Leitsatz (amtlich)

1. Das Schwerbehindertenrecht verbietet eine Benachteiligung eines Soldaten wegen einer Behinderung; es gibt ihm andererseits aber keinen Anspruch auf Bevorzugung wegen seiner Schwerbehinderteneigenschaft.

2. Bei Personalentscheidungen, die einen schwerbehinderten Soldaten betreffen, haben die personalführenden Stellen zuvor die zuständige Schwerbehindertenvertretung zu hören und deren Erwägungen zum Gegenstand ihrer Entscheidung zu machen.

3. Unterbleibt die Anhörung, ist eine Ermessensentscheidung zwar nicht unwirksam aber regelmäßig rechtswidrig.

4. Von einer Rechtswidrigkeit muß nicht ausgegangen werden, wenn die Entscheidung entweder nicht einschneidend in die Rechtssphäre des Behinderten eingreift, oder zur Überzeugung des Gerichts feststeht, daß die Entscheidung durch eine rechtzeitige Anhörung der Schwerbehindertenvertretung nicht hätte beeinflußt werden können.

 

Normenkette

GG Art. 33 Abs. 2; SG § 3; SchwbG § 14 Abs. 2, § 25 Abs. 2, § 50 Abs. 4; VwVfG § 46

 

Tatbestand

Der Bundesminister der Verteidigung (BMVg) hat das Begehren eines schwerbehinderten Oberstleutnants (OTL), ihn auf einen mit A 16 (Oberst) dotierten bestimmten Dienstposten zu versetzen, abgelehnt und den Dienstposten mit einem bereits seit längerem zum Obersten beförderten Soldaten besetzt. Vor der Entscheidung hat der BMVg den Hauptvertrauensmann der Schwerbehinderten beim BMVg nicht gehört. Bei dessen nachträglicher Anhörung erklärte sich dieser mit der Maßnahme einverstanden. Der Schwerbehinderte OTL hatte hilfsweise auch begehrt, auf einen anderen mit A 16 dotierten Dienstposten versetzt zu werden. Auch dies lehnte der BMVg ab und besetzte den Dienstposten mit einem anderen OTL. Hierzu war der Hauptvertrauensmann ebenfalls nicht gehört worden. Nachträglich wies er darauf hin, daß er bei vorheriger Anhörung möglicherweise die Entscheidung zugunsten des Antragstellers hätte beeinflussen können. Den gegen die Entscheidungen des BMVg gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung wies der Senat hinsichtlich des in erster Linie gestellten Begehrens zurück. Hinsichtlich des hilfweisen Begehrens verpflichtete er den BMVg zur Neubescheidung.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Der Hauptantrag ist zulässig.

Der Rechtsweg zu den Wehrdienstsenaten des Bundesverwaltungsgerichts ist gemäß § 21 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1; § 17 Abs. 2 WBO gegeben, denn es handelt sich bei Verwendungsentscheidungen um truppendienstliche Maßnahmen (ständige Rechtsprechung: vgl. BVerwGE 46, 220, 222; 76, 243 f.).

Der Zulässigkeit des Antrages steht auch nicht entgegen, daß zwischenzeitlich ein anderer Soldat auf den vom Antragsteller begehrten Dienstposten versetzt worden ist. Wie der Senat wiederholt entschieden hat, ist eine „Konkurrentenklage”, die sich auf militärische Verwendungsentscheidungen bezieht, zulässig, auch wenn der Dienstpostenwechsel inzwischen vollzogen ist (vgl. BVerwGE 76, 336). Der auf den vom Antragsteller begehrten Dienstposten versetzte Soldat müßte es hinnehmen, von diesem Dienstposten wegversetzt zu werden, sollte sich herausstellen, daß der Antragsteller ihm gegenüber bei der Stellenbesetzung rechtswidrig übergangen worden ist (vgl. BVerwGE a.a.O., 339).

Der Antrag ist jedoch nicht begründet.

