Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 10. Januar 1990 geändert und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 27. Oktober 1987 zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Klägers sind für den gesamten Rechtsstreit nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob der Beklagte an die Rechtsnachfolger der verstorbenen K. … F. … (W) – zu denen der Kläger gehört – für die Zeit vom Juni 1985 bis April 1989 Witwenbeihilfe zu leisten hat.
Die am 25. April 1989 verstorbene W. war Witwe des am 21. Juli 1906 geborenen und am 8. Mai 1985 verstorbenen Beschädigten K. F. … (B). Dieser hatte den Beruf eines Seidenwebers erlernt und bis 1944 ausgeübt. Vor seiner Einberufung zum Wehrdienst im September 1944 war er als Müllergaze-Weber beschäftigt gewesen. Wegen der Folgen einer im März 1945 erlittenen Kriegsverletzung konnte er diesen Beruf seither nicht mehr ausüben. Von 1954 bis zu seinem Tode erhielt er eine Grundrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 vH unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit. 1954 bis November 1956 war B. Nachtpförtner und Telefonist in einem Krankenhaus. In den Jahren 1957 bis 1958 arbeitete er als Hilfsmechaniker in einer Schnellwaagenfabrik, danach wieder bis Juni 1971 als Nachtpförtner und Telefonist wie zuvor. Ab August 1971 bezog er Altersruhegeld, nach seinem Tode erhielt W. Witwenrente aus der Arbeiterrentenversicherung.
Am 28. Mai 1985 beantragte W. Witwenbeihilfe. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 21. Oktober 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 1985 ab. Ws. Klage zum Sozialgericht (SG) ist erfolglos geblieben; das SG hat festgestellt, daß B. ohne Schädigungsfolgen im Beruf eines Weberei-Facharbeiters verblieben wäre, daß sein schädigungsbedingtes Ausscheiden aus diesem Beruf aber zu einer Minderung seiner Hinterbliebenenrente um weniger als 10 vH geführt habe.
Auf Ws. Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 10. Januar 1990 den Beklagten verurteilt, an die Rechtsnachfolger der inzwischen verstorbenen W. für die Zeit vom Juni 1985 bis zum April 1989 Witwenbeihilfe zu zahlen. Zwar sei Ws. Hinterbliebenenversorgung durch die Schädigungsfolgen nicht in dem nach § 48 Abs 1 Satz 1 BVG erforderlichen Ausmaß beeinträchtigt, jedoch lägen die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG) vor, weil B. zu seinen Lebzeiten offensichtlich für mindestens fünf Jahre Anspruch auf Berufsschadensausgleich (BSA) gehabt habe. Das Fehlen eines entsprechenden Antrages sei insoweit unschädlich. Auch das LSG nahm an, daß B. ohne die Schädigungsfolgen wieder in seinen erlernten Weberberuf zurückgekehrt wäre. Ein Vergleich des in den Jahren 1964 bis 1971 erzielten tatsächlichen Einkommens mit dem Durchschnittseinkommen eines männlichen Arbeiters der Lohngruppe 1 (Webers) in der Textilindustrie ergebe alljährlich einen schädigungsbedingten Einkommensverlust. Dieser sei auch in den Jahren 1971 bis 1985 erhalten geblieben, weil Bs. Renteneinkommen in diesen Jahren hinter seinem um 25 vH gekürzten Vergleichseinkommen zurückgeblieben sei. Mithin hätte B. für mehr als 5 Jahre Anspruch auf BSA gehabt.
Mit seiner Revision macht der Beklagte ua einen Verstoß gegen § 48 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 Halbsatz 1 3. Alternative BVG geltend. Das LSG habe zu Unrecht die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 BVG bejaht.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 10. Januar 1990 abzuändern und die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger, der vor dem Bundessozialgericht (BSG) nicht durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten war, hat keinen wirksamen Antrag gestellt; die übrigen Rechtsnachfolger haben den Rechtsstreit im Revisionsverfahren für erledigt erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Beklagten ist begründet. Der verstorbenen Rechtsvorgängerin des Klägers stand kein Anspruch auf Witwenbeihilfe zu, so daß ein solcher auch nicht auf deren Rechtsnachfolger übergehen konnte.
