Entscheidungsstichwort (Thema)

Schadensersatz bei mangelhaftem Zahnersatz. Zuständigkeit der Kassenzahnärztlichen Vereinigung

 

Leitsatz (amtlich)

Zum Schadensersatzanspruch einer Ersatzkasse wegen Mängeln bei der prothetischen Versorgung.

 

Orientierungssatz

Die Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZÄV) ist insbesondere auch für die Feststellung von Schadensersatzansprüchen einer Vertragskasse gegen den Vertragszahnarzt wegen Verletzung von Pflichten aus dem ZÄErsKVtr zuständig (vgl BSG vom 10.4.1990 - 6 RKa 11/89 = SozR 3-5555 § 12 Nr 1).

 

Normenkette

EKV-Z § 12 Abs 6; BGB § 628 Abs 2, § 611

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 02.08.1989; Aktenzeichen L 5 Ka 25/86)

SG Hannover (Entscheidung vom 25.06.1986; Aktenzeichen S 21 Ka 331/84)

 

Tatbestand

Die Beklagte will das Konto des Klägers mit einem Betrag in Höhe des gezahlten Zuschusses zu den Kosten für Zahnersatz belasten. Den Zahnersatz hatte der Kläger im Herbst 1980 bei der Patientin L., einer Versicherten der Beigeladenen, eingegliedert. Die Patientin hatte danach über Zahnschmerzen geklagt und sich schließlich in die Behandlung des Zahnarztes Dr. F. begeben. Der von der Beigeladenen eingeschaltete Zahnarzt Dr. M. kam in seinem Gutachten vom 21. Mai 1981 zu dem Ergebnis, daß die vom Kläger eingesetzte Prothetik nicht funktionstüchtig sei und im wesentlichen neu gemacht werden müsse. Im Zivilrechtsstreit wurde der Kläger verurteilt, seiner Patientin L. ihren Eigenanteil für die Oberkieferprothese und die Anhängerprothese im Unterkiefer zurückzuzahlen. Die Beklagte entschied, daß sie das Konto des Klägers mit dem Kassenanteil für diese Leistungen in Höhe von 5.761,95 DM sowie den Gutachterkosten von 83,64 DM belasten werde (Bescheid vom 28. Juni 1984; Widerspruchsbescheid des Vorstandes der Beklagten vom 31. Oktober 1984).

Die dagegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat dagegen die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Es hat ausgeführt, die Beklagte sei für die streitige Entscheidung nicht zuständig gewesen. Geltend gemacht werde hier ein Anspruch auf Ersatz des sonstigen Schadens. Dafür seien die Prüfeinrichtungen zuständig. Dies folge aus dem Gesamtzusammenhang des Ersatzkassenvertrages zwischen der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZÄBV) und dem Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. sowie dem Verband der Arbeiter-Ersatzkassen e.V. (Zahnarzt/Ersatzkassenvertrag -ZEKV-).

Mit der Revision macht die Beklagte geltend, ihre Zuständigkeit ergebe sich aus § 12 Abs 6 ZEKV. Es handele sich hier nicht um eine Wirtschaftlichkeitsprüfung.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 2. August 1989 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 25. Juni 1986 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und sich den Ausführungen der Beklagten angeschlossen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist im Sinn der Zurückverweisung begründet.

Zutreffend hat das LSG die Statthaftigkeit der Berufung angenommen. Sie ergibt sich aus § 143 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Aus den Vorschriften der §§ 144 bis 149 SGG folgt nichts anderes. Der Anspruch des Klägers richtet sich nicht auf eine einmalige Leistung iS des § 144 Abs 1 Nr 1 SGG, denn die Bestimmung erfaßt nur Ansprüche einzelner gegen Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts. Im vorliegenden Fall geht es hingegen um einen Anspruch gegen den klagenden Vertragszahnarzt. Die Berufung ist auch nicht nach § 149 SGG ausgeschlossen, weil jedenfalls der Beschwerdewert 1.000,-- DM übersteigt.

Die angefochtenen Bescheide können rechtmäßig sein. Entgegen der Rechtsauffassung des LSG war die Beklagte für die Entscheidung über den Zahlungsanspruch zuständig. Dies gilt unabhängig von der Rechtsgrundlage des Anspruchs der Beklagten, nämlich unabhängig davon, ob es sich bei der Forderung auf Zahlung von 5.845,59 DM um einen Schadensersatz- oder einen Erstattungsanspruch handelt.

Insbesondere ist die Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZÄV) auch zuständig für die Feststellung von Schadensersatzansprüchen einer Vertragskasse gegen den Vertragszahnarzt wegen Verletzung von Pflichten aus dem ZEKV (BSG SozR 3-5555 § 12 Nr 1). Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte hier einen Schadensersatzanspruch der beigeladenen Vertragskasse oder ob sie einen eigenen Anspruch geltend gemacht hat, denn für den letzteren wäre ihre Zuständigkeit wie für den Erstattungsanspruch nicht zweifelhaft. Aus den Bestimmungen des ZEKV ergibt sich für die Feststellung des Anspruchs auf Ersatz eines Schadens der hier streitigen Art insbesondere keine ausschließliche Zuständigkeit der Prüfungseinrichtungen. Der Senat läßt lediglich offen, ob auch diese dafür einmal im Rahmen des § 14 ZEKV zuständig sein können - ein Verfahren nach § 14 ZEKV hat hier jedenfalls nicht stattgefunden.