Der Soldat hat grundsätzlich keinen Anspruch auf eine bestimmte Verwendung. Ein dahingehender Anspruch läßt sich nicht aus der Fürsorgepflicht des Vorgesetzten ableiten. Vielmehr entscheidet der militärische Vorgesetzte über die Verwendung eines Soldaten nach Maßgabe des dienstlichen Bedürfnisses nach seinem pflichtgemäßen Ermessen. Die Entscheidung der personalführenden Stellen, wen sie für einen zu besetzenden Dienstposten unter den in Betracht kommenden Kandidaten für geeignet halten, stellt ein ihnen vorbehaltenes Werturteil dar. Dieses unterliegt der gerichtlichen Nachprüfung nur in beschränktem Umfang. Der Senat kann nur prüfen, ob sie sich bei der Entscheidung von sachfremden Erwägungen haben leiten lassen oder ob sie allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet haben oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen sind. Dabei haben sie allerdings entscheidend darauf abzustellen, daß Soldaten nach Eignung, Befähigung und Leistung zu verwenden sind (Art. 33 Abs. 2 GG, § 3 SG, BVerwGE 76, 336, 340).

Die Entscheidung, den Dienstposten mit Oberst H. zu besetzen, ist nicht rechtsfehlerhaft. Der Antragsteller ist bei der Besetzung nicht rechtswidrig übergangen worden. Ihm steht kein Anspruch auf die begehrte Verwendung zu.

Hierbei ist zu bedenken, daß eine Verpflichtung des BMVg, den Antragsteller auf den von ihm angestrebten Dienstposten zu versetzen, nur ausgesprochen werden könnte, wenn der BMVg sein Ermessen fehlerfrei überhaupt nur mit diesem Ergebnis ausüben könnte (BVerwG Beschluß vom 11. Februar 1987 – 1 WB 34/86). Das ist nicht der Fall.

Der Ermessensspielraum des militärischen Vorgesetzten kann zunächst einmal im Einzelfall durch Selbstbindung derart eingeschränkt sein, daß jede andere Entscheidung als die Verwendung eines Soldaten auf einem bestimmten Dienstposten sich als ermessensfehlerhaft und damit zugleich als eine Verletzung der Fürsorgepflicht des Vorgesetzten erweisen würde. Ein solcher Fall kann insbesondere dann eintreten, wenn der zuständige Vorgesetzte dem Soldaten in rechtsverbindlicher Weise zugesichert hat, ihn auf einer bestimmten, gegebenenfalls auch höherwertigen Stelle zu verwenden (BVerwGE 83, 255; 53, 23, 26). Eine Zusage ist dem Antragsteller nicht erteilt worden.

Der Antragsteller ist zwar als Bewerber in Betracht gezogen und für einen bestimmten Dienstposten in die engere Wahl gezogen worden. Die Einbeziehung in den Kreis der Kandidaten für eine Verwendung auf einem nach der Besoldungsgruppe A 16 bewerteten Dienstposten stellt aber noch keine verbindliche Zusage dar, den betreffenden Bewerber auch tatsächlich auf dem in Frage kommenden oder wenigstens auf einem gleichwertigen Dienstposten zu verwenden (vgl. BVerwGE 53, 23, 27 f.).

Eine Bindung des BMVg ist auch durch andere Umstände nicht eingetreten.

Soweit der Antragsteller sinngemäß vorträgt, auf Grund der in den Beurteilungen abgegebenen Verwendungsvorschläge und der Verwendungsplanung sei er gezielt auf die Verwendung auf dem Dienstposten vorbereitet worden, trägt diese Begründung den Antrag nicht.

Der Aufbau eines Soldaten für einen bestimmten Dienstposten im Rahmen langfristiger Verwendungsplanung bindet das Ermessen des militärischen Vorgesetzten nicht. Langfristige Verwendungsplanung ist ein wesentliches Element der Personalführung. Dazu gehört auch, daß für jeden herausgehobenen Dienstposten möglichst mehrere Soldaten in Aussicht genommen werden sollen, unter denen der am besten Geeignete sodann auf dem Dienstposten verwendet wird. Könnte jeder Soldat, der für einen bestimmten Dienstposten in die engere Wahl gezogen worden ist, eine Verwendung auf diesem oder einem gleichwertigen Dienstposten beanspruchen, würde eine an den Grundsätzen des Art. 33 Abs. 2 GG, § 3 SG ausgerichtete Personalführung unmöglich.