Streit besteht nur darüber, ob die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 BVG in der Fassung des am 1. Juli 1985 in Kraft getretenen 14. Anpassungsgesetzes (AnpG-KOV) vom 4. Juni 1985 (BGBl I S. 910) vorlagen (die im ersten Monat des streitigen Bezugszeitraumes noch geltende Fassung dieser Bestimmung durch das 13. Anpassungsgesetz vom 20. Juni 1984 – BGBl I S. 761 – entspricht im wesentlichen der späteren Fassung). Nach dieser Vorschrift gilt die Voraussetzung des § 48 Abs 1 Satz 1 BVG – zwischen 10 und 15 vH liegende Beeinträchtigung der Hinterbliebenenversorgung durch die Schädigungsfolgen – ua dann als erfüllt, wenn der Beschädigte im Zeitpunkt seines Todes mindestens fünf Jahre Anspruch auf BSA hatte. Entgegen der Ansicht des LSG hatte B. zu seinen Lebzeiten nicht fünf Jahre lang Anspruch auf BSA in diesem Sinne. Das ergibt sich allerdings nicht bereits daraus, daß er zu seinen Lebzeiten diese Leistung nicht beantragt hatte. Der Senat hat mehrfach entschieden, daß der Antrag des verstorbenen Beschädigten nicht zu den Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 BVG gehört. So hat er diese Bestimmung in einem Fall angewandt, in welchem BSA erst später als fünf Jahre vor dem Tode des Beschädigten beantragt worden war (SozR 3100 § 48 Nr 16); in einem weiteren Urteil (SozR 3-3100 § 48 Nr 1) hat der Senat sogar einen Anspruch auf Witwenbeihilfe nach § 48 Abs 1 Satz 2 BVG bejaht, obwohl es an einem Antrag des Beschädigten auf BSA überhaupt gefehlt hatte. Der Grund für die in Satz 2 enthaltene – unwiderlegliche – Vermutung einer wesentlichen Beeinträchtigung der Hinterbliebenenversorgung liegt nämlich nicht darin, daß der Beschädigte oder seine Rechtsnachfolger BSA tatsächlich bezogen haben, sondern darin, daß offensichtlich die beruflichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für den Bezug solcher Leistungen langfristig – insgesamt fünf Jahre – vorlagen (vgl insoweit SozR 3100 Nr 15). In den genannten Entscheidungen hat der Senat wiederholt betont, daß die Regelung des § 48 Abs 1 Satz 2 BVG im wesentlichen der Verwaltungsvereinfachung dient. Durch sie soll die nach dem Tode des Berechtigten besonders schwierige Prüfung erübrigt werden, wie sich sein beruflicher Lebensweg ohne die Schädigungsfolgen gestaltet hätte und welche Einnahmen seiner fiktiven Hinterbliebenenversorgung zugrunde zu legen wären. Aus der Vereinfachungsfunktion der Regelung des § 48 Abs 1 Satz 2 BVG hat der Senat stets gefolgert, daß für den Witwenbeihilfeanspruch zwar das fünfjährige Vorliegen der wirtschaftlichen und beruflichen Voraussetzungen des BSAs in der Person des Beschädigten ausreicht, daß diese Voraussetzungen jedoch „klar erkennbar” sein müssen (vgl Urteil des Senats – SozR 3100 § 48 Nr 15 und Nr 16 sowie das zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil vom 26. November 1991 – 9a RV 19/90). Daran fehlt es hier. Klar erkennbar in diesem Sinn ist der Anspruch des verstorbenen Beschädigten nur dann, wenn bereits nach dem Inhalt der über ihn geführten Versorgungsakten die Anspruchsvoraussetzungen für den Kundigen auf den ersten Blick im erforderlichen zeitlichen Umfang gegeben waren. Dies ist zB in Fällen zu bejahen, in denen der Antrag weniger als fünf Jahre vor dem Tode des Berechtigten gestellt und erst ab Antrag BSA gewährt worden war, obwohl in den vorausgegangenen Jahren offensichtlich dieselben tatsächlichen Verhältnisse vorlagen wie zum Zeitpunkt der Antragstellung (vgl SozR 3100 § 48 Nr 16). Dagegen reicht es nicht aus, wenn sich erst im erfolglosen Verfahren über einen Antrag auf Hinterbliebenenversorgung nach § 48 Abs 1 Satz 1 BVG Tatsachen feststellen lassen, aufgrund deren der verstorbene Beschädigte bereits fünf Jahre vor seinem Tode oder früher hätte mit Aussicht auf Erfolg BSA beantragen können.
So liegt der Fall hier. Zwar war die Grundrente des verstorbenen Beschädigten seit 1954 wegen besonderer beruflicher Betroffenheit erhöht. Das reichte jedoch auch für den kundigen Betrachter nicht aus, um auf den ersten Blick die Voraussetzungen für den Anspruch auf BSA (vgl § 30 Absätze 3 ff BVG in den seit Inkrafttreten des 1. NOG vom 1. Juli 1960 ≪BGBl I S. 453≫ am 1. Juni 1960 geltenden Fassungen) zu bejahen. Denn die Anerkennung der besonderen beruflichen Betroffenheit wies möglicherweise nur darauf hin, daß der Beschädigte infolge der Schädigung keinen sozial gleichwertigen Beruf ausüben konnte, sagte aber nichts darüber aus, ob er in dem tatsächlich ausgeübten Beruf noch gleich hohe Einkünfte erzielte; ferner konnte die besondere berufliche Betroffenheit auch darauf beruhen, daß der Beschädigte zwar seinen ausgeübten oder begonnenen Beruf weiter ausgeübt oder den angestrebten Beruf erreicht hatte, in diesem Beruf aber durch die Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Grade als im allgemeinen Erwerbsleben beeinträchtigt war, ohne daß sich das wirtschaftlich auswirkte. Dagegen bedurfte es für die Bejahung des Anspruchs auf BSA des Vergleichs zwischen dem tatsächlich erzielten Einkommen „derzeitigen Einkommen” iS des § 30 Abs 4 Satz 1 BVG) und dem infolge der Schädigung entgangenen höheren Vergleichseinkommen. Die hierzu erforderlichen Angaben waren den Beschädigtenakten des B. – jedenfalls ohne gezielte Auswertung – nicht lückenlos und zweifelsfrei für fünf Jahre zu entnehmen. Die Voraussetzungen für den fünfjährigen Anspruch auf BSA hat das LSG vielmehr erst durch Beweiserhebungen festgestellt, die durch die Regelung des § 48 Abs 1 Satz 2 BVG gerade erübrigt werden sollten. Den hier an das Vorliegen eines „klar erkennbaren” Anspruchs des verstorbenen Beschädigten auf BSA gestellten Anforderungen steht das Urteil des Senats – SozR 3-3100 § 48 Nr 1 – nicht entgegen. In dem damals entschiedenen Fall war nicht das fünfjährige Vorliegen der beruflichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für den BSA, sondern die Frage streitig gewesen, ob bereits das Fehlen eines zu Lebzeiten des Beschädigten gestellten Antrags auf BSA zur Verneinung der Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 BVG führen mußte. Überdies hatte sich in dem seinerzeit entschiedenen – einen Beamten betreffenden – Fall nicht nur das Vergleichseinkommen, sondern auch das trotz der Schädigung tatsächlich erzielte Einkommen (derzeitige Einkommen) lückenlos aus veröffentlichten Tabellen ergeben, so daß der schädigungsbedingte Minderverdienst des Beschädigten nicht zweifelhaft sein konnte.
Da mithin die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 BVG nicht vorlagen, mußte das Urteil des LSG auf die Revision des beklagten Landes hin aufgehoben und das Urteil des SG wiederhergestellt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen