Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage- und Auskunftspflicht der Behörden. geheimhaltungsbedürftige Behördenakten. Beiladung der obersten Aufsichtsbehörde
Leitsatz (amtlich)
Nach § 99 Abs. 2 Satz 6 VwGO ist die oberste Aufsichtsbehörde, die nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Verweigerung der Aktenvorlage befugt ist, auch dann zu dem selbständigen Zwischenverfahren über die Verweigerung der Aktenvorlage beizuladen, wenn sie Behörde der beklagten Körperschaft ist. Bei der „Beiladung” nach § 99 Abs. 2 Satz 6 VwGO handelt es sich nicht um eine Beiladung im Sinne des § 65 Abs. 2 VwGO, sondern um eine besondere Art der Behördenbeteiligung im „in camera”-Verfahren.
Normenkette
VwGO § 99 Abs. 2
Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Entscheidung vom 16.05.2002; Aktenzeichen G 02.1) |
Tenor
Gemäß § 99 Abs. 2 Satz 6 VwGO wird das Bayerische Staatsministerium des Innern zu dem Verfahren über den Antrag nach § 99 Abs. 2 VwGO beigeladen.
Der Stand der Sache ist den Beteiligten bekannt.
Dem Beigeladenen wird aufgegeben, dem Senat die verweigerten Akten des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz vorzulegen (§ 99 Abs. 2 Satz 5 VwGO).
Der Antragsteller erhält Gelegenheit, die Beschwerde bis zum 20. September 2002 zu begründen.
Gründe
Die zuständige oberste Aufsichtsbehörde, die in einem Verwaltungsstreitverfahren eine Vorlage von Urkunden oder Akten oder die Erteilung von Auskünften verweigert, ist – entgegen der Ansicht der Vorinstanz – zu dem auf Antrag eines Beteiligten durchzuführenden selbständigen Zwischenverfahren zur Prüfung und Feststellung, ob die Verweigerung rechtmäßig ist (§ 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO), nach § 99 Abs. 2 Satz 6 VwGO auch dann beizuladen, wenn sie Behörde der beklagten Körperschaft ist. Es handelt sich nicht um eine Beiladung im Sinne des § 65 VwGO. Für eine Beiladung aufgrund dieser Vorschrift ist kein Raum, weil eine beklagte Körperschaft grundsätzlich bereits mit allen ihren Behörden am Rechtsstreit beteiligt ist (vgl. u.a. Beschluss vom 17. Oktober 1985 – BVerwG 2 C 25.82 – BVerwGE 72, 165 ≪167 f.≫ m.w.N.; stRspr). Das in Kenntnis dessen vom Gesetzgeber in die Neufassung des § 99 Abs. 2 VwGO aufgenommene ausnahmslos geltende Gebot, die oberste Aufsichtsbehörde „zu diesem Verfahren beizuladen”, ändert daran nichts. Die ausschließlich für das selbständige Zwischenverfahren vorgesehene lediglich als „Beiladung” bezeichnete unmittelbare Beteiligung der obersten Aufsichtsbehörde trägt allein den Besonderheiten des aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 101, 106 ≪121 ff.≫) eingeführten „in camera”-Verfahrens Rechnung. Die für die Verweigerung der Vorlage zuständige oberste Aufsichtsbehörde soll an dem selbständigen Zwischenverfahren auch dann unmittelbar beteiligt sein, wenn sie die beklagte Körperschaft in dem Hauptsacheverfahren nicht vertritt. Das ist sinnvoll und zweckmäßig. Die oberste Aufsichtsbehörde hat nicht nur in dem „in camera”-Verfahren auf Aufforderung des Fachsenats die verweigerten Urkunden oder Akten vorzulegen oder die verweigerten Auskünfte zu erteilen (§ 99 Abs. 2 Satz 5 VwGO). Ihr obliegt es vielmehr auch, die Urkunden oder Akten dem Fachsenat in von ihr bestimmten Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen, wenn sie – zu Recht – geltend macht, dass besondere Gründe der Geheimhaltung oder des Geheimschutzes einer Übergabe der Urkunden oder Akten an das Gericht entgegenstehen oder wenn die Vorschriften des materiellen Geheimschutzes bei dem Gericht nicht eingehalten werden können (§ 99 Abs. 2 Satz 8 VwGO). Überdies obliegt es der obersten Aufsichtsbehörde, ihre Weigerung, Akten oder Urkunden vorzulegen oder eine Auskunft zu erteilen, auf Verlangen des zuständigen Fachsenats im Einzelnen zu erläutern. Ihre unmittelbare Beteiligung an dem selbständigen Zwischenverfahren erleichtert die praktische Durchführung und dient der vom Gesetzgeber geforderten strikten Wahrung der gebotenen Geheimhaltung.
Unterschriften
Dr. Silberkuhl, Prof. Dawin, Dr. Kugele
Fundstellen
BVerwGE 2003, 42 |
DÖV 2003, 377 |
JZ 2003, 691 |
BayVBl. 2003, 312 |
DVBl. 2002, 1559 |
FSt 2003, 121 |