Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 28.02.2005; Aktenzeichen 9 BV 04.2307) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28. Februar 2005 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die auf Zulassung der Revision gerichtete Beschwerde des Klägers ist nicht begründet.
1. Die Revision kann nicht nach den §§ 133, 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen werden.
1.1 Eine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO folgt nicht schon daraus, dass das Verwaltungsgericht nach § 124 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO die Berufung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der nachfolgend unter 1.3 inhaltlich auf ihre revisionsrechtliche Bedeutsamkeit überprüften Frage zugelassen hat. Die Frage, ob eine Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, lässt zwar nur eine Antwort zu; die Antwort hängt aber vom Erkenntnisstand zur Zeit der Entscheidung und von der Beurteilung des/r entscheidenden Richter(s) ab (s. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29. Juli 2004 – BVerwG 5 C 65.03 – BVerwGE 121, 292). Der erkennende Senat hat daher in eigener Verantwortung und ohne Bindung an die Bewertung durch das Verwaltungsgericht zu prüfen und zu entscheiden, ob die von dem Kläger zur Prüfung gestellten Fragen zur Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO führen.
1.2 Die Revision ist nicht wegen der von der Beschwerde als rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfenen Frage zuzulassen,
“ob der Begriff des ‘Arbeitgebers’ im Sinne der Regelung des § 91 Abs. 2 Satz 2 SGB IX dem Begriff des ‘Kündigungsberechtigten’ im Sinne des § 626 Abs. 2 BGB bzw. § 54 Abs. 2 BAT gleichzustellen ist, somit bezüglich der Antragsfrist i.S. des § 91 Abs. 2 Satz 2 SGB IX auf die Kenntnis des ‘Arbeitgebers’ oder aber bei entsprechender Gleichstellung die des ‘Kündigungsberechtigten’ abzustellen ist.”
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist zu der § 91 Abs. 2 SGB IX entsprechenden Vorgängerregelung des § 21 Abs. 2 SchwbG geklärt, dass § 21 Abs. 2 Satz 2 SchwbG der Vorschrift des § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB nachgebildet ist und daher für die Beurteilung der Frage der Kenntniserlangung vom Kündigungsgrund dieselben Erwägungen gelten, die bei der Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu beachten sind, wobei Kenntniserlangung nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bedeutet, dass der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis vom Kündigungssachverhalt hat, die ihm die Entscheidung ermöglicht, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht (Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 2. Mai 1996 – BVerwG 5 B 186.95 – Buchholz 436.61 § 21 SchwbG Nr. 7). Auch wenn § 91 SGB IX keine Legaldefinition des Begriffs “Arbeitgeber” enthält, folgt aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber in § 91 Abs. 2 Satz 2 SGB IX den Begriff des “Arbeitgebers” verwendet hat, in § 626 Abs. 2 BGB hingegen den des “Kündigungsberechtigten”, weder nach dem Wortlaut noch nach Sinn und Zweck, dass in Fällen, in denen das Beschäftigungsverhältnis zu einer Körperschaft des öffentlichen Rechts besteht, statt auf die Kenntnis des nach dem jeweiligen Organisationsrecht Kündigungsberechtigten auf die Kenntnis eines anderen Organs oder einer anderen Stelle dieser öffentlich-rechtlichen Körperschaft abzustellen wäre. Das Beschwerdevorbringen lässt hier einen neuerlichen Klärungsbedarf nicht erkennen.
Dass nach der hier anzuwendenden Bayerischen Gemeindeordnung i.V.m. dem internen Organisationsrecht der Beigeladenen Kündigungsberechtigter der Gemeinderat bzw. der gemäß Art. 43 Abs. 1 Satz 2 BayGO für Personalangelegenheiten eingerichtete Ausschuss (hier also der Finanz- und Personalausschuss der Beigeladenen) Kündigungsberechtigter war, weil die Beigeladene von der in Art. 43 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayGO eröffneten Möglichkeit, Befugnisse nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 auf den Oberbürgermeister zu übertragen, in dem hier maßgeblichen Zeitpunkt noch keinen Gebrauch gemacht hatte, steht zwischen den Beteiligten nicht im Streit (s.a. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. Mai 1994 – 2 AZR 930/93 – AP Nr. 33 zu § 626 BGB Ausschlussfrist); hieran etwa anknüpfende Rechtsfragen beträfen zudem der Revision nicht unterfallende (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) Fragen des Landesrechts.
1.3. Die von der Beschwerde weiterhin als rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Frage,
“ob die Antragsfrist des § 91 Abs. 2 SGB IX auch dann eingehalten wird, wenn zwischen der Kenntniserlangung der Kündigungsgründe durch einen ‘arbeitgeberähnlichen Dritten’ bei der Gemeinde – hier Kenntniserlangung des seitens der beigeladenen Stadt I… selbst als letzter kündigungsrelevanter Tatbestand bezeichneten Schreibens des Klägers vom 27. November 2001 durch das Personalamt der beigeladenen Stadt I… am 30. November 2001 – und der nächsten regulären Sitzung des kündigungsberechtigten Stadtratsausschusses – hier am 31. Januar 2002 – wesentlich mehr als vier Wochen liegen”,
rechtfertigt die Zulassung der Revision ebenfalls nicht. Denn damit ist ungeachtet der Anlehnung an die Gründe, aus denen das Verwaltungsgericht die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen hat, keine in einem Revisionsverfahren der generellen Klärung zugängliche Rechtsfrage bezeichnet. Der fallübergreifenden Klärung zugänglich wäre die von dem Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 18. Mai 1994 – 2 AZR 930/93 – AP Nr. 33 zu § 626 BGB Ausschlussfrist) zu § 626 Abs. 2 BGB geklärte Frage, unter welchen Voraussetzungen sich der Kündigungsberechtigte nach Treu und Glauben die Kenntnis eines Nichtkündigungsberechtigten mit arbeitgeberähnlicher Funktion zurechnen lassen muss. Das Bundesarbeitsgericht hat hierzu erkannt, dass sich der Kündigungsberechtigte die Kenntnis eines Dritten nach Treu und Glauben nur dann zurechnen lassen muss, wenn dessen Stellung im Betrieb nach den Umständen erwarten lässt, er werde den Kündigungsberechtigten von dem Kündigungssachverhalt unterrichten und die verspätet erlangte Kenntnis des Kündigungsberechtigten darauf beruht, dass die Organisation des Betriebes zu einer Verzögerung des Fristbeginns führt, obwohl eine andere Organisation sachgemäß und zumutbar (gewesen) wäre (Bundesarbeitsgericht, ebenda). In Bezug auf diesen rechtlichen Ausgangspunkt, den im Ansatz übereinstimmend sowohl Verwaltungsgericht als auch Berufungsgericht zugrunde gelegt haben, legt die Beschwerde, die sich gerade nicht gegen die Heranziehung dieser Grundsätze für die Beurteilung der Frage der Kenntniserlangung auch nach § 91 Abs. 2 SGB IX wendet (s. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 2. Mai 1996 – BVerwG 5 B 186.95 – Buchholz 436.61 § 21 SchwbG Nr. 7), weiteren oder zusätzlichen Klärungsbedarf nicht dar.
Keiner revisionsgerichtlich grundsätzlichen Klärung zugänglich ist hingegen die fallbezogene Anwendung dieser Grundsätze durch das Berufungsgericht, das bei seiner, von jener des Verwaltungsgerichts abweichenden einzelfallbezogenen Bewertung des Sachverhalts dahin erkannt hat, dass die im vorliegenden Verfahren zu entscheidende Fallkonstellation sich von jener unterscheidet, zu welcher die herangezogene Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ergangen ist, und der Beigeladenen nicht als schuldhafter Organisationsmangel anzulasten sei, dass sie eine Entscheidung des Finanz- und Personalausschusses nicht vor dem 31. Januar 2002 herbeigeführt habe, und insbesondere die im Vorhinein festgelegte Sitzungshäufigkeit hier nicht beanstandet werden könne. Diese Bewertung, die unter einzelfallbezogener Würdigung von Größe, Struktur und anderen Merkmalen der beigeladenen Stadt, der Zahl der bei der Beigeladenen Beschäftigten, der Zahl der außerordentlichen Kündigungen insbesondere schwerbehinderter Angestellter und zudem der jahreszeitlichen Besonderheiten (Vorweihnachtszeit; Jahreswechsel) getroffen worden ist, wirft auch sonst keine grundsätzlicher Klärung zugänglichen Rechtsfragen auf. Dabei versteht es sich von selbst und bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, dass allein der Zeitablauf, solange er sich in einem noch überschaubaren und – wie hier nach der Bewertung des Berufungsgericht – begründeten Rahmen hält, für sich allein eine schuldhaft fehlerhafte Organisation der Zuständigkeiten in Personalangelegenheiten nicht kraft Bundesrechts und unabhängig von den weiteren, durch das Berufungsgericht bewerteten Umständen des Einzelfalles belegt.
2. Die Revision kann auch nicht nach den §§ 133, 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Verfahrensfehlers zugelassen werden. Zu Unrecht rügt der Kläger als einen Verstoß gegen die Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO), dass das Berufungsgericht den Umstand, dass er – der Kläger – das Vorbringen der Beilgeladenen zu den Abständen, in denen der Finanz- und Personalausschuss überwiegend getagt habe, in welchen zeitlichen Abständen die Sitzungspläne herausgegeben worden seien sowie den Möglichkeiten der Einberufung einer Sondersitzung schriftsätzlich ausdrücklich mit Nichtwissen bestritten habe, nicht zum Anlass zu weitergehender Sachaufklärung genommen und unter Rückgriff auf den Sachvortrag der Beigeladenen ein Organisationsverschulden der Beigeladenen verneint habe. Der Kläger hat ausweislich des Sitzungsprotokolls in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof keinen Beweisantrag in Bezug auf Tatsachen, welche für die Beurteilung eines Organisationsmangels oder die Möglichkeit der Einberufung einer Sondersitzung des Finanz- und Personalausschusses erheblich sein könnten, gestellt oder Anhaltspunkte dafür benannt, dass die hierzu von der Beigeladenen gemachten tatsächlichen Angaben unzutreffend seien; er hat hiernach lediglich die erkennbar auch zur Kenntnis genommene und vom Berufungsgericht ersichtlich erwogene Bewertung vertreten, dass die Beigeladene eine Sondersitzung ihres Personalausschusses hätte einberufen müssen. Da der Kläger die Angaben der Beigeladenen zum Sitzungsturnus des Finanz- und Personalausschusses und den Schwierigkeiten, eine Sondersitzung noch vor Weihnachten oder zum Jahresbeginn 2002 anzusetzen, lediglich mit Nichtwissen bestritten hat und Anhaltspunkte dafür fehlten, dass die von dem Berufungsgericht für seine Bewertung herangezogenen tatsächlichen Angaben der Beigeladenen unzutreffend seien, ist nicht erkennbar, aus welchen Gründen sich dem Berufungsgericht aus seiner für den Umfang der verfahrensrechtlichen Sachaufklärung maßgeblichen materiellrechtlichen Sicht die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung in der von der Beschwerdebegründung aufgezeigten Richtung hätte aufdrängen müssen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO; da sich die Beigeladene in dem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren zur Sache geäußert hat, entspricht es der Billigkeit, ihr etwa entstandene außergerichtliche Kosten dem Kläger aufzuerlegen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Säcker, Dr. Franke, Prof. Dr. Berlit
Fundstellen