Entscheidungsstichwort (Thema)
Überschuldung. Ermittlung der Überschuldung. Verbindlichkeiten unterhalb des Einheitswerts. Entbehrlichkeit des Mittelwertverfahrens
Leitsatz (amtlich)
Steht fest, daß valutierende Grundstücksbelastungen und die Kosten für unaufschiebbar notwendige Instandsetzungsarbeiten deutlich unter- oder oberhalb des Einheitswerts liegen, so bedarf es zur Ermittlung der Überschuldung im Rahmen von § 1 Abs. 2 VermG in der Regel nicht des Rückgriffs auf das sog. Mittelwertverfahren zur Feststellung des Grundstückswerts (im Anschluß an Urteil vom 16. März 1995 – BVerwG 7 C 39.93 – BVerwGE 98, 87 ≪98≫).
Normenkette
VermG § 1 Abs. 2
Verfahrensgang
VG Weimar (Entscheidung vom 08.06.1999; Aktenzeichen 4 K 1822/96.We) |
Tenor
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 8. Juni 1999 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese jeweils selbst tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 636 720 DM festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde der Kläger ist unbegründet. Der Rechtssache kommt die ihr allein beigemessene grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht zu.
Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts zu erwarten ist. Daran fehlt es hier.
1. Die von der Beschwerde zunächst aufgeworfene Frage,
ob bei Anwendung des Mittelwertverfahrens (Feststellen der Beleihungsgrenze mit Hilfe der in der DDR geltenden Bewertungsvorschriften) im Rahmen des § 1 Abs. 2 VermG die Kosten der… anstehenden Instandsetzungsarbeiten – wie es das Verwaltungsgericht getan hat – auf die Preisbasis 1936 zurückgerechnet werden und mit diesem Wert in die Grundstückswertberechnung einfließen müssen oder – was die Beschwerde für richtig hält – mit dem tatsächlichen Wertansatz zum Zeitpunkt des Eigentumsverzichts als Verbindlichkeit dem ermittelten Grundstückswert gegenübergestellt werden müssen,
würde in dem beabsichtigten Revisionsverfahren keiner Klärung zugeführt werden.
a) Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht mehrfach beide Berechnungsmethoden als offenbar zulässige Verfahren zur Ermittlung des Tatbestandsmerkmals der Überschuldung in § 1 Abs. 2 VermG erwähnt, ohne die eine oder andere Vorgehensweise als vorrangig zu bezeichnen, solange nur eine „doppelte” Berücksichtigung notwendiger, aber in der Vergangenheit unterbliebener Reparaturmaßnahmen vermieden wird. So hat es beispielsweise im Urteil vom 16. März 1995 – BVerwG 7 C 39.93 – (BVerwGE 98, 87 ≪95≫) bei den dem Grundstückswert gegenüberzustellenden Verbindlichkeiten die Kosten anstehender Instandsetzungsarbeiten für berücksichtigungsfähig gehalten, „soweit deren Unterlassung sich bei der Grundstückswertberechnung nicht schon wertmindernd ausgewirkt hat (vgl. Abschnitt III Buchst. a Abs. 6 i.V.m. Buchst. b Abs. 4 der Bewertungsrichtlinie 1960 sowie Abschnitt V Nr. 2.1.4 der Preisverfügungen 3/82 und 3/87)”. Im Urteil vom 30. Mai 1996 – BVerwG 7 C 47.94 – (Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 78 S. 225 ≪229≫) ist es dementsprechend von der Berücksichtigung von Bau- und Unterhaltungsmängeln durch Abschläge wegen unterbliebener Instandsetzung bei der Ermittlung des Sach- und Ertragswerts nach dem Bewertungsrecht der DDR ausgegangen.
b) Eine weitere Klärung des Verhältnisses der beiden Vorgehensweisen ist jedoch in dem beabsichtigten Revisionsverfahren nicht zu erwarten, weil es nach den tatsächlichen Feststellungen, die dem angefochtenen Urteil zu entnehmen sind, für die Entscheidung des vorliegenden Falles darauf nicht ankommt. Das Verwaltungsgericht hat nämlich festgestellt, daß der Einheitswert des streitigen Grundstücks 53 700 M betrug. Dem standen als einzige bestehende Belastung eine in Höhe von 41 033 M valutierende Aufbaugrundschuld und als konkret bevorstehende Verbindlichkeit Kosten für unaufschiebbar notwendige Reparaturmaßnahmen an Dach und Mauerwerk in Höhe von zusammen 9 708,97 M gegenüber. Der Grundstückswert war danach durch konkrete Verbindlichkeiten nicht aufgezehrt, sondern ließ noch einen – für Kredite zur Verfügung stehenden – Restbetrag in Höhe von 2 958,03 M offen. Das Verwaltungsgericht hätte unter diesen tatsächlichen Umständen das von ihm ausführlich erörterte und im Detail streitige Mittelwertverfahren zur Feststellung des Grundstückswerts und damit zur Ermittlung der Überschuldung nicht heranziehen müssen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteile vom 16. März 1995, a.a.O., S. 98 und vom 30. Mai 1996, a.a.O., S. 229) wird nämlich die Prüfung der Überschuldung dann erleichtert, wenn der notwendige Reparaturaufwand deutlich von dem Betrag des Einheitswerts abzüglich schon bestehender Verbindlichkeiten abweicht. Erfahrungsgemäß lag der Zeitwert von Mietwohngrundstücken in der DDR meist etwas über dem Einheitswert. Kredite wurden daher üblicherweise höchstens bis zum Einheitswert bewilligt. Es darf daher angenommen werden, daß Verbindlichkeiten, die deutlich unterhalb des Einheitswerts lagen, keine Überschuldung des Vermögenswerts begründen konnten, es sei denn, der bauliche Zustand des Grundstücks war derart schlecht, daß der Zeitwert den Einheitswert wesentlich unterschritt. Die Voraussetzungen für eine solche überschlägige Prüfung sind hier gegeben: Das angefochtene Urteil enthält – wie dargelegt – Feststellungen sowohl zum Einheitswert als auch zum Aufwand notwendiger Reparaturen. Daraus ergibt sich hier, daß die Verbindlichkeiten deutlich unter dem Einheitswert lagen und das Grundstück deshalb nicht überschuldet war. Anhaltspunkte für einen außergewöhnlich schlechten baulichen Zustand und damit eine ausnahmsweise Unterschreitung des Einheitswerts durch den Zeitwert lassen sich dem angefochtenen Urteil, das von einer „verhältnismäßig guten Ertragslage des Grundstücks” (UA S. 25) und dessen dauernder Wohnnutzung ausgeht, nicht entnehmen.
2. Aus dem gleichen Grund ist auch die Beantwortung der zweiten für grundsätzlich bedeutsam gehaltenen Frage,
ob zur Ermittlung der Differenz zwischen den jährlichen Einnahmen und Ausgaben für das jeweilige Grundstück nur auf die Ertragslage im Jahr des Eigentumsverzichts abgestellt werden darf oder dabei auch die Ertragslagen vorangegangener Jahre einbezogen werden dürfen,
nicht zu erwarten.
Auch diese Frage stellt sich nur, wenn – anders als hier – mangels Angaben zum Einheitswert auf die konkrete Grundstückswertberechnung nach dem Mittelwertverfahren zurückgegriffen werden muß. Im übrigen hat das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden, daß § 1 Abs. 2 VermG auf die dauerhafte Überschuldung abstellt und es deshalb auf den „nachhaltigen” Reinertrag ankommt (vgl. Urteil vom 16. März 1995, a.a.O., S. 93 und 98 f.). Dies spricht dafür, bei der Feststellung des Ertragswerts im Rahmen des Mittelwertverfahrens nur dauerhaft aussagekräftige, das heißt nicht nur auf ein oder zwei Jahre gegründete durchschnittliche Reinerträge als nachhaltig anzuerkennen, es sei denn eine wesentliche Veränderung der Ertragssituation wäre wegen eines nachweisbaren äußeren Umstandes substantiiert dargetan und deshalb nur der diese Ertragsveränderung manifestierende „jüngste” Reinertrag als Grundlage der Dauerhaftigkeitsprognose heranzuziehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf den §§ 13, 14 GKG.
Unterschriften
Dr. Müller, Sailer, Krauß
Fundstellen
VIZ 2000, 219 |
NJ 2000, 329 |
OVS 2000, 160 |
ThürVBl. 2000, 204 |