Entscheidungsstichwort (Thema)
Normenkontrollverfahren. verwaltungsgerichtliches Normenkontrollverfahren. mündliche Verhandlung. Plangebiet. Grundeigentümer. Betroffenheit
Leitsatz (amtlich)
Ob eine Betroffenheit eines Grundeigentümers außerhalb des Plangebiets im verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK eine mündliche Verhandlung erfordert, lässt sich nicht in jedem Falle annehmen. Maßgebend ist, ob die angegriffene planerische Festsetzung auf sein Grundeigentum unmittelbar einwirkt und welche konkreten Beeinträchtigungen beispielsweise erst in einem nachfolgenden Baugenehmigungsverfahren zu beurteilen sind (Ergänzung zu BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 1999 – BVerwG 4 CN 9.98 – BVerwGE 110, 203).
Normenkette
VwGO § 47 Abs. 5; EMRK Art. 6 Abs. 1 S. 1; BauNVO § 15 Abs. 1
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Entscheidung vom 26.04.2001; Aktenzeichen 8 S 2087/00) |
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 26. April 2001 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
Der Antragsteller wendet sich mit der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle gegen einen Bebauungsplan der Antragsgegnerin. Er ist Eigentümer zweier Grundstücke außerhalb des festgesetzten Plangebiets. Der Bebauungsplan sieht eine Nutzung als Mischgebiet vor. Mit seinem Antrag, mit dem er die Feststellung der Nichtigkeit des Bebauungsplans beantragt, macht der Antragsteller geltend, der Bebauungsplan leide unter formellen und materiellen Mängeln.
Das Normenkontrollgericht hat den Bebauungsplan bis zur Behebung des in den Entscheidungsgründen aufgeführten Auslegungsmangels für nicht wirksam erklärt. Inhaltliche Rechtsfehler sah das Gericht als nicht gegeben an. Es hat seine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss getroffen. Mit seiner Beschwerde begehrte der Antragsteller die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde ist unbegründet. Das Beschwerdevorbringen ergibt nicht, dass die geltend gemachten Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO erfüllt sind.
1. Das Normenkontrollgericht hat über den Antrag des Antragstellers nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entschieden (vgl. § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Beschwerde sieht in dieser Verfahrensweise eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO. Sie macht zudem geltend, es stelle sich die grundsätzliche Frage, ob über einen Normenkontrollantrag, mit dem sich der Eigentümer eines außerhalb des Plangebiets gelegenen Grundstücks gegen eine Festsetzung in einem Bebauungsplan wende, auf Grund einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zu entscheiden ist. Diese Frage habe das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 16. Dezember 1999 – BVerwG 4 CN 9.98 – BVerwGE 110, 203 nicht entschieden. Das Vorbringen der Beschwerde rechtfertigt keine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung oder wegen Verletzung des § 138 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK. Das Normenkontrollgericht hat im Streitfall Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK hinreichend beachtet.
1.1 Der von der Beschwerde hervorgehobene Klärungsbedarf besteht nicht. Nicht jede Frage sachgerechter Auslegung und Anwendung einer revisiblen Vorschrift enthält gleichzeitig eine gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erst im Revisionsverfahren zu klärende Fragestellung. Nach der Zielsetzung des Revisionszulassungsrechts ist Voraussetzung vielmehr, dass der im Rechtsstreit vorhandene Problemgehalt aus Gründen der Einheit des Rechts einschließlich gebotener Rechtsfortentwicklung eine Klärung gerade durch eine höchstrichterliche Entscheidung verlangt. Das ist nach der ständigen Rechtsprechung aller Senate des Bundesverwaltungsgerichts dann nicht der Fall, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation und auf dieser Grundlage ohne weiteres beantworten lässt (z.B. BVerwG, Beschluss vom 28. Mai 1997 – BVerwG 4 B 91.97 – Buchholz 407.4 § 5 FStrG Nr. 10 = UPR 1997, 468 = NVwZ 1998, 172). So liegt es hier.
Das Normenkontrollgericht ist bei Ausübung seines Verfahrensermessens nach § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO verpflichtet, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK mit dem Inhalt, den die Vorschrift in der Entscheidungspraxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gefunden hat, vorrangig zu beachten. Der Auslegung des Art. 6 Abs. 1 EMRK durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte kann unter bestimmten Voraussetzungen über den entschiedenen Einzelfall hinaus eine normative Leitfunktion beigemessen werden, an der sich die Vertragsstaaten zu orientieren haben. Lässt sich auf Grund einer gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs eine verallgemeinerungsfähige und allgemeine Gültigkeit beanspruchende Auslegung einer Konventionsbestimmung feststellen, haben die deutschen (Verwaltungs-)Gerichte dem vorrangig Rechnung zu tragen. Nach dem erreichten Stand der Auslegung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK lässt sich für den Streitfall ein Rechtsverstoß nicht feststellen.
Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergibt für den vorliegenden Zusammenhang, dass eine Verletzung des zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nur in Betracht kommt, wenn eine Rechtsposition des Grundeigentümers unmittelbar betroffen ist (vgl. EGMR, Urteil vom 27. Oktober 1987 – Série A No. 125 Nr. 30 – EuGRZ 1988, 452 Nr. 30 – Bóden vs. Schweden; Urteil vom 25. September 1989 – Série A No. 163 Nr. 66 ff. – Allan Jacobson vs. Schweden; Urteil vom 21. Mai 1990 – Série A No. 180, Nr. 29 ff. – Mats Jacobson vs. Schweden; Urteil vom 27. November 1991 – Série A No. 219 Nr. 58 = ÖJZ 1992, 386 – Oerlemans vs. Niederlande; Urteil vom 23. Juni 1993 – Série No. 262 Nr. 59 = EuGR 1993, 453 Nr. 59 – Ruiz Mateos vs. Spanien; Urteil vom 25. November 1993 – Série A No. 279-B Nr. 27 = EuGRZ 1995, 535 ≪536≫ – Zander vs. Schweden). Dagegen genügt eine nur mittelbare Betroffenheit mit zudem geringer Intensität nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs grundsätzlich nicht, um als „civil right” oder als „droits et obligations de caractère civil” im Sinne des Art.6 Abs.1 Satz 1 EMRK angesehen zu werden. Ob eine andere Auslegung dann angezeigt ist, wenn in einem späteren gerichtlichen Verfahren, das seinerseits den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 EMRK genügt, Vorfragen aus prozessualen Gründen nicht mehr behandelt werden können, kann unentschieden bleiben. Eine derartige Sach- und Rechtslage besteht – wie noch auszuführen ist – hier nicht.
Aus dem Zusammenwirken von § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO und Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK folgt, dass über einen Normenkontrollantrag, mit dem sich der Eigentümer eines im Bauplangebiet gelegenen Grundstücks gegen eine Festsetzung in einem Bebauungsplan wendet, die unmittelbar sein Grundstück betrifft, grundsätzlich nur auf Grund einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zu entscheiden ist (BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 1999 – BVerwG 4 CN 9.98 – BVerwGE 110, 203). Die Unmittelbarkeit der angegriffenen bauplanungsrechtlichen Festsetzung folgt aus § 10 Abs. 1 BauGB. Die planerischen Festsetzungen eines Bebauungsplans bestimmen Inhalt und Schranken des Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG unmittelbar (vgl. auch BVerfGE 70, 35 ≪53≫; BVerfGE 79, 174 ≪188 f.≫; BVerfG ≪Kammer≫ NVwZ 1992, 972; ebenso BVerwG, Urteil vom 16. Mai 1991 – BVerwG 4 C 2.89 – BVerwGE 88, 191 ≪194 ff.≫; Beschluss vom 22. August 2000 – BVerwG 4 BN 38.00 – NVwZ 2000, 1413; Beschluss vom 7. Juli 1997 – BVerwG 4 BN 11.97 – Buchholz 406.12 § 11 BauNVO Nr. 22 = NVwZ-RR 1998, 416; BGHZ 120, 38).
