Verfahrensgang

VGH Baden-Württemberg (Beschluss vom 24.06.1997; Aktenzeichen 2 S 3258/95)

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 24. Juni 1997 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8 000 DM festgesetzt.

 

Gründe

Im vorliegenden Normenkontrollverfahren geht es um die Gültigkeit der durch Verordnung des Ministeriums Ländlicher Raum des Landes Baden-Württemberg zur Änderung der Gebührenverordnung vom 10. April 1995 (GBl. S. 351; künftig: Gebührenverordnung 1995) festgesetzten Gebühren für Schlachttier- und Fleischuntersuchungen. Die Verordnung sieht in den maßgeblichen Nummern 80.18 bis 80.18.2.4 Rahmengebühren vor, deren Mindestbeträge sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts faktisch in etwa an den in der Richtlinie 93/118/EG vom 22. Dezember 1993 zur Änderung der Richtlinie 85/73/EWG über die Finanzierung der Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch und Geflügelfleisch (ABl. EG Nr. L 340 S. 15; künftig: Richtlinie 93/118/EG) vorgesehenen Pauschalbeträgen ausrichten und deren Höchstbeträge in der Regel das Mehrfache der entsprechenden Mindestbeträge ausmachen. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Nummern 80.18 bis 80.18.2.4. Gebührenverordnung 1995 für ungültig erklärt, soweit dort über die Mindestgebühr hinausgehende Gebühren festgesetzt sind.

Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Antragsgegners. Die geltend gemachten Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO greifen jedoch nicht durch.

Der Verwaltungsgerichtshof hat seine Entscheidung nebeneinander auf mehrere jeweils selbständig tragende Gründe gestützt. So hat er in erster Linie beanstandet, das Landesrecht habe mit der Einführung einer weiten Rahmenregelung in Wirklichkeit die ihm durch § 24 Abs. 2 Fleischhygienegesetz (FlHG) übertragene und von ihm in Anspruch genommene rechtssatzmäßige Festlegung der Gebühren unterlassen. Auch wenn die untere Grenze der Rahmengebühren in etwa den in der Richtlinie 93/118/EG vorgesehenen Pauschalgebühren entspreche und dort auch eine Höchstbetragsregelung nicht mehr festgelegt sei, so bleibe doch der Einwand bestehen, daß die Konkretisierung der in der Gebührenverordnung 1995 enthaltenen weiten Rahmenregelung der Exekutive vorbehalten bleibe und damit von einer rechtssatzmäßigen Festlegung der Gebühr nicht gesprochen werden könne. Davon abgesehen hat er die Gebührenverordnung 1995 unter anderem auch darum in dem genannten Umfang für ungültig erklärt, weil die in ihr festgesetzten Gebühren, die ausschließlich unter landesbezogenen Kostendeckungsgesichtspunkten ermittelt worden seien, die entsprechenden materiellrechtlichen Vorgaben des EG-Rechts außer acht ließen. Die Richtlinie 93/118/EG ermächtige zwar die Mitgliedstaaten, zur Deckung höherer Kosten entweder für bestimmte Betriebe Aufschläge auf die Pauschalgebühr zu erheben oder statt dessen eine “spezifische Gebühr” vorzusehen, die die tatsächlichen Kosten deckt. Die zur Deckung seiner höheren Kosten vorgesehenen höheren Rahmengebühren habe der Verordnungsgeber hier aber ausschließlich aufgrund einer Analyse der Kosten im Landesbereich errechnet. Eine solche Beschränkung des Bezugsrahmens sei ihm jedoch durch die Richtlinie 93/118/EG verwehrt.

Ist eine Entscheidung – wie vorliegend – nebeneinander auf mehrere je selbständig tragende Begründungen gestützt, so darf die Revision nur dann zugelassen werden, wenn im Hinblick auf jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (stRspr; vgl. etwa Beschluß vom 20. August 1993 – BVerwG 9 B 512.93 – DVBl 1994, 210 mit weiteren Nachweisen). Dies gilt auch in Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO. Die Beschwerde hat hier zwar Zulassungsgründe hinsichtlich sämtlicher die angegriffene Entscheidung tragenden Begründungen geltend gemacht. Ein Zulassungsgrund liegt aber hinsichtlich der ersten die Entscheidung selbständig tragenden Begründung, das Landesrecht habe eine an § 24 Abs. 2 FlHG ausgerichtete rechtssatzmäßige Festlegung der Gebühren unterlassen, nicht vor.

Die Beschwerde macht insoweit als Zulassungsgrund allein die rechtsgrundsätzliche Bedeutung der Sache geltend, indem sie die Frage aufwirft,

ob es mit § 24 Abs. 2 FlHG und mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar ist, nach Inkrafttreten der Richtlinie 93/118/EG des Rates (ABl. Nr. L 340/15) durch Landes-Rechtsverordnung auf der Grundlage von §§ 2, 7 LGebG Baden-Württemberg Rahmengebühren für Schlachttier- und Fleischuntersuchungen festzulegen, deren untere Grenze den Pauschalbeträgen der Richtlinie 93/11/EG des Rates entspricht und die eine Ermäßigung der Mindestgebühr nur nach Maßgabe der Richtlinie 93/118/EG zuläßt.

Zur Klärung dieser Frage bedarf es jedoch der Durchführung eines Revisionsverfahrens nicht, denn sie ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, auf die sich auch das Berufungsgericht stützt, bereits hinreichend geklärt.

Anläßlich eines Verfahrens um die Rechtmäßigkeit von Gebührenbescheiden für Fleischbeschautätigkeiten des Kreises Schleswig-Flensburg hat sich das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 29. August 1996 – BVerwG 3 C 7.95 – (BVerwGE 102, 39) bereits eingehend mit der Frage auseinandergesetzt, ob und unter welchen Voraussetzungen das Landesrecht von Pauschalbeträgen abweichen darf, die gemeinschaftsrechtlich für diese Tätigkeiten festgelegt sind. Es hat insoweit zunächst erkannt, daß der Bundesgesetzgeber zwar mit dem Fleischhygienegesetz in der Fassung vom 24. Februar 1987 (BGBl I S. 649) von seiner konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG Gebrauch gemacht, es aber nach § 24 Abs. 2 dieses Gesetzes dem Landesrecht überlassen hat, die kostenpflichtigen Tatbestände zu bestimmen und die Gebühren nach Maßgabe der Richtlinie 85/73/EWG vom 29. Januar 1985 und der Entscheidung des Rates 88/408/EWG vom 15. Juni 1988 zu bemessen. Es hat ferner festgestellt, daß das Land, wenn es von der ihm bundesrechtlich eingeräumten Regelungskompetenz Gebrauch macht, gemäß § 24 FlHG durch Rechtssatz festlegen muß, ob von den gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen “durchschnittlichen Pauschalbeträgen” abgewichen werden soll, ob die Voraussetzungen für eine Abweichung erfüllt sind und wie gegebenenfalls höhere Beträge berechnet werden. Es hat dabei offengelassen, ob diese Entscheidung dem Landesgesetzgeber vorbehalten war. Den angefochtenen Bescheiden fehle es nämlich schon darum an einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage, weil auch die Verordnung die erforderliche rechtssatzmäßige Festlegung der Gebührentatbestände und des Gebührenumfangs nicht enthalte. Der in der Verordnung angegebene Rahmen für Gebührenfestsetzungen der Exekutive sei dadurch gekennzeichnet, daß die festgelegten Höchstbeträge in der Regel das Mehrfache der Mindestbeträge ausmachten und der Rahmen weder beim Mindestbetrag noch beim Höchstbetrag einen Bezug zu den gemeinschaftsrechtlich festgesetzten Pauschalbeträgen aufweise und zudem die für eine Erhöhungsmöglichkeit gemeinschaftsrechtlich festgelegten Kriterien ignoriere. Es hat weiter ausgeführt, daß das Landesrecht letztlich die Ausfüllung des Rahmens der Exekutive überlasse, ohne daß der Verordnungsgeber den Gebührenrahmen in einem nach der Kompetenzregelung in § 24 Abs. 2 FlHG sachentsprechenden Umfang begrenzt habe. Das sei auch nicht ergänzend durch das Landesverwaltungskostengesetzes geschehen, wonach bei der Rahmenausfüllung der Verwaltungsaufwand sowie die Bedeutung, der wirtschaftliche Wert oder der sonstige Nutzen der Amtshandlung zu berücksichtigen seien.

