Verfahrensgang

VG Greifswald (Aktenzeichen 1 A 186/96)

 

Tenor

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 13. Juli 2000 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 250 000 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die Kläger beanspruchen die Rückübertragung des Eigentums an einem Hausgrundstück nach den Vorschriften des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen – VermG –. Das Verwaltungsgericht hat ihre Klage abgewiesen, weil die Beigeladenen zu 1 und 2 das Anwesen redlich erworben hätten und daher die Rückgabe nach § 4 Abs. 2 VermG ausgeschlossen sei.

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil ist begründet; denn es leidet an Verfahrensfehlern, die zu seiner Aufhebung führen. Die Kläger rügen zu Recht, dass das Verwaltungsgericht die schriftliche Aussage des inzwischen verstorbenen Zeugen N. gegenüber dem Amt zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Februar 1994 nicht in seine Erwägungen einbezogen habe. Damit hat das Gericht gegen die Regeln einer ordnungsgemäßen richterlichen Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 VwGO verstoßen.

Die Kläger haben sich bis zum Tode des Herrn N. auf dessen Zeugnis zum Beweis der Richtigkeit ihrer Darstellung des Grundstücksverkaufs durch die Zeugin V. an die Beigeladenen zu 1 und 2 berufen, insbesondere dafür, dass – einschließlich Schwarzgeldabrede – ein Verkaufspreis von 100 000 M vereinbart worden sei und die Beigeladenen zu 1 und 2 die Zahlung des Schwarzgeldes nach Vertragsschluss wegen der ihnen bekannt gewordenen Planung eines Neubaugebiets verweigert, das Ansinnen der Zeugin V., den Vertrag rückgängig zu machen, zurückgewiesen sowie mit gerichtlichen Schritten gedroht hätten. Da es – auch infolge der gerichtlichen Verfahrensgestaltung – bis zum Tode des Zeugen N. am 17. August 1999 nicht zu dessen Vernehmung gekommen ist, musste es sich der Kammer aufdrängen, zumindest dessen schriftliche Aussage, die er in dem durch die Zeugin V. angestrengten Rückübertragungsverfahren abgegeben hatte, in die gerichtliche Überzeugungsbildung einzubeziehen; denn dieses Schriftstück war Bestandteil der betreffenden Verfahrensakte, die dem Verwaltungsgericht vorlag und ausweislich des angegriffenen Urteils mit seinem wesentlichen Inhalt zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden ist. Dennoch und obwohl der Zeuge N. – mag er auch der Zeugin V. nahe gestanden haben – die einzige nicht unmittelbar am Grundstücksverkauf beteiligte Person war, die aus eigener Anschauung über die maßgeblichen Umstände des Rechtsgeschäfts berichten konnte, lässt das Urteil auch nicht ansatzweise erkennen, dass das Verwaltungsgericht sich mit dessen schriftlichen Bekundungen befasst hat. Ein weiterer Verfahrensverstoß liegt darin, dass das Gericht die Beigeladene zu 2 ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 13. Juli 2000 nicht als Beteiligte, sondern irrtümlich als Zeugin vernommen hat. Beide Verfahrensverstöße waren geeignet, die Überzeugungsbildung des Verwaltungsgerichts zu beeinflussen. So ist nicht ausgeschlossen, sondern liegt im Gegenteil sogar nahe, dass das Verwaltungsgericht, hätte es die schriftlichen Bekundungen des Zeugen N. in den Blick genommen, die Glaubwürdigkeit der Zeugin V. nicht vor allem schon deshalb verneint hätte, weil diese sich an die Hergabe der Quittung vom 9. Februar 1989 nicht mehr erinnern konnte, statt zunächst einmal der nahe liegenden Frage nachzugehen, wann und in welcher Weise der 19 300 M betragende Teil des Kaufpreises, den die Beigeladenen zu 1 und 2 nach der Formulierung im Kaufvertrag „aus Arbeitseinkommen entrichten” wollten, beglichen worden ist, und welche Bekundungen die Zeugin V. hierzu machen konnte. Ebenfalls liegt nahe, dass das Verwaltungsgericht den Bekundungen der Beigeladenen zu 2, hätte es sie als Beteiligte vernommen, nicht ohne weiteres einen Beweiswert zugemessen haben würde, wie er üblicherweise einer Zeugenaussage zukommt. Es hätte in diesem Fall, statt die Plausibilität und Schlüssigkeit des Vortrags hervorzuheben, vermutlich zunächst aufzuklären versucht, aus welchem Grunde die Beigeladenen zu 1 und 2 noch am Tage der notariellen Beurkundung des Kaufvertrages der Zeugin V. einen Barbetrag von 19 300 M in deren Wohnung übergeben haben wollen, obwohl nach dem soeben abgeschlossenen Kaufvertrag der Kaufpreis von den Erwerbern nicht alsbald, sondern erst „binnen zwei Wochen nach Kenntnis von ihrer Eintragung als Eigentümer in das Grundbuch” zu begleichen war und die Zeugin V. bekundet hatte, es sei verabredet gewesen, ihr die 52 300 M auf ihr Konto bei der Sparkasse zu zahlen. Es hätte sich ferner erkundigt, aus welchem Grunde eine derartige, vertraglich als Vorausleistung gar nicht geschuldete Zahlung nicht alsbald – wie bei Summen dieser Größenordnung eigentlich selbstverständlich – quittiert wurde.