Ebensowenig sind Verwendungsvorschläge in den Beurteilungen des Antragstellers geeignet, das Ermessen des BMVg zu binden.

Zwar sind die Verwendungsvorschläge als Anregungen des beurteilenden Disziplinarvorgesetzten, der den Soldaten in aller Regel am besten kennt, von den für Personalentscheidungen zuständigen Stellen in ihre Erwägungen miteinzubeziehen. Den Ermessensspielraum dieser Stellen können sie jedoch nicht einengen (vgl. BVerwGE 53, 23, 27 f; 53, 280, 286).

Für befürwortende Stellungnahmen höherer Vorgesetzter, auf die sich der Antragsteller beruft, gilt das gleiche. Diese Empfehlungen und Referenzen sind ebenfalls lediglich Anregungen, die die Personalabteilung in ihre Auswahlentscheidung einzubeziehen hat, denen sie aber nicht folgen muß. Nicht einmal dann, wenn alle höheren Vorgesetzten der Auffassung sein sollten, daß der Antragsteller der am besten geeignete Kandidat für den Dienstposten sei, wären die entscheidenden Stellen verpflichtet, den Antragsteller auf dem begehrten oder wenigstens einem gleichwertigen Dienstposten zu verwenden (vgl. BVerwGE a.a.O.).

Der Antragsteller kann auch daraus keinen Anspruch auf Versetzung auf diesen Dienstposten herleiten, daß dieser bisher mit Oberstleutnanten nachbesetzt worden sei. Der Umstand, daß der Antragsteller von seinen Vorverwendungen her – wohl unstreitig – für den Dienstposten besonders geeignet ist, kann keinen Anspruch auf die begehrte Verwendung begründen. Ob frühere Dienstposteninhaber denselben Verwendungsvorlauf gehabt haben, ist unerheblich (vgl. BVerwGE 53, 321, 324). Eine langjährige Besetzungspraxis bindet das Ermessen des Vorgesetzten nicht dahingehend, auch künftig in gleicher Weise verfahren zu müssen. Außerdem hat der BMVg zu Recht vorgetragen, daß sämtliche nach der Besoldungsgruppe A 16 bewerteten Dienstposten für Erst- oder Zweitverwendungen für Oberste offenstehen.

Der Antragsteller kann, was die Besetzung des Dienstpostens betrifft, auch nichts daraus herleiten, daß der BMVg bei der Förderung der Oberstleutnante im Zeitraum der Entscheidung über die Besetzung der Dienstposten in eine „jahrgangsweise Betrachtung” der denkbaren Kandidaten eingetreten war. Denn vorliegend stand er nicht in Konkurrenz mit einem anderen nach der Besoldungsgruppe A 15 besoldeten Oberstleutnant, sondern mit einem Obersten, der bereits in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 16 eingewiesen und damit schon von daher die „Qualifikation” für die Verwendung auf dem Dienstposten mitbrachte (vgl. BVerwG Beschluß vom 17. Mai 1988 – 1 WB 114/87). Oberst H. ist auch nicht etwa schlechter geeignet, weil er nicht den akademischen Grad „Diplom-Ingenieur” führt wie der Antragsteller. Nach einer vom Senat als Frage verteidigungs- und personalorganisatorischer Anforderungsmaßstäbe nicht nachzuprüfender STAN-Änderung im Jahr 1980 gehört die akademische Vorbildung nicht zu den Kriterien für die Verwendungsauswahl für den Dienstposten (vgl. zur Änderung der STAN-Stelle: BVerwG NZWehrr 1984, 214 m.w.N.). Eine vom Anforderungsprofil her nicht notwendige Vorbildung vermag nicht notwendigerweise zu einer besseren Qualifikation für den Dienstposten zu führen.

Die Schwerbehinderteneigenschaft des Antragstellers gibt ihm demgegenüber als solche keinen Anspruch auf den begehrten Dienstposten.

Das Ermessen des BMVg war durch die Schwerbehinderteneigenschaft des Antragstellers nicht dahin eingeschränkt, daß er den Antragsteller allein auf Grund seiner Schwerbehinderteneigenschaft hätte vorziehen müssen.

