Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 30.10.2007; Aktenzeichen 8 A 06.40026) |
Tenor
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 30. Oktober 2007 wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Klägerin zu 1 3/4 und der Kläger zu 2 1/4.
Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 141 000 € festgesetzt.
Gründe
Die auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Frage,
ob und inwieweit sich “übergeordnete Planungskonzepte”, die sich etwa aus raumordnerischen Darstellungen ergeben, vor dem Hintergrund eines normativen bzw. planerischen Gestaltungsspielraums des jeweiligen Normgebers, einer Beurteilung durch die Fachplanungsbehörde und in der Folge hiervon einem Gericht entziehen,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision.
Soweit es der Beschwerde damit um die Klärung der Frage gehen sollte, ob und in welchem Umfang die straßenrechtliche Fachplanung und die Gerichte an die zielförmige landesplanerische Festlegung einer Straßentrasse – hier nach den Feststellungen der Vorinstanz durch die Verordnungen über das Landesentwicklungsprogramm Bayern i.d.F. vom 25. April 2000 bzw. vom 8. August 2006 (UA S. 18 f. Rn. 52 f.) – gebunden sind, fehlt es an der Entscheidungserheblichkeit. Die Vorinstanz hat die Frage einer Bindungswirkung raumplanerischer Trassenfestlegungen gegenüber der straßenrechtlichen Fachplanung ausdrücklich offen gelassen, weil die Planfeststellungsbehörde beim Vergleich der planfestgestellten Straßentrasse Dorfen mit der Variante Haag den landesplanerisch als Raumordnungsziel ausgewiesenen raumstrukturellen Belang einer Verbesserung der straßenmäßigen Erschließung und Anbindung des Raumes Dorfen an das Straßenverkehrsnetz eigenständig und ergebnisoffen gewichtet und abgewogen habe (UA S. 18 ff. und 24, Rn. 52 ff. und 64). Nach den Feststellungen der Vorinstanz weicht das Ergebnis dieser fachplanerischen Abwägung nicht von der landesplanerischen Zielsetzung ab. Daher ist im vorliegenden Verfahren auch nicht zu klären, ob die straßenrechtliche Fachplanung befugt ist, eine ergebnisoffene Variantenprüfung nach § 17 Satz 2 FStrG vorzunehmen, obwohl die Landesplanung eine bestimmte Führung der Straßentrasse bereits zielförmig festgelegt hat (ablehnend Urteil vom 16. März 2006 – BVerwG 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116 ≪137 f., Rn. 72 f.≫ für die luftverkehrsrechtliche Fachplanung; zustimmend Bayerischer VGH, Beschluss vom 19. April 2005 – 8 AS 02.40041 – NuR 2006, 653 ≪655≫ für die straßenrechtliche Fachplanung; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 15. Juli 2005 – BVerwG 9 VR 43.04 – Buchholz 406.14 § 4 ROG 1998 Nr. 1 S. 6). Im Übrigen ist, was die Frage der gerichtlichen Kontrolle der zielförmigen Standort- bzw. Trassenentscheidungen der Landesplanung angeht, in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt, dass diese Festlegungen bei Anfechtung des Planfeststellungsbeschlusses der gerichtlichen Inzidentkontrolle unterliegen (Urteil vom 16. März 2006 a.a.O. S. 141 ff.).
