Verfahrensgang

VG Greifswald (Urteil vom 18.02.1998; Aktenzeichen 5 A 282/95)

 

Tenor

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 18. Februar 1998 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 1 Million DM festgesetzt.

 

Gründe

Die Beschwerde ist nicht begründet. Keiner der von den Klägern geltend gemachten, auf alle drei Alternativen des § 132 Abs. 2 VwGO gestützten Zulassungsgründe ist gegeben.

1. Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Beschwerde beigemessene grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Die Beschwerde will in einem Revisionsverfahren als grundsätzlich bedeutsam die Fragen geklärt wissen, ob

  1. „bei der Überschuldungsbetrachtung im Sinne von § 1 Abs. 2 VermG auch eine Restkaufgeldhypothek (des Eigentümers) zu berücksichtigen ist, wenn erst durch Hinzutreten der instandsetzungsbedingten Verbindlichkeiten eine Überschuldungslage entsteht, also bei Hinwegdenken dieser Verbindlichkeiten eine Überschuldung noch nicht vorgelegen hätte;
  2. es allein darauf ankommt, daß im Enteignungszeitpunkt eine Überschuldung vorlag, auch wenn diese teilweise Folge der Nichterfüllung einer vertraglich vom Nutzer übernommenen Verpflichtung zur Tragung laufender Instandsetzungen gewesen ist.”

Dieses Vorbringen kann nicht zur Zulassung der Revision führen, weil die aufgeworfenen Fragen mangels Entscheidungserheblichkeit in dem erstrebten Revisionsverfahren nicht geklärt werden könnten. Beide Fragen betreffen das in § 1 Abs. 2 VermG aufgestellte Tatbestandsmerkmal der Überschuldung eines bebauten Grundstücks oder Gebäudes. Nach der ständigen Rechtsprechung des beschließenden Senats (vgl. z.B. BVerwGE 94, 16 und 98, 87) muß die Überschuldung einerseits auf nicht kostendeckende Mieten zurückzuführen und andererseits ursächlich für den Eigentumsverlust, hier also die Enteignung, geworden sein. Das Verwaltungsgericht hat beide Kausalbeziehungen als nicht gegeben bzw. erwiesen angesehen. Es ist einerseits davon ausgegangen, daß die – von ihm zugunsten der Kläger als nicht kostendeckend unterstellten – Niedrigmieten die Überschuldung nicht herbeigeführt hätten, weil die durch die Restkaufgeldhypothek und die Aufbaugrundschuld aus dem Jahr 1954 gesicherten Forderungen in keinem Zusammenhang mit zu geringen Mieten gestanden hätten (UA S. 13/14). Auf diese Ausführungen bezieht sich das Vorbringen der Beschwerde.

Das Verwaltungsgericht (UA S. 18/19) hat andererseits nicht die Überzeugung gewinnen können, daß die Überschuldung die maßgebliche Ursache für die Enteignung nach dem Aufbaugesetz und die Überführung in Volkseigentum gewesen ist. Zwar sei im Antrag auf die Erklärung zum Aufbaugebiet ausgeführt, eine umfassende Rekonstruktion sei aufgrund der hohen Belastung des Grundstücks wirtschaftlich nicht tragbar. Ausschlaggebend könnten aber auch die bereits wesentlich früher, spätestens 1971 vorhandenen und dann auch verwirklichten Planungen gewesen sein, durch Abriß und Neubau des Hauses „Solidarität” und Einbeziehung einiger benachbarter Grundstücke einen neuen Ferienheimkomplex mit erheblich größerer Bettenkapazität zu schaffen.

In ihrem rechtlichen Ansatz entsprechen diese Überlegungen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Danach muß wie bei dem Eigentumsverzicht, der Schenkung und der Erbausschlagung auch in den Enteignungsfällen die Überschuldung wesentliche Ursache für die Inanspruchnahme gewesen sein; unentschieden ist bislang lediglich die Frage, ob auch im Fall der Enteignung von einer Vermutung ausgegangen werden kann, daß eine vorhandene Überschuldung ursächlich für den Eigentumsverlust gewesen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Mai 1996 – BVerwG 7 C 49.95 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 79).

In tatsächlicher Hinsicht werden die Ausführungen des Verwaltungsgerichts durch die in den beigezogenen Behördenakten enthaltenen Unterlagen in vollem Umfang bestätigt. Die im Haus „Solidarität” und teilweise auch auf benachbarten Ferienheimen entstandene Lage war durch schlechte bauliche Verhältnisse und einen – z.T. auch durch bauaufsichtliche Sperrungen verursachten – Kapazitätsabbau gekennzeichnet. Dies war mit der dem FDGB-Feriendienst obliegenden Aufgabe, den Mitgliedern zahlenmäßig und qualitativ ausreichende Unterkunftsmöglichkeiten für einen Ostseeurlaub anbieten zu können, zunehmend unvereinbar. Angesichts dessen entschloß sich der FDGB nach längeren Überlegungen, eine Gesamtbereinigung der unhaltbar gewordenen Situation vorzunehmen und unter Einbeziehung mehrerer Grundstücke nach Abriß aller vorhandenen Gebäude einen neuen und wesentlich größeren Ferienheimkomplex zu errichten. Für diesen vom Aufbaugesetz gedeckten, nach dem Verständnis der DDR im öffentlichen Interesse liegenden Zweck wurde das streitbefangene Grundstück – wie übrigens teilweise auch Nachbargrundstücke – enteignet. Die Verwirklichung dieses eigenständigen städtebaulichen Neubauvorhabens war der wesentliche Grund für die Überführung in Volkseigentum. Daß eines der dafür benötigten Grundstücke überschuldet war, mag zwar mit zu der Gesamtsituation beigetragen haben, deren Bereinigung das Neubauvorhaben diente, war aber letztlich nur ein nebensächlicher Begleitumstand.

2. Zu Unrecht meint die Beschwerde, das Urteil des Verwaltungsgerichts weiche im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. März 1995 – BVerwG 7 C 39.93 – BVerwGE 98, 87 ab. Entgegen der Annahme der Beschwerde ist in dieser Entscheidung nicht der Rechtssatz aufgestellt, daß stets alle im Zeitpunkt des Eigentumsverlustes bestehenden Verbindlichkeiten, also z.B. auch die aus der Zeit vor Gründung der DDR stammenden, bei der Überschuldungsbetrachtung zu berücksichtigen sind. Die damit verbundenen Fragen sind vielmehr bislang noch nicht abschließend geklärt, weshalb der beschließende Senat in zwei Verfahren (BVerwG 7 C 4.98 und BVerwG 7 C 23.98) die Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen hat. Davon abgesehen käme eine Zulassung der Revision auch deshalb nicht in Betracht, weil die mit der Divergenzrüge angesprochene Problematik, wie oben dargelegt, nicht entscheidungserheblich ist, das Urteil des Verwaltungsgerichts also nicht auf der behaupteten Abweichung beruhen würde.

3. Die Revision ist auch nicht wegen der geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.

Soweit die Kläger unter Nr. 3 a und b ihrer Beschwerdebegründung eine falsche Sachverhaltswürdigung und eine unzutreffende Schlußfolgerung rügen, ist dem schon deshalb nicht weiter nachzugehen, weil dieses Vorbringen die nicht entscheidungserheblichen Fragen der kostendeckenden Mieten und der Berücksichtigung der Grundpfandrechte bei der Überschuldungsprüfung betrifft. Entsprechendes gilt auch für die Behauptung der Beschwerde, das Verwaltungsgericht habe seine Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verletzt.

Schließlich ist auch der gerügte Gehörsverstoß nicht gegeben. Entgegen der Behauptung der Beschwerde hat sich das Verwaltungsgericht sehr wohl mit dem Vorbingen der Kläger befaßt, der FDGB habe unter Verletzung seiner seit 1961 bestehenden vertraglichen Pflichten das Anwesen verfallen lassen, um dadurch die Voraussetzungen einer Überführung in Volkseigentum herbeizuführen. Im angefochtenen Urteil ist auf Seite 15/16 ausgeführt, daß für ein die Annahme unlauterer Machenschaften gemäß § 1 Abs. 3 VermG begründendes zielgerichtetes Vorgehen dieser Art weder Anhaltspunkte bestünden noch von den Klägern entsprechende Beweise angeboten worden seien. Diese Einschätzung des Verwaltungsgerichts wird übrigens durch die in den Behördenakten enthaltenen umfangreichen Unterlagen bestätigt. Danach muß es als Spekulation der Kläger bezeichnet werden, der Zustand des Gebäudes sei über eineinhalb Jahrzehnte hinweg gerade mit dem Ziel vernachlässigt worden, sich das Eigentum verschaffen zu können.

Das Verwaltungsgericht hat weiter den Grundsatz, rechtliches Gehör zu gewähren, nicht verletzt, soweit es um die Behauptung der Kläger geht, der FDGB habe in manipulativer Absicht das Enteignungsverfahren eingeleitet, um mit unbegründeten Forderungen gegen die Entschädigungssumme aufrechnen und auf diese Weise das Eigentum unentgeltlich erhalten zu können. Die Auseinandersetzung mit diesem Klagevortrag befindet sich auf Seite 16 des Urteilsabdrucks. Was die Beschwerde hierzu vorbringt, stellt sich in Wahrheit als ein – im Rahmen einer Verfahrensrüge unbeachtlicher – Angriff auf die rechtliche und tatsächliche Würdigung des Verwaltungsgerichts dar, übrigens teilweise unter Verwendung unzutreffender, weil aktenwidriger Tatsachenbehauptungen. So ist die vom FDGB gewünschte Aufrechnung von den staatlichen Organen gerade nicht zugelassen worden, vielmehr wurde die Entschädigungssumme vorrangig zur Tilgung der bei der Staatsbank der DDR bestehenden, dinglich gesicherten Forderungen eingesetzt. Unrichtig ist auch die Behauptung, die vom FDGB geltend gemachten Forderungen hätten ausschließlich den Zeitraum nach dem 1. Januar 1961 betroffen. Vielmehr war in der mit der Aufrechnung geltend gemachten Gesamtsumme von 325 655,15 Mark auch ein Teilbetrag von 138 214,54 Mark für Aufwendungen in den Jahren 1954 bis 1956 enthalten (vgl. die Vorlage des FDGB-Bezirksvorstandes an den Bundesvorstand vom 10. Oktober 1979, in der beigezogenen Akte 0111-1-031 „Solidarität”, Ordner I, Bl. 137 – 139). Zur Geltendmachung der Forderungen hielt sich übrigens der FDGB deshalb für berechtigt, weil es sich um werterhöhende Maßnahmen gehandelt habe, die nach § 4 Abs. 3 des Mietvertrages vom 1. Oktober 1954 bzw. nach Nr. 6 des ab 1. Januar 1961 gültigen Nutzungsvertrages vom Verpächter zu tragen gewesen seien.

Ohne Verfahrensfehler ist schließlich das Verwaltungsgericht dem Antrag auf Akteneinsicht in den Archivbestand des Bundesvorstands des FDGB nicht gefolgt. Zu Recht hat es, zumal angesichts des umfangreichen in den beigezogenen FDGB-Akten vorhandenen Materials, diesen Antrag als unzulässigen Beweisermittlungsantrag angesehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO sowie auf § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

 

Unterschriften

Dr. Franßen, Dr. Paetow, Kley

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1210924

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