Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 26.11.2002; Aktenzeichen 12 A 11067/02) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 26. November 2002 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 13 417,74 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 VwGO liegen nicht.
1. Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Klägerin beigelegte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die Beschwerde hält der Sache nach die Frage für klärungsbedürftig, ob der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts es verbietet, dem Anfechtungs- und Rückforderungsbegehren des Bürgers hinsichtlich einer gemeinschaftsrechtswidrig erhobenen Verwaltungsgebühr die Unanfechtbarkeit des Heranziehungsbescheides entgegenzusetzen. Diese Frage ist jedoch nicht klärungsbedürftig, weil sie, wie schon der 11. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Beschluss vom 11. Mai 2000 (– BVerwG 11 B 26.00 – NVwZ 2000, 1039) festgestellt hat, durch die ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs beantwortet ist. So hat der Europäische Gerichtshof unter anderem im Urteil vom 15. September 1998 (– Rs.C-231/96 – NJW 1999, 129, 130 Tz 19) darauf hingewiesen, dass nach seiner ständigen Rechtsprechung die Bestimmung der zuständigen Gerichte und die Ausgestaltung von gerichtlichen Verfahren, die den Schutz der dem Bürger aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, mangels einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung der Erstattung rechtsgrundlos erhobener nationaler Abgaben Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedsstaaten ist. Die nationalstaatlichen Regelungen dürfen allerdings die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren. Insbesondere hat der Gerichtshof entschieden, dass die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung im Interesse der Rechtssicherheit mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist (a.a.O. Tz 20). Hiernach steht außer Zweifel, dass für die Anfechtung von gemeinschaftsrechtswidrigen Gebührenbescheiden die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung über das Vorverfahren nach §§ 68 ff. VwGO und für die Beurteilung einer etwaigen Nichtigkeit § 44 Abs. 1 VwVfG maßgeblich sind. Die von der Beschwerde in diesem Zusammenhang aufgeworfene Frage nach der Angemessenheit der Widerspruchsfrist von einem Monat nach § 70 Abs. 1 VwGO kann nach dem vorstehend wiedergegebenen gemeinschaftsrechtlichen Maßstab nicht ernsthaft zweifelhaft sein. Berücksichtigt man, dass die Monatsfrist nach § 58 VwGO nur greift, wenn dem Bescheid eine ordnungsgemäße Rechtsmittelbelehrung beigegeben ist, so scheidet die Annahme aus, die Geltendmachung der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit werde durch die in Rede stehende Regelung praktisch unmöglich gemacht oder auch nur übermäßig erschwert. Wäre es anders, so würden die Verfahrensregelungen auch unter dem Gesichtspunkt der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG und des Anspruchs auf ein faires Verfahren nach innerstaatlichem Recht Bedenken unterliegen. Auf diese Idee ist aber noch niemand gekommen.
Zu Unrecht meint die Klägerin, die ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sei durch das Urteil dieses Gerichts vom 29. April 1999 (– Rs.C-224/97 – Sammlung 1999 I – 2517) “Ciola” ihrer Eindeutigkeit beraubt worden. Das ist nicht der Fall. In dem genannten Urteil geht es um die Frage, ob ein gemeinschaftsrechtswidriger bestandskräftiger Dauerverwaltungsakt durch den Erlass von Strafbescheiden durchgesetzt werden darf. Dabei kommt hinzu, dass der zugrunde liegende Bescheid ergangen war, bevor das betreffende Land der Europäischen Gemeinschaft beigetreten und damit der EG-Vertrag überhaupt anwendbar war. Für die Beurteilung von bereits vollzogenen bestandskräftigen Einzelverwaltungsakten wie Gebührenbescheiden gibt dieses Urteil nichts her.
2. Das angefochtene Urteil weicht auch nicht von dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Februar 2000 (– 2 BvR 1210/98 – NJW 2000, 2015) ab. Der von der Beschwerde herausgegriffene Satz “Eine verwaltungsverfahrensrechtliche Fristenregelung ist nicht anzuwenden, wenn es der Vorrang des Gemeinschaftsrechts im Verhältnis zum einfachen deutschen Recht verlangt” stellt eine Voraussetzung auf, die in jenem Fall nach der insoweit verbindlichen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 20. März 1997 (– Rs.C-24/95 – DÖV 1998, 287 ff.) erfüllt war. Im Hinblick auf die besonderen gemeinschaftsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen von Beihilfegewährungen und die Rolle der Europäischen Kommission bei der Rückforderung solcher Beihilfen hat der Europäische Gerichtshof die Anwendung der Fristenbestimmung des § 48 Abs. 4 VwVfG auf eine Rückforderung gemeinschaftsrechtswidriger Zuwendungen für unzulässig erklärt. Für die Möglichkeiten des Bürgers, sich nachträglich gegen einen bestandskräftigen gemeinschaftsrechtswidrigen Gebühren- oder Heranziehungsbescheid zur Wehr zu setzen, gibt diese Entscheidung jedoch nichts her. .Die Ansicht der Klägerin, im Sinne der Gleichbehandlung müsse auch der Bürger von der Beachtung von Fristen freigestellt werden, verkennt die angesprochenen Besonderheiten des gemeinschaftlichen Beihilfeverfahrens.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 2, § 14 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Driehaus, van Schewick, Dr. Brunn
Fundstellen