Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OVG (Urteil vom 13.09.2012; Aktenzeichen 3 LB 21/11) |
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 13. September 2012 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 13 879,20 EUR festgesetzt.
Gründe
1. Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Erkrankung als Dienstunfall im Sinne von § 31 Abs. 3 BeamtVG. Er war als Radarmechanikermeister bei der Bundeswehr beschäftigt und dabei Hochfrequenz- und Röntgenstrahlung ausgesetzt. Seit 1973 leidet er an unterschiedlichen Krankheitssymptomen, mit Ablauf des Monats Dezember 1994 wurde er wegen dauernder Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt.
Den im Mai 1993 gestellten Antrag, die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers als Dienstunfall anzuerkennen, lehnte die Beklagte ab. Im anschließenden Klageverfahren verpflichtete das Oberverwaltungsgericht die Beklagte, die elektromagnetische Hypersensibilität des Klägers als Dienstunfall wegen Berufskrankheit anzuerkennen. Durch Urteil vom 28. April 2011 (– BVerwG 2 C 55.09 – Buchholz 240 § 31 BBesG Nr. 1 = ZBR 2012, 38) hob das Bundesverwaltungsgericht das Berufungsurteil wegen fehlerhafter Erwägungen zur Beweislastverteilung auf und verwies die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurück.
Nach Durchführung einer weiteren Beweisaufnahme hat das Oberverwaltungsgericht die Beklagte erneut verpflichtet, die Erkrankung des Klägers als Berufskrankheit im Sinne von § 31 Abs. 3 BeamtVG anzuerkennen.
2. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten Divergenz zuzulassen. Die Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe gegen die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Beweislastverteilung im Dienstunfallrecht verstoßen, zeigt eine Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht auf.
Eine die Revision eröffnende Divergenz ist gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen die Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen (stRspr; vgl. Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26 S. 14 f. = NJW 1997, 3328). Die Behauptung einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge dagegen nicht (stRspr; Beschluss vom 17. Januar 1995 – BVerwG 6 B 39.94 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 342 S. 55).
Mit dem Vortrag, das Oberverwaltungsgericht habe bei zutreffender Anwendung der vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Kriterien zur Beweislastverteilung nicht die Schlussfolgerung eines kausalen Ursachenzusammenhangs zwischen Dienst und Krankheit ziehen dürfen, macht die Beschwerde indes nur eine falsche Anwendung der Beweislastgrundsätze im Einzelfall geltend. Dass das Oberverwaltungsgericht einen von der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts generell abweichenden Rechtssatz aufgestellt hätte, behauptet die Beschwerde dagegen selbst nicht. Zu Ausführungen hinsichtlich der Beweislastverteilung bestand für das Oberverwaltungsgericht auch kein Anlass, weil es von einer feststehenden Kausalität der ionisierenden Strahlung, welcher der Kläger bei Ausübung seines Dienstes ausgesetzt war, für das beim Kläger aufgetretene Krankheitsbild ausgegangen ist.
3. Die Beschwerde hat auch keinen Verfahrensmangel dargelegt, auf dem die angegriffene Entscheidung beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
a) Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass das Oberverwaltungsgericht unter Verstoß gegen die gerichtliche Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) weitere Ermittlungen „in Bezug auf den maßgeblichen Zeitpunkt nach § 45 BeamtVG” hätte anstellen müssen. Die Beschwerde benennt bereits nicht, welche Beweismittel oder Aufklärungsmaßnahmen zur Erforschung welcher Tatsachenfragen noch zur Verfügung gestanden hätten. Hierzu hätte jedenfalls im Hinblick auf die Einschätzung des Sachverständigen Anlass bestanden, zusätzliche Erkenntnisquellen seien nicht erkennbar und Aufzeichnungen oder Untersuchungsbefunde aus der vor 1992/1993 liegenden Zeit nicht vorhanden (Neuropsychiatrisches Fachgutachten Dr. K. vom 1. August 2012, S. 63 und 66).
Insbesondere aber hat die Beklagte die nunmehr vermisste Sachverhaltsaufklärung ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht (§ 105 VwGO i.V.m. § 160 Abs. 2, § 165 ZPO) weder im Verfahren vor dem Tatsachengericht beantragt noch ist mit der Beschwerde dargelegt, dass sich dem Oberverwaltungsgericht weitere Ermittlungen zu der bezeichneten Frage auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. zu diesem Darlegungserfordernis Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26 S. 14 f. = NJW 1997, 3328 sowie zuletzt Beschluss vom 31. Januar 2014 – BVerwG 2 B 88.13 – Rn. 5).
