Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 03.07.1997; Aktenzeichen 8 S 3476/96) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 3. Juli 1997 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 25.000 DM festgesetzt.
Gründe
Es kann offenbleiben, ob dem Kläger wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist; denn die allein auf § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde könnte auch bei Gewährung einer Wiedereinsetzung keinen Erfolg haben.
Die Beschwerde macht geltend, das Berufungsgericht habe entgegen § 86 Abs. 1 VwGO den Sachverhalt unzureichend erforscht; ohne diesen Verstoß hätte es der Berufung des Klägers in vollem Umfang stattgeben müssen.
Dieser Verstoß liegt nicht vor. In der Berufungsverhandlung hat der Kläger u.a. die Erteilung einer Baugenehmigung beantragt. Ob das Vorhaben des Klägers sachlich genehmigungsfähig ist, haben die zuständigen Behörden nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bislang noch nicht geprüft. Diese Prüfung nachzuholen, sei nicht Aufgabe des Berufungsgerichts; der Sache fehle daher insoweit die für ein Verpflichtungsurteil im Sinne des § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO erforderliche Spruchreife. Diese Verfahrensweise des Berufungsgerichts ist nicht zu beanstanden. Die Erteilung einer Baugenehmigung – im konkreten Fall ist die Baugenehmigung für einen Schweinestall mit 64 Plätzen für leere und tragende Sauen, vier Eber, 36 Abferkelbuchten und 200 Ferkelaufzuchtplätzen im Streit – geht häufig über die schlichte Erteilung eines einfachen Bescheides hinaus, vielmehr wird sie oft mit zahlreichen Nebenbestimmungen (Auflagen, Bedingungen usw.) versehen. Grundsätzlich kann zwar auch ein Tatsachengericht mit Hilfe kundiger Sachverständiger ein Auflagenprogramm entwickeln und ihm mit dem Tenor des Verpflichtungsurteils Verbindlichkeit verschaffen. Im allgemeinen sind jedoch individuelle Einschätzungen und Zweckmäßigkeitserwägungen dafür erheblich, ob diese oder jene häufig gleichermaßen geeignete Auflage oder sonstige Nebenbestimmung hinzuzufügen ist. Aus diesen besonderen Gründen kann es gerechtfertigt sein, daß das Tatsachengericht davon absieht, die Sache selbst spruchreif zu machen (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. April 1989 – BVerwG 4 C 52.87 – Buchholz 406.11 § 9 BBauG Nr. 36 = DVBl 1989, 1050). In diesem Falle kann es – wie geschehen – ein Bescheidungsurteil im Sinne von § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO erlassen. Zum Erlaß des Bescheidungsurteils bedurfte es keiner weiteren Sachverhaltsermittlung.
Das Berufungsgericht hat auch nicht gegen den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs verstoßen. Daß das Berufungsgericht ein bestimmtes Vorbringen des Klägers im Tatbestand des Urteils richtig wiedergegeben hat, räumt die Beschwerde selbst ein. Wenn es hieraus, wie die Beschwerde meint, falsche rechtliche Schlüsse zieht, so kann darin keine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegen, sondern allenfalls eine fehlerhafte Rechtsanwendung, für die indes nichts ersichtlich ist.
Das Berufungsgericht hat auch kein entscheidungserhebliches Vorbringen des Klägers unberücksichtigt gelassen. Mit der Stellungnahme des Landwirtschaftsamtes vom 10. März 1993 hat es sich auseinandergesetzt, ebenso mit der Frage, ob der Kläger einen selbständigen Betrieb führt. Selbst wenn es hieraus im Urteil (vgl. BU S. 7, 2. Absatz) falsche rechtliche Schlüsse gezogen hätte, würde dies keinen Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO darstellen. Das Berufungsgericht hat die Gründe, mit denen die Baubehörden das Baugesuch des Klägers ohne sachliche Prüfung abgelehnt haben, mißbilligt; deshalb hat es die Beklagte unter Beachtung der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts zur Neubescheidung verpflichtet. Auch die von der Beschwerde erörterten Umstände hätten nicht zur Stattgabe der Berufung in vollem Umfange führen können.
Auch die Behandlung der Ablehnungsgesuche des Klägers durch das Berufungsgericht stellt keine Verletzung des § 54 Abs. 1 VwGO und des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dar.
Nach dem Inhalt des Protokolls über die Berufungsverhandlung (vgl. Bl. 90 ff. d.A.), an der der Kläger mit seiner damaligen Prozeßbevollmächtigten teilgenommen hat, hat der Kläger zunächst sämtliche Richter des 8. Senats des Berufungsgerichts wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt; über dieses Gesuch haben die abgelehnten Richter selbst entschieden. Unmittelbar danach hat der Kläger den Senatsvorsitzenden allein abgelehnt; auch über dieses Gesuch hat das Berufungsgericht unter Mitwirkung des abgelehnten Vorsitzenden entschieden. Richtig ist zwar, daß die abgelehnten Richter in aller Regel nicht selbst zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch berufen sind (vgl. § 45 Abs. 1 ZPO), sondern nur noch unaufschiebbare Amtshandlungen (vgl. § 47 ZPO) vornehmen dürfen. Die abgelehnten Richter sind aber zu einer Entscheidung über den Ablehnungsantrag befugt, wenn nicht ein einzelner Richter, sondern ein ganzes Kollegium oder ein ganzes Gericht abgelehnt und das Gesuch überhaupt nicht oder nur mit solchen Umständen begründet wird, die eine Befangenheit unter keinen Umständen rechtfertigen können (vgl. BVerwG, Beschluß vom 13. Juni 1991 – BVerwG 5 ER 614.90 – Buchholz 310 § 138 Ziff. 1 VwGO Nr. 28). Soweit es um die Ablehnung eines einzelnen Richters geht, kann ein Ablehnungsgesuch auch unter Mitwirkung des abgelehnten Richters als unzulässig verworfen werden, wenn das Vorbringen des Antragstellers von vornherein ersichtlich ungeeignet ist, die Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen (vgl. BVerwG, Beschluß vom 30. Dezember 1993 – BVerwG 1 B 154.93 – Buchholz 310 § 54 VwGO Nr. 50). Da sich der Kläger darauf beschränkt, den äußeren Ablauf der Entscheidungen des Berufungsgerichts über seine Befangenheitsgesuche als verfahrensfehlerhaft zu rügen, kann bereits zweifelhaft sein, ob er insoweit der gesetzlichen Darlegungspflicht des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt; denn nach den zitierten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts stellt die Mitwirkung der abgelehnten Richter an der Entscheidung über das Befangenheitsgesuch nicht ohne weiteres einen Verfahrensfehler dar. Die lediglich unrichtige Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch führt noch nicht zur vorschriftswidrigen Besetzung des Gerichts. Von einer auf Willkür beruhenden Entscheidung kann nur dann gesprochen werden, wenn die Entscheidung des Gerichts bei verständiger Würdigung der das GG beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerwG, Beschluß vom 13. Juni 1991, a.a.O. m.w.N.). Dafür ist angesichts der spärlichen Ausführungen in der Beschwerde nichts ersichtlich.
Gleiches gilt hinsichtlich des Befangenheitsgesuches, das der Kläger nach dem Schluß der Berufungsverhandlung und noch vor Verkündung des Berufungsurteils angebracht hat. Bereits zweifelhaft ist, ob der Kläger in diesem Zeitpunkt noch die Postulationsfähigkeit besaß also noch ohne einen Anwalt Anträge stellen konnte. Nach dem Inhalt des Protokolls über die Berufungsverhandlung hat das Berufungsgericht in unmittelbarem Anschluß an den Beschluß über das zweite Ablehnungsgesuch die bereits vom Kläger bevollmächtigte Anwältin auch zur Bevollmächtigten gemäß § 67 Abs. 2 Satz 2 VwGO a.F. bestellt. Es kann offenbleiben, ob für eine Anordnung überhaupt Raum ist, wenn ein Kläger bereits zuvor einen Rechtsanwalt beauftragt hat. Selbst wenn der Kläger noch postulationsfähig gewesen wäre, greift die Verfahrensrüge jedoch wegen des Fehlers nicht durch, der der Entscheidung des Berufungsgerichts wegen des Fehlens einer Entscheidung über das zuletzt angebrachte Ablehnungsgesuch nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 45 Abs. 1 ZPO möglicherweise anhaftet. Vielmehr hätte ein mit dieser Begründung angefochtenes Urteil Bestand, weil die Richterablehnung bei ordnungsgemäßer Bescheidung in der Sache keinen Erfolg hätte haben können (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 1975 – BVerwG 6 C 129.74 – m.w.N. = BVerwGE 50, 36 ≪38≫). In dem letzten Ablehnungsgesuch nimmt der Kläger sinngemäß einen im Protokoll über die Berufungsverhandlung festgehaltenen Vorgang auf und leitet daraus eine Befangenheit aller an der Verhandlung beteiligten Richter her. In dem Protokoll heißt es:
„Dem Kläger wurde eröffnet, daß nunmehr nur noch seine Prozeßbevollmächtigte Prozeßerklärungen abgeben könne. Diese erklärte auf Befragen, daß sie keine weiteren Ausführungen machen wolle.”
Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit setzt zwar nicht voraus, daß der Richter tatsächlich befangen, voreingenommen oder parteiisch ist. Es genügt, wenn vom Standpunkt der Beteiligten aus gesehen, hinreichende objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlaß geben, an seiner Unparteilichkeit zu zweifeln. Die rein subjektive Besorgnis, für die bei Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, reicht dagegen zur Ablehnung nicht aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 1975, a.a.O.). Es mag sein, daß der Kläger aus seiner subjektiven Sicht den rechtlichen Erörterungen in der Berufungsverhandlung nicht in vollem Umfang folgen konnte; eben deshalb hat das Berufungsgericht ihm eine Rechtsanwältin beigeordnet. Die vom Kläger in seinem letzten Ablehnungsgesuch als „Bevormundung” bezeichnete Maßnahme stellt sich bei Würdigung aller Umstände als fürsorgliche Maßnahme im wohlverstandenen Interesse des Klägers dar. Nach alledem hätte eine gerichtliche Entscheidung über das letzte Befangenheitsgesuch des Klägers keinen Erfolg haben können.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 und § 14 Abs. 3 GKG.
Unterschriften
Berkemann, Lemmel, Heeren
Fundstellen