Dagegen lässt sich dies für die Betroffenheit eines Grundeigentümers außerhalb des Plangebiets nicht ohne weiteres und in jedem Falle annehmen. Maßgebend ist, welche konkrete Beeinträchtigung der Grundeigentümer im Normenkontrollverfahren geltend macht und ob diese auf sein Grundeigentum unmittelbar einwirkt. Das lässt sich hier nicht allgemein gültig entscheiden. Das öffentliche Baurecht wird durch eine Stufigkeit mehrerer Entscheidungsebenen gekennzeichnet. Der verbindlichen Bauleitplanung folgt in aller Regel eine Konkretisierung in einem gesonderten Zulassungsverfahren (Baugenehmigung) oder – soweit dies nach dem jeweiligen Landesbauordnungsrecht nicht vorgesehen ist – unmittelbar durch das materielle Recht (vgl. § 29 Abs. 1 BauGB). Der Bebauungsplan trifft danach durch seine Festsetzungen nicht in jeder Hinsicht für das beabsichtigte Vorhaben eine abschließende Entscheidung. Vielmehr können Fragen der tatsächlichen Beeinträchtigung durch Vorhaben anderer Grundeigentümer trotz einer für diese an sich günstigen planerischen Festsetzung letztlich erst im Rahmen der allgemeinen Prüfung der Gebietsverträglichkeit ihres Vorhabens oder gemäß § 15 Abs. 1 BauNVO zu entscheiden sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. März 1988 – BVerwG 4 C 56.84 – Buchholz 406.11 § 9 BBauG Nr. 30 = DVBl 1988, 845; Beschluss vom 6. März 1989 – BVerwG 4 NB 8.89 – Buchholz 406.11 § 30 BauGB Nr. 27 = NVwZ 1989, 960; Beschluss vom 7. März 1997 – BVerwG 4 NB 38.96 – Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 23 = NVwZ-RR 1997, 522; Beschluss vom 25. August 1997 – BVerwG 4 BN 4.97 – Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 94 = UPR 1998, 33). Soweit dies gegeben ist, fehlt es im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK an einer unmittelbaren rechtlichen Betroffenheit des Grundeigentümers, dessen Grundstück sich außerhalb des festgesetzten Plangebiets befindet.
Diesem Rechtsverständnis steht nicht entgegen, dass nach nationalem Recht gleichwohl eine Antragsbefugnis des Grundeigentümers nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO gegeben sein kann, dessen Grundstück sich außerhalb des Plangebiets befindet (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. September 1998 – BVerwG 4 CN 2.98 – BVerwGE 107, 215; Urteil vom 21. Oktober 1999 – BVerwG 4 CN 1.98 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 136 = NVwZ 2000, 807). Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK betrifft nicht die Antragsbefugnis, sondern den gerichtlichen Verfahrensgang.
1.2 Das Normenkontrollgericht stellt fest, dass sich die geltend gemachte Betroffenheit des Antragstellers auf befürchtete Lärmimmissionen und auf andere Belästigungen bezieht, die mit einer im Plangebiet zu erwartenden gewerblichen Nutzung verbunden sein werden. Das Gericht stellt in diesem Zusammenhang ferner fest, dass diese Betroffenheit aus der Sicht der planerischen Festsetzungen lediglich potenziell sind. Ob eine rechtlich erhebliche Beeinträchtigung tatsächlich eintritt, lasse sich erst für das konkrete Vorhaben beurteilen. Sollte dies allerdings der Fall sein, stehe das Verfahren der Baugenehmigung zur Verfügung, um auftretende Probleme zu bewältigen.
Das vorinstanzliche Gericht umschreibt damit ersichtlich die sich aus § 15 Abs. 1 BauNVO für den Einzelfall ergebenden Korrekturmöglichkeiten. Sollte sich hierbei eine rechtliche Betroffenheit des Antragstellers herausstellen und die Bauaufsichtsbehörde dies nicht hinreichend beachten, so steht dem Antragsteller der Rechtsschutz durch eine Nachbarklage offen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 1985 – BVerwG 4 C 19.82 – Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 66 = DVBl 1986, 188; Beschluss vom 12. Februar 1990 – BVerwG 4 B 240.89 – Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 133 = NVwZ 1990, 557; Beschluss vom 20. August 1998 – BVerwG 4 B 79.98 – NVwZ-RR 1999, 105). Dieser Befund schließt die Annahme einer unmittelbaren Beeinträchtigung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK bereits durch die angegriffene planerische Ausweisung des Plangebiets als Mischgebiet gemäß § 6 BauNVO aus.
