Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 21.12.2006; Aktenzeichen 14 B 04.1116) |
Tenor
Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21. Dezember 2006 wird aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8 850,03 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde des Klägers hat mit der Maßgabe Erfolg, dass die Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen ist. Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegen vor, weil das Berufungsurteil den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verletzt.
Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei der Entscheidungsfindung in Erwägung zu ziehen (BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 1960 – 2 BvR 96/60 – BVerfGE 11, 218 ≪220≫; Urteile vom 6. Mai 1986 – 1 BvR 677/84 – BVerfGE 72, 119 ≪121≫ und vom 8. Juli 1997 – 1 BvR 1621/94 – BVerfGE 96, 205 ≪216≫; stRspr). Das Gericht ist nicht gehalten, das gesamte Vorbringen in den Entscheidungsgründen wiederzugeben und zu jedem einzelnen Gesichtspunkt Stellung zu nehmen (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist erst dann verletzt, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Dies ist dann gegeben, wenn es etwa das Vorbringen eines Beteiligten zu einem zentralen Gesichtspunkt entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen hat, sofern das Vorbringen nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (BVerfG, Beschlüsse vom 22. November 1983 – 2 BvR 399/81 – BVerfGE 65, 293 ≪295≫ und vom 19. Mai 1992 – 1 BvR 986/91 – BVerfGE 86, 133 ≪145 f.≫; BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 – BVerwG 9 C 158.94 – BVerwGE 96, 200 ≪209 f.≫; stRspr). Eine Nichtberücksichtigung des Vorbringens eines Beteiligten bei der Entscheidungsfindung ist aber auch immer dann anzunehmen, wenn ein Gericht das Gegenteil des Vorgebrachten annimmt oder den Vortrag eines Beteiligten als nicht vorgetragen behandelt (BVerfG, Beschlüsse vom 19. Juli 1967 – 2 BvR 639/66 – BVerfGE 22, 267 ≪274≫; vom 5. Oktober 1976 – 2 BvR 558/75 – BVerfGE 42, 364 ≪368≫ und Kammerbeschluss vom 7. Dezember 2006 – 2 BvR 722/06 – DVBl 2007, 253 f.).
Der Verwaltungsgerichtshof hat die geltend gemachten Beihilfeansprüche des Klägers für die Kosten zweier wissenschaftlich nicht allgemein anerkannter Behandlungsmethoden (Zellapherese; Galvanotherapie) verneint, weil sie nicht notwendig i.S.v. § 5 Abs. 1 Satz 1 BhV a.F. gewesen seien. Die Kosten solcher Methoden seien nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur beihilfefähig, wenn sich eine allgemein anerkannte Methode nicht herausgebildet habe, sie im Einzelfall nicht angewandt werden könne oder bereits erfolglos angewandt worden sei. Diese Voraussetzungen habe der Kläger hinsichtlich seines Prostatakarzinoms mit Metastasenbildung nicht substanziiert dargelegt. Da die Krankheit zur Zeit der Behandlungen noch nicht als lebensbedrohlich oder vorhersehbar tödlich anzusehen gewesen sei, könne nicht angenommen werden, dass eine allgemein anerkannte Methode nicht existieren würde oder nicht mehr sinnvoll eingesetzt werden könne.
Danach lässt sich nicht ausschließen, dass der Verwaltungsgerichtshof dem Umstand, dass die Krankheit des Klägers zum Zeitpunkt der Behandlungen nach seinen Feststellungen noch nicht lebensbedrohlich gewesen ist, entscheidungserhebliche Bedeutung beigemessen hat.
Der Kläger hat demgegenüber in der Beschwerdebegründung dargelegt, dass er unter anderem im Schriftsatz vom 17. Mai 2006 – im Berufungsverfahren – geltend gemacht hat, dass er an einer lebensbedrohlichen Erkrankung leide, dieser Umstand zudem zwischen den Verfahrensbeteiligten unstreitig sei und das Berufungsgericht auch nicht auf seine andere Sichtweise hingewiesen habe. Daher hätte der Verwaltungsgerichtshof seine gegenteilige Annahme näher begründen müssen. Dies ist nicht geschehen.
Die Gründe des Berufungsurteils enthalten keine nachvollziehbare Darlegung des Gesundheitszustands des Klägers und möglicher Standardheilmethoden (§ 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). So geht das Berufungsgericht davon aus, dass der Kläger an einem kapselüberschreitenden Prostatakarzinom leide, sich also bereits Metastasen gebildet hätten. In diesem Zusammenhang führt es “u.a.” die Prostataektomie als medizinische Standardtherapie an, die dem Kläger zur Behandlung des Prostatakarzinoms zur Verfügung gestanden habe. Ohne konkrete Benennung weiterer Standardtherapien heißt es sodann, es sei nicht ersichtlich, dass die traditionellen Heilmethoden nicht trotz der Metastasen hätten mit Erfolg angewandt werden können.
Darauf hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang noch, dass das Berufungsgericht an anderer Stelle (auf Seite 4 des Urteilsabdrucks) auf eine Stellungnahme des Landratsamts An.-S. (richtig: Am.-S.) – Gesundheitsamt – vom 15. September 2003 Bezug nimmt, in der demgegenüber festgestellt wird, dass bei dem Kläger eine schwere, lebensbedrohliche Erkrankung besteht.
Im weiteren Verfahren wird der Verwaltungsgerichtshof den Krankheitszustand des Klägers im Behandlungszeitraum nachvollziehbar feststellen und auf dieser Grundlage die Existenz und die Einsetzbarkeit allgemein anerkannter Behandlungsmethoden klären müssen. Diese Methoden müssen gerade im Fall des Klägers erfolgversprechend gewesen sein. Gegebenenfalls wird er sich auch mit den Wirkungen der Methoden befassen müssen, deren Kosten der Kläger erstattet verlangt.
Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 52 Abs. 1 und 3, § 47 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Kugele, Dr. Heitz, Thomsen
Fundstellen