Anhand dieser für das damalige Gebührenrecht des Landes Schleswig-Holstein entwickelten Grundsätze läßt sich ohne weiteres, wie es das Berufungsgericht zutreffend getan hat, auch die von der Beschwerde für das Landesgebührenrecht Baden-Württembergs gestellte Frage beantworten. Dabei kann auch in diesem Verfahren offenbleiben, ob die Entscheidung über die Abweichung von den gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen Pauschalgebühren dem Landesgesetzgeber vorbehalten war. Denn auch die hier maßgebliche Gebührenverordnung 1995 entspricht nicht den bundesrechtlichen Vorgaben.

Bei Erlaß der Gebührenverordnung 1995 galt noch das Fleischhygienegesetz (FlHG) in der Fassung vom 8. Juli 1993 (BGBl I S. 1189). Nach dessen § 24 Abs. 2 Satz 2 waren die Gebühren “nach Maßgabe der Richtlinie 85/73/EWG des Rates vom 29. Januar 1985 über die Finanzierung der Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch und Geflügelfleisch (ABl. EG Nr. L 32 S. 14) und der aufgrund dieser Richtlinie erlassenen Rechtsakte der Organe der Europäischen Gemeinschaften” und somit der Entscheidung des Rates vom 15. Juni 1988 ”über die Beträge der für die Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch zu erhebenden Gebühren gemäß der Richtlinie 85/73/EWG” (ABl. EG Nr. L 194 S. 24) zu bemessen. Die Gebührenverordnung 1995 weist jedoch keinen Bezug zu dieser bei ihrem Erlaß geltenden bundesrechtlichen Vorgabe auf.

Selbst wenn der Landesverordnungsgeber die Richtlinie 93/118/EG schon vor ihrer Umsetzung durch den Bundesgesetzgeber als maßgebliche Vorgabe hätte berücksichtigen dürfen, ist festzustellen, daß die Gebührenverordnung 1995 auch dieser Richtlinie nicht gerecht wird. Zwar entspricht die untere Grenze ihrer Rahmengebühren nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in etwa den Pauschalbeträgen der Richtlinie 93/118/EG. Auch die Regelung, wonach die Mindestgebührensätze höchstens um 55 v.H. ermäßigt werden dürfen, richtet sich ersichtlich nach ihr (siehe Kap. I Ziff. 5 Satz 2 des Anhangs). Ferner können die Mitgliedstaaten nach Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie einen höheren Betrag als die Gemeinschaftsgebühren erheben, sofern die erhobene Gemeinschaftsgebühr die tatsächlichen Untersuchungskosten nicht überschreitet. Die Höchstgebührensätze der Gebührenverordnung 1995, die auch hier ein Mehrfaches der Mindestgebühr ausmachen (bei Rindern und Kälbern etwa das 3,5fache), lassen jedoch keinen Bezug zu den Modalitäten erkennen, denen zufolge nach der Richtlinie 93/118/EG höhere Gebühren als die Pauschalgebühren erhoben werden dürfen. Zur Deckung höherer Kosten eröffnet die Richtlinie den Mitgliedstaaten zwei Wege (siehe Kap. I Nr. 4a und b des Anhangs). Sie können entweder die vorgesehenen Pauschalbeträge unter näher bezeichneten Voraussetzungen “für bestimmte Betriebe” erhöhen oder eine “spezifische Gebühr” erheben, “die die tatsächlichen Kosten deckt”. Laut Beschwerde soll es sich bei den in der Gebührenverordnung 1995 festgelegten Rahmengebühren um “spezifische Gebühren” im Sinne von Kap. I Nr. 4b des Anhangs handeln. Der Gebührenverordnung 1995 ist dies jedoch nicht zu entnehmen. Ohnehin ist fraglich, ob auf der Ebene eines Landes eine Anhebung der Pauschalgebühr überhaupt in Gestalt der “spezifischen Gebühr” erfolgen darf oder ob dies auf Landesebene nur in Gestalt von Aufschlägen auf die Pauschalgebühr für “bestimmte Betriebe” zulässig ist. Dies kann jedoch dahinstehen, denn auch hier ist, wie das Berufungsgericht zutreffend hervorgehoben hat, die Konkretisierung der weiten Rahmenregelung letztlich der Exekutive überlassen, so daß wie in dem vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 29. August 1996 (a.a.O.) entschiedenen Fall von einer rechtssatzmäßigen Festlegung der Gebühr nicht gesprochen werden kann.

Seit dem 1. Juli 1997 gilt zudem die für die Finanzierung veterinär- und hygienerechtlicher Kontrollen grundlegende Richtlinie 85/73/EWG nicht mehr in der Fassung der Richtlinie 93/118/EG, sondern in derjenigen der Richtlinie 96/43/EG vom 26. Juni 1996 “zur Änderung und Kodifizierung der Richtlinie 85/73/EWG zur Sicherstellung der Finanzierung der veterinär- und hygienerechtlichen Kontrollen von lebenden Tieren und bestimmten tierischen Erzeugnissen sowie zur Änderung der Richtlinien 90/675/EWG und 91/496/EWG” (ABl. EG Nr. L 162 S. 1). Die in Kap. I Ziff. 1 des Anhangs A zu dieser Fassung der Richtlinie festgelegten Pauschalgebühren unterscheiden sich in einigen Positionen nicht unwesentlich von den zuvor geltenden Pauschalgebühren, so daß die Gebührenverordnung 1995 inzwischen auch mit ihren Mindestsätzen teils nicht mehr den bundesrechtlichen Vorgaben in der nunmehr als dynamische Verweisung auf das jeweils geltende Gemeinschaftsrecht ausgestalteten Regelung des § 24 Abs. 2 FlHG i.d.F. vom 17. Juli 1996 (BGBl 1996 I S. 991) entspricht.

Es bleibt somit festzustellen, daß der Verordnungsgeber die sachlichen Kriterien zur Konkretisierung für den Gebührenrahmen nicht in einer der jeweils geltenden Kompetenzregelung des § 24 Abs. 2 FlHG entsprechenden Weise begrenzt hat. Auch § 8 des baden-württembergischen Landesgebührengesetzes (LGebG) vom 21. März 1961 (GBl. S. 59), zuletzt geändert durch Gesetz vom 18. Dezember 1995 (GBl. 1996 S. 29), vermag diesem Mangel der Gebührenverordnung 1995 nicht abzuhelfen. Dort ist zwar vorgeschrieben, daß sich die Höhe einer Gebühr, die innerhalb eines Gebührenrahmens zu erheben ist, nach dem Verwaltungsaufwand, nach der Bedeutung des Gegenstandes, nach dem wirtschaftlichen oder sonstigen Interesse für den Gebührenschuldner sowie nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen bemißt. Auch diese Regelung ergänzt die Gebührenverordnung 1995 aber nicht in einer Weise, daß von einer ausreichend rechtssatzmäßig festgelegten und auf § 24 Abs. 2 FlHG bezogenen Gebührenregelung ausgegangen werden könnte, wie das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 29. August 1996 (a.a.O.) für die entsprechende Regelung des schleswig-holsteinischen Verwaltungskostengesetzes erkannt hat.

Anhand der vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 29. August 1996 (a.a.O.) entwickelten Grundsätzen läßt sich also ohne weiters feststellen, daß das Landesrecht von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht hat, ohne die ihm dabei bundesrechtlich auferlegten Regelungsgrenzen einzuhalten, so daß die Gebührenverordnung 1995 jedenfalls in dem vom Berufungsgericht festgestellten Umfang nichtig ist. Zur Beantwortung der von der Beschwerde aufgeworfenen Frage bedarf es somit nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 GKG.

 

Unterschriften

Niehues, Albers, Henkel

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1445611

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