Auch soweit die von der Beschwerde aufgeworfene Frage die Berücksichtigung raumordnerischer “Planungskonzepte” im Rahmen der planerischen Abwägung nach § 17 Satz 2 FStrG unabhängig von einer landesplanerischen Zielbindung betreffen sollte, kommt eine Zulassung der Revision nicht in Betracht. Durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bereits hinreichend geklärt, dass die Frage, ob für ein von der Planfeststellungsbehörde angenommenes Planziel ein Bedürfnis besteht, nur eingeschränkter gerichtlicher Kontrolle unterliegt. Hat die Planfeststellungsbehörde einen Ausbaubedarf sachgerecht begründet, ist das Gericht nicht befugt, diese Einschätzung durch eigene Ermittlungen zu ersetzen oder sich gar von Erwägungen einer “besseren” Planung leiten zu lassen (vgl. Urteile vom 8. Juli 1998 – BVerwG 11 A 53.97 – BVerwGE 107, 142 ≪146≫ und vom 5. Dezember 1986 – BVerwG 4 C 13.85 – BVerwGE 75, 214 ≪232 ff.≫ jeweils zur luftverkehrsrechtlichen Planung; Urteil vom 30. Januar 2008 – BVerwG 9 A 27.06 – NuR 2008, 406 ≪408≫ zur begrenzten gerichtlichen Kontrolle der Variantenauswahl). Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass der vorliegende Rechtsstreit Gelegenheit zur Fortentwicklung dieser Rechtsprechung mit Blick auf raumordnerische Belange bieten könnte. Die Vorinstanz hat die Feststellung der Planfeststellungsbehörde, es bestehe Bedarf zur Verbesserung der verkehrsmäßigen Erschließung des Raumes Dorfen, nicht einfach übernommen, sondern insoweit eine konkrete Plausibilitätsprüfung vorgenommen (UA S. 20 Rn. 55). Sie hat sich ferner nicht gehindert gesehen, die Gewichtung dieses raumstrukturellen Belangs im Rahmen des Trassenvergleichs einer – dem fachplanerischen Ermessen Rechnung tragenden – gerichtlichen Prüfung zu unterziehen (UA S. 18 f. und 24, Rn. 52 f. und 64). Die Beschwerde legt nicht dar, dass das Planziel einer Verbesserung der verkehrsmäßigen Erschließung des Raumes Dorfen einer weiter gehenden gerichtlichen Überprüfung hätte unterzogen werden müssen und welcher grundsätzliche Klärungsbedarf in diesem Zusammenhang bestehen sollte.
2. Hinsichtlich der Frage,
“ob der Planungsgrundsatz in § 50 S. 1 BImSchG, wonach bei raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen die Flächen so zuzuordnen sind, dass schädliche Umwelteinwirkungen auf ausschließlich oder überwiegend dem Wohnen dienenden Gebiete sowie auf sonstige schutzwürdige Gebiete soweit wie möglich vermieden werden sollen, dahingehend auszulegen ist, dass im Rahmen des gesetzlichen Vermeidungsgebotes auch die Minimierung von Vorbelastungen für die gesetzlich beschriebenen Gebiete erfasst wird”,
besteht ebenfalls kein Klärungsbedarf.
Die Beschwerde macht insoweit der Sache nach geltend, beim Vergleich von Straßentrassen sei zu berücksichtigen, dass § 50 Satz 1 BImSchG als Abwägungsdirektive auch die Bekämpfung der Verkehrslärmvorbelastung von Wohngebieten durch Maßnahmen des Lärmschutzes vorgebe, die im Zusammenhang mit der Durchführung des Vorhabens notwendig werden. Dies trifft nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Lärmschutzkonzept des Bundes-Immissionsschutzgesetzes nicht zu. Danach soll § 50 Satz 1 BImSchG “soweit wie möglich” Lärmvorsorge unterhalb der in § 41 BImSchG bezeichneten Lärmschwelle durch räumliche Trennung störungsträchtiger und -empfindlicher Nutzungen herstellen. Die Abwehr schädlicher Lärmeinwirkungen durch technische Maßnahmen des Lärmschutzes nach § 41 BImSchG in Verbindung mit der 16. BImSchV kommt als zweite Stufe erst dann zum Tragen, wenn von einer Lärmvorsorge durch räumliche Trennung abwägungsfehlerfrei abgesehen werden kann (Urteil vom 28. Januar 1999 – BVerwG 4 CN 5.98 – BVerwGE 108, 248 ≪253 f.≫). Mit diesem Lärmschutzkonzept ist die von der Beschwerde vertretene Auslegung des § 50 Satz 1 BImSchG unvereinbar. Danach würde diese Vorschrift vorgeben, Straßenbauvorhaben möglichst siedlungsnah durchzuführen, wenn dadurch Lärmschutzmaßnahmen notwendig werden, welche eine bestehende Vorbelastung mindern. Es liegt auf der Hand, dass bei einem solchen Auslegungsergebnis sowohl der in § 50 Satz 1 BImSchG verankerte Trennungsgrundsatz als auch die gesetzlich vorgegebene Stufenfolge von Lärmvorsorge durch räumliche Trennung konfliktträchtiger Nutzungen und Schutz vor erheblichen Lärmbeeinträchtigungen nach § 41 BImSchG durch technische Maßnahmen des Lärmschutzes geradezu auf den Kopf gestellt würden. Auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens kann daher festgehalten werden, dass § 50 Satz 1 BImSchG nicht als Abwägungsdirektive vorgibt, die Trasse einer Straße möglichst so zu wählen, dass Verkehrslärmvorbelastungen von Wohngebieten durch im Zuge der Realisierung des Vorhabens notwendig werdende Lärmschutzmaßnahmen verringert werden.
