-8570 § 17 Nr 1) als ausgeräumt. Zum anderen geht aus der Neufassung jedoch hervor, daß als Zusatzversorgungssystem iS des AAÜG nicht das durch die bbZAO begründete Zuwendungssystem für Ballettmitglieder in seiner Gesamtheit, sondern nur die “im Rahmen” der bbZAO vorgesehene “zusätzliche Altersversorgung” erfaßt worden ist, also Ansprüche und Anwartschaften auf Leistungen, die aufgrund der bbZAO nach Eintritt eines Versicherungsfalls in der SV “zusätzlich” zu den allgemeinen Alters- und Invalidenrenten zu gewähren waren (vgl dazu § 4 Abs 4 bbZAO 1983). Daß sich Anl 1 Nr 17 AAÜG nicht auch auf bbZ vor Eintritt eines Versicherungsfalls der SV bezieht, ergibt sich nicht zuletzt aus dem Fehlen einer speziellen Regelung für diese Art von bbZ im AAÜG. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber des AAÜG-ÄndG durch die Ergänzung des § 5 Abs 1 AAÜG zum Ausdruck gebracht, daß es im wesentlichen um die Berücksichtigung von Zeiten der Zugehörigkeit zu dem durch die bbZAO eingeführten Versorgungssystem bei der Berechnung von Renten nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) geht (vgl dazu die Gesetzesbegründung, BT-Drucks 13/4587, S 9). Da das Klagebegehren im vorliegenden Fall gerade die Gewährung von bbZ vor Eintritt eines Versicherungsfalls der SV betrifft, handelt es sich somit nicht um eine Streitigkeit aufgrund des AAÜG iS von § 17 AAÜG.

Auch die Generalklausel des § 51 Abs 1 SGG erlaubt keine Bejahung des Sozialrechtsweges (ebenso BSG SozR 3-8570 § 17 Nr 1). Nach dieser Vorschrift entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der SV, der Arbeitslosenversicherung und der übrigen Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit sowie der Kriegsopferversorgung. Insoweit kommt es auf die wirkliche Natur des Rechtsverhältnisses an, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (vgl Meyer-Ladewig, SGG mit Erl, 5. Aufl, § 51 RdNr 1a mwN). Maßgebend ist dabei hier der Rechtszustand im Zeitpunkt der streitigen Einstellung der bbZ (zum 31. Dezember 1991), also das Recht der Bundesrepublik Deutschland. Unbeachtlich sind dagegen die Verhältnisse in der ehemaligen DDR, soweit sie nicht nach dem am 31. Dezember 1991 geltenden Recht zu berücksichtigen sind.

Gemäß EinigVtr Anl II Kap VIII H III Nr 6 ist die bbZAO 1983 mit bestimmten Maßgaben in Kraft geblieben. Sie gilt für alle Tänzerinnen und Tänzer, die ihre Tätigkeit aus alters-, berufsbedingten oder gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben konnten und die sich in einem Arbeits- bzw Dienstverhältnis zu einem Theater, staatlichen Ensemble bzw zum Fernsehen der DDR befanden, die dem Ministerium für Kultur, dem Ministerium für nationale Verteidigung, dem staatlichen Komitee für Fernsehen der DDR sowie den Räten der Bezirke, Kreise oder Städte unterstanden (vgl § 1 bbZAO 1983). Nach § 2 Abs 1 bbZAO 1983 erhalten alle Ballettmitglieder nach endgültigem Ausscheiden aus dem Tänzerberuf eine bbZ, die nicht der Besteuerung und der Beitragspflicht zur SV unterliegt. Die Inanspruchnahme der bbZ setzt voraus, daß das ausscheidende Ballettmitglied das 35. Lebensjahr vollendet hat und den Tänzerberuf mindestens 15 Jahre auf der Grundlage eines Arbeitsverhältnisses als Ballettmitglied, unabhängig vom Qualifikationsgrad, ausgeübt hat (vgl § 3 Abs 1 bbZAO 1983). Die bbZ kann gemäß § 3 Abs 2 Satz 1 bbZAO 1983 auch vor Vollendung einer 15-jährigen Berufsausbildung gewährt werden, wenn aus medizinischen Gründen, die durch ein fachärztliches Gutachten einer staatlichen Gesundheitseinrichtung zu bestätigen sind, der Tänzerberuf nicht mehr ausgeübt werden kann.