Die geltend gemachte Forderung auf Zahlung von 5.845,59 DM kann zu Recht bestehen. Allerdings kann sie nicht auf einen Erstattungsanspruch (§ 50 Abs 1 Sozialgesetzbuch, Verwaltungsverfahren, - SGB X -) gestützt werden. Die Zahlung des Kassenanteils beim Zahnersatz an den Zahnarzt nach § 10 ZEKV aF erfolgt wie allgemein die Honorarzahlung durch Verwaltungsakt (vgl Urteil des Senats vom 9. Mai 1990 - 6 RKa 5/89 -). Diesen Verwaltungsakt hat die Beklagte nicht aufgehoben. Im angefochtenen Verwaltungsakt wird der Honorarbescheid nicht erwähnt. Für eine dahingehende Auslegung fehlt es an der gemäß § 33 Abs 1 SGB X erforderlichen Bestimmtheit des Verwaltungsakts. Zwar ist das Bundessozialgericht (BSG) in mehreren Entscheidungen davon ausgegangen, daß in der Geltendmachung eines Rückforderungsanspruchs regelmäßig auch gleichzeitig die entsprechende Rücknahme des bewilligenden Verwaltungsaktes zu sehen ist (BSGE 48, 120, 122 = SozR 4100 § 152 Nr 9; BSGE SozR 1500 § 144 Nr 25). Die Entscheidungen sind aber zu Sachverhalten ergangen, die nicht nach dem SGB X zu beurteilen waren. Im Urteil vom 10. März 1987 (SozR 1300 § 50 Nr 15) hat der 3. Senat es als möglich angesehen, die zum alten Recht vorgenommene Auslegung trotz des § 33 Abs 1 und des § 39 Abs 1 Satz 2 SGB X bei einem Rückforderungsbescheid nach § 50 Abs 1 SGB X weiterhin zu vertreten. Der Senat hat aber eine solche Auslegung im zu entscheidenden Fall abgelehnt, weil die Verwaltung die Rückforderung ausdrücklich auf § 50 Abs 2 SGB X gestützt hatte und deshalb nicht von einem leistungsbewilligenden Verwaltungsakt ausgegangen sei. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Die angefochtenen Bescheide sind zwar nicht auf § 50 Abs 2 SGB X gestützt. Ihnen kann aber keinerlei Hinweis auf einen bewilligenden Verwaltungsakt entnommen werden.

Die Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid einen Schadensersatzanspruch geltend gemacht. Allerdings hat sie über die Abbuchung des Kassenanteils entschieden, den sie dem Kläger gezahlt hatte. Damit hat sie sich aber nicht dem Grunde nach auf einen Erstattungsanspruch festgelegt. Ob die dem Kläger für den Zahnersatz gezahlte Vergütung dem Schaden entspricht, ist eine Frage der Begründetheit des Schadensersatzanspruchs.

Der Ersatzkasse steht ein Ersatzanspruch gegen den Vertragszahnarzt zu, wenn dieser Pflichten aus dem ZEKV schuldhaft verletzt und dadurch einen Schaden der Kasse verursacht (BSG SozR 3-5555 § 12 Nr 1). Es kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob und in welchem Umfang neben dem Anspruch der Ersatzkasse ein Schadensersatzanspruch der KZÄV gegeben sein kann, denn dieser würde von den gleichen Voraussetzungen abhängen wie der Anspruch der Kasse und könnte jedenfalls nicht höher sein als jener.

Der Schadensersatzanspruch ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Beklagte dem Kläger die Vergütung für den Zahnersatz zu Recht gezahlt hat. Da die Beklagte das Honorar für die Leistungen des Vertragszahnarztes aufgrund eines Verwaltungsakts zahlt und der Verwaltungsakt über die Vergütung für den Zahnersatz bei der Patientin L. nicht aufgehoben ist, ist der Leistungsbezug des Klägers rechtmäßig (vgl BSGE 62, 32, 43 = SozR 4100 § 71 Nr 2). Der Schadensersatzanspruch läßt aber den Vergütungsanspruch des Klägers unberührt. Allerdings wird für den Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung nach § 325 BGB die Meinung vertreten, der Wert der dem Gläubiger an sich obliegenden Gegenleistung sei von vornherein bei der Berechnung des Schadensersatzanspruchs abzuziehen - Differenztheorie - (Staudinger/Otto, Kommentar zum BGB 12. Aufl § 325 RdNr 32). Nach dieser Theorie geht es aber nur um die Gegenüberstellung der für die Schadenshöhe maßgebenden Rechnungsposten, nicht um die rechtliche Aufhebung von Leistungspflichten. Deshalb kommt eine Differenzberechnung nicht in Betracht, wenn die Gegenleistung bereits bewirkt ist; der Schadensersatz nach § 325 BGB richtet sich nach dem vollen Wert der unmöglich gewordenen Leistung (Staudinger/Otto aaO RdNr 35).