Im Übrigen lässt die Beschwerde in diesem Zusammenhang außer Acht, dass der in § 50 Satz 1 BImSchG verankerte Grundsatz der räumlichen Trennung unverträglicher Nutzungen “eingebunden” ist in die nach § 17 Satz 2 FStrG vorzunehmende Abwägung aller durch das Vorhaben berührten Belange und somit auch gegenüber anderen gewichtigen Belangen zurücktreten kann (Urteile vom 28. Januar 1999 a.a.O. S. 253 und vom 22. März 1985 – BVerwG 4 C 73.82 – BVerwGE 71, 163 ≪165≫; Beschluss vom 7. Juli 2004 – BVerwG 4 BN 16.04 – BRS 67 Nr. 33). Maßgebend hierfür sind die Umstände des Einzelfalls. Dementsprechend ist die Vorinstanz auch nicht davon ausgegangen, dass für den Trassenvergleich allein der Trennungsgrundsatz des § 50 Satz 1 BImSchG maßgeblich ist. Vielmehr hat sie die Wahl der Trasse Dorfen im Hinblick auf gewichtige Planziele wie etwa die Verkehrserschließung des Raumes Dorfen, die Erhöhung der Verkehrssicherheit sowie die Erhaltung der B 12 als überregionaler Straßenzug als gerechtfertigt angesehen (UA S. 18 ff. Rn. 52 ff.). Auch unter Lärmschutzaspekten geht die gerichtliche Prüfung über eine Anwendung des § 50 Satz 1 BImSchG hinaus. Die Vorinstanz hat im Anschluss an entsprechende umfangreiche Untersuchungen des Vorhabenträgers (Ergänzungsplanfeststellungsbeschluss vom 30. April 2007 S. 61 ff.) im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ausdrücklich festgestellt, dass die Bevölkerung bei Realisierung der planfestgestellten Trasse Dorfen insgesamt geringeren Lärmbelästigungen ausgesetzt sein wird als bei Durchführung der Trassenalternative Haag, weil dort deutlich mehr Menschen in zahlreicheren Wohngebieten lebten als im Korridor Dorfen (UA S. 38 Rn. 94). In diesem Zusammenhang wird in der angefochtenen Entscheidung auch darauf verwiesen, dass bei einer Verwirklichung der Autobahntrasse Dorfen der Fernverkehr weitgehend weg von der entlang der Hauptsiedlungsgebiete im Korridor Haag verlaufenden B 12 in den dünn besiedelten Korridor Dorfen verlagert werde; dadurch werde verstärkt Rücksicht auf diejenigen Gebiete genommen, in denen mehr Menschen wohnten (UA S. 28 f. Rn. 73).
3. Die Frage,
inwieweit das Abwägungsgebot des § 17 Satz 2 FStrG es bei abschnittsweiser Planung einer Bundesfernstraße gebietet, einen hinreichenden Nachweis für das mögliche Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für Befreiungen in naturschutzrechtlicher Hinsicht zu verlangen,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision, weil sie durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits hinreichend geklärt ist.
