Verfahrensgang
OVG des Saarlandes (Beschluss vom 02.09.2002; Aktenzeichen 3 N 4/01) |
Tenor
Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 2. September 2002 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4 000 EUR sowie unter Änderung der vorinstanzlichen Festsetzung für das Normenkontrollverfahren auf 4 090 EUR (entspricht 8 000 DM) festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat Erfolg. Sie führt gemäß § 133 Abs. 6 VwGO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht.
1. Der von der Antragstellerin dargelegte Verfahrensfehler ungenügender Sachaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) liegt vor. Auf ihm kann der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts beruhen.
Der Beschluss beruht auf der Erwägung, dass eine „ähnliche Veranstaltung” im Sinne des § 16 Abs. 1 LadSchlG dadurch gekennzeichnet ist, dass es sich um eine traditionelle Veranstaltung handelt, die volkstümlichen Charakter hat und von eigenständigem Gewicht ist und deshalb zu einer beträchtlichen Besucherzahl führt; in Saarbrücken seien dafür 15 000 Besucher ausreichend. Hinsichtlich der Besucherzahl ist nach den weiteren Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts von dem Verordnungsgeber nicht mehr als eine sachgerechte Vorausschau zu fordern.
Die Antragstellerin macht geltend, das Oberverwaltungsgericht habe seiner Entscheidung, die Antragsgegnerin habe von einem im dargelegten Sinn beträchtlichen Besucherstrom ausgehen dürfen, eine Schätzung des zuständigen Polizeireviers von durchschnittlich 30 000 Besuchern zugrunde gelegt, die das Gericht selbst allenfalls als Anhaltspunkt bewertet habe. Das Gericht habe nicht berücksichtigt, dass sie diese Zahl bestritten habe. Es hätte Beweis über die zu erwartende Besucherzahl durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erheben müssen, das ergeben hätte, dass der Flohmarkt keinen beträchtlichen Besucherstrom anziehe, sondern allein die Öffnung der Geschäfte, dass die Anzahl der Besucher im Vergleich zur Einwohnerzahl gering sei und sich das Gewicht der Veranstaltung nicht von anderen Veranstaltungen an „normalen” Sonn- und Feiertagen unterscheide. Diese Rüge ist berechtigt. Wenn nach der in diesem Zusammenhang allein maßgebenden materiellen Rechtsauffassung des Gerichts die prognostische Anzahl der Besucher entscheidungserheblich war, so durfte sich das Oberverwaltungsgericht nicht mit einer polizeilichen Schätzung begnügen, die es selbst als mit Schätzfehlern behaftet angesehen hat. Das Gericht hat nicht dargelegt, wie und mit welcher Sachkunde die polizeiliche Schätzung vorgenommen worden ist. Die Verlässlichkeit einer derartigen Schätzung kann davon abhängen, ob ihr konkrete Zählungen etwa an einem Eingangsbereich des Veranstaltungsortes während eines bestimmten Zeitraums zugrunde liegen. Eine überhaupt nicht verifizierte Schätzung ist demgegenüber „gegriffen” und kann ebenso gut richtig wie falsch sein. Dem Oberverwaltungsgericht hätte sich auch ohne entsprechende Anregung der Antragstellerin aufdrängen müssen, dass die von ihm für entscheidungserheblich gehaltene Schätzung der Anzahl der Besucher in geeigneter Weise vorzunehmen war und nicht „aus der Luft gegriffen” werden durfte. Sofern es an einer ausreichenden Schätzung des Verordnungsgebers fehlte, hätte die verlässliche Ermittlung der durch eine Veranstaltung vergleichbarer Art angezogenen Besucher die Annahme entkräften können, dass eine beträchtliche Anzahl von Besuchern zu erwarten war. Ein solches Ergebnis hätte die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts auf der Grundlage seiner materiellrechtlichen Rechtsauffassung beeinflussen können. Eine entsprechende Schätzung hätte ohne größere Schwierigkeiten auf der Basis von Zählungen anlässlich der weiteren Veranstaltungen von „Floh- und Trödelmärkten” im Jahre 2002 erfolgen können.
Ob dem Oberverwaltungsgericht die weiteren von der Antragstellerin vorgetragenen Verfahrensverstöße unterlaufen sind, kann auf sich beruhen.
2. Der Senat macht von seinem in § 133 Abs. 6 VwGO eingeräumten Ermessen Gebrauch, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Die von der Beschwerde weiter erhobenen Grundsatz- und Divergenzrügen stehen diesem Vorgehen nicht entgegen.
a) Grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 1 Nr. 2 VwGO) kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann. Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen verleihen der Sache keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung.
aa) Die Antragstellerin möchte geklärt wissen, „wen hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen im Rahmen des § 16 LadSchlG die Mitwirkungslast trifft”. Die Beantwortung dieser Frage bedarf, soweit sie sich im vorliegenden Verfahren stellen kann, nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens.
Es ist geklärt, dass die Beteiligten grundsätzlich verpflichtet sind, bei der Erforschung des Sachverhalts (§ 86 VwGO) mitzuwirken. (BVerwGE 19, 87 ≪94≫; Urteil vom 22. März 1983 – BVerwG 9 C 68.81 – Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 44). Dass dies auch in Fällen gilt, die das Ladenschlussgesetz betreffen, ist nicht zweifelhaft. Ebenfalls ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, ob eine Ausnahmevorschrift anzuwenden ist. Kommen die Beteiligten dieser Pflicht nicht nach, obwohl ihnen ihre Erfüllung ohne weiteres möglich und zumutbar ist, kann dies zu einer Reduzierung der Anforderungen an die Aufklärungspflicht des Gerichts führen und negative Schlüsse zulassen (BVerwGE 74, 222 ≪223 f.≫). Bestreiten „ins Blaue hinein” ist mit den prozessualen Mitwirkungspflichten im Verwaltungsprozess nicht vereinbar (Beschluss vom 29. März 1995 – BVerwG 11 B 21.95 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 266). Ebenso ist geklärt, dass § 138 Abs. 4 ZPO, demzufolge Bestreiten mit Nichtwissen über Tatsachen zulässig ist, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstände ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind, im Verwaltungsprozess wegen der gerichtlichen Ermittlungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO nicht anwendbar ist (Urteil vom 2. August 2001 – BVerwG 7 C 2.01 – Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 45). Das bedeutet nicht, dass die Beteiligten keine Vortragslasten treffen. Das Maß der gerichtlichen Pflicht zur Sachaufklärung bestimmt sich auch nach der Substanz des Vorbringens der Beteiligten.
bb) Die Antragstellerin hält ferner zum Verständnis des Begriffs „ähnliche Veranstaltung” in § 16 LadSchlG die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, „welche Kriterien eine Veranstaltung erfüllen muss, insbesondere ob die Einwohnerzahl der Stadt bzw. des Stadtteils, in dem die Veranstaltung stattfindet, mit der der Besucher in Relation zu setzen ist und ob eine überörtliche Bedeutung gegeben sein muss.” Auch diese Problematik braucht nicht in einem Revisionsverfahren erörtert zu werden, sondern lässt sich auf der Grundlage der vorliegenden Rechtsprechung nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalles lösen. Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits im Beschluss vom 18. Dezember 1989 – BVerwG 1 B 153.89 – (Buchholz 451.25 LadSchlG Nr. 27 = GewArch 1990, 143) im Zusammenhang mit der Regelung des § 14 Abs. 1 LadSchlG unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte ausgeführt, dass es sich um solche Veranstaltungen handeln muss, die einen beträchtlichen Besucherstrom anziehen und aus diesem Grund Anlass bieten, abweichend von den allgemeinen Ladenschlusszeiten die Offenhaltung der Verkaufsstellen freizugeben. Im Anwendungsbereich des § 16 Abs. 1 LadSchlG, der ähnlich wie § 14 Abs. 1 Satz 1 und 3 LadSchlG Ausnahmen vom allgemeinen Ladenschluss ermöglicht (Urteil vom 17. Dezember 1998 – BVerwG 1 CN 1.98 – BVerwGE 108, 182 = Buchholz 451.25 LadSchlG Nr. 29 = GewArch 1999, 168), kann insoweit nichts anderes gelten. Unter welchen Umständen diese Voraussetzungen erfüllt sind, lässt sich nicht allgemein und insbesondere nicht im Sinne der Beschwerdebegründung durch das Verhältnis von Einwohnern zu Besuchern festlegen. Der „beträchtliche Besucherstrom” ist ein solcher, der es erwarten lässt, dass die Angebote der geöffneten Verkaufsstellen in einem auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten relevanten Maße in Anspruch genommen werden. Die von der Beschwerde ebenfalls angesprochene überörtliche Bedeutung kann insofern von Bedeutung sein, ob die Offenhaltung der Verkaufsstellen es ermöglichen kann, einen Bedarf auswärtiger Besucher zu befriedigen. Dieser wird umso größer sein, je mehr auswärtige Besucher die Veranstaltung besuchen. Das alles muss nach Maßgabe der tatsächlichen Umstände gewürdigt werden.
b) Der von der Beschwerde geltend gemachte Revisionszulassungsgrund der Abweichung von der Rechtsprechung der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte ist nicht gegeben. Eine die Zulassung der Revision rechtfertigende Divergenz im Sinne der genannten Vorschrift liegt nur vor, wenn das Berufungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abgerückt ist. Dabei müssen die Rechtssätze sich grundsätzlich auf dieselbe Rechtsnorm beziehen. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt in diesem Zusammenhang, dass in der Beschwerdebegründung ausgeführt wird, dass und inwiefern das Berufungsgericht seine Entscheidung auf einen in der genannten Weise widersprechenden Rechtssatz gestützt hat. Daran fehlt es.
Die Antragstellerin macht geltend, das Oberverwaltungsgericht sei von der Aussage des Bundesverwaltungsgerichts in dem Beschluss vom 18. Dezember 1989 (a.a.O.) abgerückt, dass es sich bei den ähnlichen Veranstaltungen um solche handeln müsse, die einen „beträchtlichen Besucherstrom” anziehen. Sie zeigt aber keinen abstrakten Rechtssatz des Oberverwaltungsgerichts auf, der damit in Widerspruch stehen könnte, sondern führt selbst aus, dass das Oberverwaltungsgericht gerade diese Wendung seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. In Wahrheit rügt die Antragstellerin die Subsumtion des Gerichts und meint, dass der „beträchtliche Besucherstrom” nicht vorliege. Damit kann eine Divergenz nicht dargelegt werden.
3. Die Entscheidung über die Kosten muss der Schlussentscheidung vorbehalten bleiben. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 2, § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG. Von dem in § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG genannten Auffangwert abzuweichen, besteht kein Anlass. Der Umstand, dass im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung die Hauptsache „vorweggenommen” worden ist, bestimmt nicht das Interesse an der Nichtigerklärung der Norm. Die Bedeutung der Sache für die Antragstellerin kann nicht hinreichend verlässlich bestimmt werden, so dass der auf solche Fälle zugeschnittene Wert des § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG festzusetzen ist.
Unterschriften
Bardenhewer, Hahn, Graulich
Fundstellen