Die Feststellungen des LSG reichen aber für eine abschließende Entscheidung über die Klage nicht aus. Als Anspruchsgrundlage kommt die dienstvertragsrechtliche Bestimmung des § 628 Abs 2 BGB in entsprechender Anwendung in Betracht. Bei dem auf zahnprothetische Behandlung gerichteten Vertrag ist zu unterscheiden zwischen der handwerklich-technischen Fertigung des Zahnersatzes und den übrigen Tätigkeiten von der Verordnung bis zur Eingliederung des Zahnersatzes in den Mund; diese sind typische zahnärztliche Tätigkeiten auf der Grundlage medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse (BSGE 25, 116, 118). Der Vertrag ist grundsätzlich Dienstvertrag, nur die Gewährleistung für die technische Herstellung der Prothese richtet sich nach dem Recht des Werkvertrages (BGH NJW 1975, 305, 306; Könning VersR 1989, 223 mwN). Im vorliegenden Fall kann davon ausgegangen werden, daß es sich bei den vom LSG festgestellten Mängeln nicht um rein handwerklich-zahntechnische Mängel handelt. Das LSG hat, von seinem Standpunkt aus zu Recht, zu den Voraussetzungen des § 628 Abs 2 BGB keine Feststellungen getroffen. Zwar kann im vorliegenden Fall davon ausgegangen werden, daß das Verhalten der Versicherten - wie auch das Oberlandesgericht angenommen hat - als Kündigung zu werten ist. Die bloße Feststellung des LSG, die Arbeitsergebnisse des Klägers seien mit Mängeln behaftet gewesen, genügt aber nicht. Durch schuldhaft vertragswidriges Verhalten des Dienstverpflichteten ist die Kündigung des anderen Teils nur veranlaßt, wenn das Verhalten das Gewicht eines wichtigen Grundes iS des § 626 BGB hat (Palandt/Putzo, Kommentar zum BGB 49. Aufl § 628 Anm 3 a).

Der Senat läßt dahingestellt, ob die Schadensersatzforderung der Beigeladenen auch auf die Grundlage eines Anspruchs aus positiver Vertragsverletzung gestützt werden könnte. Im vorliegenden Fall würde dieser Anspruch die gleichen Feststellungen des LSG voraussetzen, die für den Anspruch aus § 628 Abs 2 BGB erforderlich sind. Die Beklagte macht einen Schaden geltend, der darin besteht, daß die Beigeladene ihrer Versicherten den Zuschuß zu einem vollständig neuen Zahnersatz gewähren muß. Dazu könnte aber die Beigeladene nur verpflichtet gewesen sein, wenn das Arbeitsergebnis des Klägers vollständig unbrauchbar und eine Nachbesserung nicht möglich oder der Versicherten nicht zumutbar gewesen wäre. Das hätte dann aber gleichzeitig auch einen wichtigen Grund zur Kündigung ergeben.

Die Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid einen Betrag in Höhe des Kassenanteils gefordert, den sie dem Kläger für den Zahnersatz gezahlt hatte. Der Beigeladenen kann ein Betrag in dieser Höhe als Schadensersatz zustehen. Ein Schadensersatzanspruch kann allerdings höher oder niedriger sein als die dem Vertragszahnarzt zustehende Vergütung für die mangelhafte Leistung. Obwohl die Vergütung eines anderen Vertragszahnarztes, der anstelle des zuerst Beauftragten den Zahnersatz übernimmt, sich nach demselben Gebührentarif C berechnet, kann jener doch andere Leistungen mit anderen Gebühren erbringen und andere Materialkosten (§ 6 der Allgemeinen Bestimmungen des Gebührentarifs C) abrechnen. Es kann aber davon ausgegangen werden, daß die Vergütung, die der Gläubiger gezahlt hat, dem Wert der nichterbrachten Leistung des Schuldners entspricht. Dies wird im Schuldrecht nach dem BGB zugunsten des Gläubigers vermutet. Deshalb kann der Gläubiger einen Betrag in Höhe seiner Leistung als Mindestbetrag seines Schadens verlangen (BGH NJW 1982, 1279, 1280; BGH NJW RR 1988, 420; Staudinger/Otto, aaO § 325 RdNr 35; Palandt/Heinrichs, Kommentar zum BGB 49. Aufl § 325 Anm 4 Bb).

Das LSG wird schließlich darüber zu entscheiden haben, ob die Beklagte den Kläger zu Recht nach § 20 Ziff 2 ZEKV zur Zahlung der Kosten der Begutachtung herangezogen hat.

 

Fundstellen

NJW 1992, 1590

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe TVöD Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge