Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches OVG (Beschluss vom 30.05.1996; Aktenzeichen 5 L 220/95)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluß des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 30. Mai 1996 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme etwaiger außergerichtlicher Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

 

Gründe

Die Beschwerde der Klägerin bleibt ohne Erfolg. Die für die Zulassung der Revision geltend gemachten Gründe liegen nicht vor.

Der Rechtssache kommt die ihr von der Klägerin beigemessene grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht zu. Unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt kann die Revision nur zugelassen werden, wenn zu erwarten ist, daß die Entscheidung im künftigen Revisionsverfahren dazu dienen kann, die Rechtseinheit in ihrem Bestand zu erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

Die von der Klägerin zu ihrem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung formulierte Rechtsfrage, ob die Hauptfürsorgestelle im Hinblick auf Art. 20 Abs. 3 GG verpflichtet ist, „bei der Entscheidung über die Zustimmung zu einer geplanten fristlosen Kündigung gem. § 21 IV SchwbG eine naheliegende Grundrechtsverletzung in die Prüfung einzubeziehen, sowie weiter, ob die Verwaltungsgerichte verpflichtet sind, diese Prüfung nachzuholen, wenn die Hauptfürsorgestelle und der WiderSpruchsausschuß sie unterlassen haben”, rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht, da sie auf der Grundlage von § 21 Abs. 4 SchwbG und der zu dieser Vorschrift ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne weiteres zu beantworten ist. Danach hat die Hauptfürsorgestelle über die Wirksamkeit der (beabsichtigten) Kündigung, also über das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB unter Berücksichtigung des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung, nicht zu urteilen (BVerwGE 90, 275 ≪281 ff.≫). Denn § 21 Abs. 4 SchwbG verlangt von der Hauptfürsorgestelle nicht die Prüfung, ob die Kündigung berechtigt aus wichtigem Grund erfolgt, sondern ob der Grund, aus dem die Kündigung erfolgt, mit der Behinderung im Zusammenhang steht oder nicht. Der Grund, aus dem die Kündigung erfolgt, ist aber immer der vom Arbeitgeber genannte Kündigungsgrund, unabhängig davon, ob er die Kündigung arbeitsrechtlich rechtfertigt. Der vom Arbeitgeber angegebene Kündigungsgrund ist deshalb im arbeitsgerichtlichen Kündigungsrechtsstreit zu überprüfen (vgl. BVerwGE 90, 275 ≪281 f.≫). Es obliegt deshalb ggf. den Arbeitsgerichten, die Frage nach der Einwirkung von Grundrechten auf die außerordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers zu klären.

Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar bisher offengelassen, ob die Hauptfürsorgestelle die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung (ausnahmsweise) dann zu prüfen hat, wenn durch die im Zustimmungsverfahren vorzunehmenden Anhörungen und Ermittlungen offenbar wird, daß die vom Arbeitgeber geltend gemachten Gründe eine außerordentliche Kündigung offensichtlich nicht zu rechtfertigen vermögen (BVerwGE 90, 275 ≪287≫). Im Anschluß daran sieht die Klägerin als grundsätzlich bedeutsam die Frage an, „ob diese Offensichtlichkeits-Prüfung sich auf zivilrechtliche Aspekte beschränkt oder der Aspekt einer naheliegenden Grundrechtsverletzung einzubeziehen ist”. Auch diese Frage bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits entschieden, daß eine offensichtliche Unwirksamkeit der Kündigung nur angenommen werden kann, wenn sie ohne jeden vernünftigen Zweifel in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht offen zu Tage liegt, sich jedem Kundigen geradezu aufdrängt (BVerwGE 90, 275 ≪287≫ m.w.N.). Aus dem Verständnis der Grundrechte als „eine objektive Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt und Richtlinien und Impulse für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung gibt” (BVerfGE 39, 1 ≪41≫; vgl. auch BVerfGE 7, 198 ≪205≫), folgt ohne weiteres, daß auch eine Grundrechtsverletzung die Offensichtlichkeit der Unwirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung (mit-)begründen kann. Soweit die Klägerin mit ihrer Beschwerde im übrigen rügen will, daß das Berufungsgericht die Bedeutung ihres Grundrechts auf freie Meinungsäußerung sowie „die verfassungsrechtliche Vorgabe” des Art. 1 GG nicht erkannt habe, greift sie die berufungsgerichtliche Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung im Einzelfall an. Mit solchen Angriffen gegen die Richtigkeit des Berufungsbeschlusses kann die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache jedoch nicht dargetan werden.

Auch der geltend gemachte Zulassungsgrund der Abweichung des Berufungsbeschlusses von dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Januar 1958 – 1 BvR 400/51 – (BVerfGE 7, 198) liegt nicht vor. Eine solche Abweichung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts voraus, daß das Berufungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden (abstrakten) Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abweicht (vgl. Beschluß vom 12. Dezember 1991 – BVerwG 5 B 68.91 – ≪Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 302 m.w.N.≫). Eine derartige Divergenz legt die Beschwerde nicht dar.

Die von der Klägerin erhobene Verfahrensrüge, das Berufungsgericht habe seine Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO verletzt, weil es sich nicht den Video-Mitschnitt der Fernsehsendung, in der die Klägerin sich in der vom Beigeladenen mißbilligten Weise geäußert habe, angesehen und weil es auch nicht die den Leiter des Fleischhygieneamtes betreffende strafrechtliche Ermittlungsakte beigezogen habe, greift schließlich ebenfalls nicht durch. Nach Ansicht der Klägerin war diese Sachaufklärung im Zusammenhang mit der Frage geboten, ob die ihr gegenüber ausgesprochene außerordentliche Kündigung offensichtlich unwirksam gewesen ist. Die Klägerin hätte jedoch, um ihrer Darlegungslast (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) zu genügen, außer den genannten Beweismitteln auch angeben müssen, inwiefern sich dem Berufungsgericht – nach dessen materiellrechtlicher Auffassung (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 25. März 1987 – BVerwG 6 C 10.84 – ≪Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 183 S. 4≫) – eine Beweisaufnahme in der von der Klägerin für erforderlich gehaltenen Richtung hätte aufdrängen müssen. Das Berufungsgericht hat eine offensichtliche Unwirksamkeit der Kündigung in Anknüpfung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verneint, nach der eine offensichtliche Unwirksamkeit der Kündigung nur angenommen werden kann, wenn sie ohne jeden vernünftigen Zweifel in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht offen zu Tage liegt (vgl. BVerwGE 90, 275 ≪287≫). Die Klägerin hat nicht dargelegt, daß sich dem Berufungsgericht bei dieser rechtlichen Ausgangslage über den von ihm festgestellten und seiner Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalt hinaus die von der Klägerin für erforderlich gehaltene Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 VwGO.

 

Unterschriften

Dr. Säcker, Schmidt, Dr. Rojahn

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1212072

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