Entscheidungsstichwort (Thema)
Minderung des Arbeitslosengeldes. verspätete Meldung. frühzeitige Arbeitssuche. Beschränkung des Streitgegenstands auf die Anfechtung der Minderung. Obliegenheitsverletzung. subjektiver Fahrlässigkeitsmaßstab
Leitsatz (amtlich)
Bei einem Rechtsstreit über die Höhe des Arbeitslosengeldes wegen dessen Minderung bei verspäteter Arbeitssuchendmeldung kann der Streitgegenstand einer Klage auf die Anfechtung einer Minderung beschränkt werden (Abgrenzung zu BSG vom 25.5.2005 – B 11a/11 AL 81/04 R und B 11a/11 AL 47/04 R).
Normenkette
SGG § 54 Abs. 1 S. 1, §§ 95, 123; SGB X § 31; SGB III § 140 S. 1 Fassung: 2002-12-23, § 37b S. 1 Fassung: 2003-12-23; BGB § 121 Abs. 1 S. 1, §§ 164, 278
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. September 2004 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Im Streit ist die Minderung des an den Kläger in der Zeit vom 6. bis 8. Januar 2004 gezahlten Arbeitslosengeldes (Alg) um insgesamt 35,00 Euro.
Der Kläger war bis 31. Dezember 2003 beschäftigt; er selbst hatte das Arbeitsverhältnis am 29. Dezember 2003 zum 31. Dezember 2003 wegen seit Oktober offener Gehaltszahlungen außerordentlich gekündigt. Auf die Pflicht, sich unverzüglich arbeitsuchend zu melden, hat ihn sein Arbeitgeber nicht hingewiesen. Er meldete sich bei der zuständigen Agentur für Arbeit am 6. Januar 2004 (einem Dienstag) arbeitslos.
Mit Schreiben vom 13. Januar 2004 (ohne Rechtsbehelfsbelehrung) teilte ihm die Beklagte mit, sein Alg-Anspruch mindere sich gemäß § 140 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) um 35,00 Euro wegen verspäteter Arbeitsuchendmeldung; diese 35,00 Euro würden auf die halbe Alg-Leistung ab 6. Januar bis voraussichtlich 8. Januar 2004 angerechnet. Insoweit werde ergänzend auf den gesonderten Bewilligungsbescheid über das Alg verwiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, der Kläger hätte sich spätestens am siebten Tag nach Kenntnis vom Ende des Arbeitsverhältnisses, am 5. Januar, arbeitsuchend melden müssen (§ 37b SGB III). Die Meldung am 6. Januar 2004 sei damit einen Tag zu spät erfolgt; hieraus resultiere der Minderungsbetrag von 35,00 Euro. Die Beklagte bewilligte dem Kläger Alg ab 6. Januar 2004 nach einem Bemessungsentgelt von 590 Euro in Höhe von 212,03 Euro wöchentlich. Hiervon setzte sie jedoch unter Hinweis auf das Schreiben vom 13. Januar 2004 einen Anrechnungsbetrag von 35,00 Euro in der Form ab, dass sie eine wöchentliche Leistung für die Zeit ab 6. Januar nur in Höhe von 106,05 Euro verfügte (Bescheid vom 15. Januar 2004; Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 2004). Ab 9. Januar 2004 bewilligte die Beklagte dann eine ungekürzte Leistung (Bescheid vom 29. Januar 2004).
Das Sozialgericht (SG) hat “den Bescheid” der Beklagten “vom 15. Januar 2004 aufgehoben und den Bescheid vom 13. Januar 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2004 insoweit aufgehoben, als ein Anrechnungsbetrag in Abzug gebracht wird” (Urteil vom 26. April 2004). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 21. September 2004). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Voraussetzungen der §§ 37b, 140 SGB III lägen nicht vor. Der Kläger habe sich zwar nicht unverzüglich nach Kenntnis vom Ende des Arbeitsverhältnisses bei der zuständigen Agentur für Arbeit arbeitsuchend gemeldet; dieses Verhalten sei ihm jedoch nicht vorwerfbar. Er habe keine Kenntnis von der Meldepflicht gehabt. Obliegenheitsverletzungen setzten ein erhebliches Verschulden voraus. Die Aufklärungskampagnen zu den erst am 1. Juli 2003 eingeführten §§ 37b, 140 SGB III hätten im Normalfall nicht zu einer entsprechenden Kenntnis bei den betroffenen Arbeitnehmern geführt, sodass nicht von einem allgemein präsenten Wissen ausgegangen werden könne.
Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Das LSG hätte sich ihres Erachtens zu weiteren Ermittlungen gedrängt fühlen müssen, ob der Kläger tatsächlich darüber in Unkenntnis war, dass er sich unverzüglich hätte arbeitsuchend melden müssen. Nach dessen eigenem Vortrag habe er sich bereits vor der Kündigung von seiner Gewerkschaft beraten lassen. Dieser sei jedoch die Meldepflicht mit Sicherheit bekannt gewesen, sodass sie den Kläger wohl auf § 37b SGB III hingewiesen habe. Möglicherweise habe sich der Kläger auch vor der Kündigung an den Sozialhilfeträger gewandt, weil er seit Oktober 2003 vom Arbeitgeber kein Arbeitsentgelt mehr erhalten habe. Auch dort sei er möglicherweise auf seine Obliegenheit, sich frühzeitig arbeitsuchend zu melden, hingewiesen worden. §§ 37b, 140 SGB III setzten allerdings ohnedies keine Kenntnis von der Meldepflicht voraus. Vielmehr gehe der Gesetzgeber davon aus, dass diese auf Grund der Publizitätswirkung des Gesetzes allen Betroffenen bekannt zu sein habe. Schließlich müsse dem Kläger das Wissen seiner Gewerkschaft in Analogie zu § 164 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zugerechnet werden. Zwar sei vor der Arbeitslosmeldung ein Verwaltungsverfahren nicht eingeleitet worden, sodass § 13 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) nicht direkt anwendbar sei. Gleichwohl sei die IG Bau/Agrar/Umwelt als Vertreterin des Klägers insoweit anzusehen, als die Geltendmachung von Ansprüchen auf Arbeitsentgelt gegen den Arbeitgeber und Lohnersatzleistungen im Raum gestanden hätten.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er verweist auf das seines Erachtens zutreffende Urteil des LSG und betont, nicht fahrlässig gehandelt zu haben.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist iS der Aufhebung der Entscheidung des LSG und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Es fehlen ausreichende tatsächliche Feststellungen (§ 163 SGG) des LSG für eine abschließende Entscheidung darüber, ob die Beklagte zu Recht den Alg-Anspruch des Klägers gemäß § 140 SGB III (hier idF, die die Norm durch das 1. Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 – BGBl I 4607 – erhalten hat) wegen eines Verstoßes des Klägers gegen § 37b SGB III gemindert hat.
Gegenstand des Verfahrens und damit auch des Revisionsverfahrens sind das Schreiben der Beklagten vom 13. Januar 2004 und der Bewilligungsbescheid vom 15. Januar 2004, die eine rechtliche Einheit iS eines einheitlichen Bescheides über die Bewilligung des Alg und damit auch die Höhe des Alg-Anspruchs darstellen (Bundessozialgericht ≪BSG≫, Urteile vom 25. Mai 2005 – B 11a/11 AL 81/04 R und B 11a/11 AL 47/04 R; vgl zu anderen entsprechenden Konstellationen im Arbeitsförderungsrecht Eicher in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 40 RdNr 9 mwN zur Rechtsprechung des BSG). Diese Einheit ergibt sich bereits formal daraus, dass zum einen der Bescheid vom 13. Januar 2004 ergänzend auf den späteren, gesondert zugehenden Bewilligungsbescheid Bezug nimmt, und zum anderen, dass der Bewilligungsbescheid seinerseits hinsichtlich der Minderung selbst wiederum auf das Schreiben (= Bescheid) vom 13. Januar 2004 verweist. Darin hat die Beklagte drei Verfügungen (§ 31 SGB X) getroffen: Sie hat den Minderungsbetrag mit 35,00 Euro festgelegt und geregelt, dass die Minderung auf die halbe Alg-Leistung, beginnend mit dem 6. Januar 2004, angerechnet wird. Ergänzend hierzu enthält der Bewilligungsbescheid vom 15. Januar 2004, der den Anrechnungsbetrag von 35,00 Euro noch einmal aufgreift, noch die nur im Zusammenhang mit dem Bescheid vom 13. Januar 2004 verständliche weitere Verfügung, dass statt des üblichen gesetzlichen wöchentlichen Leistungssatzes von 212,03 Euro ab 6. Januar 2004 nur ein wöchentlicher Leistungsbetrag von 106,05 Euro (hälftiger Satz) zuerkannt werde. Dieser ist allerdings noch auf eine tägliche Leistung umzurechnen.
Bei einem Rechtsstreit über die Minderung des Alg handelt es sich zwar um einen so genannten Höhenstreit, bei dem nach der ständigen Rechtsprechung des 7. und 11. Senats des BSG grundsätzlich alle Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde und der Höhe nach zu prüfen sind (BSG, Urteile vom 25. Mai 2005 – B 11a/11 AL 81/04 R und B 11a/11 AL 47/04 R; Eicher in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 40 RdNr 11 mwN). Hinzu kommt, dass im Arbeitsförderungsrecht für die Auslegung eines Klageantrags der so genannte “Meistbegünstigungsgrundsatz” entwickelt wurde (BSG SozR 3-6050 Art 71 Nr 11 S 57; SozR 3-4100 § 104 Nr 11 S 47 mwN; siehe auch Eicher, aaO, RdNr 16 mwN), nach dem im Zweifel davon auszugehen ist, dass ein Kläger mit seiner Klage ohne Rücksicht auf den Wortlaut des Antrags das begehrt, was ihm den größten Nutzen bringen kann (§ 123 SGG). Die Minderungsbescheide weisen aber gegenüber der üblichen Alg-Bewilligung ohne Minderung grundlegende Besonderheiten auf. Sie enthalten nicht nur unselbstständige Berechnungselemente, sondern bereits für den Empfänger optisch erkennbar Einzelverfügungen.
Dass es sich bei den Minderungsregelungen im Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 15. Januar 2004 iVm dem Bescheid vom 13. Januar 2004 um eigenständige, von der Bewilligung des Alg als solche abtrennbare Verfügungen (§ 31 SGB X) handelt, ergibt sich insbesondere daraus, dass die Beklagte mit der Minderung die Höhe eines “Schadens” (zum Charakter der Minderung als pauschaler Schadensausgleich der Versichertengemeinschaft vgl BSG Urteil vom 25. Mai 2005 – B 11a/11 AL 81/04 R; BT-Drucks 15/25 S 31) verbindlich festgelegt und gleichzeitig die in § 140 Satz 4 SGB III (hier in der Fassung, die die Norm durch das 1. Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 – BGBl I 4607 – erhalten hat) vorgesehene Anrechnung verfügt hat. Bei dieser Anrechnung handelt es sich wie auch in anderen vergleichbaren Fällen (vgl etwa § 328 Abs 3 Satz 1 SGB III, § 42 Abs 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – ≪SGB I≫) um einen einer Aufrechnung ähnlichen Verwaltungsakt (vgl Eicher in Eicher/Schlegel, § 328 RdNr 63 f, Stand Februar 2004; ders in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 1 RdNr 46; ders in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2005, § 42 RdNr 12). Die deshalb erforderliche Entscheidung über die Minderung lässt sich von der Feststellung der Höhe des Alg trennen. Zwischen beiden Entscheidungen bestehen nur insoweit Verbindungen, als die Höhe der Minderung auf der Grundlage des Bemessungsentgelts berechnet wird; die Minderung erfolgt jedoch nicht von Gesetzes wegen, sondern durch gesonderte Verfügung.
Es ist deshalb gerechtfertigt, die Überprüfung dann auf die Minderung als solche zu beschränken, wenn eine solche Beschränkung vom Kläger ausdrücklich gewollt ist und keinerlei Zweifel an einer Klagebeschränkung oder Klagerücknahme bestehen. Ein solches Vorgehen rechtfertigt sich auch aus dem Bewilligungsbescheid vom 15. Januar 2004 selbst. Dieser besteht insgesamt aus zwei Teilen: der Verfügung über die Höhe des ungeminderten Alg und des geminderten Alg. Diese Trennung erlaubt es, entgegen der bei Klagen auf höhere Leistung üblicherweise vorzunehmenden vollen Überprüfung aller die Leistungshöhe und auch den Leistungsgrund bestimmenden Faktoren (vgl hierzu BSG, Urteile vom 25. Mai 2005 – B 11a/11 AL 81/04 R und B 11a/11 AL 47/04 R; siehe auch Eicher in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 40 RdNr 9, 11 und 15 mwN) einen beschränkten Streitgegenstand des Verfahrens anzunehmen, wenn der Kläger eine solche Beschränkung will. Hiervon ist vorliegend nach der entsprechenden Erklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung (§ 102 SGG) auszugehen, sodass nur über eine Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) zu befinden ist. Fehlt es an einer Erörterung der prozessualen Situation und einer entsprechenden Erklärung des Klägers, so ist im Hinblick auf die langjährige ständige Rechtsprechung des BSG zu Höhenstreitigkeiten regelmäßig von einer umfassenden Überprüfungspflicht und der Erhebung einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG) auszugehen (siehe BSG, Urteile vom 25. Mai 2005 – B 11a/11 AL 81/04 R und B 11a/11 AL 47/04 R).
Die Verfügung der Beklagten über die Höhe des für den Kläger bestimmten Alg ist vorliegend wegen der ausdrücklichen Erklärung des Klägers nach Erörterung der prozessualen Rechtslage nicht zu überprüfen. Dies gilt auch für das Bemessungsentgelt, das zwar nach § 140 Satz 2 SGB III ein Berechnungselement für die Höhe des Minderungsbetrags ist. Nach Sinn und Zweck der Regelung muss jedoch, soweit nicht der Bewilligungsbescheid insgesamt angefochten ist, von diesem Bewilligungsbescheid eine Bindungswirkung in der Form einer Feststellungswirkung (vgl zu dieser Terminologie BSG SozR 3-4100 § 112 Nr 29 S 136) ausgehen. Auch die Höhe des Bemessungsentgelts ist damit im vorliegenden Verfahren wegen der Beschränkung des Streitgegenstands nicht zu überprüfen. Nach § 140 SGB III soll der gesetzliche Minderungsbetrag in einem bestimmten Verhältnis zur Leistungshöhe stehen, die sich ihrerseits aus dem Bemessungsentgelt ergibt. Dann aber wäre es nicht gerechtfertigt, bei einer – wegen der Beschränkung des Streitgegenstands – bestandskräftigen Alg-Bewilligung als solcher für die Höhe des Minderungsbetrags ein anderes Bemessungsentgelt zu Grunde zu legen. Entweder würde dies bei einem zu niedrigen der Alg-Bewilligung zu Grunde gelegten Bemessungsentgelt zu einer nicht vertretbaren Belastung des Leistungsempfängers bzw bei einem fehlerhaft zu hohen der Alg-Bewilligung zu Grunde gelegten Bemessungsentgelt zu einer unvertretbaren Begünstigung des Leistungsempfängers führen, wenn eine Korrektur lediglich bei der Minderungsverfügung vorzunehmen wäre. Die gesetzliche Relation zwischen Minderungsbetrag und normaler Leistungshöhe wäre dann nicht mehr gewährt.
