Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 16.02.2011; Aktenzeichen 3d A 331/10.O) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16. Februar 2011 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Rz. 1
Die auf eine Grundsatzrüge und Verfahrensfehler (§ 67 Satz 1, § 3 Abs. 1 LDG NRW i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Rz. 2
1. Dem beklagten Lehrer wurde durch Strafbefehl wegen des Besitzes kinderpornographischer Schriften eine Geldbuße von 100 Tagessätzen zu je 60,00 € auferlegt. Gegenstand waren Dateien auf zwei CD-Rom mit 775 Bildern und 33 Filmen mit kinderpornographischem Inhalt, die im Zeitraum vom 9. März 2004 bis 16. August 2005 heruntergeladen und Mitte 2007 beim Beklagten anlässlich einer Hausdurchsuchung sichergestellt wurden. Im sachgleichen Disziplinarklageverfahren ist der Beklagte aus dem Dienst entfernt worden.
Rz. 3
2. Die Beschwerde hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam, ob unter Geltung der erhöhten Strafandrohung des § 184b (gemeint Abs. 4) StGB der Orientierungsrahmen die Entfernung des Beamten aus dem Dienst sei.
Rz. 4
Diese Frage hat der Senat bereits in den beiden Urteilen vom 19. August 2010 – BVerwG 2 C 5.10 – (Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 12) und – BVerwG 2 C 13.10 – (Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 12) beantwortet. Danach ist für strafbares außerdienstliches Verhalten die gesetzliche Strafandrohung Orientierungsrahmen für die Maßnahmebemessung (vgl. auch Beschluss vom 21. Dezember 2010 – BVerwG 2 B 29.10 – Buchholz 232 § 77 BBG Nr. 32 Rn. 12). Das Ausmaß des Ansehensschadens, der durch eine außerdienstlich begangene Straftat hervorgerufen wird, wird maßgeblich durch diesen Strafrahmen bestimmt, sodass bei Fehlen jeglichen Dienstbezuges und einem Strafrahmen von bis zu einem Jahr allenfalls eine Disziplinarmaßnahme im unteren Bereich in Betracht kommt.
Rz. 5
Der Senat hat in diesen Urteilen außerdem den für die Disziplinarwürdigkeit außerdienstlichen Verhaltens notwendigen Bezug zu den dienstlichen Pflichten eines Beamten unter Zugrundelegung des Urteils des Disziplinarsenats vom 30. August 2000 – BVerwG 1 D 37.99 – (BVerwGE 112, 19 = Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 23) näher bestimmt und ausgeführt, dass sich die Beeinträchtigung der Achtung und des Vertrauens entweder auf das Amt des Beamten im konkret-funktionellen Sinne (Dienstposten), d.h. auf die Erfüllung der dem Beamten konkret obliegenden Dienstpflichten, oder auf das Ansehen des Berufsbeamtentums als Sachwalter einer stabilen und gesetzestreuen Verwaltung beziehen muss (Urteile vom 19. August 2010 a.a.O. jeweils Rn. 14 m.w.N.). Ein Bezug zwischen einem außerdienstlichen Dienstvergehen zu dem Dienstposten des Beamten ist gegeben, wenn das außerdienstliche Verhalten Rückschlüsse auf die Dienstausübung in dem Amt im konkret-funktionellen Sinn zulässt oder den Beamten in der Dienstausübung beeinträchtigt (Urteile vom 19. August 2010 a.a.O. jeweils Rn. 15; Beschlüsse vom 21. Dezember 2010 – BVerwG 2 B 29.10 – a.a.O. Rn. 7 und vom 22. Dezember 2010 – BVerwG 2 B 18.10 – Rn. 14 ≪insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 14≫).