2. Die Beschwerde macht eine Reihe von Verfahrensmängeln im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geltend. Die erhobenen Rügen bleiben im Ergebnis ohne Erfolg.
2.1 Die Beschwerde rügt die Verletzung des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das Normenkontrollgericht sei von einem falschen Sachverhalt ausgegangen. Es kann dahinstehen, ob diese Rüge zulässig erhoben ist; sie ist jedenfalls nicht begründet.
Die Rüge, das Normenkontrollgericht habe einen „falschen” Sachverhalt festgestellt, bedingt die schlüssig vorgetragene Behauptung, zwischen den in der angegriffenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Annahmen und dem insoweit unumstrittenen Akteninhalt sei ein Widerspruch gegeben. Dieser Widerspruch muss offensichtlich sein, sodass es einer weiteren Beweiserhebung zur Klärung des richtigen Sachverhalts nicht bedarf; der Widerspruch muss also „zweifelsfrei” sein. Die Verfahrensrüge verlangt eine genaue Darstellung des Verstoßes, und zwar durch konkrete Angaben von Textstellen aus dem vorinstanzlichen Verfahren, aus denen sich der Widerspruch ergeben soll. Diese Voraussetzungen sind erforderlich, da eine Kritik an der tatrichterlichen Beweiswürdigung und Überzeugungsbildung als solche nicht als Verfahrensmangel rügefähig ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. November 1999 – BVerwG 4 BN 41.99 – UPR 2000, 226). Diesen Anforderungen wird die Beschwerde mit ihrem Vorbringen nicht gerecht. Sie verweist zwar auf einige Aktenstellen, ohne diese jedoch inhaltlich genau wiederzugeben und damit den Widerspruch zu den tatsächlichen Annahmen des Normenkontrollgerichts für das Beschwerdegericht ohne ein weiteres Aktenstudium aufzuweisen. Eine Aufklärungsrüge nach § 86 Abs. 1 VwGO wird erhoben.
Das mag indes dahinstehen. Die von der Beschwerde als fehlerhaft kritisierte Annahme des Normenkontrollgerichts über das Bestehen eines Baufensters von etwa 60 × 32 m im Plangebiet ist ersichtlich für das Ergebnis des Gerichts ohne jede Bedeutung. Das ergeben dessen Entscheidungsgründe. Was die Beschwerde hierzu ausführt, betrifft Wertungen, denen das Normenkontrollgericht nicht gefolgt ist. Das vorinstanzliche Gericht hat mehrfach hervorgehoben, dass die von dem Antragsteller gegen die planerischen Festsetzungen erhobenen Bedenken zu einem nicht geringen Teil solche des konkreten Bauvorhabens seien und erst im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sein werden.
2.2 Die Beschwerde trägt als weiteren Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor, das Normenkontrollgericht habe seine Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO verletzt. Das Gericht verneine einen Verstoß gegen das Entwicklungsgebot. Es stelle dazu fest, dass der Flächennutzungsplan den fraglichen Bereich als gemischte Baufläche darstelle. Die so getroffenen Feststellungen seien aktenwidrig. Dem Normenkontrollgericht habe im Zeitpunkt seiner Entscheidung der Flächennutzungsplan nicht vorgelegen. Der Antragsteller habe zudem wiederholt vorgetragen, dass das Plangebiet im Flächennutzungsplan nicht als Mischfläche ausgewiesen sei. Wenn das Normenkontrollgericht zudem ausführe, der Antragsteller habe einen Vortrag der Antragsgegnerin nicht bestritten, sei dies unzutreffend. Das Normenkontrollgericht habe danach weder den Vortrag des Antragstellers hinreichend gewürdigt noch sei es seiner Aufklärungspflicht nachgekommen.
