Verfahrensgang
VG Potsdam (Urteil vom 31.01.2012; Aktenzeichen 11 K 2657/09) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens BVerwG 3 B 18.12 gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 31. Januar 2012 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt … beizuordnen, wird abgelehnt.
Tatbestand
Rz. 1
Dem Kläger kann Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil seine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Verfahren BVerwG 3 B 18.12 keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO). Deshalb kann ihm für ein solches Verfahren auch kein Rechtsanwalt beigeordnet werden (§ 121 Abs. 1 ZPO; § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 78b Abs. 1 Satz 1 ZPO).
I
Rz. 2
Der als politisch Verfolgter nach § 1 Abs. 1 des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes (BerRehaG) anerkannte Kläger erstrebt eine weitergehende Feststellung der Verfolgungszeit. Er begann im September 1971 eine auf zwei Jahre angelegte Lehre als Zootechniker, die aus politischen Gründen zum 30. April 1972 beendet wurde. Anschließend übte er den angelernten Beruf des Melkers aus. Am 18. Januar 1974 erwarb er den Facharbeiterabschluss als Rinderzüchter, arbeitete jedoch noch bis zum Juni weiter als Melker, danach freiwillig im Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf. Auf seinen Antrag aus Mai 2004 erkannte ihn der Beklagte mit Bescheid vom 21. Juli 2004 als Verfolgten im Sinne des § 1 Abs. 1 BerRehaG an. Als Verfolgungszeiten stellte er Zeiten der 1972 und 1989 erlittenen Haft fest, zu welcher der Kläger wegen versuchter Republikflucht und Unterstützung des “Neuen Forum” verurteilt und für die er bereits strafrechtlich rehabilitiert worden war.
Rz. 3
Einen weiteren Antrag auf Rehabilitierung vom September 2004 begründete der Kläger im Wesentlichen mit beruflichen Nachteilen, die er als Folge der Beendigung seiner Zootechnikerlehre erlitten habe. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 2. November 2010 ab. Der Kläger hat diesen Bescheid in seine schon zuvor erhobene Klage einbezogen und beantragt, (1.) seine Rehabilitierung vorläufig auszusprechen, um ihm eine entsprechende Entschädigung zu leisten, (2.) über seinen ursprünglichen Antrag auf verwaltungsrechtliche Rehabilitierung aus dem Jahr 1990 zu entscheiden, (3.) den Beklagten zu einer Äußerung zur Klage binnen acht Wochen zu verpflichten und (4.) eine Grundrechtsverletzung festzustellen, die er durch die Länge des Rehabilitierungsverfahrens erlitten habe.
Rz. 4
Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten unter sachdienlicher Auslegung des Antrags zu 2 verpflichtet, den Kläger wegen betriebsseitiger Beendigung seiner Ausbildung zum Zootechniker zum 30. April 1972 für den auf dieser Maßnahme beruhenden Verfolgungszeitraum vom 1. September 1973 bis 18. Januar 1974 als politisch Verfolgten anzuerkennen, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, bei der betriebsseitigen fristlosen Kündigung des Ausbildungsverhältnisses wegen der Weigerung, an der vormilitärischen Ausbildung teilzunehmen, habe es sich um politische Verfolgung gehandelt, die eine weitergehende Anerkennung rechtfertige, als in dem nicht streitgegenständlichen Bescheid vom 21. Juli 2004 bereits erfolgt. Die Verfolgungszeit habe am 1. September 1973 begonnen; denn ab diesem Zeitpunkt hätte der Kläger die angestrebte Erwerbstätigkeit als Zootechniker ausüben können. In der davor liegenden Zeit nach der Kündigung bis zum fiktiven Abschluss der Lehre habe er sowohl als Melkerlehrling wie als Melker deutlich mehr Geld verdient als während der Zootechnikerlehre. Die Verfolgungszeit habe am 18. Januar 1974 geendet, weil der Kläger mit dem Facharbeiterabschluss als Rinderzüchter einen mit dem Zootechniker gleichwertigen Abschluss erworben habe. Das Fortdauern der beruflichen Benachteiligung über diesen Tag hinaus habe der Kläger im Sinne des § 2 Abs. 2 BerRehaG zu vertreten, weil er sich nicht um eine Tätigkeit im Beruf des Rinderzüchters bemüht, sondern in einem geringer entlohnten Beruf gearbeitet habe. Mit den übrigen Begehren sei die Klage unzulässig. Es fehle das Rechtsschutzbedürfnis; für die Entscheidung über den vierten Antrag seien die Verfassungsgerichte zuständig.