Rz. 6
Beim außerdienstlichen Besitz kinderpornografischer Schriften hat der Senat im Fall eines Zollinspektors einen solchen Dienstbezug verneint (Urteil vom 19. August 2010 – BVerwG 2 C 13.10 – Rn. 15). Demgegenüber hat der Senat den Dienstbezug im Fall eines Lehrers bejaht, weil ein Lehrer nach Bekanntwerden eines derartigen Fehlverhaltens bei der Aufgabenwahrnehmung zumindest stark beeinträchtigt ist. Er hat elementare Rechte gerade derjenigen Personengruppe verletzt, deren Schutz und Erziehung ihm als Dienstpflicht obliegt und anvertraut sind. Insoweit genügt die bloße Eignung, zu einem konkreten Ansehensschaden oder konkreten Übergriffen muss es nicht gekommen sein (Urteil vom 19. August 2010 – BVerwG 2 C 5.10 – a.a.O. Rn. 15 und 17, Beschlüsse vom 22. Dezember 2010 – BVerwG 2 B 18.10 – Rn. 15 ≪insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 14≫ und vom 25. Mai 2012 – BVerwG 2 B 133.11 – NVwZ-RR 2012, 607 ff. und Rn. 11).
Rz. 7
Unter Berücksichtigung der dienstlichen Pflichten eines Lehrers in Bezug auf die ihm anvertrauten Kinder und wegen des mit dem Dienstvergehen gerade bei einem Lehrer einhergehenden Autoritätsverlustes ist deshalb eine andere Einordnung gerechtfertigt. Diese bewegt sich unter der Geltung der erhöhten Strafandrohung des § 184b Abs. 4 StGB von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Diese Maßnahme ist wegen der besonderen Schwere des Besitzes kinderpornographischer Schriften von Lehrern auszusprechen, wenn das strafbare Verhalten aufgrund der Tatumstände, insbesondere der Anzahl und des Inhalts des Materials, als besonders verwerflich einzustufen ist und dem Beamten keine entlastenden Umstände von erheblichem Gewicht zugute kommen (Urteil vom 19. August 2010 – BVerwG 2 C 5.10 – a.a.O. Rn. 24, Beschluss vom 25. Mai 2012 – BVerwG 2 B 133.11 – a.a.O. LS 2 und Rn. 11).
Rz. 8
3. Die Beschwerde rügt Verfahrensfehler (§ 67 Satz 1, § 3 Abs. 1 LDG NRW i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) bei der Feststellung des zugrundeliegenden Sachverhalts und bei der disziplinarischen Würdigung durch Aufklärungsmängel (§ 65 Satz 1 i.V.m. § 57 Abs. 1 LDG NRW, § 86 Abs. 1 VwGO) sowie eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO). Jedoch genügt die Beschwerde insoweit bereits nicht den Darlegungsanforderungen nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
Rz. 9
a) Zur Darlegung eines Aufklärungsmangels ist es erforderlich, dass die für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen bezeichnet werden. Weiter muss dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht auf die Vornahme weiterer Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (Beschluss vom 6. März 1995 – BVerwG 6 B 81.94 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265).
Rz. 10
Der Beklagte rügt, das Berufungsgericht hätte Beweis zu einzelnen – in der Beschwerde näher bezeichneten – Umständen erheben müssen. Obwohl das Gericht vorsorglich einen sachverständigen Zeugen vom Landeskriminalamt geladen hatte, hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht keine Beweisanträge gestellt. Hat ein Beteiligter in der mündlichen Verhandlung keine Beweisanträge gestellt, muss er in der Beschwerdeschrift näher ausführen, welchen Beweis das Berufungsgericht jeweils hätte erheben müssen. Dazu genügt es nicht, dass lediglich das Beweisthema grob umrissen wird. Vielmehr müssen das konkret in Betracht kommende Beweismittel und dessen Aussagekraft für das Beweisthema benannt werden. Schließlich sind Ausführungen notwendig, warum sich dem Berufungsgericht die unterlassene Beweisaufnahme jeweils hätte aufdrängen müssen. Hierzu finden sich jedoch keinerlei Ausführungen. Im Einzelnen:
Rz. 11
aa) Der Beamte rügt, dass das Berufungsgericht Beweis dazu hätte erheben müssen, wie und wo die kinderpornographischen Dateien im Einzelnen gesichert worden seien; es wäre nicht auszuschließen gewesen, dass das Ergebnis der Beweisaufnahme ergeben hätte, dass die Dateien nicht auf den gesonderten CD-Rom abgespeichert worden seien.
Rz. 12
Dieses Vorbringen enthält weder Angaben zum Beweismittel noch dazu, warum das Berufungsgericht eine Beweisaufnahme hätte durchführen, geschweige denn, dass sich ihm eine solche sogar hätte aufdrängen müssen. Diese beiden CD-Rom mit den kinderpornographischen Dateien (775 Bilddateien und 33 Filme) waren beim Beklagten bei einer Hausdurchsuchung am 8. Juni 2007 sichergestellt worden; ihr Inhalt ist vom Beklagten zu keinem Zeitpunkt bestritten worden. Die Auswertung der Datenträger durch das Zentralkommissariat 1 des Bayerischen Landeskriminalamtes, Kriminaloberkommissar …, ist in der mündlichen Verhandlung verlesen worden. Angesichts dessen ergab sich für das Berufungsgericht schon nicht die Notwendigkeit einer weiteren Beweisaufnahme zum Inhalt der Datenträger; aufgedrängt haben musste sich ihm eine solche Beweisaufnahme erst recht nicht. Kriminaloberkommissar … war vom Berufungsgericht zudem vorsorglich als Zeuge zur mündlichen Verhandlung geladen worden, der Beklagte hat jedoch keinen Beweisantrag gestellt. Der Beklagte verweist darauf, dass er stets vorgetragen habe, sich nicht mehr zu erinnern, wie und wo er im Einzelnen die Dateien gesichert habe. Ob er aber kinderpornographisches Material auch andernorts abgespeichert hatte, musste das Gericht nicht ermitteln, denn dies war nicht Gegenstand der Disziplinarklage.
Rz. 13
bb) Der Beamte rügt außerdem, dass das Gericht zu den Fragen hätte Beweis erheben müssen, ob er sämtliche Dateien in Augenschein genommen habe, ob die konzentrierte Speicherung der kinderpornographischen Dateien auf zwei gesonderten CD-Rom Ausdruck einer allgemeinen Datensicherung der Festplatte gewesen seien könne, ob er die nach Ansicht des Berufungsgerichts aussagekräftigen Dateinamen zur Kenntnis genommen habe, ob die Suche mit entsprechenden Suchbegriffen im Internet zum Auffinden kinderpornographischen Materials führe, sowie zur Anzahl und Qualität der kinderpornographischen Dateien. Während die Beschwerde zwar zur Frage der Öffnung der Dateien zumindest noch die aus ihrer Sicht in Betracht kommenden Beweismittel (Befragung des Ermittlungsbeamten oder Einholung eines Sachverständigengutachtens) anführt, legt die Beschwerde zu keiner der von ihr aufgeworfenen Beweisfragen dar, warum sich dem Berufungsgericht hierzu Beweisaufnahmen hätten aufdrängen müssen.
Rz. 14
Das Gericht muss nur zu bestrittenen Tatsachen, die nach seinem Rechtsstandpunkt entscheidungserheblich sind, Beweis erheben. Die Anzahl und den Inhalt der auf den beiden Datenträgern gespeicherten kinderpornographischen Dateien hat der Beamte zu keinem Zeitpunkt bestritten. Das Berufungsurteil stellt darauf ab, dass bereits die Inbesitznahme kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 4 StGB strafbar ist. Für die Strafbarkeit ist es unerheblich, ob der Beklagte alle Dateien geöffnet hat, ob er sie zufällig oder absichtlich auf den gesonderten CD-Rom gesichert und ob er deren Dateinamen gekannt hat. Ebenso ist es unerheblich, wie die Dateien (im Internet) beschafft worden sind.
Rz. 15
Auch soweit sich das Berufungsgericht mit dem Vortrag des Beklagten auseinander setzt, er sei sich der Strafbarkeit des Handelns nicht bewusst gewesen, denn er habe zum Teil die Dateien nicht öffnen können und auch deren Dateinamen nicht gekannt, geht es nicht davon aus, dass der Beklagte sämtliche Dateien geöffnet und deren Dateinamen gekannt hat. Es stellt vielmehr entscheidend darauf ab, dass der Beamte bereits nach eigenen Einlassungen – im Zeitraum vom 9. März 2004 bis 16. August 2005 – bewusst nach kinderpornographischen Inhalten im Internet gesucht und diese auf eigenen Speichermedien abgelegt habe. Zudem habe er in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt, dass die auf den beiden CD-Rom abgespeicherten kinderpornographischen Daten unverschlüsselt waren.
Rz. 16
Das Berufungsgericht nimmt diese Einlassungen und die objektiv feststehenden Umstände (unverschlüsselte kinderpornographische Dateien, Sicherung auf gesonderten Datenträgern, Zeitpunkt der Internetrecherche, Dateinamen), um in der Gesamtschau auf ein vorsätzliches Handeln des Beklagten, also dessen Wissen um den kinderpornographischen Inhalt der Dateien und deren Inbesitznahme, zu schließen. Es stellt hingegen nicht darauf ab, dass der Beklagte um jeden der einzelnen objektiv feststehenden Umstände gewusst habe. Dies entspricht den Regeln der freien Beweiswürdigung (vgl. § 108 Abs. 2 VwGO, § 286 Abs. 1 Satz 2 ZPO), nach denen das Gericht objektive, für wahr gehaltene Umstände benennen muss, aus denen der von ihm gezogene Schluss für jedermann möglich ist. Die Art der Datenerlangung ist für das Berufungsgericht nur ein zusätzliches, nicht aber seine Überzeugungsbildung zum Vorsatz tragendes Argument (“Überdies…”, UA S. 20u), sodass es darauf auch an dieser Stelle nicht mehr ankommt. Nichts anderes gilt, soweit das Berufungsgericht unter Zugrundelegung dieser objektiv feststehenden Umstände zu dem Ergebnis gelangt, dass die vom Beklagten vorgebrachten mildernden Umstände im Ergebnis nicht vorliegen.
Rz. 17
Im Übrigen ist die Beweiswürdigung aufgrund des § 137 Abs. 2 VwGO revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob Beweiswürdigungsgrundsätze wie etwa Auslegungsregeln, Denkgesetze und allgemein Erfahrungssätze verletzt sind (stRspr; vgl. nur Beschluss vom 26. Februar 2008 – BVerwG 2 B 122.07 – ZBR 2008, 257 ≪260≫; insoweit nicht in Buchholz abgedruckt). Sind bei der Beweiswürdigung mehrere Folgerungen denkgesetzlich möglich, so kann das Tatsachengericht unter mehreren möglichen eine Folgerung wählen, wenn es dies plausibel und nachvollziehbar begründet. Es ist seine ihm durch § 108 Abs. 1 VwGO übertragene Aufgabe, sich unter Abwägung verschiedener Möglichkeiten seine Überzeugung zu bilden. Aus einer von der Ansicht eines Beteiligten abweichenden Beweiswürdigung des Gerichts kann nicht auf einen Verfahrensfehler geschlossen werden.
Rz. 18
cc) Soweit die Beschwerde schließlich rügt, dass das Berufungsgericht den Zeugen Polizeihauptkommissar … hätte vernehmen müssen, weil in der Berufungsschrift Lücken und Widersprüche in dessen Aussage dargelegt worden seien, vermag auch diese Rüge der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen. Zwar wird von der Beschwerde an dieser Stelle das Beweismittel benannt, gleichwohl aber nicht dargelegt, warum sich dem Berufungsgericht eine Beweisaufnahme hätte aufdrängen müssen. Denn auch hier gilt, dass das Gericht nur zu Tatsachen Beweis erheben muss, die nach seinem Rechtsstandpunkt entscheidungserheblich sind. Das Berufungsgericht befasst sich mit der Aussage des Polizeihauptkommissars … im Rahmen seiner Prüfung des Vorliegens durchgreifender Milderungsgründe. Es führt aber aus (UA S. 31 u/32 o), dass es nicht darauf ankomme, ob sich der Beklagte mit dem Zeugen über das Thema Kinderpornographie unterhalten habe oder nicht. Entscheidend ist für das Berufungsgericht allein, dass der Beklagte das von ihm gesammelte kinderpornographische Material unstreitig nicht an den Zeugen weitergegeben hat.
Rz. 19
b) Ebenso ohne Erfolg rügt die Beschwerde mit ihren Ausführungen zugleich die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) durch eine Überraschungsentscheidung und eine fehlende Anhörung bzw. Befragung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung (Aufklärungsrüge).
Rz. 20
Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs soll sicherstellen, dass der Einzelne nicht bloßes Objekt des gerichtlichen Verfahrens ist. Der Verfahrensbeteiligte soll vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1991 – 1 BvR 1383/90 – BVerfGE 84, 188 ≪190≫). Dabei verlangt Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht, dass das Gericht vor der Entscheidung auf seine Rechtsauffassung oder das Ergebnis seiner Beweiswürdigung hinweist. Ihm ist auch keine umfassende Frage-, Aufklärungs- und Informationspflicht des Gerichts zu entnehmen, da regelmäßig erwartet werden kann, dass die Beteiligten von sich aus erkennen, welche Gesichtspunkte Bedeutung für den Fortgang des Verfahrens und die abschließende Sachentscheidung des Gerichts erlangen können, und entsprechend vortragen (BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 1984 – 1 BvR 272/81 – BVerfGE 66, 116 ≪147≫). Der Schutz vor einer Überraschungsentscheidung verlangt, dass die Beteiligten erkennen können, auf welche tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte es für die Entscheidung nach Ansicht des Gerichts ankommt; das Gericht darf nicht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung machen und damit dem Rechtsstreit eine Wendung geben, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (stRspr; vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 – 1 BvR 986/91 – BVerfGE 86, 133 ≪144 f.≫; BVerwG, Urteil vom 19. August 2010 – BVerwG 2 C 5.10 – Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 12 Rn. 28; Beschlüsse vom 23. Dezember 1991 – BVerwG 5 B 80.91 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 241 und vom 20. November 2012 – BVerwG 2 B 56.12 – Rn. 5, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Rz. 21
Gemessen an diesen Grundsätzen liegt eine Überraschungsentscheidung offensichtlich nicht vor. Sämtliche Umstände und Tatsachen, zu denen sich der Beklagte nach dem Beschwerdevorbringen nicht habe äußern können, lagen offen zutage. Sie waren zumeist Gegenstand des vorangehenden strafgerichtlichen Verfahrens, des behördlichen Disziplinarverfahrens, der Disziplinarklage und der beiden anschließenden Gerichtsentscheidungen einschließlich der mündlichen Verhandlungen. Dass ein Gericht der Wertung eines Beteiligten nicht folgt oder im Rahmen seiner Beweiswürdigung zu einem anderen Ergebnis gelangt als von einem Beteiligten erwünscht, stellt keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar. Nichts anderes aber rügt die Beschwerde. Beispielhaft soll hierzu nur auf zwei Rügen eingegangen werden:
Rz. 22
aa) Der Beklagte sieht in dem Umstand, dass das Berufungsurteil darauf abstelle, dass die Dateien mit kinderpornographischem Inhalt (konzentriert) auf gesonderten Speichermedien abgelegt worden seien, eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Das Berufungsgericht hätte ihn dazu befragen müssen, weshalb die Dateien auf gesonderten Datenträgern abgelegt worden seien, zumindest hätte es ihm Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen. Dass in den Urteilsgründen sodann wesentlich darauf abgestellt werde, dass die Dateien auf gesonderten Datenträgern abgespeichert worden seien, sei für ihn überraschend gewesen.