Die von dem Antragsteller gerügten Verfahrensmängel liegen vor. Es trifft entgegen der in den Beschlussgründen enthaltenen Feststellung nicht zu, dass der Antragsteller das Vorbringen der Antragsgegnerin nicht bestritten habe. Das hat die Beschwerde zutreffend dargelegt. Sie verweist auf den Schriftsatz des Antragstellers vom 22. November 2000 (S. 4 ff. – Bl. 45 d.A.) und dessen Schriftsatz vom 5. März 2001 (S. 7 ff. nebst Anlage – Bl. 128, 131, 151 d.A.). Die von der Beschwerde angegebenen Textstellen ergeben, dass der Antragsteller das Vorbringen der Antragsgegnerin substantiiert bestritten hat, bei dem Plangebiet handele es sich um eine im Flächennutzungsplan als Mischgebiet dargestellte Fläche. Das Normenkontrollgericht konnte die seiner Würdigung zu Grunde gelegte Annahme, der fragliche Bereich sei im Flächennutzungsplan als „gemischte Baufläche” dargestellt (Beschlussgründe S.10), auch nicht durch Einsicht in den Flächennutzungsplan getroffen haben. Zwar bezieht sich das Normenkontrollgericht in seinen Entscheidungsgründen ergänzend auf die ihm vorgelegten Akten der Antragsgegnerin. Diese enthielten aber den Flächennutzungsplan nicht. Dem Normenkontrollgericht lag – obwohl wiederholt angefordert – bis zum Zeitpunkt seiner Entscheidung der Flächennutzungsplan auch in anderer Weise weder im Original noch in Ausfertigung oder Kopie vor. Eine Ausfertigung wurde dem Gericht erst mit Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 11. Juni 2001 und damit nach Erlass der Entscheidung übersandt (Bl. 236 d.A.). Das schriftsätzliche Vorbringen der Antragsgegnerin, aus dem Flächennutzungsplan ergebe sich, dass die in Rede stehende Fläche als Mischfläche ausgewiesen sei (vgl. deren Schriftsatz vom 8. Februar 2001, S. 7 – Bl. 93 d.A.), war ersichtlich unzutreffend.
Der geltend gemachte Verfahrensmangel hat sich indes entgegen der Auffassung der Beschwerde nicht auf das Entscheidungsergebnis ausgewirkt. Dies kann das Beschwerdegericht ausschließen. Dabei legt es die tatsächliche Behauptung der Beschwerde zu Grunde, dass der Flächennutzungsplan den fraglichen Bereich als „weiße Fläche” darstellt. Auch wenn man zu Gunsten des Antragstellers unterstellt, dass die angegriffene planerische Festsetzung nicht der Darstellung des Flächennutzungsplans entspricht und insoweit eine Verletzung des Entwicklungsgebotes des § 8 Abs. 2 Satz 1 BauGB gegeben ist, ist dies nach Maßgabe des § 214 Abs. 2 Nr. 2 BauGB unerheblich, wenn die sich aus dem Flächennutzungsplan ergebende geordnete städtebauliche Entwicklung nicht beeinträchtigt wird. Die geordnete städtebauliche Entwicklung wird vor allem dann beeinträchtigt sein, wenn die Ordnung und Entwicklung größerer Gebiete gefährdet ist. Das ist nach den tatrichterlichen Feststellungen des Normenkontrollgerichts nicht der Fall. Das Normenkontrollgericht stellt als offenkundig fest, dass die Überplanung des auf drei Seiten mit Bebauung umgebenden Grundstücks am Rande der das Ortsgebiet durchquerenden Landesstraße die geordnete städtebauliche Entwicklung nicht beeinträchtige. Diese nachvollziehbare Feststellung zieht die Beschwerde nicht mit einer Verfahrensrüge in Zweifel. Das könnte auch schwerlich erfolgreich sein. § 214 Abs. 2 Nr. 2 BauGB greift nämlich auch ein, wenn wegen fehlender Darstellung im Flächennutzungsplan für einen kleinen Teilbereich ein Entwickeln des Bebauungsplans, der gerade diesen Teilbereich betrifft, nicht möglich ist.
Die Beschwerde trägt ferner vor, da das Original des Flächennutzungsplans verloren gegangen sei, könne dessen Rechtswirksamkeit im Hinblick auf die somit ebenfalls fehlenden Verfahrensvermerke nicht geprüft werden. Mit diesem Vorbringen bewegt sich die Beschwerde im Bereich des Spekulativen. Bei Verlust einer Planungsurkunde darf nicht ohne weiteres unterstellt werden, der Plan sei verfahrenswidrig zu Stande gekommen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. April 1997 – BVerwG 4 B 206.96 – Buchholz 406.11 § 10 BauGB Nr. 35 = NVwZ 1997, 890). Der Frage des rechtsgültigen Zustandekommens des Plans hat das Gericht nur nachzugehen, wenn es auf Grund konkreter Umstände begründeten Anlass für die Annahme gibt, der – im Wege der Beweiserhebung „rekonstruierte” – Bauleitplan oder die in ihm getroffenen Darstellungen oder Festsetzungen seien fehlerhaft zu Stande gekommen. Auch wenn dies für die vorliegende Entscheidung nicht tragend ist, wird ergänzend bemerkt: Nach dem Inhalt der beigezogenen Akten der Antragsgegnerin genehmigte das Landratsamt Rems-Murr-Kreis den angegriffenen Bebauungsplan gemäß § 10 Abs. 2 i.V.m. § 8 Abs. 3 Satz 2 BauGB mit Schreiben vom 22. August 2000. Die Genehmigung beruhte auf einem Antrag der Antragsgegnerin vom 14. August 2000. In diesem wird ausgeführt, dass die Planung eine Gebietsumwandlung beinhalte und somit nicht aus dem Flächennutzungsplan entwickelt sei (Akten Bebauungsplan „Grüner Baum” – Gemeinde Alfdorf). Die Antragsgegnerin hat den Bebauungsplan später mit dem entsprechenden Genehmigungshinweis im Wege der Ersatzverkündung bekannt gemacht.
2.3 Die Beschwerde rügt als Verfahrensfehler außerdem die Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Sie sieht in der Vorgehensweise des Normenkontrollgerichts eine Überraschungsentscheidung. Der Antragsteller habe auf Grund einer Verfügung des Vorsitzenden des befassten Senates davon ausgehen dürfen, dass nur über Fragen der Auslegung des Bebauungsplans zu entscheiden sein werde. Auch dieses Vorbringen rechtfertigt keine Zulassung der Revision.
Eine Entscheidung stellt sich als „Überraschungsentscheidung” dar, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Dezember 1991 – BVerwG 5 B 80.91 – Buchholz 310 § 108 Nr. 241) oder wenn das Gericht eine Sachentscheidung trifft, obwohl die Beteiligten damit nach Lage des Verfahrens nicht oder noch nicht zu rechnen brauchten. So liegt es hier nicht. Das Normenkontrollgericht hat den Antragsteller durch seine Verfahrensweise nicht irregeführt. Dieser hatte jederzeit alle verfahrensrechtlichen Möglichkeiten, dem Gericht die Gründe für die von ihm geltend gemachte Nichtigkeit des angegriffenen Bebauungsplans vorzutragen. Hiervon hat er auch Gebrauch gemacht. Das Normenkontrollgericht war auf Grund des Vorbringens des Antragstellers hinreichend in der Lage, die Sach- und Rechtslage zu beurteilen. Insbesondere hat das Gericht den Antragsteller in keiner Phase des Streitverfahrens von weiterem Vorbringen abgehalten. Allerdings hatte das Gericht die Antragsgegnerin darauf hingewiesen, dass im Falle einer fehlerhaften Auslegung des Planentwurfs eine sachliche Erwiderung auf den weiteren Vortrag des Antragstellers entbehrlich sei. Tatsächlich enthält der Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 17. April 2001 (Bl. 179 ff.) auch nur Ausführungen zu dem von dem Antragsteller vorgetragenen formellen Mangel. Da dieses Vorbringen der Antragsgegnerin für die Rechtsverfolgung des Antragstellers günstig war, scheidet insoweit eine Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs aus. Der anwaltlich vertretene Antragsteller konnte auf Grund der richterlichen Aufklärungsverfügung auch nicht erwarten, das Normenkontrollgericht werde „vorrangig” nur über die Frage der korrekten öffentlichen Auslegung des Bebauungsplanentwurfs entscheiden. Eine derartige prozessuale Möglichkeit bestand nicht. Der Antragsteller hatte ausdrücklich die Feststellung der Nichtigkeit des Bebauungsplans beantragt. Demgemäß hatte das vorinstanzliche Gericht seine Prüfung soweit voranzutreiben, bis es festgestellt hatte, ob es einen Rechtsmangel gab, der im Hinblick auf § 215 a Abs. 1 BauGB die Feststellung der Nichtigkeit erlaubte. Kam das Normenkontrollgericht dabei zu dem Ergebnis, dass bereits das Vorbringen des Antragstellers einen derartigen Grund nicht ergab und dass eine weitere Aufklärung des Sachverhalts nicht angezeigt war, lag Spruchreife vor. Dass das Normenkontrollgericht dem Antrag auf Akteneinsicht – im Hinblick auf den vorzulegenden Flächennutzungsplan – nicht entsprochen hat und ihm selbst dieser Plan nicht vorlag, ist zwar zutreffend. Ein Zusammenhang mit der hier geltend gemachten Überraschungsentscheidung besteht indes nicht.
2.4 Die Beschwerde rügt als Verfahrensfehler die Verletzung des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO unter einem weiteren Gesichtspunkt. Das Normenkontrollgericht habe dem Antragsteller einen unzutreffenden Sachvortrag über die Nutzung des eigenen Grundstücks unterstellt. Die Beschwerde legt dar, aus welchen Gründen das Vorbringen des Antragstellers zutreffend gewesen sei.
Die von der Beschwerde geltend gemachte Verfahrensverletzung bedarf keiner abschließenden Prüfung. Es fehlt an der Ursächlichkeit des zu Gunsten des Antragstellers unterstellten Begründungsmangels. Das vorinstanzliche Gericht prüft die Gebietsverträglichkeit der planerischen Festsetzung im Verhältnis zu der vorhandenen Umgebungsbebauung. Von dem Rechtsstandpunkt des Gerichts sind mögliche Störungen in der Gebietsverträglichkeit erst im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens zu prüfen. Das Gericht umschreibt damit – wie bereits dargelegt – ersichtlich die sich aus § 15 Abs. 1 BauNVO für den Einzelfall ergebenden Korrekturmöglichkeiten. Auf der Grundlage dieser, übrigens zutreffenden, materiellrechtlichen Beurteilung kann ausgeschlossen werden, dass die Feststellung über die Nutzung der Grundstücke des Antragstellers für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bebauungsplans erheblich war. Auf Grund der planerischen Festsetzung steht mithin noch keineswegs fest, welche Bedeutung letztlich die vorhandene Nutzung des Grundstücks des Antragstellers für die Zulässigkeit eines im Plangebiet beabsichtigten Gewerbebetriebes haben kann.
2.5 Die Beschwerde rügt des Weiteren als Verfahrensfehler die Prüfung des Normenkontrollgerichts zu Voraussetzungen und Folgen des § 1 a BauGB. Es sei nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen das vorinstanzliche Gericht den naturschutzrechtlichen Eingriff nur als „geringfügig” beurteilt habe. Es habe sich damit in Widerspruch mit Ausführungen des Umweltschutzamtes gestellt.
Die Verfahrensrüge ist unzulässig, da nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügend. Die Rüge betrifft im Kern allein eine materiellrechtliche Rechtsfrage. Die Beschwerde setzt mit ihrem Vorbringen ihre Bewertung tatsächlicher Umstände einer solchen des Normenkontrollgerichts entgegen, ohne hierbei einen Verfahrensmangel näher aufzuweisen. Ob die Antragsgegnerin als Ortsgesetzgeber einen Eingriff im Sinne des § 8 Abs. 1 BNatSchG durch Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen kompensiert, ist Teil der planerischen Abwägung (vgl. § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 7 i.V.m. § 1 a Abs. 2 Nr. 2 BauGB). Dass eine Gemeinde hierbei gesteigerten Ermittlungspflichten unterliegt, ändert daran nichts (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Januar 1997 – BVerwG 4 NB 27.96 – BVerwGE 104, 68 ≪78≫). Für die einwandfreie Abwägung ist ohne Frage die Intensität des Eingriffs maßgebend. Das vorinstanzliche Gericht prüft, ob die Antragsgegnerin zu Recht in der Gewichtung der Belange von einem „geringfügigen Eingriff” ausgehen durfte und bejaht dies. Die hiergegen von der Beschwerde angeführten Bedenken sind keine solche des gerichtlichen Verfahrens. Zutreffend ist zwar das Vorbringen der Beschwerde, dass das Umweltschutzamt des Landratsamts in seiner Stellungnahme als Träger öffentlicher Belange geltend gemacht hatte, es fehle an einer entsprechenden Erhebung und Bewertung des Eingriffs. Ein darin etwa liegender Ermittlungsfehler des Ortsgesetzgebers ist indes nur erheblich, wenn er ursächlich auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sein kann (vgl. § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB). War der zu beurteilende Eingriff indes objektiv geringfügig und mit diesem Ergebnis in die planerische Abwägung eingestellt worden, so ist es rechtlich unerheblich, dass der Ortsgesetzgeber diese Feststellung nicht auf Grund eigener Ermittlungen getroffen hatte. Es gilt der objektive Befund. Bei dieser Sachlage hätte die Beschwerde gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dartun müssen, worin sie konkret den Verfahrensfehler des Normenkontrollgerichts sieht.
Ergänzend sei bemerkt: Ob tatsächlich ein nach § 8 a Abs. 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 BNatSchG und § 1 a Abs. 2 Nr. 2 BauGB gegebener naturschutzrechtlich erheblicher Eingriff gegeben ist, mag zweifelhaft sein. § 8 Abs. 1 verlangt, dass die Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes erheblich oder nachhaltig beeinträchtigt wird. Auch wenn dies zu Gunsten des Antragstellers angenommen werden konnte, so würde sich der geltend gemachte Ermittlungs- und Bewertungsfehler nach dem eigenen Vorbringen des Antragstellers jedenfalls nicht dahin auswirken, dass das Normenkontrollgericht entgegen § 215 a Abs. 1 Satz 1 BauGB die beantragte Nichtigkeit der planerischen Festsetzung hätte feststellen müssen.
2.6 Die Beschwerde rügt als weiteren Verfahrensfehler schließlich, das Normenkontrollgericht habe das Vorbringen des Antragstellers zu Lärmimmissionen nicht hinreichend berücksichtigt. Darin liege eine Verletzung des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Verfahrensrüge ist – ihre Zulässigkeit unterstellt – unbegründet. Maßgebend als Beurteilungsgrundlage der Verfahrensrüge ist die materiellrechtliche Auffassung des vorinstanzlichen Gerichts (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Januar 1996 – BVerwG 11 B 150.95 – NVwZ-RR 1996, 369). Das Normenkontrollgericht führt aus, dass die planerische Festsetzung eines Mischgebietes noch keine abschließende Entscheidung über die konkrete Lärmsituation enthält. Das Gericht geht der Sache nach davon aus, dass derartige Fragen noch nicht im vollen Umfang im Planverfahren zu entscheiden, sondern dem Baugenehmigungsverfahren vorbehalten sind. Diese von ihm hierzu getroffene Abgrenzung zwischen allgemeiner Planung und Genehmigung des Einzelvorhabens ist eine materiellrechtliche Frage. Auf dieser Grundlage hat das Normenkontrollgericht das Vorbringen des Antragstellers als rechtlich unerheblich beurteilt. Damit hat es keineswegs dieses Vorbringen ignoriert, sondern gerade in seiner rechtlichen Erheblichkeit prüfend zur Kenntnis genommen, indes nach Maßgabe der Sach- und Rechtslage für nicht durchgreifend angesehen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Berkemann, Lemmel, Heeren
Fundstellen
Haufe-Index 637744 |
BauR 2002, 278 |
DÖV 2002, 81 |
NuR 2003, 96 |
ZfBR 2002, 173 |
BRS 2002, 272 |
DVBl. 2001, 1873 |
UPR 2002, 106 |
FSt 2002, 139 |