Entscheidungsgründe
II
Rz. 5
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts wird aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben. Weder ist eine das Entscheidungsergebnis tragende Abweichung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts dargelegt (1.) noch sind Verfahrensmängel bezeichnet, auf denen das angefochtene Urteil beruht (2.).
Rz. 6
1. Die geltend gemachte Abweichung des angefochtenen Urteils von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts ist nicht dargelegt, liegt aber auch nicht vor.
Rz. 7
a) Eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt vor, wenn sich das vorinstanzliche Gericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden (abstrakten) Rechtssatz in Widerspruch gesetzt hat zu einem ebensolchen Rechtssatz, der in einer Entscheidung eines divergenzfähigen Gerichts aufgestellt worden ist, und wenn das Urteil auf dieser Abweichung beruht (stRspr, Beschluss vom 11. August 1999 – BVerwG 11 B 61.98 – VIZ 2000, 27 ≪28≫ m.w.N.; Kraft, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 132 Rn. 29 ff.). Den sich daraus ergebenden Darlegungsanforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht. Sie benennt zwar zwei Entscheidungen des Senats (Beschlüsse vom 4. Februar 2010 – BVerwG 3 PKH 9.09 – ZOV 2010, 145 und vom 20. Dezember 2010 – BVerwG 3 PKH 6.10 – juris), stellt aber keine sich widersprechenden Rechtssätze aus diesen Beschlüssen und dem angefochtenen Urteil einander gegenüber. Soweit der Kläger rügt, das Verwaltungsgericht (UA S. 14) sei der Auffassung, dass die Verfolgungszeit erst dann beginne, wenn sich infolge des hoheitlichen Eingriffs tatsächlich wirtschaftliche Nachteile einstellten, macht er keine Abweichung geltend, sondern eine falsche Anwendung der in den genannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts enthaltenen Grundsätze. Dasselbe gilt, soweit die Beschwerde sich dagegen wendet, dass das Verwaltungsgericht bei der Feststellung des Verfolgungsendes im Widerspruch zur Rechtsprechung des Senats von der Schädlichkeit der Aufnahme einer sozial unterwertigen Beschäftigung ausgegangen sei. Darin liegen Subsumtionsrügen, die grundsätzlich nicht geeignet sind, die Revision wegen Divergenz zu eröffnen (Beschluss vom 7. Januar 1992 – BVerwG 6 B 32.91 – NVwZ 1992, 1202 ≪1203≫).
Rz. 8
b) Abgesehen davon ist eine Abweichung weder bei der Bestimmung des Beginns noch des Endes der Verfolgungszeit ersichtlich.
