Entscheidungsstichwort (Thema)
Zustellung eines Urteils statt der Verkündung. Zwei-Wochen-Frist des § 116 Abs. 2 VwGO. notwendiger Zusammenhang zwischen mündlicher Verhandlung und Entscheidung. Mündlichkeitsprinzip. Beurkundungsfunktion des Urteils. Parkplatzlärm. Anwendbarkeit der Grenzwerte der 16. BImSchV
Leitsatz (amtlich)
Ein statt der Verkündung zuzustellendes Urteil, das erst nach Ablauf von zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung beschlossen wurde, beruht auf dem Verstoß gegen § 116 Abs. 2 VwGO. Ob in Einzelfällen Ausnahmen von der Annahme des Beruhens denkbar sind, bleibt offen.
Normenkette
VwGO § 101 Abs. 1, § 116 Abs. 1-2, § 117 Abs. 4, § 132 Abs. 2 Nrn. 1, 3, § 133 Abs. 6, § 138 Abs. 6; 16. BImSchV § 2
Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 28.08.1997; Aktenzeichen 1 B 93.1723) |
VG München (Entscheidung vom 09.12.1992; Aktenzeichen M 9 K 88.1058) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28. August 1997 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Beschwerde der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Hälfte der Kosten des Beschwerdeverfahrens; im übrigen bleibt die Kostenentscheidung der Schlußentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 100 000 DM festgesetzt.
Gründe
Der Kläger, der eine aus zwei Häusern bestehende Hotelanlage in einem Kurort betreibt, wendet sich gegen die Benutzung eines seinem Betrieb benachbarten Parkplatzes der beklagten Gemeinde, der vornehmlich den Besuchern der ebenfalls auf dem Nachbargrundstück errichteten Spielbank dient. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte verurteilt, diese Benutzung zu unterlassen, soweit durch sie ein Nacht-Immissionsrichtwert von 49 dB(A) an den Hotels des Klägers überschritten wird. Auf die Berufung des Klägers hat der Verwaltungsgerichtshof diesen Grenzwert auf 45 dB(A) herabgesetzt; die Berufung der Beklagten ist zurückgewiesen worden.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Berufungsurteil ist begründet; die Beschwerde der Beklagten hat keinen Erfolg.
1. Der Kläger rügt zu Recht, daß das Berufungsurteil verspätet gefällt worden ist. Da das Berufungsgericht im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 16. Mai 1997 beschlossen hat, daß eine Entscheidung zugestellt werde, hätte es das Urteil nach § 116 Abs. 2 VwGO binnen zwei Wochen der Geschäftsstelle übergeben müssen. Tatsächlich ist das Urteil jedoch erst am 28. August 1997 beschlossen worden.
Das Urteil beruht auch im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auf diesem Verfahrensfehler; denn infolge der verspäteten Beschlußfassung über die zuzustellende Entscheidung ist nicht mehr gewährleistet, daß sie wirklich “auf Grund” der mündlichen Verhandlung getroffen worden ist (vgl. § 101 Abs. 1 VwGO) und ebenso lautet, wie sie bei Beschlußfassung innerhalb der durch § 116 Abs. 2 VwGO festgelegten Frist lauten würde. Der Zweck dieser Frist, die mit der des § 116 Abs. 1 Satz 1 VwGO für die Anberaumung eines Verkündungstermins korrespondiert, besteht nicht nur darin, den Beteiligten alsbald Gewißheit über die getroffene Entscheidung zu verschaffen; vornehmlich dient sie dazu, den notwendigen Zusammenhang zwischen mündlicher Verhandlung und Urteil zu wahren. Die rechtzeitige Entscheidungsfindung soll sicherstellen, daß der Entscheidungsinhalt noch dem Gesamtergebnis des Verfahrens einschließlich der in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Überzeugung der beteiligten Richter entspricht (BVerwG, Urteil vom 25. Januar 1985 – BVerwG 4 C 34.81 – Buchholz 310 § 116 VwGO Nr. 16). Das bedeutet, daß nach Ablauf von zwei Wochen aus der maßgeblichen Sicht des Gesetzgebers grundsätzlich Zweifel daran bestehen, daß den Richtern der unmittelbare Eindruck von der mündlichen Verhandlung noch hinreichend gegenwärtig ist. Dabei kann hier dahingestellt bleiben, ob im Hinblick darauf, daß die parallele Frist des § 116 Abs. 1 Satz 1 VwGO lediglich als Soll-Vorschrift ausgestaltet ist, auch bei einer Zustellung anstelle einer Verkündung nach § 116 Abs. 2 VwGO unter besonderen Umständen eine Entscheidungsfällung nach Fristablauf unschädlich sein kann. Selbst wenn man dies im Einzelfall für möglich hält, schließen jedenfalls die nahezu 3 1/2 Monate, die der Verwaltungsgerichtshof zwischen mündlicher Verhandlung und Entscheidung hat verstreichen lassen, die Annahme aus, das Urteil sei aufgrund der letzten mündlichen Verhandlung gefällt worden; denn auch bei überdurchschnittlichem Erinnerungsvermögen ist nach so langer Zeit nicht mehr gewährleistet, daß der Ablauf des Verhandlungstermins in seinen Einzelheiten noch in dem erforderlichen Maße präsent ist.
Zu Unrecht hält die Beklagte dem unter Berufung auf den Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. September 1993 – BVerwG 6 B 18.93 – (Buchholz a.a.O. Nr. 21) entgegen, daß nach der Rechtsprechung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes zu § 117 Abs. 4 VwGO ein bei seiner Verkündung noch nicht vollständig abgefaßtes Urteil erst dann als nach § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen gilt, wenn es später als fünf Monate vollständig der Geschäftsstelle übergeben wird (Beschluß vom 27. April 1993 – GmS-OGB 1/92 – BVerwGE 92, 367). Die Beklagte verkennt, daß es hier nicht um die Beurkundungsfunktion des Urteils, also um die Frage geht, ob die Gründe des Urteils zuverlässig die Erwägungen wiedergeben, die für das Ergebnis der Entscheidung ausschlaggebend waren, sondern um das Mündlichkeitsprinzip bei der Entscheidungsfindung und damit zugleich um die Sicherung des Anspruchs der Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Januar 1985 – BVerwG 4 C 34.81 – a.a.O.). Folgerichtig beschränkt sich die in dem Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. September 1993 – BVerwG 6 B 18.93 – (a.a.O.) gezogene Parallele zu der für § 117 Abs. 4 VwGO entwickelten Fünf-Monats-Frist auch auf die Fälle, in denen – zulässigerweise (stRspr, zuletzt grundlegend Urteil vom 11. Juni 1993 – BVerwG 8 C 5.92 – Buchholz a.a.O. Nr. 20) – binnen zwei Wochen lediglich die unterschriebene Urteilsformel niedergelegt wurde und nur noch darüber befunden werden muß, binnen welcher Zeit das vollständige Urteil abzufassen war.
Führt die Beschwerde des Klägers somit schon aufgrund dieser Verfahrensrüge zum Erfolg, erübrigt es sich, auf seine weiteren Rügen einzugehen.
2. Die Beschwerde der Beklagten ist demgegenüber unbegründet. Die von ihr für grundsätzlich klärungsbedürftig gehaltene Frage, ob “der Beurteilung der Zumutbarkeit von Verkehrsgeräuschen, die von den Benutzern öffentlicher und/oder privater Parkplätze verursacht werden und auf Nachbargrundstücke einwirken, die Grenzwerte des § 2 der 16. BImSchV zugrundezulegen” sind, verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Sie wäre in einem Revisionsverfahren nicht in dieser Allgemeinheit zu beantworten. Das Berufungsgericht hat im einzelnen dargelegt, warum Parkplatzlärm generell dem “normalen” Straßenverkehrslärm nicht vergleichbar ist und daß jedenfalls die konkret umstrittenen Immissionen wegen der Besonderheiten der hier gegebenen Parkplatznutzung, insbesondere wegen deren nächtlicher Zuordnung zu einem bestimmten Betrieb, nicht nach den Vorschriften der 16. BImSchV beurteilt werden können. Zu klären wäre daher nur, ob die den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts zum Charakter des Parkplatzes und des durch seine Benutzung verursachten Lärms es rechtfertigen, von der Heranziehung der Vorschriften der 16. BImSchV abzusehen. Die Bejahung dieser Frage liegt auf der Hand und bedarf nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens. Da die 16. BImSchV hier nach ihren tatbestandlichen Voraussetzungen nicht unmittelbar anwendbar ist, kämen die in ihr niedergelegten Grenzwerte nur dann als Maßstab für die Schädlichkeit der umstrittenen Lärmimmissionen in Betracht, wenn diese ihrer Natur nach mit den Geräuschen vergleichbar wären, die von den Regelungen der Verordnung erfaßt werden. Diese Vergleichbarkeit hat das Tatsachengericht gerade verneint.
3. Der Senat nimmt den geschehenen Verfahrensfehler zum Anlaß, das angefochtene Urteil nach § 133 Abs. 6 VwGO aufzuheben und den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückzuverweisen; denn ein Revisionsverfahren könnte mangels verwertbarer Gründe des Berufungsurteils keine weiteren Erkenntnisse bringen.
Der Verwaltungsgerichtshof wird bei seiner erneuten Befassung mit der Sache zu berücksichtigen haben, daß – sollte es bei den bisherigen tatsächlichen Feststellungen bleiben – schwerlich davon ausgegangen werden kann, daß der Kläger die Spielbank einschließlich des mit ihr notwendigerweise verbundenen Verkehrslärms mit rechtlich bindender Wirkung akzeptiert hat. Der auf seinen Widerspruch gegen die Baugenehmigung ergangene Bescheid der Regierung von Oberbayern vom 25. April 1968 hat seinen dahin gehenden Einwänden entgegengehalten, daß das Abstellen der Kraftwagen in Tiefgaragen erfolge. Damit war die Tiefgarage des für einen späteren Bauabschnitt geplanten Kurhauses gemeint, zu dessen Errichtung es niemals gekommen ist. Hinsichtlich des Zufahrtsverkehrs war in dem unwirksamen Prozeßvergleich vom 31. Oktober 1968 die ebenfalls nicht realisierte Wendeplatte vorgesehen. Der durch die Spielbank hervorgerufene Nachbarschaftskonflikt wurde somit nicht durch die Baugenehmigung selbst gelöst; die Bewältigung des Problems wurde als sicher geglaubten künftigen Entwicklungen vorbehalten, die nicht eingetreten sind. Es ist daher fragwürdig, dem Kläger bei der Beurteilung der Schutzwürdigkeit seines Betriebes eine entsprechende verkehrslärmbezogene Gebietsprägung durch die Spielbank entgegenzuhalten, weil diese bestandskräftig genehmigt sei.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Franßen, Kley, Herbert
Fundstellen
HFR 1999, 584 |
NJW 1999, 377 |
BVerwGE, 366 |
NVwZ 1998, 1176 |
DÖV 1998, 923 |
SGb 1999, 133 |
ZfBR 1998, 323 |
BayVBl. 1998, 636 |
DVBl. 1998, 1080 |