Danach ist eine Vorausschau auf nachfolgende Abschnitte nach Art eines “vorläufigen positiven Gesamturteils” erforderlich, aber auch ausreichend. Die Prognose muss ergeben, dass der Verwirklichung des Vorhabens auch im weiteren Verlauf keine von vornherein unüberwindlichen Hindernisse – etwa mit Blick auf vorhandene FFH-Gebiete – entgegenstehen. Für die gerichtliche Prüfung kommt es entscheidend darauf an, ob sich nach summarischer Würdigung des Sachverhalts die Realisierbarkeit ausschließen lässt. Der voraussehbare Eintritt nachteiliger Auswirkungen auf ein FFH-Gebiet reicht dafür nicht aus. Sie sind zwar in Rechnung zu stellen und zu gewichten; daneben ist aber auch zu berücksichtigen, ob es als möglich erscheint, mit Hilfe von Schutzmaßnahmen die Verträglichkeit zu gewährleisten oder aufgrund einer Abweichungsprüfung zur Zulässigkeit des Vorhabens zu gelangen. Das alles erfordert eine tatrichterliche Einzelfallwürdigung (Urteil vom 12. März 2008 – BVerwG 9 A 3.06 – NuR 2008, S. 633 ff. Rn. 270 f. m.w.N.). Die Beschwerde legt nicht dar, dass das vorliegende Verfahren Gelegenheit zur Fortentwicklung dieser Rechtsprechung bieten könnte. Sie macht geltend, das Bundesverwaltungsgericht müsse auch zur Wahrung des effektiven Rechtsschutzes klarstellen, dass es den Gerichten verwehrt sei, die Prüfung der Realisierbarkeit eines Vorhabens in einem Folgeabschnitt im Rahmen eines “vorläufigen positiven Gesamturteils” durch einen pauschalen Verweis auf die Möglichkeit einer später zu treffenden naturschutzrechtlichen Abweichungsentscheidung zu ersetzen. Dies folgt mit hinreichender Deutlichkeit jedoch bereits aus der oben dargelegten Rechtsprechung, wonach die Prognose der Realisierbarkeit zwar nicht einen Grad der Gewissheit erreichen muss, der eine Verzögerung oder ein Scheitern des Gesamtvorhabens ausschließt, sich aber doch mit den genannten naturschutzrechtlichen Zulassungsvoraussetzungen auseinandersetzen muss, was etwa für die Abweichungsprüfung eine Gewichtung etwaiger Beeinträchtigungen eines FFH-Gebiets oder von geschützten Arten voraussetzt (Urteil vom 12. März 2008 a.a.O. Rn. 271, 273; vgl. auch Beschluss vom 23. November 2007 – BVerwG 9 B 38.07 – NuR 2008, S. 176 ff. Rn. 21 f.).
Im Übrigen trifft es auch nicht zu, dass die Vorinstanz die Feststellung, Naturschutzrecht stehe einer Verwirklichung der A 94 in nachfolgenden Planungsabschnitten nicht von vornherein als unüberwindliches Hindernis entgegen, allein auf einen pauschalen Verweis auf die Möglichkeit von Abweichungsentscheidungen gestützt hat. Diese Einschätzung beruht vielmehr auf der aus einer eingehenden tatrichterlichen Einzelfallwürdigung gewonnenen Feststellung, dass in der Vorausschau keine erheblichen Beeinträchtigungen der Erhaltungsziele der FFH-Gebiete “Strogn mit Hammerbach und Köllinger Bächlein” (UA S. 48 f. Rn. 131 – 134), “Isental mit Nebenbächen” (UA S. 49 ff. Rn. 135 – 161) und “Mausohrkolonien im Unterbayerischen Hügelland” (UA S. 62 ff. Rn. 162 – 181) durch Folgeabschnitte zu erwarten sind, hinsichtlich des zuletzt genannten FFH-Gebiets auch wegen vorgesehener Schutzmaßnahmen. Die Annahme, dem Beklagten stünde “äußerstenfalls” auch die Möglichkeit offen, eine Befreiung aus überwiegenden Gründen des Gemeinwohls zu erteilen (UA S. 67 Rn. 182), stellt demgegenüber lediglich eine Hilfserwägung dar. Dieser Annahme liegt zudem ersichtlich die Einschätzung zugrunde, dass Beeinträchtigungen von Erhaltungszielen, die entgegen dem positiven vorläufigen Gesamturteil eintreten sollten, allenfalls geringes Gewicht hätten. Es ist danach auch nicht erkennbar, dass die von der Beschwerde aufgeworfene Frage im vorliegenden Verfahren entscheidungserheblich ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 100 Abs. 2 ZPO, die Streitwertfestsetzung auf § 39 Abs. 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG. In Anlehnung an die Streitwertfestsetzung der Vorinstanz entfällt dabei auf die Klägerin zu 1 ein Teilstreitwert von 105 000 € und auf den Kläger zu 2 ein Teilstreitwert von 36 000 €.
Unterschriften
Dr. Storost, Dr. Christ, Prof. Dr. Korbmacher
Fundstellen