Ebenso wenig ist auszuschließen, dass die angegriffene Entscheidung im Ergebnis auf diesen Verfahrensmängeln beruht. Zwar hat das Verwaltungsgericht in einer Hilfserwägung (S. 26 der Urteilsgründe) die von den Klägern behauptete Schwarzgeldabrede als erwiesen unterstellt und die Klage selbst für diesen Fall als erfolglos beurteilt. Die dafür gegebene Begründung, dass unter dieser Voraussetzung eine Unredlichkeit in der Form des Zu-Nutze-Machens im Sinne des § 4 Abs. 3 Buchst. c VermG nur anzunehmen sei, wenn der Erwerber von vornherein die Absicht habe, die Nebenabrede nicht zu erfüllen, und es für eine solche Absicht der Beigeladenen zu 1 und 2 keine Anhaltspunkte gebe, offenbart jedoch einen weiteren Mangel der Überzeugungsbildung. Das Verwaltungsgericht blendet bei seiner Hilfserwägung aus, dass die Beigeladenen zu 1 und 2 ausweislich des Tatbestandes des angegriffenen Urteils (S. 10 der Urteilsgründe) sich dahin eingelassen haben, ihnen sei schon vor Vertragsschluss bekannt gewesen, dass das Objekt im Bebauungsgebiet gelegen habe. Vor dem Hintergrund dieser Einlassung sind aber plausible Gründe, die zu einem erst nachträglich gefassten Entschluss geführt haben, die Erfüllung der Schwarzgeldabrede zu verweigern, nicht mehr erkennbar. Es liegt daher nahe, dass das Verwaltungsgericht seine zugunsten der Kläger vorgenommene Wahrunterstellung rechtsfehlerhaft zu weit gefasst, nämlich auch auf den Umstand erstreckt hat, dass die Beigeladenen zu 1 und 2 in Wahrheit erst nach Abschlusss des Kaufvertrages von der Bebauungsabsicht erfahren und dementsprechend reagiert hätten. Das angegriffene Urteil beruht also selbst im Hinblick auf die Hilfserwägung auf den vorstehend dargelegten Verfahrensfehlern.

Angesichts des damit vorliegenden Verstoßes gegen § 108 Abs. 1 VwGO kann offen bleiben, ob auch die übrigen Verfahrensrügen der Kläger berechtigt sind. Die zugleich erhobene Divergenzrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, mit der die Kläger geltend machen, dass das Verwaltungsgericht die Frage der Beweislast für die Redlichkeit des Erwerbs abweichend von der Rechtsprechung des Senats beantwortet habe, geht jedenfalls daran vorbei, dass das Verwaltungsgericht bereits greifbare Anhaltspunkte für ein unredliches Verhalten der Beigeladenen zu 1 und 2 verneint hat (vgl. S. 26 der Urteilsgründe).

Der Senat nimmt den geschehenen Verfahrensfehler zum Anlass, das angefochtene Urteil nach § 133 Abs. 6 aufzuheben und den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Bei seiner erneuten Befassung mit der Sache wird das Verwaltungsgericht berücksichtigen müssen, dass ein Zu-Nutze-Machen im Sinne des § 4 Abs. 3 Buchst. c VermG sich im Falle der Nichterfüllung einer Schwarzgeldabrede nicht auf die Betrugsvariante beschränkt, also nicht darauf, dass etwas versprochen wurde, was von vornherein nicht eingehalten werden sollte. Die Ausnutzung einer Zwangslage der Verkäuferin läge auch dann vor, wenn die Verweigerung einer vereinbarten Leistung mit der Drohung, den Rechtsweg zu beschreiten, durchgesetzt worden sein sollte; denn eine gerichtliche Realisierung der Forderung war unter den gegebenen Umständen nicht nur ausgeschlossen, die Verkäuferin hätte sich darüber hinaus einer Gefährdung ihrer Ausreise ausgesetzt.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

 

Unterschriften

Dr. Franßen, Gödel, Kley

 

Fundstellen

Dokument-Index HI640403

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