Ob allerdings vorliegend die Voraussetzungen des § 37b SGB III (hier in der Fassung des 3. Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 – BGBl I 2848) für die gemäß § 140 SGB III vorzunehmende Minderung erfüllt sind, kann nicht abschließend entschieden werden. Nach § 37b Satz 1 SGB III sind Personen, deren Versicherungspflichtverhältnis (hier: das Beschäftigungsverhältnis, § 25 SGB III) endet, verpflichtet, sich unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunktes bei der zuständigen Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden. Hierbei handelt es sich um eine typische versicherungsrechtliche Obliegenheit (BSG, Urteil vom 25. Mai 2005 – B 11a/11 AL 81/04 R). Zu deren Konkretisierung ist auf die Legaldefinition des § 121 Abs 1 Satz 1 BGB (“ohne schuldhaftes Zögern”) zurückzugreifen (BSG aaO). Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Unkenntnis über die Obliegenheit nicht ohne rechtliche Bedeutung (BSG aaO). Vielmehr ist im Rahmen des Kriteriums “ohne schuldhaftes Zögern” zu prüfen, ob der Leistungsempfänger zumindest fahrlässig in Unkenntnis war (BSG aaO), wobei wie auch in anderen Bereichen des Sozialrechts anders als nach dem BGB ein subjektiver Maßstab anzuwenden ist (BSG aaO). Zu prüfen ist mithin, ob der Leistungsempfänger nach seinem individuellen Vermögen fahrlässig in Unkenntnis über die ihm auferlegte Obliegenheit war und sich fahrlässig nicht unmittelbar nach dem Zeitpunkt der Kenntnis über die Beendigung des Versicherungspflichtverhältnisses bei der zuständigen Agentur für Arbeit gemeldet hat (dazu etwa Otto, NZS 2005, 288, 290).
Diese Prüfung wird das LSG nachzuholen haben. Das LSG ist bei seiner Entscheidung zu Unrecht nicht von einem subjektiven (zu diesem Maßstab BSG aaO), sondern von einem objektiven Fahrlässigkeitsmaßstab ausgegangen und hat im Übrigen die Fahrlässigkeit auch deshalb abgelehnt, weil kein erhebliches Verschulden vorliege. § 37b SGB III verlangt jedoch keinen gesteigerten Fahrlässigkeitsvorwurf (BSG aaO), wie ihn der Senat in einem anderen Fall der Obliegenheitsverletzung angenommen hat, weil dort die Obliegenheit selbst nicht im Gesetz vorgesehen war (BSG SozR 4-4300 § 149 Nr 3).
Entgegen der Ansicht der Beklagten kann ein eventuelles Fehlverhalten der Gewerkschaft, deren Mitglied der Kläger ist, diesem nicht zugerechnet werden. Zwar gilt § 278 BGB auch im Sozialrecht (BSGE 28, 258, 259 ff = SozR Nr 24 zu § 47 VerwVG); jedoch würde seine Anwendung wie auch eine Zurechnung des Wissens gemäß § 164 BGB bereits eine konkrete Bevollmächtigung voraussetzen. Für eine analoge Anwendung der §§ 164, 278 BGB ist mangels Gesetzeslücke kein Raum.
Da die Sache ohnedies an das LSG zurückzuverweisen ist, damit dieses die noch fehlenden Feststellungen trifft, bedarf es keiner Entscheidung des Senats über die von der Beklagten erhobene Verfahrensrüge. Keine Entscheidung ist vorliegend auch darüber erforderlich, wie sich die von der Beklagten gewählte Praxis auswirkt, Arbeitsuchendmeldungen, die bis zum siebten Tag nach dem Tag der Kenntnis über die Beendigung des Versicherungspflichtverhältnisses erfolgen, als nicht verspätet zu akzeptieren (vgl dazu das Urteil des 7. Senats vom 18. August 2005 – B 7a/7 AL 94/04 R). Erst wenn das LSG zur Erkenntnis käme, dass der Kläger fahrlässig gegen die Obliegenheit des § 37b SGB III verstoßen hat, würde sich außerdem die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der §§ 37b, 140 SGB III stellen (Art 100 Abs 1 Grundgesetz). Das LSG wird ggf über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden und den Tenor der erstinstanzlichen Entscheidung zu berichtigen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 1447772 |
NZS 2006, 503 |
SGb 2005, 586 |