Nach den Grundsätzen des Art. 33 Abs. 2 GG, wonach jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt hat, und des § 3 SG, dem zufolge Soldaten nach Eignung, Befähigung und Leistung zu ernennen und zu verwenden sind, hat der BMVg grundsätzlich nach dem Prinzip der „Bestenauslese” den jeweils für die Verwendung qualifizierteren bzw. den von mehreren am besten geeigneten Bewerber auszuwählen. Das Schwerbehindertengesetz gibt einem Schwerbehinderten nach dem Willen des Gesetzgebers keinen Anspruch auf vorrangige Auswahl für eine Verwendung allein seiner Schwerbehinderteneigenschaft wegen (vgl. HessVGH ZBR 1969, 174; VGH Kassel NJW 1985, 1103; VG Gelsenkirchen ZBR 1989, 124 für Beamte; siehe allgemein: Gröninger/Thomas, SchwbG Stand Januar 1989 § 14 Anm. 7). Gemäß § 50 Abs. 4 Satz 2, § 14 Abs. 2 Satz 1 SchwbG haben die personalführenden Stellen als „Arbeitgeber” schwerbehinderte Soldaten so zu beschäftigen, daß sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können. Untersagt ist die Benachteiligung eines Schwerbehinderten wegen seiner Behinderung. Bei Auswahlentscheidungen für höherwertige freie Stellen ist er wie nicht behinderte Konkurrenten nach Eignung, Befähigung und Leistung zu behandeln. Die Eigenschaft als Schwerbehinderter kommt erst dann zum Tragen, wenn ein schwerbehinderter Bewerber mit einem Nichtbehinderten konkurriert und beide auf Grund ihrer Aus- und Vorbildung, ihren Fähigkeiten und ihren Leistungen absolut gleichgeeignet für die angestrebte Verwendung sind. In einem solchen Fall ist der schwerbehinderte Bewerber dem Nichtbehinderten unter Beachtung von § 14 Abs. 2 SchwbG vorzuziehen.

Aus dem Erlaß über die Fürsorge für Schwerbehinderte im Geschäftsbereich des BMVg – Neufassung – (VMBl 1982 74) kann der Antragsteller ebenfalls keinen sachlichen Anspruch auf eine Verwendung auf dem angestrebten Dienstposten herleiten. Der Fürsorgeerlaß gilt gemäß Nr. 2.1 Abs. 2 Satz 1 auch für schwerbehinderte Soldaten, soweit spezielle statusrechtliche Regelungen nicht entgegenstehen.

Nach Nr. 14.5 des Fürsorgeerlasses ist einem Schwerbehinderten eine höherwertige Tätigkeit im Rahmen der vorhandenen Fortkommensmöglichkeiten zu übertragen, wenn er seine Kenntnisse und Fähigkeiten mit Wissen und Willen der personalbearbeitenden Dienststellen so erweitert hat, daß er für diese höherwertige Tätigkeit geeignet ist, was bei dem Antragsteller unstreitig ist. Gleichwohl gibt diese Bestimmung des Erlasses dem Antragsteller ebensowenig wie § 14 Abs. 2 Satz 1 SchwbG allein wegen seiner Schwerbehinderteneigenschaft einen Anspruch auf Verwendung auf einem nach der Besoldungsgruppe A 16 bewerteten Dienstposten. Der Antragsteller ist trotz seiner Schwerbehinderung in Konkurrenz mit anderen – schwerbehinderten und nichtbehinderten – Anwärtern in seiner Ausbildungs- und Verwendungsreihe für eine Verwendung auf einem höherwertigen Dienstposten zu sehen und er muß sich mit ihnen nach Eignung, Befähigung und Leistung messen lassen.

Eine Verletzung der in Nr. 14.5 des Fürsorgeerlasses eingegangenen Verpflichtung liegt damit in der Auswahl von Oberst H. ebensowenig wie ein Verstoß gegen § 14 Abs. 2 Satz 1 SchwbG.