Rz. 9
aa) Was den Beginn der Verfolgungszeit im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BerRehaG angeht, hat das Verwaltungsgericht offensichtlich die Rechtsprechung des Senats zugrunde gelegt, wonach unter anderem die erzwungene vorzeitige Beendigung einer berufsbezogenen Ausbildung, wie sie beim Kläger festgestellt ist, als Verfolgung anzusehen ist (Beschluss vom 4. Februar 2010 a.a.O. und Urteil vom 18. März 2010 – BVerwG 3 C 34.09 – Buchholz 428.8 § 1 BerRehaG Nr. 4 Rn. 14 = ZOV 2011, 35) und daher den Beginn der Verfolgungszeit markiert. Von diesem Ausgangspunkt aus ist es stimmig, dass das Verwaltungsgericht auf die Einkommensdifferenz zwischen dem Lohn als Zootechniker-Lehrling einerseits und als Melker und Melker-Lehrling andererseits abgestellt hat, um der als Verfolgung im Sinne des § 1 Abs. 1 BerRehaG bewerteten Maßnahme ihren nachteiligen Charakter abzusprechen. Das Verwaltungsgericht hat damit keineswegs einen wirtschaftlichen Nachteil zur Voraussetzung einer politischen Verfolgungsmaßnahme erhoben. Es hat vielmehr unausgesprochen die – im Zusammenhang mit dem Ende der Verfolgungszeit ausdrücklich angesprochene – Rechtsprechung des Senats zugrunde gelegt, wonach die nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz anerkennungsfähige Verfolgungszeit mit der Möglichkeit des Verfolgten endet, einen sozial gleichwertigen Beruf auszuüben. Deshalb schließt eine unmittelbar nach einer Verfolgungsmaßnahme aufgenommene gleichwertige Tätigkeit die Feststellung einer Verfolgungszeit im Sinne des § 22 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 2 Abs. 1 BerRehaG aus (Beschluss vom 29. März 2010 – BVerwG 3 PKH 11.09 – ZOV 2010, 150 ≪151≫; Urteil vom 6. April 2000 – BVerwG 3 C 34.99 – Buchholz 115 Sonst. Wiedervereinigungsrecht Nr. 29 S. 23 f. = DVBl 2000, 1453 ≪1454≫). Im Fall des Klägers hat das Verwaltungsgericht mit der – nicht angegriffenen und daher bindenden – Feststellung, dass der Kläger während der Lehre als Melker, die sich nahtlos an das Ende der Zootechnikerlehre anschloss, rund das Dreieinhalbfache des vorherigen Lohns erhalten hat, die Ausübung einer sozial gleichwertigen Tätigkeit begründen wollen. Diese wirtschaftliche Betrachtung lässt keinen Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erkennen. Bei der Beurteilung der sozialen Gleichwertigkeit von Berufen orientiert sich der Senat in aller Regel an der Einkommenssituation. In Anlehnung an die Kriterien des § 30 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 des Bundesversorgungsgesetzes ist in der Regel ab einer Einkommenseinbuße von ca. 20 v.H. davon auszugehen, dass ein sozialer Abstieg vorliegt (Beschlüsse vom 2. Februar 2004 – BVerwG 3 B 103.03 – juris Rn. 7 und vom 29. März 2010 a.a.O. S. 151). Die Annahme einer Verfolgung entfällt von dem Zeitpunkt an, in dem der Verfolgte ein (mindestens) gleich hohes Einkommen wie aus der bisherigen Einkommenssituation erzielt (Urteil vom 12. Februar 1998 – BVerwG 3 C 25.97 – Buchholz 115 Sonst. Wiedervereinigungsrecht Nr. 11 S. 22 = ZOV 1998, 278). Davon ist das Verwaltungsgericht für die Zeit ab der Beendigung der Zootechnikerlehre bis zum ursprünglich geplanten Ende dieser Lehre ausgegangen.
Rz. 10
bb) Ebenso wenig ist eine Abweichung ersichtlich, soweit sich das Verwaltungsgericht mit dem Ende der Verfolgungszeit beschäftigt hat. Das Verwaltungsgericht hat insofern § 2 Abs. 2 BerRehaG und die dazu ergangene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts herangezogen und dazu festgestellt, dass der Kläger nach der Erlangung eines gleichwertigen Facharbeiterabschlusses “freiwillig” in unterwertigen Beschäftigungen verblieben ist. Diese tatsächlichen Feststellungen greift die Beschwerde nicht mit Verfahrensrügen an; sie sind deshalb für den Senat bindend (§ 137 Abs. 2 VwGO). Diese Feststellungen zugrunde gelegt ist nicht nachvollziehbar, dass das Verwaltungsgericht von einem Rechtssatz in dem vom Kläger zitierten Urteil des Senats vom 19. Mai 2005 – BVerwG 3 C 36.04 – (Buchholz 428.8 § 2 BerRehaG Nr. 2 = LKV 2006, 30) abgewichen sein könnte. Es hat vielmehr in offenkundiger Übereinstimmung damit entschieden, dass der Kläger in einer von ihm zu vertretenden Weise eine bestehende Möglichkeit nicht genutzt hat, einen sozial gleichwertigen Beruf auszuüben.
