Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Aktenzeichen 13 L 2355/95) |
Tenor
Dem Kläger wird für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht Prozesskostenhilfe bewilligt. Ihm wird Rechtsanwalt Werner Schindler, Hildesheimer Straße 52 a, 30169 Hannover, als Prozessbevollmächtigter beigeordnet.
Der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 11. April 2000 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.
Gründe
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beruht auf § 166 VwGO, §§ 114, 119 Abs. 1 Satz 2, § 121 ZPO.
Die Beschwerde ist im Hinblick auf den geltend gemachten Verfahrensmangel einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) zulässig und begründet. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung verweist der Senat die Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO an das Berufungsgericht zurück.
Ein Verfahrensmangel ergibt sich allerdings nicht schon daraus, dass das Oberverwaltungsgericht – wie die Beschwerde meint – „über das Berufungsbegehren des Bundesbeauftragten hinausgegangen” ist und deshalb verfahrensfehlerhaft (§§ 88, 129 VwGO) entschieden hat. Das Berufungsgericht durfte das Berufungsbegehren des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten als unbeschränkt auffassen und auslegen in dem Sinne, dass mit der Berufung die Abweisung der Klage insgesamt beantragt worden ist (vgl. zuletzt etwa den Beschluss des Senats vom 9. Februar 2000 – BVerwG 9 B 31.00 – ≪juris≫, zur Veröffentlichung in Buchholz 402.240 § 53 AuslG vorgesehen).
Der Kläger kann sich auch nicht auf eine Verletzung von Art. 6 EMRK berufen, da diese Bestimmung in ausländer- und asylverfahrensrechtlichen Streitigkeiten grundsätzlich nicht anwendbar ist (vgl. zuletzt den Beschluss des Senats vom 16. Juni 1999 – BVerwG 9 B 1084.98 – NVwZ 1999, 1108 m.w.N.). Eine verfahrensfehlerhafte Anwendung des vereinfachten Berufungsverfahrens nach § 130 a VwGO und damit zugleich ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs im Verwaltungsprozess ergibt sich hier aber daraus, dass das Berufungsgericht die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Anhörung zu einer Entscheidung nach § 130 a VwGO nicht beachtet hat. Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. das zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE bestimmte Urteil vom 21. März 2000 – BVerwG 9 C 39.99 – ≪juris≫) muss die Anhörung unmissverständlich erkennen lassen, wie das Berufungsgericht zu entscheiden beabsichtigt. Das Oberverwaltungsgericht hätte sich deshalb, wie die Beschwerde und der Beteiligte in seiner Stellungnahme zu Recht beanstanden, bei seiner Anhörungsmitteilung nicht auf die Wiedergabe des Gesetzestextes beschränken dürfen („einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet”).
Der Senat lässt offen, ob ein weiterer – an sich vorrangiger – Verfahrensverstoß darin zu sehen ist, dass das Oberverwaltungsgericht in der besonderen Konstellation des Ausgangsverfahrens überhaupt nicht nach § 130 a VwGO hätte verfahren dürfen. Die Beschwerde macht hierzu sinngemäß geltend, der Kläger habe in dem Umfang, in welchem die Sache auf die Berufung des Beteiligten noch anhängig gewesen ist, in erster Instanz durch den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts obsiegt. Mangels Beschwer habe er insoweit kein Rechtsmittel einlegen, also auch keinen Antrag auf mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht gem. § 84 Abs. 2 VwGO stellen können. Er sei daher durch die Anwendung des vereinfachten Berufungsverfahrens ohne mündliche Verhandlung nach § 130 a VwGO im Ergebnis vom Zugang zu mindestens einer mündlichen Verhandlung abgeschnitten gewesen. Darin könnte zwar in einem Verfahren der vorliegenden Art kein Verstoß gegen den – wie ausgeführt – hier nicht unmittelbar anwendbaren Art. 6 Abs. 1 EMRK erblickt werden. Auch läge darin kein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, weil das Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs keinen originären Anspruch auf eine mündliche Verhandlung vor Gericht verbürgt. Die Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck des § 130 a VwGO in der geltenden Fassung legen indessen – gerade auch vor dem Hintergrund der vom Gesetzgeber beabsichtigten generellen Einhaltung des Art. 6 Abs. 1 EMRK – eine Auslegung dahin gehend nahe, dass ein vereinfachtes Berufungsverfahren ohne mündliche Verhandlung allgemein (und darum auch im Asylrechtsstreit) nur stattfinden darf, wenn der in der Berufungsinstanz letztlich Unterliegende sein Begehren zumindest in einer mündlichen Verhandlung im Instanzenzug vorbringen konnte (vgl. Beschlüsse vom 7. Mai 1998 – BVerwG 3 B 208.97 – Buchholz 310 § 130 a VwGO Nr. 25 und vom 15. Dezember 1999 – BVerwG 5 B 38.99 – ≪juris≫). Ob das allerdings auch dann gilt, wenn der Kläger in erster Instanz zugleich teilweise unterlegen ist – wie hier mit seinem Begehren auf Asylanerkennung nach Art. 16 a GG – und die Möglichkeit gehabt hätte, gegen den Gerichtsbescheid statt der beantragten (Teil-)Zulassung der Berufung eine mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht zu beantragen und für das gesamte Verfahren zu erzwingen (vgl. § 84 Abs. 2 Nr. 1 Halbsatz 2 VwGO), bedarf keiner abschließenden Prüfung und Entscheidung.
Unterschriften
Dr. Paetow, Hund, Richter
Fundstellen