Der Umstand, daß der BMVg die Schwerbehindertenvertretung, hier den Hauptvertrauensmann der Schwerbehinderten beim BMVg, nicht vor der Entscheidung, den Dienstposten mit Oberst H. zu besetzen, unterrichtet und gehört hat, ist als solcher für deren rechtlichen Bestand ohne Bedeutung. Gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 SchwbG ist die Schwerbehindertenvertretung vom „Arbeitgeber” in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen Schwerbehinderten berühren, rechtzeitig umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung zu hören; die getroffene Maßnahme ist ihr unverzüglich mitzuteilen. Die Vollziehung oder Durchführung einer ohne Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung getroffenen Entscheidung ist gemäß § 25 Abs. 2 Satz 2 SchwbG auszusetzen und die unterbliebene Beteiligung ist nachzuholen. Sodann ist endgültig zu entscheiden. Diese Vorschrift gilt gemäß § 50 Abs. 4 Satz 1 SchwbG auch für Soldaten (siehe auch Bornemann, DVBl 1986, 1129).

Anders als z.B. in § 15 ff. SchwbG, § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG oder in § 79 Abs. 4 BPersVG, denen zufolge eine Kündigung ohne Beteiligung der Hauptfürsorgestelle bzw. des Betriebsrates oder des Personalrates unwirksam ist, hat der Gesetzgeber im Schwerbehindertengesetz für eine „Entscheidung” im Sinne des § 25 Abs. 2 SchwbG, die ohne Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung getroffen worden ist, allgemein keine materiell-rechtlichen Rechtsfolgen festgelegt (vgl. Jung/Cramer, SchwbG 3. Aufl. § 25 RdNrn. 7 und 7 a m.w.N.; Gröninger/Thomas a.a.O. § 25 Anm. 7; Wiegand, SchwbG Stand Juni 1988 § 25 Anm. 29 und 29 a; Rewolle/Dörner, SchwbG Stand August 1989 § 25 Anm. II; a.A. Wilrodt-Neumann, SchwbG 7. Aufl. § 25 RdNr. 9 – unter Hinweis auf BVerwGE 9, 69 ff., vgl. auch BAG NJW 1984, 687; BVerwG Buchholz § 26 BBG Nrn. 18 und 24).

Wenn eine Entscheidung schon vollzogen bzw. durchgeführt ist, bleibt sie damit wirksam, auch wenn die Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung unterblieben war.

Der Senat schließt sich dieser Auffassung an, auch soweit es um die Anwendung der entsprechenden Vorschriften des Fürsorgeerlasses geht (Nr. 4.5). Er ist der Auffassung, daß der BMVg nach der derzeitigen Rechts- und Erlaßlage insoweit keine die gesetzlichen Verpflichtungen überschreitende Selbstbindung zugunsten der Schwerbehinderten eingegangen ist. Der Beschluß des Senats vom 17. Juli 1974 (BVerwGE 46, 283, 285) hat demnach für die hier gegebene Sach- und Rechtslage keine Bedeutung. Ob etwas anderes für den Fall der Versetzung gegen den Willen des Schwerbehinderten gilt (Fürsorgeerlaß Nr. 10.1) braucht vorliegend nicht erörtert zu werden. Die Entscheidung des 6. Senats des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Juli 1959 (BVerwGE 9, 69 ff.) ist von der Fallgestaltung her – es ging um eine Versetzung in den Ruhestand (siehe §§ 15 ff. SchwbG) – nicht einschlägig. Im Zeitpunkt der Beteiligung des Hauptvertrauensmann der Schwerbehinderten beim BMVg am 6. Mai 1988 (allerdings erst auf eigene Intervention und fast zehn Monate nach der Entscheidung) war die zu Lasten des Antragstellers ergangene „Entscheidung” (vgl. Jung/Cramer a.a.O. § 25 RdNr. 6; VG Köln BehR 1982, 21) bereits umgesetzt (März 1988).

Der Umstand, daß die Unterlassung der vorherigen Anhörung der Schwerbehindertenvertretung für sich allein nicht zur Unwirksamkeit der vollzogenen Entscheidung führt, besagt allerdings für das öffentliche Dienstrecht noch nicht, daß eine solche Entscheidung ohne weiteres auch rechtmäßig sein müßte. Die Pflicht zur Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ist dem „Arbeitgeber” nicht nur im Interesse der Wahrung der Sozialordnung auferlegt, sie dient auch der ganz konkreten Wahrung der Interessen der Schwerbehinderten im allgemeinen und der Wahrung der Interessen des einzelnen Schwerbehinderten, der dabei von einer sachkundigen Person seines Vertrauens unterstützt werden soll. Soweit der Dienstherr oder Vorgesetzte die fragliche Entscheidung nach seinem Ermessen zu treffen hat, ist deshalb eine in Erfüllung der gesetzlichen Bestimmungen erfolgte Äußerung der Schwerbehindertenvertretung zur Kenntnis zu nehmen und in die Ermessenserwägungen miteinzubeziehen. Unterbleibt dies, dann leidet die Entscheidung an einem Ermessensfehler. Nichts anderes kann gelten, wenn der Dienstherr oder Vorgesetzte seiner gesetzlichen Verpflichtung nicht nachkommt, die Anhörung unterläßt und deshalb die Überlegungen der Schwerbehindertenvertretung überhaupt nicht in seine Erwägungen einbeziehen konnte (vgl. VGH Kassel NJW 1985, 1103; RiA 1989, 274; Wiegand a.a.O. § 25 Anm. 29 a; siehe auch BVerwGE 73, 48).

Ausnahmsweise kann die Unterlassung der Einbeziehung der Überlegungen der Schwerbehindertenvertretung in die Ermessenserwägungen die Entscheidung dann nicht rechtsfehlerhaft machen, wenn ausgeschlossen werden kann, daß sie diese zugunsten des Betroffenen hätte beeinflussen können (Rechtsgedanke zu § 46 VwVfG) oder daß die Entscheidung als solche gar nicht in die Rechtsverhältnisse und die Sphäre des Betroffenen „einschneidend” eingreift (BVerwG Buchholz a.a.O.).

Die Entscheidung darüber, ob ein an sich gegebener Ermessensfehler ausnahmsweise als rechtlich unerheblich angesehen werden kann, haben die mit der Überprüfung der Ermessensentscheidung befaßten Gerichte zu treffen.

Handelt es sich um die Nichtberücksichtigung von Überlegungen der Schwerbehindertenvertretung, dann kann keineswegs präjudiziell die Aussage des entscheidenden Vorgesetzten sein, die Überlegungen der Schwerbehindertenvertretung hätten unter keinen Umständen seine Entscheidung zu beeinflussen vermocht. Entscheidungserheblich kann demgegenüber sein, wie sich die Schwerbehindertenvertretung dem Vorgesetzten gegenüber – nachträglich – geäußert hat. Erklärt sie, wie hier der Vertrauensmann, ausdrücklich, daß die Entscheidung des Vorgesetzten bei vorheriger Anhörung gebilligt worden wäre, kann eine positive Beeinflussung der Personalentscheidung zugunsten des Antragstellers durch die Schwerbehindertenvertretung ausgeschlossen werden. Ein Ermessensfehler kann dann nicht festgestellt werden.

Auch andere Vorschriften des Schwerbehindertenrechts machen die zugunsten des Oberst H. getroffene Auswahlentscheidung nicht rechtswidrig, (wird ausgeführt)

Der Hilfsantrag hat demgegenüber teilweise Erfolg.

Die Auswahlentscheidung des BMVg ist dem Antragsteller gegenüber rechtswidrig.

Wie ausgeführt, stellt die Entscheidung der für Personalentscheidungen zuständigen Stellen, welchen von mehreren Bewerbern sie für den zu besetzenden Dienstposten für den geeigneten halten, ein ihnen vorbehaltenes Werturteil dar, das der gerichtlichen Nachprüfung zwar nur beschränkt unterliegt. Der Senat hat allerdings zu prüfen, ob sie sich von sachfremden Erwägungen haben leiten lassen, ob sie allgemeingültige Wertmaßstäbe außer Acht gelassen haben oder von einem falschen Sachverhalt ausgegangen sind.

Unstreitig ist, daß der Antragsteller im Vergleich zu dem ausgewählten Konkurrenten in den abschließenden Wertungen geringfügig besser beurteilt ist. Der BMVg hat demgegenüber geltend gemacht, Oberstleutnant B. sei auf Grund seiner Vorverwendungen ganz besonders und besser als der Antragsteller für den fraglichen Dienstposten geeignet.