Rz. 23
Das Urteil erweist sich schon deshalb nicht als Überraschungsentscheidung, weil die beiden CD-Rom mit den kinderpornographischen Dateien (775 Bilddateien und 33 Filme) beim Beklagten bei einer Hausdurchsuchung am 8. Juni 2007, bei der er zugegen war, sichergestellt worden waren. Ihr in der Zeit vom März 2004 bis August 2005 gespeicherter Inhalt war anschließend Gegenstand der Beschuldigtenvernehmung des Beklagten, des Strafbefehls vom 19. September 2007 und seiner schriftsätzlichen Äußerungen gegenüber dem Strafgericht vom 15. November 2007 und vom 16. Januar 2008. Er war außerdem Gegenstand des behördlichen Disziplinarverfahrens und der Disziplinarklage sowie des erstinstanzlichen Disziplinarurteils. Schließlich waren diese beiden Datenträger mit kinderpornographischen Dateien und ihr Zustandekommen ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht auch dort Gegenstand; die Beschuldigtenvernehmung und die Auswertung der Datenträger durch das Zentralkommissariat 1 des Bayerischen Landeskriminalamtes, Kriminaloberkommissar … sind verlesen worden, der Beklagte hat sich hierzu geäußert. Die in der Beschwerde wiederholte Argumentation des Beklagten, er habe die Dateien mit kinderpornographischem Inhalt, die er überwiegend nicht habe öffnen können, in gesonderten Ordnern abgespeichert gehabt und diese Ordner im Rahmen einer Datensicherung auf gesonderten Datenträgern gespeichert, ohne sich zu dem Zeitpunkt über deren Inhalt im Klaren gewesen zu sein, später habe er sie vergessen, hat das Berufungsgericht berücksichtigt, ist ihm jedoch – wie die Vorinstanz – im Rahmen seiner Beweiswürdigung nicht gefolgt.
Rz. 24
bb) Nicht nur zum Zustandekommen der beiden Datenträger, sondern auch zu seinen “Motiven” ist der Beklagte entgegen der Darstellung in der Beschwerde befragt worden. Das Berufungsurteil befasst sich im Rahmen seiner Ausführungen zum Vorliegen durchgreifender Milderungsgründe ausführlich mit dem entsprechenden Vortrag des Beamten (u.a.: keine sexuellen Motive; Gerüchte unter Schülern, denen er durch eigene Internetrecherche habe nachgehen wollen um mit den Schülern auf Augenhöhe zu diskutieren; nur zufällige Datensicherung; Dateien habe er teilweise nicht öffnen können), den es im Ergebnis allerdings ebenfalls als widerlegt erachtet (UA S. 31 ff.). In diesem Rahmen stellt es unter anderem darauf ab, dass der Beklagte in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, dass er die Internetrecherche “spannend” gefunden habe und “neugierig” gewesen sei. Ausschlaggebend ist in diesem Zusammenhang für das Gericht aber der Umstand, dass der Beklagte die zwischen dem 9. März 2004 bis 16. August 2005 beschafften Dateien im Zeitpunkt der Hausdurchsuchung im Juni 2007 immer noch im Besitz hatte, ohne sich in diesem (langen) Zeitraum an die Strafverfolgungsbehörden gewandt zu haben. Soweit er sich dahingehend eingelassen habe, er habe nur auf Hinweise seiner Schüler im Internet recherchiert, um als Pädagoge und Vertrauensperson auf gleicher Ebene mit den Schülern sprechen zu können, ist dies für das Gericht nicht ansatzweise nachvollziehbar. Wenn die Beschwerde in diesem Zusammenhang meint, dass der Beklagte bei entsprechender Befragung des Gerichts hätte klarstellen können, dass es ihm nicht darum gegangen sei, sich über Dateien mit kinderpornographischem Inhalt mit Schülern zu unterhalten, sondern lediglich über die Art und Weise des Weges, an solches Material gelangen zu können, so hat sich das Berufungsgericht auch mit diesem Vortrag befasst, und zwar bereits im Rahmen seiner Ausführungen zur Frage vorsätzlichen Handelns (UA S. 21 u/22 o).
