Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 11.12.1998; Aktenzeichen 2 B 88.2397) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 11. Dezember 1998 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 DM festgesetzt.
Gründe
Die auf § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet.
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Klägerin beimißt.
Die sinngemäß aufgeworfene Frage, ob offene Kamine dem Stand der Technik entsprechen und unter Berücksichtigung der in § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG genannten Anforderungen überhaupt noch genehmigungsfähig sind, rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision auf der Grundlage des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Der Senat hätte keinen Anlaß, sich in dem erstrebten Revisionsverfahren mit ihr auseinanderzusetzen. Der Ausgang des Rechtsstreits hängt nicht davon ab, ob der offene Kamin auf dem Nachbargrundstück aus den von der Beschwerde bezeichneten Gründen nicht hätte genehmigt werden dürfen. Er richtet sich vielmehr allein danach, ob die Klägerin durch die der Beigeladenen zu 2 erteilte Baugenehmigung im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO in ihren Rechten verletzt wird. Daß unter diesem Blickwinkel ein Klärungsbedarf besteht, macht die Beschwerde selbst nicht geltend. Ob ein offener Kamin im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG erhebliche Belästigungen für die Nachbarschaft herbeiführt, hängt nach ihrer eigenen Darstellung von den Umständen des Einzelfalles ab.
2. Die Verfahrensrüge greift ebenfalls nicht durch.
Das Berufungsgericht hat seine richterliche Aufklärungspflicht nicht dadurch verletzt, daß es trotz der im Verhandlungstermin vom 2. Dezember 1998 gestellten Beweisanträge keine weiteren Beweise erhoben hat. Wie aus § 86 Abs. 1 Satz 2 VwGO erhellt, ist der Tatrichter an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. Von einer Beweisaufnahme darf er absehen, wenn es auf die unter Beweis gestellten Tatsachen aus Gründen des materiellen oder des Prozeßrechts nicht ankommt.
Das Berufungsgericht brauchte von seinem materiellrechtlichen Ansatz her nicht der Frage nachzugehen, ob der Schornstein, über den die Abgase des offenen Kamins abgeleitet werden, den Anforderungen der TA Luft oder der VDI-Richtlinie 37181 Bl. 4 entspricht. Ebensowenig mußte es Nachforschungen darüber anstellen, ob sich Holz nach dem Stand der Technik so verfeuern läßt, daß weitaus geringere Umweltbelastungen als bei dem genehmigten offenen Kamin entstehen. Die drittschützende Wirkung des § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG erschöpft sich darin, die Nachbarschaft nach der Definition des § 3 Abs. 1 BImSchG vor schädlichen Umwelteinwirkungen zu bewahren, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind. Das bedeutet indes nicht, daß jede Beeinträchtigung, die sich nach dem Stand der Technik vermeiden läßt, als schädlich zu qualifizieren ist und vom Betroffenen abgewehrt werden kann. Ebensowenig ist der Schluß gerechtfertigt, daß unter Verstoß gegen die Vorsorgestandards der Nr. 2.4.2 der TA Luft und der Bestimmungen der VDI-Richtlinie 37181 Bl. 4 abgeleitete Abgase Luftverunreinigungen zur Folge haben, die an jedem beliebigen Punkt in der Umgebung die für die Immissionsabwehr maßgebliche Erheblichkeitsschwelle überschreiten.
Das Berufungsgericht brauchte auch nicht der Frage nachzugehen, ob im Abgas eines offenen Kamins zeitweise mehr als 0,1 mg/m³ kanzerogene Stoffe und mehr als 500 mg/m³ Kohlenmonoxyd enthalten sind. Eine Beweiserhebung erübrigte sich, da die unter Beweis gestellten Tatsachen bereits erwiesen waren. Dem in erster Instanz eingeholten Gutachten des Bayerischen Landesamts für Umweltschutz vom 12. November 1987 ist zu entnehmen, daß im Abbrand eines holzbefeuerten Kamins die im Beweisantrag angeführten Werte überschritten werden können. Dies hatte das Berufungsgericht rechtlich zu bewerten.
Diese Erkenntnis brauchte die Vorinstanz indes nicht zum Anlaß für weitere Ermittlungen zu nehmen. Denn die Überschreitung der von der Klägerin genannten Werte ist nicht gleichbedeutend mit dem Nachweis der Schädlichkeit im Sinne des Immissionsschutzrechts, die dem Berufungsgericht als rechtlich maßgebliches Kriterium dient. Die Beschwerde räumt selbst ein, daß die VDI-Richtlinie 2310 als Mittel der Emissionsminderung lediglich darauf abzielt, den Auswurf von Kohlenmonoxyd auf 250 mg/m³ zu begrenzen. Dem korrespondieren keine Immissionswerte. Die TA Luft, auf die die Beschwerde Bezug nimmt, enthält sich in Nr. 2.5.2 jeglicher Festlegung zum Schutz vor erheblichen Belästigungen durch Kohlenmonoxyd. Anders verhält es sich freilich mit krebserzeugenden Stoffen. Deren Emissionen sind nach Nr. 2.3 zu begrenzen. Wie aus Nr. 2.2.1.5 zu ersehen ist, dient diese Regelung auch dem Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen. Als Ersatz für Immissionswerte werden strenge Emissionsbegrenzungen vorgeschrieben. Hierdurch wird dem Umstand Rechnung getragen, daß sich für krebserzeugende Stoffe im allgemeinen kein Schwellenwert für unbedenkliche Einwirkungen bestimmen läßt. Nach Nr. 2.3 darf Benzopyren, das als Leitsubstanz der krebserzeugenden Stoffe angesehen wird, im Abgas bei einem Massenstrom von 0,5 g/h oder mehr eine Massenkonzentration von 0,1 mg/m³ nicht überschreiten. Als Massenstrom definiert die Nr. 2.1.3 der TA Luft die während einer Betriebsstunde bei bestimmungsgemäßem Betrieb einer Anlage unter den für die Luftreinhaltung ungünstigsten Betriebsbedingungen auftretende gesamte Emission.
Aus diesen Regelungen mußte das Berufungsgericht nicht die prozessualen Folgerungen ziehen, die die Beschwerde für geboten hält. Abgesehen davon, daß die TA Luft, die nach ihrer Nr. 1.5.2 für die nach § 4 BImSchG in Verbindung mit der 4. BImSchV genehmigungsbedürftigen Anlagen gilt, nicht unbesehen auf die in § 22 BImSchG aufgeführten Anlagen angewendet werden kann, bot der dem Berufungsgericht unterbreitete Beweisantrag vor dem Hintergrund der insbesondere in Nr. 2.3 der TA Luft getroffenen Regelung, für sich genommen, keine Anhaltspunkte dafür, daß der Betrieb des offenen Kamins auf dem Nachbargrundstück mit schädlichen Umwelteinwirkungen verbunden ist. Erhöhte Massenkonzentrationen im Bereich der von der Beschwerde angesprochenen Stoffklasse stellen während der Benutzung eines offenen Kamins nach den eigenen Angaben der Klägerin kein Dauerphänomen dar. Sie sind vielmehr für die Phase des Anfeuerns und Nachlegens kennzeichnend. Nach der normativen Wertung, die § 4 Abs. 3 1. BImSchV zugrunde liegt, können offene Kamine unter den dort genannten Voraussetzungen trotz der von der Beschwerde geschilderten Besonderheiten grundsätzlich betrieben werden, ohne daß Grund zu der Befürchtung besteht, die Nachbarschaft werde hierdurch unzumutbaren Beeinträchtigungen ausgesetzt. Sind die Nrn. 2.3 und 2.5 der TA Luft weder unmittelbar noch auch nur sinngemäß einschlägig, so hat sich die Prüfung, ob gleichwohl schädliche Umwelteinwirkungen hervorgerufen werden können, an den Umständen des Einzelfalles auszurichten. Diesem Erfordernis ist das Berufungsgericht dadurch gerecht geworden, daß es durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis darüber erhoben hat, ob die auf dem Nachbargrundstück genehmigte Kaminanlage in der konkreten Situation geeignet ist, für das Wohngrundstück der Klägerin erhebliche Belästigungen herbeizuführen. Der Sachverständige hat unter dem 25. März 1998 ein Gutachten erstattet, in dem er abschließend zu dem Ergebnis kommt, daß „keine Gründe erkennbar (sind), welche die Befürchtungen der Klägerin über erhebliche Nachteile oder Belästigungen durch den Betrieb des offenen Kamins wahrscheinlich erscheinen lassen”. Er hat seine gutachtliche Stellungnahme in der mündlichen Verhandlung vom 2. Dezember 1998 dahin erläutert, daß auch bei Windstille nicht damit zu rechnen sei, die Abgase könnten an Ort und Stelle herunterfallen. Er hat das Risiko, daß die Klägerin durch schädliche Abgase unter Einschluß kanzerogener Stoffe „in erheblichem Ausmaß” bis hin zu einer „Gesundheitsgefährdung” beeinträchtigt werde, „persönlich” als „unerheblich” eingeschätzt, jedoch eingeräumt, daß eine andere Beurteilung jedenfalls „bei Fallwinden und in einem Talkessel” nicht „absolut auszuschließen” sei.
Ein Verstoß gegen § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO läßt sich nicht daraus herleiten, daß das Berufungsgericht diese letzten Zweifel nicht zum Anlaß genommen hat, eine Auskunft des Wetteramtes dazu einzuholen, wie häufig im Talkessel von Grainau mit Inversionswetterlagen und sonstigen Windstillen bzw. mit Fallwinden zu rechnen ist. Nach der Einschätzung des Sachverständigen kann die Frage, wie sich die Abgase bei ungünstigen Witterungsbedingungen, etwa bei Windstille oder bei Fallwinden, ausbreiten, allenfalls durch Untersuchungen an Ort und Stelle weiter geklärt werden. Diese Aussage zieht die Beschwerde nicht in Zweifel. Lassen sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nähere Aufschlüsse, wenn überhaupt, nur durch Messungen am Einwirkungsort erlangen, so brauchte der Vorinstanz eine Auskunft des Wetteramtes über die allgemeinen Windverhältnisse nicht als taugliches zusätzliches Erkenntnismittel zu erscheinen. Hieraus erklärt sich wohl, weshalb das Berufungsgericht die vom Wetteramt München für Grainau angestellte Klimaanalyse vom 6. März 1987, die Teil der Gerichtsakten ist und in der die örtlichen Windverhältnisse eingehend dargestellt und bewertet werden, nicht zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht und im angefochtenen Urteil verwertet hat.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 14 Abs. 3 und § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG. Dabei orientiert sich der Senat an Nr. 7.6.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NVwZ 1996, 563). Hiervon nach unten abzuweichen, besteht keine Veranlassung, da die Klägerin nicht nur eine Grundstückswertminderung, sondern eine Gesundheitsgefährdung geltend macht.
Unterschriften
Gaentzsch, Berkemann, Halama
Fundstellen
NVwZ-RR 2000, 90 |
ZfBR 2000, 214 |
BRS 2000, 756 |