Rz. 11
2. Es liegt auch kein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Rz. 12
a) Für einen Verstoß gegen die aus § 86 Abs. 1 VwGO folgende Pflicht des Gerichts, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, ist nichts dargetan. Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass sich dem Verwaltungsgericht ausgehend von seiner hierfür maßgeblichen Rechtsauffassung hätte aufdrängen müssen, von Amts wegen tatsächliche Umstände aufzuklären, um die Wertigkeiten der zu vergleichenden Tätigkeiten beurteilen zu können. Wenn die Beschwerde darauf hinweist, dass die Facharbeiterabschlüsse nach Aktenlage unterschiedlich lange Schulbildungen voraussetzten, vermisst sie der Sache nach keine Aufklärung, sondern eine Berücksichtigung dieses Umstandes bei der Subsumtion. Damit ist ein Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung geltend gemacht, der revisionsrechtlich nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzurechnen ist. Für einen Ausnahmefall objektiv willkürlicher Sachverhaltswürdigung enthält die Beschwerde nichts. Es liegt im Gegenteil nahe, bei der Beurteilung der Gleichwertigkeit von Beschäftigungsmöglichkeiten, die sich auf der Grundlage formal gleichwertiger Bildungsabschlüsse bieten, mit dem Verwaltungsgericht maßgeblich auf die Erwerbschancen abzustellen, die diese Abschlüsse in der DDR eröffneten, und nicht auf die Voraussetzungen, unter denen die Bildungsabschlüsse erlangt werden konnten. Schon deshalb kann darin, dass das Verwaltungsgericht diesen Ausbildungsvoraussetzungen keine erkennbare Beachtung geschenkt hat, keine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes gesehen werden.
Rz. 13
Keine andere Beurteilung rechtfertigt das vom Kläger nachgereichte “Gutachten über die beruflichen Zersetzungsmaßnahmen der DDR-Diktatur” vom 7. April 2012 des “Unabhängigen Forschungsinstituts zur DDR-Diktatur” eines Herrn … Ungeachtet dessen, dass diese Ausarbeitung erst nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist eingereicht worden und schon deshalb nicht mehr berücksichtigungsfähig ist (§ 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO), lassen die sehr allgemein gehaltenen Ausführungen nichts hervortreten, was dem Verwaltungsgericht bei der Prüfung der Gleichwertigkeit der Tätigkeiten zwingenden Anlass zu weiterer Aufklärung hätte geben können.
Rz. 14
b) Das Verwaltungsgericht hat es schließlich nicht verfahrensfehlerhaft unterlassen, den vierten Klageantrag auf Feststellung einer Grundrechtsverletzung an das von ihm für zuständig erachtete Verfassungsgericht zu verweisen. Eine solche Verweisung war ihm verwehrt. Die Vorschriften der §§ 17 ff. GVG, die nach § 173 Satz 1 VwGO hierfür eine Grundlage hätten bieten können, gelten nicht im Verhältnis zwischen der Verwaltungs- und Verfassungsgerichtsbarkeit. Es ist mit der Verfassungsorganstellung von Verfassungsgerichten nicht vereinbar, aufgrund der Verweisung eines Fachgerichts Bindungen zu unterliegen und unter Umständen Fragen des einfachen Rechts entscheiden zu müssen (BVerfG, Beschluss vom 7. Oktober 2003 – 2 BvG 1, 2/02 – BVerfGE 109, 1 ≪8≫; vgl. auch Rennert, in: Eyermann a.a.O. § 41/§§ 17-17b GVG Rn. 7).
Unterschriften
Kley, Dr. Wysk, Dr. Kuhlmann
Fundstellen