Verfahrensgang

OVG für das Land Brandenburg (Aktenzeichen 2 A 5016/95)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 9. Februar 1998 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8 000 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die Beschwerde bleibt erfolglos.

Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Erteilung eines Aufnahmebescheids mit der Begründung verneint, das bestätigende Merkmal der Sprache sei ihm nicht vermittelt worden. Er habe auch nicht deshalb einen Anspruch auf Aufnahme, weil seine Mutter als Vertriebene anerkannt sei. Ein derartiger Anspruch ergebe sich auch nicht aus Art. 116 Abs. 1 GG.

Mit der Grundsatzrüge aus Art. 116 GG und Art. 6 GG macht die Beschwerde geltend, der „Wechselwirkung” dieser Bestimmungen sei durch eine grundrechtskonforme Verfahrensgestaltung in der Weise Rechnung zu tragen, daß das Zerreißen von Familiengemeinschaften verhindert werde; insoweit sei aus der leistungsrechtlichen Seite des Grundrechts ein Aufnahmeanspruch herzuleiten, wobei es nicht darauf ankommen könne, ob dieser für den Abkömmling im Wege eines „Einbeziehungsbescheids” oder eines selbständigen „Aufnahmebescheids” realisiert werde.

Die damit sinngemäß aufgeworfene Frage, ob § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG n.F. ungeachtet der dort genannten Voraussetzungen verfassungskonform auch auf Abkömmlinge von Personen entsprechend angewandt werden muß, die das Aussiedlungsgebiet – wie die Mutter des Klägers – bereits vor dem 1. Januar 1993 verlassen haben, rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision, weil sie sich anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts ohne weiteres beantworten läßt, so daß es dazu der Durchführung eines Revisionsverfahrens nicht bedarf. Der Senat hat bereits durch mehrere Beschlüsse (vgl. etwa Beschlüsse vom 9. März 1999 – BVerwG 5 B 82.99 und BVerwG 5 B 83.99 –, vom 27. April 1999 – BVerwG 5 B 41.99 und BVerwG 5 B 42.99 – und vom 14. September 1999 – BVerwG 5 B 61.99 –) geklärt, daß eine Einbeziehung von Abkömmlingen nach der neuen Rechtslage voraussetzt, daß die Bezugsperson das Aussiedlungsgebiet nicht bereits vor dem 1. Januar 1993 verlassen hat:

„Die Vorschrift des § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG n.F. ist mit Wirkung vom 1. Januar 1993 durch das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz (KfbG) vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S. 2094) im Rahmen einer durch Einführung der Rechtsfigur des Spätaussiedlers (§ 4 BVFG n.F.) gekennzeichneten, vom bisherigen Recht in wesentlichen Punkten abweichenden Neuregelung des Vertriebenenrechts in das Gesetz eingefügt worden. Sie sieht vor, daß u.a. – nichtdeutsche – Abkömmlinge von Personen im Sinne des Satzes 1 auf Antrag in einen diesen zu erteilenden Aufnahmebescheid einzubeziehen sind. Personen nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG n.F. sind Personen mit Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten …, die nach Verlassen dieser Gebiete die Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllen. Die volksdeutsche Bezugsperson, in deren Aufnahmebescheid der nichtdeutsche Abkömmling einbezogen werden will, muß demnach zum einen bei Einbeziehung des Abkömmlings in den Aufnahmebescheid noch ihren Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten haben, darf diese also noch nicht unter Aufgabe ihres Wohnsitzes verlassen haben. Dieses sich aus dem Wortlaut ergebende Erfordernis entspricht auch dem Willen des Gesetzes, wie sich aus der Entstehungsgeschichte ergibt (vgl. die Begründung der Regierungsvorlage eines Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes, BTDrucks 12/3212, S. 26).

Darüber hinaus verlangt § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG nach seinem ebenfalls eindeutigen Wortlaut für die Einbeziehung eines Abkömmlings in den Aufnahmebescheid einer Bezugsperson, daß diese nach Verlassen der Aussiedlungsgebiete die Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllt. Spätaussiedler kann nach § 4 BVFG n.F. jedoch nur sein, wer das Aussiedlungsgebiet nach dem 31. Dezember 1992 verläßt. Die Vorschrift sieht somit eine Einbeziehung nichtdeutscher Abkömmlinge in einen Aufnahmebescheid nur vor, wenn die Bezugsperson zu dem neu eingeführten Personenkreis der Spätaussiedler gehört. Daraus folgt zugleich, daß für Abkömmlinge solcher Personen, die nach Erteilung eines Aufnahmebescheids vor dem 1. Januar 1993 … das Aussiedlungsgebiet verlassen haben und damit zu dem von § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG erfaßten Personenkreis der Aussiedler gehören, ebenso wie für diese Personen selbst (vgl. § 100 Abs. 1 BVFG n.F. sowie Urteil vom 8. November 1994 – BVerwG 9 C 599.93 – Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 76) das bis zum 31. Dezember 1992 geltende Recht maßgebend sein soll. Dieses sah zwar seit dem am 1. Juli 1990 in Kraft getretenen Aussiedleraufnahmegesetz (AAG) vom 28. Juni 1990 (BGBl S. 1247) zum Erwerb der Aussiedlereigenschaft nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG die Erteilung eines Aufnahmebescheids vor dem Verlassen des Aussiedlungsgebiets zwingend vor, gab einem nichtdeutschen Abkömmling jedoch keinen Anspruch auf Einbeziehung in diesen Bescheid. Vielmehr konnte ein Abkömmling einen Aufnahmebescheid nur erhalten, wenn er – wie vor der Einführung des Aufnahmebescheids – selbst die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG erfüllte.”

In der damit nicht möglichen Einbeziehung des Klägers in einen seiner Mutter erteilten Aufnahmebescheid beziehungsweise der rechtlich nicht vorgesehenen selbständigen Aufnahme als Abkömmling liegt auch kein Verstoß gegen das Grundgesetz. Dazu ist in den genannten Beschlüssen vom 9. März 1999, 27. April 1999 und 14. September 1999 ausgeführt:

„Zu einem Verfassungsverstoß unter dem … Gesichtspunkt des Rechtsstaatsprinzips oder des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) könnte die Regelung des § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG n.F. nur führen, wenn sie Abkömmlingen von Aussiedlern im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 3 BVFG bis zum 31. Dezember 1992 entstandene Rechtspositionen entzöge oder entwertete oder diese Abkömmlinge gegenüber Abkömmlingen von Spätaussiedlern ohne sachlichen Grund ungleich behandelte. Die Abkömmlinge von Personen, die … nach Verlassen des Aussiedlungsgebiets die Voraussetzungen als Aussiedler nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG erfüllten, hatten jedoch – wie ausgeführt – vor der Gesetzesänderung keinen Anspruch auf Einbeziehung in den diesen erteilten Aufnahmebescheid. Die Neuregelung verletzt die Beschwerdeführer auch nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG. Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers zu bestimmen, ob ein Rechtsgebiet einer Novellierung bedarf und von welchem Zeitpunkt ab die Novellierung gelten soll (BVerfGE 47, 85, 93; BVerfGE 53, 224, 253). Der Gesetzgeber durfte daher die Einbeziehung in einen Aufnahmebescheid auf Abkömmlinge derjenigen Personen beschränken, die von der ab dem 1. Januar 1993 geltenden Neuregelung erfaßt werden.”

Das Bundesverwaltungsgericht hat auch bereits mehrfach entschieden, daß Art. 116 Abs. 1 GG offensichtlich keinen Anspruch auf Aufnahme gewährt, sondern den Status als Deutscher davon abhängig macht, daß jemand als Vertriebener „Aufnahme gefunden” hat, eine Aufnahme also voraussetzt (vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 26. Februar 1998 – BVerwG 9 B 890.97 – und vom 7. Juli 1998 – BVerwG 9 B 1202.97 – sowie vom 20. Januar 1999 – BVerwG 5 B 11.99 –).

Es bedarf auch nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, um zu klären, daß sich aus Art. 6 Abs. 1 GG keine grundrechtlichen Ansprüche des volljährigen Klägers auf Erteilung eines Aufnahmebescheids beziehungsweise nachträgliche Einbeziehung in einen der Mutter erteilten Aufnahmebescheid ergeben; nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lassen sich aus diesem Grundrecht keine unmittelbaren Ansprüche auf Einreise und Aufenthalt herleiten (vgl. BVerfGE 76, 1, 41 ff., 47 im Zusammenhang des Ehegatten- und Familiennachzuges).

Die Aufklärungsrüge (§ 86 VwGO), welche die Notwendigkeit weiterer Sachverhaltsaufklärung bezüglich des Bestätigungsmerkmals „Sprache” daraus herleitet, daß die Vorinstanz die einschlägigen Angaben des Klägers im Aufnahmeantrag als „unklar” bezeichnet habe, verkennt, daß das Oberverwaltungsgericht die Frage der Sprachvermittlung und Sprachbeherrschung nicht unaufgeklärt gelassen, sondern sich die erforderliche Überzeugung insoweit durch eine Bewertung der späteren ergänzenden Angaben des Klägers verschafft hat. Soweit die unterlassene persönliche Anhörung des Klägers bzw. einer Vernehmung seiner Mutter als Zeugin gerügt wird, ist schon nicht dargelegt, welche konkreten weiteren Angaben zum Sprachverhalten des Klägers zu erwarten gewesen wären. Der Hinweis, der Kläger sei „durchaus in der Lage, einfache Gespräche in deutscher Sprache zu führen”, ist in diesem Zusammenhang ersichtlich unerheblich, zumal auch die Vorinstanz davon ausgeht, daß der Kläger möglicherweise in der Zwischenzeit deutsche Sprachkenntnisse erworben habe (S. 10 des Urteils). Was die ebenfalls gerügte fehlende Vernehmung der Mutter der Klägers zu einer Vermittlung der Bestätigungsmerkmale Erziehung und Kultur betrifft, ist nicht dargelegt, warum sich der Vorinstanz auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung eine weitere Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen und welche konkreten weiteren Erkenntnisse zu erwarten gewesen wären.

Die Divergenzrüge, mit der unter Hinweis u.a. auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. November 1996 – BVerwG 9 C 8.96 – (BVerwGE 102, 214) geltend gemacht wird, die Vorinstanz habe einseitig das Kriterium „Sprache” in den Vordergrund seiner Bewertung gestellt, welches jedoch rechtlich nicht das allein ausschlaggebende Kriterium der deutschen Volkszugehörigkeit sei, legt nicht dar, worin die behauptete Abweichung im Rechtssatz bestehen soll. Die Berufungsinstanz hat unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausgeführt, deutsche Erziehung und deutsche Kultur könnten in einer ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum bestätigenden Weise ohne eine gleichzeitige Vermittlung der deutschen Sprache als Muttersprache oder bevorzugter Umgangssprache nur unter besonderen Umständen vermittelt werden, und das Vorliegen derartiger besonderer Umstände verneint. Das behauptete Abweichen im Rechtssatz ist somit nicht zu erkennen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 1, § 14 Abs. 1 GG.

 

Unterschriften

Dr. Säcker, Dr. Bender, Dr. Franke

 

Fundstellen

Dokument-Index HI567503

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