Ob diese Wertung sich im Rahmen des Beurteilungsspielraums des BMVg hält, kann dahinstehen. Die Entscheidung ist jedenfalls deshalb rechtswidrig, weil der BMVg den Hauptvertrauensmann der Schwerbehinderten beim BMVg nicht in einem für seine Entscheidung relevanten Zeitpunkt gehört hat.

Die Entscheidung, den Dienstposten mit Oberstleutnant B. zu besetzen, traf der BMVg am 29. Juli; sie wurde dem Antragsteller am 11. August bekannt. Der Antragsteller stellte am 24./25. August Antrag auf gerichtliche Entscheidung, den der BMVg am 16./26. Februar des folgenden Jahres dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt hat. Zu diesem Zeitpunkt war das „Vorverfahren” abgeschlossen (BVerwGE 73, 48); dem BMVg war es verwehrt, neue Auswahlerwägungen nachzuschieben. Erst mit Schreiben vom 25. März wandte sich der Hauptvertrauensmann an den BMVg und deckte den Umstand auf, daß er entgegen den gesetzlichen Anhörungspflichten nicht rechtzeitig gehört worden war. Auch wenn die Nichtanhörung nicht unmittelbar die Unwirksamkeit der Entscheidung zur Folge hat, leidet sie an einem Rechtsfehler, weil der BMVg die Überlegungen der zuständigen Schwerbehindertenvertretung nicht in seine Erwägungen einbezogen hat. Gesichtspunkte, die die dadurch an sich indizierte Rechtswidrigkeit der Auswahlentscheidung ausnahmsweise ausschließen könnten, sind nicht ersichtlich. Einmal handelt es sich bei der Ablehnung der Verwendung auf einem höherwertigen Dienstposten nicht um eine die Rechte des Antragstellers nur peripher berührende Entscheidung. Zum anderen kann nicht ausgeschlossen werden, daß der Hauptvertrauensmann bei rechtzeitiger Anhörung auf Umstände hingewiesen hätte, die die Entscheidung möglicherweise hätten beeinflussen können. Sein Einverständnis hat der Hauptvertrauensmann jedenfalls nicht erklärt.

Der BMVg hat durch die gesetzeswidrige Unterlassung der Anhörung von den Erwägungen des Hauptvertrauensmanns vor der Vorlage der Sache an den Senat nicht Kenntnis nehmen können und muß sich deshalb so behandeln lassen, wie wenn er eine für die Entscheidung relevante Tatsache nicht zur Kenntnis genommen hätte. Das macht die Entscheidung rechtsfehlerhaft. Dem kann der BMVg nicht entgegenhalten, er hätte auch bei Kenntnis der Erwägungen des Hauptvertrauensmanns keine andere Entscheidung getroffen. Dies ist eine im nachhinein nicht nachprüfbare Behauptung, die, ließe man sie gelten, das Anhörungsrecht der Schwerbehindertenvertretung völlig leerlaufen ließe. Sie ist im übrigen auch rechtlich unerheblich, weil bei Feststellung eines Ermessensfehlers die Entscheidung rechtswidrig bleibt, auch wenn eine rechtlich fehlerfreie Ermessensausübung zum gleichen Ergebnis hätte führen können (BVerwG Buchholz 310 § 142 VwGO Nr. 10).

Die Entscheidung, Oberstleutnant B. und nicht dem Antragsteller den Dienstposten zu übertragen, kann damit keinen Bestand haben. Sie ist aufzuheben. Andererseits hat der Antragsteller derzeit keinen Anspruch auf Übertragung des Dienstpostens. Seine Auswahl ist keineswegs die einzige dem BMVg mögliche Entscheidung. Dieser wird nach Anhörung des Hauptvertrauensmanns erneut über die Besetzung des Dienstpostens zu entscheiden haben, dabei allerdings dem Antragsteller nicht die inzwischen verstrichene Zeit entgegenhalten können (BVerwGE 63, 1; BVerwG NZWehrr 1986, 256).

 

Fundstellen

BVerwGE, 244

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