Bei der hier streitigen bbZ, die bis zum Eintritt eines Versicherungsfalls der SV von der Einrichtung zu zahlen ist, von der das Ballettmitglied bei Ausscheiden aus dem Tänzerberuf in einem Arbeitsverhältnis gestanden hat (vgl § 4 Abs 1 bbZAO 1983), handelt es sich um eine Leistung besonderer Art, die im Recht der Bundesrepublik Deutschland keine Parallele hat. Mithin erscheint eine Anknüpfung an einen der von § 51 Abs 1 SGG erfaßten Sozialleistungsbereiche nicht möglich. Weder findet sich in den §§ 1 ff, 18 ff des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) ein Hinweis auf die bbZ, noch wird sie in § 33 SGB VI als eine Rentenart der gesetzlichen RV aufgeführt. Auch nach allgemeinen Kriterien läßt sich die bbZ nicht der SV – dieser Bereich kommt von den in § 51 SGG aufgeführten am ehesten in Betracht – zuordnen. Denn es fehlt an einem Versicherungsverhältnis, das typischerweise mit Beitragsleistungen verbunden ist. Schon aus diesem Grunde kann der vorliegende Rechtsstreit nicht unter § 51 SGG subsumiert werden.

Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, daß EinigVtr Anl II Kap VIII unter den Sachgebietsüberschriften “Sozialversicherung (Allgemeine Vorschriften)” und “Gesetzliche Rentenversicherung” Regelungen enthält, die sich auf die bbZ beziehen. Die Gliederungssystematik des EinigVtr stellt ihrer Natur nach keine Regelung dar, durch die bestimmte Materien dem einen oder anderen Rechtsgebiet verbindlich zugeordnet werden. Vielmehr hat sie lediglich eine Ordnungsfunktion, verdankt sie doch ihr Entstehen weniger rechtssystematischen Überlegungen als vielmehr Gesichtspunkten der Praktikabilität. Auch die betreffenden Bestimmungen in EinigVtr Anl II Kap VIII selbst lassen nicht den Schluß zu, daß die bbZAO dem Recht der SV (Teilbereich gesetzliche RV) eingegliedert werden sollte.

Nach EinigVtr Anl II Kap VIII F III Nr 8 bleibt das Gesetz zur Angleichung der Bestandsrenten an das Nettorentenniveau der Bundesrepublik Deutschland und zu weiteren rentenrechtlichen Regelungen – Rentenangleichungsgesetz (RAnglG-DDR) – vom 28. Juni 1990 (GBl I Nr 38 S 495) mit bestimmten (hier nicht bedeutsamen) Maßgaben in Kraft. Dies gilt auch für § 33 RAnglG-DDR, wonach bbZen für Ballettmitglieder sowie aus betrieblichen Mitteln gezahlte Renten oder Pensionen in DM weitergezahlt werden. Bereits die Stellung dieser Bestimmung im 7. Abschnitt des Gesetzes, der die Überschrift “Weitere Sonderregelungen” trägt, zeigt, daß auch der Gesetzgeber des RAnglG-DDR die bbZ nicht zum Bereich der gesetzlichen RV gerechnet hat. Hinzu kommt, daß er sie in einer Bestimmung mit Renten zusammengefaßt hat, die “aus betrieblichen Mitteln” gezahlt werden, also nach bundesdeutschen Begriffen eher arbeitsrechtlichen Charakter haben.

EinigVtr Anl II Kap VIII H III Nr 6 wiederum regelt im wesentlichen die Fortgeltung der bbZAO. Dabei spricht der Umstand, daß nach Buchst b dieser Vorschrift von der bbZAO für die Zeit bis zum 31. Dezember 1991 durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung abgewichen werden kann, ebenfalls deutlich gegen eine Zugehörigkeit der bbZAO zur gesetzlichen RV, da dieser eine Abänderbarkeit ihres (öffentlich-rechtlichen) Normenbestandes durch kollektivvertragliche Instrumente des Arbeitsrechts wesensfremd ist (vgl dazu auch Bundesarbeitsgericht ≪BAG≫ AP Nr 26 zu § 2 ArbGG 1979).