Das Oberverwaltungsgericht ist unter Bezugnahme auf das zurückverweisende Urteil des erkennenden Senats vom 28. April 2011 (a.a.O. Rn. 29 f.) davon ausgegangen, dass für den Beginn der in § 45 Abs. 2 BeamtVG normierten Ausschlussfrist der Zeitpunkt maßgebend ist, in dem der Zustand des Beamten Krankheitswert erreicht, im dem also die Krankheit sicher diagnostiziert werden kann. Es hat hierzu festgestellt, dass die Krankheit des Klägers frühestens ab 1992/1993, nach den Kontakten des Klägers zu Dr. S. und zum B.-Hospital, sicher diagnostizierbar war. Zur Begründung hat es auf die Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. K. im Termin zur mündlichen Verhandlung verwiesen. Ausweislich der Sitzungsniederschrift (S. 2) hat der Sachverständige ausgeführt, den erkennbaren Beginn des zum Krankheitsbild gehörenden Symptombildes datiere er auf 1992/1993, also auf den Zeitpunkt der Zunahme der Befindlichkeitsstörungen des Klägers, die ihn veranlassten, Kontakt zu seinem Hausarzt und einem Krankenhaus aufzunehmen. Auf den Erstkontakt zu seinem Hausarzt und die nachfolgenden Klinikbesuche hatte der Sachverständige auch bereits in seinem neuropsychiatrischen Fachgutachten vom 1. August 2012 (S. 63) abgestellt. Etwa 1993 habe sich der Kläger dermaßen beeinträchtigt gesehen, dass er ärztliche Hilfe in Anspruch genommen habe.
Warum sich dem Oberverwaltungsgericht bei dieser Sachlage welche weiteren Aufklärungsmaßnahmen zum Fristbeginn hätten aufdrängen müssen, zeigt die Beschwerde nicht auf. Entsprechendes gilt für die Frage, ob das Urteil auf einem etwaigen Unterlassen beruhen könnte: Anhaltspunkte für einen späteren Beginn der Ausschlussfrist sind mit der Beschwerde nicht vorgetragen worden.
b) Dem Beschwerdevorbringen ist auch kein Verstoß gegen die Grundsätze der richterlichen Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) zu entnehmen.
Die Beweis- und Sachverhaltswürdigung einer Tatsacheninstanz ist der Beurteilung des Revisionsgerichts nur insoweit unterstellt, als es um Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geht. Rügefähig ist damit nicht das Ergebnis der Beweiswürdigung, sondern nur ein Verfahrensvorgang auf dem Weg dorthin. Derartige Mängel liegen insbesondere vor, wenn das angegriffene Urteil von einem falschen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, also etwa entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder auf einer aktenwidrigen Tatsachengrundlage basiert (vgl. etwa Beschlüsse vom 13. Februar 2012 – BVerwG 9 B 77.11 – Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 73 Rn. 7 = NJW 2012, 1672 und vom 21. Mai 2013 – BVerwG 2 B 67.12 – juris Rn. 18 m.w.N.). Das Ergebnis der gerichtlichen Beweiswürdigung selbst ist vom Revisionsgericht nur daraufhin nachzuprüfen, ob es gegen Logik (Denkgesetze) und Naturgesetze verstößt oder gedankliche Brüche und Widersprüche enthält (stRspr; vgl. Urteil vom 3. Mai 2007 – BVerwG 2 C 30.05 – Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 50 Rn. 16 sowie zuletzt Beschluss vom 31. Januar 2014 – BVerwG 2 B 88.13 – juris Rn. 12).
Einen derartigen Verfahrensmangel zeigt die Beschwerde nicht auf. Sie erschöpft sich vielmehr darin, das Fehlen einer tragfähigen Grundlage für den vom Oberverwaltungsgericht angenommen Kausalitätsnachweis zu reklamieren. Unabhängig hiervon kann es nicht als denklogisch unzulässiger Schluss bewertet werden, wenn das Oberverwaltungsgericht aus dem Vorliegen einer über einen langen Zeitraum bestehenden besonderen Erkrankungsgefahr der Dienstausübung einerseits und dem Fehlen jeglicher Anhaltspunkte für eine anderweitige Krankheitsursache andererseits die Kausalität bejaht. Damit hat das Oberverwaltungsgericht der Sache nach angenommen, dass die Voraussetzungen eines Indizienbeweises erfüllt sind (vgl. zur Indizienbeweisführung Urteil vom 19. Januar 1990 – BVerwG 4 C 28.89 – BVerwGE 84, 271 ≪273 f.≫ sowie Beschlüsse vom 12. Januar 1995 – BVerwG 4 B 197.94 – Buchholz 406.12 § 22 BauNVO Nr. 4 Rn. 10, vom 15. Februar 2012 – BVerwG 8 B 87.11 -juris Rn. 5 und vom 24. Januar 2014 – BVerwG 2 B 59.13 – juris Rn. 16).
Entsprechendes gilt für die Rüge, die Annahme einer offenen Berufskrankheit entbehre einer Tatsachengrundlage. Dabei übersieht die Beschwerde überdies, dass die Beweiserhebung des Oberverwaltungsgerichts nicht auf das Vorliegen einer offenen Berufskrankheit gerichtet war (vgl. Beweisbeschluss vom 8. Mai 2012). Die Einordnung der Erkrankung des Klägers als offene Berufskrankheit geht vielmehr auf die Beurteilung des Revisionsgerichts im Urteil vom 28. April 2011 (a.a.O. Rn. 20) zurück. Hierauf hat das Oberverwaltungsgericht in den Gründen der angegriffenen Entscheidung auch verwiesen (UA S. 32). An diese Beurteilung war es zudem nach der Zurückverweisung der Sache gemäß § 144 Abs. 6 VwGO gebunden (vgl. zur Reichweite dieser Bindungswirkung etwa Urteil vom 28. November 2012 – BVerwG 8 C 21.11 – BVerwGE 145, 122 Rn. 22; Beschluss vom 3. November 2011 – BVerwG 2 B 1.11 – juris Rn. 7).
c) Schließlich ist auch kein Begründungsmangel der angegriffenen Entscheidung aufgezeigt.
Nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind in dem Urteil die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Das Gericht ist verpflichtet, in den Urteilsgründen die tatsächlichen Umstände und rechtlichen Erwägungen wiederzugeben, die es bestimmt haben, die Voraussetzungen für seine Entscheidung als erfüllt anzusehen. Das Urteil muss erkennen lassen, dass das Gericht den ermittelten Tatsachenstoff wertend gesichtet hat und in welchen konkreten Bezug es ihn zu den angewandten Rechtsnormen gesetzt hat (Urteil vom 18. Februar 1981 – BVerwG 6 C 159.80 – BVerwGE 61, 365 ≪368 f.≫; Beschluss vom 1. September 1997 – BVerwG 8 B 144.97 – Buchholz 406.11 § 128 BauGB Nr. 50 S. 11 f.).
Dies setzt u.a. voraus, dass das Gericht angibt, von welchem (ggf. zuvor streitigem) Sachverhalt es ausgeht und aufgrund welcher Erkenntnisse oder Erwägungen es eine bestimmte, einem Beteiligten ungünstige Tatsachenlage als erwiesen ansieht. Mit dem Ergebnis einer durchgeführten Beweisaufnahme muss es sich in nachvollziehbarer Weise und in der gebotenen Begründungstiefe auseinandersetzen (Urteil vom 18. Februar 1981 a.a.O.). Aus den Entscheidungsgründen muss sowohl für die Beteiligten als auch für das Rechtsmittelgericht nachvollziehbar sein, aus welchen Gründen des materiellen Rechts oder des Prozessrechts nach Meinung des Gerichts dem Tatsachenvortrag eines Beteiligten, jedenfalls soweit es sich um einen zentralen Punkt seiner Rechtsverfolgung handelt, nicht zu folgen ist (Beschluss vom 18. Oktober 2006 – BVerwG 9 B 6.06 – Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 66 Rn. 24). Allerdings ist das Gericht nicht verpflichtet, auf Vortrag oder Fragen einzugehen, die für seine Entscheidung – aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts –nicht von Bedeutung gewesen sind (BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1997 – 1 BvR 1621/94 – BVerfGE 96, 205 ≪216 f.≫).
Diesen Anforderungen wird das Berufungsurteil – noch – gerecht.
Die von der Beschwerde vermisste Begründung zur Beweislastverteilung war für das Oberverwaltungsgericht nicht entscheidungserheblich, weil es nach Durchführung der Beweisaufnahme alle tatbestandsrelevanten Merkmale als erwiesen angesehen hat. Hiervon ausgehend bestand für das Oberverwaltungsgericht keine Veranlassung, sich in den Urteilsgründen mit Fragen der Beweislastverteilung zu befassen.
Soweit die Beschwerde rügt, das Oberverwaltungsgericht habe die angenommene Kausalität der ionisierenden Strahlung für die Erkrankung des Klägers „in keiner Weise” begründet, trifft dies nicht zu. Das Oberverwaltungsgericht hat sich hierzu auf die vorhandenen Sachverständigengutachten gestützt und sich mit diesen auseinandergesetzt (UA S. 32 f.). Zwar wäre es angesichts der im Laufe des Verfahrens vorgelegten bzw. eingeholten gutachterlichen Stellungnahmen wünschenswert gewesen, wenn sich das angefochtene Urteil ausführlicher mit der Gutachtenlage, namentlich mit dem zuletzt eingeholten Gutachten des Sachverständigen K. vom 1. August 2012 befasst hätte. Doch sind dem Berufungsurteil die tragenden Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts für den von ihm als geführt angesehenen Indizienbeweis zu entnehmen. In welcher Hinsicht dies defizitär sein soll, legt die Beschwerdebegründung nicht näher dar, noch dass und warum das Berufungsurteil auf dem behaupteten Begründungsmangel beruhen könnte.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 71 Abs. 1 Satz 1 GKG i.V.m. § 40, § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG a.F. unter Berücksichtigung von Nr. 10.4 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Unterschriften
Domgörgen, Dr. Kenntner, Dollinger
Fundstellen