Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Aktenzeichen 9 BA 96.31486) |
Tenor
Der Beschluß des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 6. Dezember 1999 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.
Gründe
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Beschwerde rügt zu Recht einen Verstoß des Berufungsgerichts gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 96 VwGO). Wegen dieses Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruht, weist der Senat die Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO im Interesse der Verfahrensbeschleunigung unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an das Berufungsgericht zurück.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt es grundsätzlich im Ermessen des Berufungsgerichts, ob es einen im ersten Rechtszug gehörten Zeugen oder Beteiligten erneut vernimmt. Es kann dessen schriftlich festgehaltene Aussage auch ohne nochmalige Vernehmung zu dem unverändert gebliebenen Beweisthema selbständig würdigen. Von der erneuten Anhörung des Zeugen oder Beteiligten darf das Berufungsgericht jedoch dann nicht absehen, wenn es die Glaubwürdigkeit des in erster Instanz Vernommenen abweichend vom Erstrichter beurteilen will und es für diese Beurteilung auf den persönlichen Eindruck von dem Zeugen oder Beteiligten ankommt (vgl. etwa BVerwG, Beschluß vom 27. Januar 2000 – BVerwG 9 B 613.99 – zur Veröffentlichung bestimmt; Urteil vom 29. Juni 1999 – BVerwG 9 C 36.98 – ≪juris≫; Beschluß vom 14. Juni 1999 – BVerwG 7 B 47.99 – ≪juris≫; und Beschluß vom 21. November 1994 – BVerwG 9 B 473.94 – ≪unveröffentlicht≫ mit Nachweisen zur entsprechenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs).
Nach diesen Grundsätzen hätte das Berufungsgericht das Vorbringen der Klägerin zu ihrem Vorfluchtschicksal nicht abweichend vom Verwaltungsgericht bewerten dürfen, ohne sie selbst anzuhören. Das Verwaltungsgericht hat die Klägerin in mündlicher Verhandlung auch zu ihrem Vorbringen über ihre mehrfache Inhaftierung und Flucht im Jahre 1994 gehört und ihren Vortrag - wenn auch ohne Offenlegung seiner Beweiswürdigung – entgegen dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge für glaubhaft gehalten (S. 3 der Urteilsgründe). In Abweichung hiervon hat das Berufungsgericht in dem angefochtenen Beschluß ausgeführt, „die von der Klägerin vor dem Bundesamt erzählte Geschichte über ihre Vorverfolgung (sei) so unwahrscheinlich, daß der Senat die für die Gewährung von Asyl notwendige Überzeugung von der Wahrheit des von der Klägerin behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals nicht erlangen konnte” (BA S. 5). Bei dieser Beweiswürdigung hat sich das Berufungsgericht nicht von unauflösbaren Widersprüchen in den protokollierten Aussagen der Klägerin vor dem Bundesamt und dem Verwaltungsgericht, sondern von der nach seiner Überzeugung ersichtlichen Unwahrscheinlichkeit des behaupteten Geschehensablaufs auch vor dem Hintergrund seiner aus anderen Erkenntnisquellen gewonnenen Kenntnisse über die Verhältnisse in Äthiopien zum maßgeblichen Zeitpunkt leiten lassen. Damit kam es für das Berufungsgericht bei der Frage, ob der von der Klägerin geschilderte Sachverhalt sich nicht gleichwohl, wie von ihr behauptet, zugetragen hat, letztlich auf deren Glaubwürdigkeit an. Dies hat auch das Berufungsgericht so gesehen, wie sich aus seiner Beweiswürdigung ergibt: „… so nimmt die behauptete Teilnahme an einer gegen die Regierung gerichteten Demonstration während eines gleichzeitigen Gefängnisaufenthalts dem klägerischen Vortrag den letzten Anschein von Glaubwürdigkeit” (BA S. 5 f.). Es wäre Aufgabe des Berufungsgerichts gewesen, sich einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit der Klägerin zu verschaffen und hierbei Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten, deren Auflösung nach ihrem bisherigen Vortrag immerhin nicht völlig ausgeschlossen erscheinen mußte, nachzugehen.
Die Beschwerde hat diesen Verfahrensmangel der Sache nach zutreffend gerügt. Hierauf beruht auch die Entscheidung. Falls das Berufungsgericht bei der gebotenen Anhörung der Klägerin zu der Überzeugung gelangen sollte, daß sie wegen erlittener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung geflohen ist, könnte dies bei der dann gebotenen Anlegung des sogenannten herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabs zu einer anderen Beurteilung des Klagebegehrens führen. Denn das Berufungsgericht hat angesichts der nicht unproblematischen Lage für nach Äthiopien zurückkehrende AAPO-Anhänger festgestellt, daß im Falle ihrer Rückkehr politisch begründete Maßnahmen zwar nicht gänzlich ausgeschlossen werden können, aber nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind (BA S. 10).
Da die Beschwerde schon wegen des Verstoßes gegen § 96 VwGO Erfolg hat, kommt es auf die weiteren, zudem nicht hinreichend dargelegten (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) Verfahrensrügen nicht an.
Unterschriften
Dr. Paetow, Richter, Dr. Eichberger
Fundstellen