Ist nach alledem der Sozialrechtsweg nicht gegeben, so hat das SG den Rechtsstreit gemäß § 17a Abs 2 Satz 1 GVG zutreffend an das zuständige ArbG Magdeburg verwiesen.

Gemäß § 2 des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG) sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig ua für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern “aus dem Arbeitsverhältnis” (§ 2 Abs 1 Nr 3 Buchst a ArbGG), “aus … Nebenwirkungen” des Arbeitsverhältnisses (§ 2 Abs 1 Nr 3 Buchst c ArbGG) und “über Ansprüche, die mit dem Arbeitsverhältnis in rechtlichem oder unmittelbar wirtschaftlichem Zusammenhang stehen” (§ 2 Abs 1 Nr 4 Buchst a ArbGG). Aufgrund dieser umfassenden Rechtswegzuweisung gehört auch das vorliegende Verfahren vor die ArbG, da der geltend gemachte Anspruch auf bbZ zumindest mit dem Arbeitsverhältnis der Klägerin in rechtlichem und unmittelbar wirtschaftlichem Zusammenhang steht (ebenso BSG SozR 3-8570 § 17 Nr 1).

Allerdings greift § 2 Abs 1 ArbGG nach seinem ausdrücklichen Inhalt nur bei bürgerlichrechtlichen Streitigkeiten ein, während für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten – mangels einer anderweitigen Rechtswegzuweisung – gemäß § 40 Abs 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) der (allgemeine) Verwaltungsrechtsweg gegeben ist. Es ist der Klägerin einzuräumen, daß die Zuordnung der in einem anderen Rechtssystem (nämlich dem der ehemaligen DDR) ergangenen bb ZAO zum bürgerlichen oder öffentlichen Recht der Bundesrepublik Deutschland gewisse Schwierigkeiten bereitet (vgl dazu auch BAG AP Nr 26 zu § 2 ArbGG 1979). Einerseits handelt es sich um eine durch ein staatliches Ministerium getroffene, sozial motivierte Regelung zugunsten von Privatpersonen (was auf einen öffentlich-rechtlichen Charakter hindeuten könnte), andererseits bezieht sie sich nach Leistungsvoraussetzungen und Höhe auf Arbeitsverhältnisse von Ballettmitgliedern in staatlichen Einrichtungen (was eine Qualifizierung als privatrechtlich, dh arbeitsrechtlich, nahelegt). Nach Auffassung des erkennenden Senats überwiegen die rechtlich bedeutsamen Elemente, die für eine arbeitsrechtliche Rechtsnatur der hier streitigen bbZ sprechen.

Dabei ist zu berücksichtigen, daß staatliche Regelungen, die dem Arbeitgeber unmittelbar gegenüber dem Arbeitnehmer besondere Pflichten auferlegen, grundsätzlich zum Arbeitsrecht gehören (vgl zB das Entgeltfortzahlungsgesetz). Dies gilt auch für die bbZ, da sie nach § 4 Abs 1 bbZAO 1983 (bis zum Eintritt eines Versicherungsfalls in der SV) von der Einrichtung zu zahlen ist, zu der das Ballettmitglied bei Ausscheiden aus dem Tänzerberuf in einem Arbeitsverhältnis stand. Wenn es insoweit weder auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit bei der konkreten Einrichtung noch unbedingt auf die dort erzielte Gage (sondern auf die fünf verdienstgünstigsten Jahre) ankommt, so entspricht diese leistungsrechtliche Gleichsetzung aller staatlichen Einrichtungen dem Gedanken des Einheitsstaates der ehemaligen DDR. Ebenso kommt in der Beschränkung der bbZ auf Ballettmitglieder in staatlichen Einrichtungen gerade nicht eine allgemeine soziale (öffentlich-rechtliche) Fürsorge für bedürftige Bevölkerungskreise, sondern eine spezielle (arbeitsrechtliche) Fürsorge des Staates in einer weit verstandenen Funktion als (unmittelbarer oder mittelbarer) Arbeitgeber zum Ausdruck. Dieser Gesichtspunkt wird auch durch die Mitwirkung des Zentralverbandes der Gewerkschaft Kunst bei der Entstehung der bbZAO 1983 unterstrichen.