Rz. 25
Von einer weiteren Begründung der Ablehnung der Verfahrensrügen wird gemäß § 67 Satz 1, § 3 Abs. 1 LDG NRW i.V.m. § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO abgesehen.
Rz. 26
c) Sofern der Beklagte meint, seine hervorragenden dienstlichen Beurteilungen und sein überdurchschnittliches berufliches Engagement seien im Rahmen der Maßnahmebemessung nach § 13 Abs. 2 LDG NRW von Bedeutung und hätten im Berufungsurteil näher erwähnt werden müssen, ist hiermit kein Revisionszulassungsgrund im Sinne des §§ 3, 67 Satz 1 LDG NRW i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO bezeichnet oder sinngemäß dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Im Übrigen würdigt das Berufungsgericht (auf S. 34 im Urteilsabdruck) ausdrücklich diese Umstände:
“(…) Dies gilt auch unter Berücksichtigung seiner Persönlichkeit, seiner bis dahin tadellosen Amtsführung sowie seiner – u.a. auch im Tatbestand aufgeführten – dienstlichen Leistungen und seines inner- und außerdienstlichen Engagements. (…)”.
Rz. 27
Es misst ihnen jedoch nicht die Bedeutung bei, die die Beschwerde für zutreffend hält. Mit einer gegenteiligen Auffassung zur disziplinarischen Würdigung kann ein Verfahrensfehler nicht begründet werden. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die langjährige pflichtgemäße Dienstausübung selbst bei überdurchschnittlichen Leistungen für sich genommen regelmäßig nicht geeignet ist, gravierende Pflichtenverstöße in einem milderen Licht erscheinen zu lassen (stRspr, zuletzt Urteil vom 28. Februar 2013 – BVerwG 2 C 3.12 – Rn. 43 m.w.N., zur Veröffentlichung in den Entscheidungssammlungen BVerwGE und Buchholz vorgesehen).
Rz. 28
d) Schließlich rügt die Beschwerde ohne Benennung eines Revisionszulassungsgrundes im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO, dass der Beginn des Zeitraumes der dem Beklagten zur Last gelegten Taten im März 2004 vor Anhebung des Strafrahmens für den Besitz kinderpornographischer Schriften zum 1. April 2004 gelegen habe. Aufgrund einer einheitlichen Betrachtung hätte das Berufungsgericht für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme auf die “alte” strafrechtliche Rechtslage abstellen müssen.
Rz. 29
Die bloße Behauptung eines Rechtsfehlers stellt jedoch keine Darlegung eines Revisionszulassungsgrundes dar. Im Übrigen stellt sich das vom 9. März 2004 bis zur Hausdurchsuchung am 8. Juni 2007 andauernde Tatgeschehen als einheitliches Dienstvergehen dar. Trotz der wenige Tage nach Tatbeginn erfolgten Anhebung des Strafrahmens für den Besitz kinderpornographischer Schriften hat der Beamte weiterhin nach kinderpornographischem Material im Internet (bis 16. August 2005) gesucht, die gespeicherten Dateien in Besitz genommen und bis zur Hausdurchsuchung behalten. Dass das Berufungsgericht unter diesen Umständen maßgeblich auf den neuen Strafrahmen als Ausgangspunkt für die Bestimmung des Orientierungsrahmens abstellt, ist nicht zu beanstanden.
Rz. 30
Soweit der Beklagte in diesem Zusammenhang außerdem meint, das Berufungsgericht hätte dazu Beweis erheben müssen, wann er welche Dateien heruntergeladen habe, stand dies zum Einen aufgrund der Auswertung der beiden Datenträger fest und zum Anderen war diese Frage nicht entscheidungserheblich, da er die Dateien bis zum Zeitpunkt der Hausdurchsuchung im Besitz hatte.
Rz. 31
Die Kostenentscheidung folgt aus § 74 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO. Der Festsetzung eines Streitwertes bedarf es nicht, weil Gerichtskosten nach der Anlage zu § 75 LDG NRW erhoben werden.
Unterschriften
Dr. Heitz, Thomsen, Dr. Hartung
Fundstellen