Entscheidungsstichwort (Thema)
Sanierung. Sanierungsvorhaben. Sanierungsvorteil. Entschädigung. Veränderungssperre. Inhaltsbestimmung
Leitsatz (amtlich)
Die städtebauliche Sanierung ist auch bei sehr langer Dauer keine Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG; sie bleibt vielmehr auch dann tatbestandlich eine Regelung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG.
Sachliche Erwägungen rechtfertigen es, daß das Gesetz für die städtebauliche Sanierung – anders als bei der Veränderungssperre – keinen Zeitrahmen vorschreibt.
Normenkette
GG Art. 14 Abs. 1 S. 2, Abs. 3; BauGB § 14 Abs. 4, § 136 Abs. 2, § 145 Abs. 5, § 163 Abs. 1
Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 25.03.1996; Aktenzeichen 6 L 7658/94) |
VG Osnabrück (Entscheidung vom 20.10.1994; Aktenzeichen 2 A 266/92) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25. März 1996 ergangenen Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8 000 DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über sanierungsrechtliche Fragen. Die Klägerin ist Eigentümerin mehrerer Grundstücke im Gebiet der beklagten Stadt M… Die Grundstücke befinden sich im Bereich eines von der Beklagten 1984 förmlich festgesetzten Sanierungsgebiets. Entsprechende Sanierungsvermerke sind im Grundbuch eingetragen.
Die Klägerin macht geltend, das Sanierungsvorhaben der Beklagten sei zum Erliegen gekommen. Sie beantragte 1992, die Sanierungsvermerke zu löschen. Die Beklagte verweigerte dies. Sie lehnte es auch ab, die Sanierung für einzelne klägerische Grundstücke gemäß § 163 BauGB als abgeschlossen zu erklären. Die hiergegen gerichtete Klage hatte in beiden Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Berufungsgericht verneinte die Voraussetzungen des § 163 Abs. 1 BauGB. Unverändert sei von der Wirksamkeit der Sanierungssatzung auszugehen. Die Beklagte habe ihre Sanierungsziele nicht aufgegeben. Zu deren Verwirklichung würden die klägerischen Grundstücke benötigt. Dies wird im einzelnen näher dargelegt.
Mit ihrer Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision. Sie trägt dazu vor, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung. Zu klären sei, ob das langjährige Bestehenlassen einer Sanierungssatzung eine Eigentumsbeschränkung darstelle, die – vergleichbar mit der Eigentumsbeschränkung durch eine Veränderungssperre – nicht mehr mit Art. 14 Abs. 1 GG in Einklang zu bringen sei. Der in seinen Eigentumsrechten verletzte Grundstückseigentümer habe daraus möglicherweise einen Anspruch auf Löschung des Sanierungsvermerks.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde ist nicht begründet. Das Beschwerdevorbringen ergibt nicht, daß die allein geltend gemachten Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erfüllt sind.
Die von der Beschwerde formulierte Frage rechtfertigt keine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. Der Frage fehlt die für eine Zulassung erforderliche Klärungsbedürftigkeit. Nicht jede Frage sachgerechter Auslegung und Anwendung einer Vorschrift enthält gleichzeitig eine gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erst im Revisionsverfahren zu klärende Fragestellung. Nach der Zielsetzung des Revisionszulassungsrechts ist Voraussetzung vielmehr, daß der im Rechtsstreit vorhandene Problemgehalt aus Gründen der Einheit des Rechts einschließlich gebotener Rechtsfortentwicklung eine Klärung gerade durch eine höchstrichterliche Entscheidung verlangt. Das ist nach der ständigen Rechtsprechung aller Senate des Bundesverwaltungsgerichts dann nicht der Fall, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne weiteres beantworten läßt. So liegt es hier.
Die förmliche Festlegung eines Sanierungsgebiets durch eine Sanierungssatzung erzeugt für die Grundstücke, die im Sanierungsgebiet liegen, verfahrensrechtliche und inhaltliche Beschränkungen (vgl. §§ 144, 145 BauGB). Diese sind als Bestimmung des Inhalts des Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zu beurteilen (wie hier Roeser, in: Berl. Kommentar z. BauGB, 2. Aufl. 1995 § 136 Rn. 9; a.A. Bielenberg, Städtebauförderungsrecht, ≪Stand 1995≫ § 145 BauGB Rn. 32). Das Regelungssystem ist als solches verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die gesetzlich angeordneten Verfügungsbeschränkungen sind Ausdruck der Sozialbindung im Sinne des Art. 14 Abs. 2 GG. Die Grenze der Sozialbindung wird zwar überschritten, wenn die Sanierung nicht mehr sachgemäß und nicht hinreichend zügig durchgeführt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1984 – BVerwG 4 C 14.81 – Buchholz 406.15 § 15 StBauFG Nr. 6 = DVBl 1985, 114; BGH, Urteile vom 17. Dezember 1981 – III ZR 72/80 – DVBl 1982, 535; und vom 17. September 1987 – III ZR 176/86 – BRS 53 Nr. 160). In diesem Fall entfällt die Rechtsgültigkeit der Sanierungssatzung. Es kann auch – namentlich im Bereich der Genehmigungspflicht – geboten sein, im Wege verfassungskonformer Handhabung die eigentumsrechtliche Ausgangslage zu beachten (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. August 1981 – BVerwG 4 C 16.78 – Buchholz 406.15 § 15 StBauFG Nr. 3 = NJW 1982, 398; BGH, Urteil vom 17. Dezember 1981 – III ZR 72/80 – a.a.O. mit krit. Anm. Krautzberger ZfBR 1982, 135). Das Berufungsgericht hat jedoch in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß die Voraussetzungen der Sanierungssatzung unverändert gegeben seien. Gegen diese Feststellung hat die Beschwerde Verfahrensrügen nicht erhoben. Mithin ist von der tatrichterlichen Auffassung des Berufungsgerichts auszugehen. Da die Klägerin eine Veräußerung ihrer Grundstücke nicht beabsichtigt, hatte das Berufungsgericht auch keinen Anlaß, auf die Möglichkeit der verfassungskonformen Handhabung einzugehen.
Die Sanierungssatzung erfüllt mit ihren Genehmigungsvorbehalten – soweit diese etwa für Vorhaben im Sinne des § 29 BauGB gelten – der Sache nach auch den Zweck der Sicherung der Planung, den sonst die Instrumente der §§ 14, 15 BauGB erfüllen (vgl. BVerwG, Beschluß vom 15. Juli 1994 – BVerwG 4 B 109.94 – Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 170 = ZfBR 1994, 294). Während das Gesetz für die Veränderungssperre einen Zeitrahmen normiert (vgl. §§ 17, 18 Abs. 1 BauGB), fehlt es für die Sanierungssatzung allerdings an vergleichbaren Regelungen. Zwingender Inhalt einer Sanierungssatzung ist es zudem nicht, einen Zeitraum für die Durchführung der Sanierung anzugeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. September 1984 – BVerwG 4 C 20.81 – BVerwGE 70, 83; Beschluß vom 3. Mai 1993 – BVerwG 4 NB 15.93 – NVwZ-RR 1994, 9). Dieser Unterschied ist indes gesetzgeberisch gewollt. § 14 Abs. 4 BauGB schließt für Vorhaben in förmlich festgelegten Sanierungsgebieten die Anwendung der Vorschriften über die Veränderungssperre ausdrücklich aus. Dieser unterschiedlichen Regelung liegen sachliche Erwägungen zugrunde. Die Gemeinde, welche ihre beabsichtigte Bauleitplanung durch eine Veränderungssperre sichern will, wird hierdurch in einen zeitlichen Rahmen gestellt. Das ist erforderlich, um die Gemeinde wirksam anzuhalten, innerhalb angemessener Frist die selbst gesetzten Ziele städtebaulicher Politik in einen Bebauungsplan rechtsverbindlich zu konkretisieren (vgl. § 1 Abs. 3 BauGB). Ziele und gesetzlicher Auftrag der Gemeinde sind bei einer städtebaulichen Sanierung insoweit andere. Hier handelt es sich darum, die gebotene Behebung vorhandener städtebaulicher Mißstände (vgl. § 136 Abs. 2 BauGB) nicht nur planerisch vorzubereiten, sondern auch die Durchführung der Maßnahmen zu betreiben und die Finanzierung sicherzustellen (vgl. §§ 140 ff., insbesondere §§ 147, 148, 149 BauGB). Hinzu kommt, daß eine städtebauliche Sanierung einen sehr komplexen Vorgang darstellt (vgl. § 136 Abs. 3 BauGB). Für ihn lassen sich – trotz ausführlicher Vorbereitung (vgl. § 140 BauGB) – schwerlich abstrakt nähere zeitliche Vorgaben festlegen. Sanierung ist nach den Vorstellungen des Gesetzgebers ein Prozeß, der als Gesamtmaßnahme eine Koordination sehr unterschiedlicher Einzelmaßnahmen erfordert (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Mai 1986 – BVerwG 8 C 42.84 – Buchholz 406.15 § 1 StBauFG Nr. 1 = NVwZ 1986, 917). Ferner erfährt der einzelne Grundstückseigentümer aufgrund der durchgeführten Sanierung eine Wertverbesserung seines Grundstücks (vgl. §§ 153, 154 BauGB). Hiervon geht der Gesetzgeber jedenfalls in typisierender Betrachtung aus. Dieser Vorteil rechtfertigt eine längere Dauer der Sanierungsmaßnahmen als sie dem Zeitrahmen der Veränderungssperre entspricht.
Das gesetzliche Sanierungsrecht enthält keine Regelung darüber, ob und in welchem Maße für den Grundeigentümer ein finanzieller Ausgleich für etwaige Nachteile in Betracht kommt. Darauf weist die Beschwerde zutreffend hin. Derartige Nachteile können sich unterschiedlich ergeben. Sie können im vorzeitigen Abbruch der Sanierung liegen, ohne daß es inzwischen für das konkrete Grundstück zur Verbesserung der Grundstückssituation gekommen ist. Sie können auch in einer übermäßigen Dauer des Sanierungsvorgangs liegen, ohne daß ein Sanierungsvorteil entstanden ist. Der Bundesgesetzgeber hat diese Frage seinerzeit während der Verabschiedung des Städtebauförderungsgesetzes gesehen (vgl. Bundestag, 127. Sitzung vom 16.6.1971, VI. WP. Sten.Ber. S. 7381 B ff. mit Anlage 6, Umdruck 180), aber von einer Regelung einer Entschädigung abgesehen. Aus Anlaß der Übernahme des Städtebauförderungsgesetzes in das Baugesetzbuch hat der Gesetzgeber – soweit ersichtlich – die Frage eines finanziellen Ausgleichs nicht nochmals aufgeworfen. Die Beschwerde sieht bereits darin eine grundrechtlich zu beanstandende Beeinträchtigung. Das trifft nicht zu.
Es mag dahinstehen, ob die seinerzeitigen parlamentarischen Erörterungen heute auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Abgrenzung von Inhaltsbestimmung und Enteignung eine andere Beurteilung verdienen (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 15. Februar 1990 – BVerwG 4 C 47.89 – BVerwGE 84, 361). Auch bei sehr langer Dauer ist die Sanierung keine Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG. Sie bleibt auch dann tatbestandlich eine Regelung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Für diese ist zu fragen, ob sie verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Das ist für die von der Beschwerde aufgeworfene Frage auf der Grundlage der entstandenen Rechtsprechung namentlich des Bundesverfassungsgerichts zu bejahen. Der Gesetzgeber hat im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG den verfassungsrechtlichen Auftrag, für eine sozial ausgewogene Eigentumsordnung zu sorgen (vgl. BVerfGE 52, 1 ≪27 ff.≫; 68, 361 ≪372 f.≫; 72, 66 ≪77≫; 79, 174 ≪198≫; 84, 382 ≪386≫; 89, 237 ≪241≫; 91, 294 ≪308≫). Das schließt Belastungen für den Grundeigentümer nicht aus. Je stärker der soziale Bezug und die soziale Funktion des betroffenen Eigentumsobjekts ist, um so weiter ist die Befugnis des Gesetzgebers zu belastenden Inhalts- und Schrankenbestimmungen (BVerfGE 31, 229 ≪242≫; 36, 281 ≪292≫; 37, 132 ≪140≫; 42, 263 ≪294≫; 50, 290 ≪340, 341≫; 52, 1 ≪32≫; 53, 257 ≪292≫; 58, 137 ≪148≫; 64, 87 ≪101≫; 70, 191 ≪201≫; 84, 382 ≪385≫). Art. 14 Abs. 2 GG fungiert hierfür als legitimierender Grund für ein Zurückdrängen der Privatnützigkeit und der autonomen Verfügungsbefugnis. Derartige Gründe liegen hier vor. Da sich die Sanierung auf die Beseitigung städtebaulicher Mißstände bezieht, ist die soziale Funktion des Grundeigentums offenkundig. Gleichwohl muß der Gesetzgeber den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Hierzu kommt es auf die Intensität des “Eingriffs” an, welche die förmlich festgelegte Sanierung für den Grundeigentümer auslöst. Diese läßt sich kaum abstrakt beurteilen. Auch insoweit besteht kein Klärungsbedarf. Der Eingriff realisiert sich unter anderem dann, wenn dem Grundeigentümer eine genehmigungsbedürftige Verfügung versagt wird und dadurch die wirtschaftliche Nutzung des Grundstücks – wie sie ohne förmliche Sanierung rechtlich möglich wäre – in übermäßiger Weise eingeschränkt wird. Indes ist der Gesetzgeber auch in diesem Fall nicht verpflichtet, gerade für einen finanziellen Ausgleich zu sorgen. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG legt nicht fest, wie der Gesetzgeber eine “übermäßige” Beeinträchtigung ausgleicht. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gibt im Grundsatz nur das Ziel vor, nicht aber die Art und Weise der Erfüllung. Der Gesetzgeber hat dazu gemäß § 145 Abs. 5 BauGB einen Ausgleich für wirtschaftlich unzumutbare Nachteile dadurch geschaffen, daß er dem Grundeigentümer gegenüber der Gemeinde einen Anspruch auf Übernahme des Grundstücks einräumt. Damit hat er eine ausgleichende Regelung getroffen, die den Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG grundsätzlich entspricht.
Ob daneben ein gewohnheitsrechtlich begründeter Aufopferungsanspruch gegeben sein könnte (hierfür grundsätzlich BGH, Urteil vom 26. Januar 1984 – III ZR 216/82 – BGHZ 90, 17; zustimmend Bielenberg, a.a.O. Rn. 36; hingegen eher verneinend BVerwG, Urteil vom 15. Februar 1990, a.a.O. S. 368; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 24. Juni 1993 – BVerwG 7 C 26.92 – BVerwGE 94, 1 ≪4 f.≫), kann dahinstehen. Auch diese Fragestellung rechtfertigt keine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. Denn die Klägerin verlangt keine Zahlung wegen einer durch die andauernde Sanierung ausgelösten Beeinträchtigung ihres Eigentums. Die Beklagte hat auch einen Antrag auf Genehmigung einer bestimmten Nutzung nicht abgelehnt. Streitgegenstand ist allein die Frage, ob die Voraussetzungen des § 163 Abs. 1 BauGB gegeben sind. Dies hat das Berufungsgericht in tatsächlicher Hinsicht verneint. Wenn darin eine mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG nicht mehr zu vereinbarende Beeinträchtigung des Grundeigentums läge, folgte daraus als rechtliche Sanktion nicht, daß eben deshalb die Sanierung für die klägerischen Grundstücke als abgeschlossen zu erklären wäre. Denn in welcher Weise die hier unterstellte “übermäßige” Beeinträchtigung auszugleichen wäre, läßt sich – wie erörtert – unterschiedlich beurteilen. Auch dies kann hier letztlich dahinstehen. Die tatrichterlichen Feststellungen ergeben nicht, daß für die Klägerin eine übermäßige Beeinträchtigung eingetreten ist. Hierauf bezogene Verfahrensrügen hat die Beschwerde nicht erhoben.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 14 Abs. 1, § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
Unterschriften
Gaentzsch, Berkemann, Hien
Fundstellen
DÖV 1997, 30 |
BRS 1996, 637 |
DVBl. 1997, 78 |