Soweit die Klägerin dazu geltend macht, letztlich sei das Kultusministerium der ehemaligen DDR für die Bewilligung ihrer bbZ sowie für die Bereitstellung der erforderlichen Mittel verantwortlich gewesen, ist diesem Vorbringen bereits deshalb nicht weiter nachzugehen, weil es sich im wesentlichen auf Verhältnisse bezieht, die für die Beurteilung des im Dezember 1991 vorliegenden Rechtszustandes ohne Bedeutung sind. Jedenfalls kann nicht davon ausgegangen werden, daß die bbZ durch einen nach Art 19 EinigVtr fortgeltenden Verwaltungsakt bewilligt worden ist. Abgesehen davon, daß die angeführten Umstände nicht ausreichen, um die bbZAO 1983, soweit es um die hier streitige bbZ vor Eintritt eines Versicherungsfalls in der SV geht, iS von § 31 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) dem öffentlichen Recht zuzurechnen (vgl BSG SozR 3-8750 § 17 Nr. 1), ist nicht ersichtlich, daß die entsprechenden Entscheidungen des Ministeriums auf unmittelbare Rechtswirkung gegenüber der Klägerin gerichtet gewesen sein könnten. Auch in diesem Zusammenhang ist die weitreichende Arbeitgeberfunktion des Staates und das zentralistische Verwaltungssystem in der ehemaligen DDR in Betracht zu ziehen.

Selbst wenn dem Theater der Beklagten zu 1.) in der Zeit ab 3. Oktober 1990 die zur Auszahlung der bbZ an die Klägerin benötigten Mittel aus dem Haushalt der Beklagten zu 2.) zur Verfügung gestellt worden sein sollten, würde dies an der arbeitsrechtlichen Qualifizierung der Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagten nichts ändern. Denn dadurch wäre das Theater – oder die Beklagte zu 1.) als dessen Trägerin – nicht zu einer bloßen Zahlstelle für staatliche Leistungen geworden. Entscheidend ist nämlich, daß nach der Konzeption der bbZAO 1983 (bis zum Eintritt eines Versicherungsfalls in der SV) im Verhältnis zum ehemaligen Ballettmitglied der letzte Arbeitgeber zahlungspflichtig ist (vgl § 4 Abs 1 und 4 bbZAO 1983). Die finanziellen Mittel für die Gewährung der bbZ sind gemäß § 4 Abs 5 bbZAO 1983 im Haushaltsplan der betreffenden Einrichtung vorzusehen. Auf welche Weise dieser Haushaltsplan wiederum finanziert wird, läßt das arbeitsrechtliche Verhältnis zwischen der Einrichtung und dem ausgeschiedenen Ballettmitglied und damit die Rechtsnatur des Anspruchs auf bbZ unberührt.

Ist nach alledem der Arbeitsrechtsweg eröffnet, so ist für die erstinstanzliche Entscheidung über die Klage das ArbG berufen (vgl § 8 Abs 1 ArbGG). Örtlich zuständig ist insoweit das Gericht, bei dem die Beklagten ihren Sitz haben bzw in dessen Bezirk der Erfüllungsort liegt (vgl § 46 Abs 2 ArbGG iVm §§ 12, 17, 29 der Zivilprozeßordnung ≪ZPO≫), also das ArbG Magdeburg (vgl Art 1 Abs 3 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt vom 16. Juli 1992 ≪GVBl LSA S 600≫; § 1 Abs 1, § 2 Abs 1 Nr 4 des Gesetzes über die Gerichte für Arbeitssachen vom 23. August 1991 ≪GVBl LSA S 287≫ idF des Gesetzes vom 27. April 1994 ≪GVBI LSA S 549≫).

Da § 17b Abs 2 GVG für die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht gilt (vgl Baumbach/Lauterbach/Albers, ZPO mit GVG, 54. Aufl, § 17b GVG Anm 2), haben darüber – anders als vom LSG angenommen – die Rechtsmittelgerichte zu befinden. Insoweit beruht die Kostenentscheidung auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 955639

Breith. 1997, 825

SozSi 1997, 399

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe TVöD Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge