Entscheidungsstichwort (Thema)
Jüdisches Vermögen. Feindvermögensverwaltung. Vermögensverlust auf andere Weise
Leitsatz (amtlich)
Die Anordnung der staatlichen Verwaltung jüdischen Vermögens aufgrund der Verordnung über die Behandlung feindlichen Vermögens vom 15. Januar 1940 (RGBl I S. 191) ist nicht als ein Vermögensverlust „auf andere Weise” im Sinne von § 1 Abs. 6 VermG anzusehen.
Normenkette
VermG § 1 Abs. 6
Verfahrensgang
VG Dresden (Entscheidung vom 19.03.1998; Aktenzeichen 7 K 1642/96) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 19. März 1998 wird aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Die Klägerin begehrt Entschädigung wegen des Eigentumsverlustes an einem Grundstück, das ihren in den Jahren 1946 und 1979 verstorbenen Eltern gehörte.
Die jüdischen Eltern der Klägerin waren litauische Staatsangehörige und Eigentümer des Grundstücks M.straße 17 in D. Im Dezember 1933 wanderten sie von Litauen nach Palästina aus. Im Jahre 1940 wurde das bis dahin privat verwaltete Grundstück auf der Grundlage der Verordnung über die Behandlung feindlichen Vermögens vom 15. Januar 1940 (RGBl I S. 191) durch Beschluß des Oberlandesgerichts D. unter staatliche Verwaltung gestellt und der Rechtsanwalt Dr. G. zum Verwalter bestimmt. Diese Maßnahme wurde durch Beschluß der Landesregierung Sachsen – Ministerium der Finanzen – vom 1. Oktober 1948 aufgehoben; zugleich wurde die Verwaltung gemäß § 1 der Verordnung der Landesverwaltung Sachsen über die Verwaltung herrenlosen Ausländervermögens vom 7. November 1946 von der Landesregierung übernommen. Im Jahre 1957 wurde das Grundstück vom Rat des Bezirks D. gemäß § 14 des Aufbaugesetzes der DDR vom 6. September 1950 mit dem Ziel der Wiederbebauung im komplexen Wohnungsbau in Anspruch genommen. Im Jahre 1961 wurde für das in Volkseigentum übergegangene Grundstück zugunsten der Eltern der Klägerin eine Entschädigung in Höhe von 7 740 DM festgesetzt.
Der in den Jahren 1990 und 1991 von der Klägerin und ihrer später ebenfalls verstorbenen Schwester gestellte Antrag auf Rückgabe nach den Bestimmungen des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz – VermG) blieb im Verwaltungsverfahren mit der Begründung erfolglos, das Grundstück sei keiner schädigenden Maßnahme im Sinne von § 1 VermG ausgesetzt gewesen.
Das Verwaltungsgericht hat auf die Klage die Beklagte antragsgemäß verpflichtet, die Entschädigungsberechtigung der Erbengemeinschaft nach den Eltern der Klägerin festzustellen, und zur Begründung seines Urteils ausgeführt: Die Eltern der Klägerin hätten durch die Einsetzung des staatlichen Verwalters im Jahre 1940 einen Vermögensverlust „auf andere Weise” im Sinne von § 1 Abs. 6 VermG erlitten, weil die mit dieser Maßnahme verbundenen Verwaltungs- und Verfügungsbeschränkungen faktisch dem Entzug des Eigentums selbst gleichgekommen sei. Der Vermögensverlust sei auch infolge rassischer Verfolgung eingetreten. Denn eine solche Verfolgung sei nach den Regeln des Anscheinsbeweises zu vermuten, wenn die Einsetzung eines Verwalters aufgrund der Verordnung vom 15. Januar 1940 Vermögen von Juden betroffen habe und die Behörden und Gerichte – wie im vorliegenden Fall – hiervon Kenntnis gehabt hätten. Diese Vermutung finde ihre Rechtfertigung in der Tatsache, daß der NS-Staat die Ausübung von Eigentümerbefugnissen durch Juden jedenfalls beim Inkrafttreten der Verordnung im Jahre 1940 nicht mehr geduldet habe. Die von Maßnahmen nach der Verordnung betroffenen Juden hätten keine realistische Chance auf Freigabe ihres Vermögens für den Fall gehabt, daß ihr Heimat- oder Gastland vom NS-Staat nicht mehr als Feindstaat angesehen worden sei. Das geschehene Unrecht sei nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht wiedergutgemacht worden, weil der Aufhebungsbeschluß vom 1. Oktober 1948 weder dem Vater der Klägerin noch einer anderen Person, etwa der bis 1940 tätigen Verwalterin, zugestellt worden sei. Auch die spätere Enteignung des Grundstücks auf der Grundlage des Aufbaugesetzes schließe den geltend gemachten Entschädigungsanspruch nicht aus.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie die Abweisung der Klage erstrebt. Zur Begründung führt die Beklagte aus: Entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts könne die Verwaltung von Vermögenswerten ausländischer Staatsangehöriger jüdischer Herkunft aufgrund der Verordnung vom 15. Januar 1940 nicht als ein Vermögensverlust auf andere Weise im Sinne von § 1 Abs. 6 VermG bewertet werden. Allein mit der Anordnung der staatlichen Verwaltung sei das Vermögen den jüdischen Eigentümern nicht faktisch entzogen worden. Das unter Feindvermögensverwaltung gestellte Vermögen habe vielmehr auch weiterhin als jüdisches Vermögen gegolten. Das Verwaltungsgericht habe ferner seine Sachaufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO dadurch verletzt, daß es den von ihm angenommenen Vermögensverlust ohne weitere Nachforschungen auf eine Verfolgung zurückgeführt habe. Es gebe keinen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, daß die Feindvermögensverwaltung bei jüdischen Feindstaatenangehörigen angeordnet worden sei, um diese Personen wegen ihrer Rasse zu treffen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie verteidigt das Urteil des Verwaltungsgerichts und führt ergänzend aus: Auch wenn bei der Feindvermögensverwaltung der jüdische Eigentümer zunächst seine Eigentümerstellung behalten habe, sei es ihm doch unmöglich gewesen, irgendwelche Rechte aus dieser Eigentümerstellung herzuleiten. Faktisch sei das Vermögen verloren gewesen. Die von ihren Eltern erlittene Vermögenseinbuße unterscheide sich in keiner Weise von den anderen Vermögenseinbußen während der Zeit des Nationalsozialismus. Der faktische Eigentumsentzug habe auch nach Kriegsende Bestand gehabt. Nach dem Sinn und Zweck des § 1 Abs. 6 VermG müßten die heutigen Anspruchsteller im Ergebnis ebenso gestellt werden wie die nach dem alliierten Rückerstattungsrecht Berechtigten im Westen unmittelbar nach dem Krieg.
Der Oberbundesanwalt beteiligt sich am Verfahren. Er meint, daß allein die Einsetzung eines Verwalters nach Maßgabe der Verordnung vom 15. Januar 1940 noch nicht als eine Schädigung im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG bewertet werden könne, sondern daß es zusätzlich einer Diskriminierung des Eigentümers bedürfe. Insoweit habe das Verwaltungsgericht nicht die nötigen tatsächlichen Feststellungen getroffen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage abweisen müssen, weil die Klägerin nicht gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 VermG als Miterbin nach ihren Eltern wegen des Eigentumsverlustes an dem diesen gehörenden Grundstück die Feststellung der Entschädigungsberechtigung der Erben nach § 1 Abs. 1 Satz 1 NS-VEntschG oder nach § 1 Abs. 1 Satz 1 EntschG verlangen kann. Das Grundstück unterlag keiner Schädigungsmaßnahme im Sinne von § 1 VermG.
1. Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht wegen der Maßnahmen, die gegen die Eltern der Klägerin bis zum 8. Mai 1945 ergriffen wurden, den Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 6 VermG für erfüllt gehalten.
Nach § 1 Abs. 6 VermG ist das Vermögensgesetz entsprechend auf vermögensrechtliche Ansprüche von Bürgern und Vereinigungen anzuwenden, die in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen verfolgt wurden und deshalb ihr Vermögen infolge von Zwangsverkäufen, Enteignungen oder auf andere Weise verloren haben. Da das Grundstück, für das die Klägerin Entschädigung verlangt, in der Zeit des Nationalsozialismus weder verkauft noch enteignet wurde, kommt nur ein Vermögensverlust „auf andere Weise” in Betracht. Diese Alternative des § 1 Abs. 6 VermG erfaßt nach Art eines Auffangtatbestandes jede Vermögensschädigung, die auf eine Verfolgung aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen zurückzuführen ist, und setzt ebenso wie die vorangegangenen Alternativen des Zwangsverkaufs und der Enteignung voraus, daß der Verfolgte seinen Vermögenswert infolge der Verfolgung vollständig und endgültig verloren hat. Über den Eintritt eines solchen Vermögensverlustes ist, wie im Vermögensrecht allgemein, vornehmlich nach faktischen Kriterien zu entscheiden (vgl. Beschluß vom 17. Januar 1997 – BVerwG 7 B 298.96 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 100). Das Verwaltungsgericht ist daher zu Recht davon ausgegangen, daß § 1 Abs. 6 VermG nicht die Feststellung des Erlöschens des Eigentums im Rechtssinne verlangt; vielmehr findet diese Vorschrift auch dann Anwendung, wenn die Eigentümerbefugnisse durch staatliche Verfolgungsmaßnahmen tatsächlich so sehr beschnitten waren, daß dies in der Sache einem Eigentumsentzug gleichkam (sog. „kalte Enteignung”; vgl. Beschluß vom 17. Januar 1997 – BVerwG 7 B 298.96 – a.a.O.). Letzteres trifft aber entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts auf die hier bis zum 8. Mai 1945 verhängten vermögensrechtlichen Maßnahmen nicht zu. Nach dem in der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt, den der erkennende Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO der Revisionsentscheidung zugrunde zu legen hat, waren die Eltern der Klägerin trotz ihrer Eigenschaft als Juden bis zum Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in bezug auf ihr Grundstück M.straße 17 in D. nur einer Eigentumsbeschränkung in der Form des Verlustes ihrer Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse, nicht hingegen einem Vermögensverlust „auf andere Weise” im Sinne von § 1 Abs. 6 VermG ausgesetzt.
Die vermögensrechtlichen Maßnahmen, die gegen die Eltern der Klägerin im Jahre 1940 ergriffen wurden, beruhten auf der Verordnung über die Behandlung feindlichen Vermögens vom 15. Januar 1940 (RGBl I S. 191) – im folgenden: Feindvermögensverordnung –. Nach § 9 dieser Verordnung durfte über das im Inland befindliche feindliche Vermögen nicht verfügt werden; eine Ausnahme von diesem Verfügungsverbot galt nach § 10 für die Verfügungen eines nach § 12 bestellten Verwalters. § 12 der Verordnung sah die Möglichkeit vor, bei Unternehmen, die unmittelbar oder mittelbar unter maßgeblichem feindlichen Einfluß standen, auf Kosten des Unternehmens „zur Sicherstellung und Erhaltung des Vermögens” einen Verwalter zu bestellen. Nach § 14 war der Verwalter anstelle der sonst vertretungsberechtigten Personen, deren Befugnisse während der Dauer der Verwaltung ruhten, zu allen gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen berechtigt, die der Betrieb des Unternehmens mit sich brachte; ferner hatte er nach § 15 die Sorgfalt eines ordentlichen Verwalters anzuwenden. Bei Grundstücken im Eigentum von Feinden galten nach § 18 die §§ 12 ff. sinngemäß. In Nr. 1 und 19 der Ausführungsbestimmungen des Reichsjustizministers zu §§ 12 ff. der Feindvermögensverordnung vom 20. Juni 1940 (DJ 1940, 728) wurde nochmals ausdrücklich hervorgehoben, daß dem Verwalter die Erhaltung und Sicherstellung des ihm anvertrauten Vermögens oblag. Nach Nr. 21 dieser Bestimmungen durfte der Verwalter über Grundstücke, das verwaltete Unternehmen oder Teile des Unternehmens „nur mit ausdrücklicher vorheriger Zustimmung des Reichskommissars für die Behandlung feindlichen Vermögens” verfügen. Die Anordnung der Feindvermögensverwaltung nach §§ 12 ff. der Feindvermögensverordnung zielte demnach nicht auf die Konfiszierung oder Liquidation des unter Verwaltung gestellten Vermögens ab; vielmehr sollte das Vermögen grundsätzlich zugunsten des Eigentümers in seinem Bestand erhalten bleiben. Mit ihr wurden zwar dem Eigentümer seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse genommen; jedoch blieb das Eigentum als solches unangetastet, solange der Verwalter darüber nicht – was nur ausnahmsweise im Rahmen einer zweckentsprechenden und ordnungsgemäßen Verwaltung zulässig war – aufgrund der ihm übertragenen Befugnisse zugunsten eines Dritten verfügte. Derartige Beschränkungen fremden Eigentums waren im Kriegsfall völkerrechtlich erlaubt und wurden auch von den übrigen kriegführenden Staaten dem dortigen Eigentum deutscher Staatsangehöriger auferlegt (vgl. Strebel, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 1941, 887 ff.; OLG Frankfurt, RzW 1953, 281, sowie Art. 1 Nr. 1 Satz 2 des Gesetzes Nr. 59 der Militärregierung Deutschland – amerikanisches Kontrollgebiet – vom 10. November 1947 über die Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände: …„Maßnahmen, die unter anerkannten Regeln des internationalen Rechts üblicherweise gegen Vermögen von Staatsangehörigen feindlicher Länder zulässig sind”).
Das Bild verändert sich nicht wesentlich, soweit nach der Feindvermögensverordnung Vermögen verwaltet wurde, das im Eigentum von Juden stand. Auch dieser Personenkreis verlor sein Vermögen nicht schon mit der Anordnung der Feindvermögensverwaltung, sondern nur und erst dann, wenn der Verwalter über das Vermögen verfügte oder wenn gegen den Eigentümer unabhängig von der Feindvermögensverwaltung andere auf die Vernichtung seines Eigentums gerichtete (Verfolgungs-)Maßnahmen ergriffen wurden. Die Staatspraxis stimmte in dieser Hinsicht mit den in der Feindvermögensverordnung getroffenen Regelungen überein. Das ergibt sich aus dem Runderlaß des Reichswirtschaftsministers über das „Verfahren bei der Entjudung feindlichen Vermögens” vom 27. Februar 1940 (Ministerialblatt des Reichswirtschaftsministeriums 1940, 94). Dort war unter Nr. II bestimmt, daß die zuständige Behörde „bei Entjudungen von Vermögensgegenständen, die feindliches Vermögen sind, und von Unternehmen, die unmittelbar oder mittelbar unter maßgebendem feindlichen Einfluß stehen,… vor Erteilung der Genehmigung oder vor Anordnungen von Zwangsmaßnahmen… die Zustimmung des Reichskommissars für die Behandlung feindlichen Vermögens… einzuholen” hatte. Die Staatspraxis ging also davon aus, daß es sich bei dem im Runderlaß angesprochenen Vermögen trotz der Beschränkungen, denen es aufgrund der Feindvermögensverordnung unterlag, weiterhin um jüdisches Vermögen handelte, das zu seiner „Entjudung” oder „Arisierung” zusätzlicher, speziell hierauf gerichteter Maßnahmen der „Entjudungsbehörden” bedurfte. Als Grundlage für solche Maßnahmen wurde in dem Runderlaß die Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938 (RGBl I S. 1709) genannt, die in erster Linie auf deutsche Juden und nur ausnahmsweise auf Juden mit ausländischer Staatsangehörigkeit Anwendung fand (vgl. § 21 a.a.O.). Demnach mußte insbesondere auch das Vermögen von emigrierten deutschen Juden, die bei Wohnsitznahme oder dauerndem Aufenthalt im feindlichen Ausland ebenfalls der Feindvermögensverordnung unterfielen (§ 3 Abs. 1 Nr. 2, 2. Alt. der Feindvermögensverordnung), durch weitere Maßnahmen anderer Behörden, die die Zustimmung des Reichskommissars für die Behandlung feindlichen Vermögens erforderten, „entjudet” oder „arisiert” werden. Solche weiteren Maßnahmen erübrigten sich erst mit dem Erlaß der 11. Durchführungsverordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 (RGBl I S. 722), durch die alle deutschen Juden mit gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland ausgebürgert und ihres Vermögens beraubt wurden. Demgegenüber blieben Juden mit ausschließlich feindlicher Staatsangehörigkeit, für die die Verordnung vom 25. November 1941 nicht galt (vgl. Beschluß vom 17. Januar 1997 – BVerwG 7 B 298.96 – a.a.O.), nach den Erkenntnissen der zeitgeschichtlichen Forschung bis zum Ende der nationalsozialistischen Herrschaft von der „Entjudung” oder „Arisierung” ihres Vermögens verschont; Ausnahmen wurden nur bei ehemals deutschen Juden gemacht, die während des Kriegs die feindliche Staatsangehörigkeit erworben hatten (vgl. Stephan H. Lindner, Das Reichskommissariat über die Behandlung feindlichen Vermögens im Zweiten Weltkrieg, Stuttgart 1991, S. 141 f.). Grund für dieses im offenen Widerspruch zu der nationalsozialistischen Rassenideologie stehende Verhalten der Machthaber war die Sorge, daß die Feindstaaten, die die Unterscheidung zwischen Juden und Nichtjuden nicht anerkannten, bei einem Entzug des Vermögens ihrer Staatsangehörigen Vergeltungsmaßnahmen gegen das ihrer Herrschaft unterworfene deutsche Vermögen ergriffen hätten (Lindner, a.a.O. S. 142).
Es ist mithin festzuhalten, daß allein die staatliche Verwaltung nach der Feindvermögensverordnung selbst dann keinen Vermögensverlust „auf andere Weise” im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG bewirkte, wenn es sich bei dem der Verwaltung unterworfenen Vermögen um jüdisches Vermögen handelte. Wie dargelegt, wurden die nichtdeutschen Juden, auch wenn sie grundsätzlich in gleicher Weise mit dem Entzug ihres in Deutschland belegenen Vermögens rechnen mußten wie die deutschen Juden (vgl. Beschluß vom 23. Juli 1999 – BVerwG 7 B 52.99 – ZOV 1999, 398), durch die Anordnung der Feindvermögensverwaltung nicht anders und härter betroffen als jeder sonstige Eigentümer, der als Feind behandelt wurde. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit den Regelungen des alliierten Rückerstattungsrechts und der hierzu ergangenen Rechtsprechung, die in Anbetracht des Zwecks des Vermögensgesetzes, die auf dem Gebiet der ehemaligen DDR unterbliebene Wiedergutmachung des nationalsozialistischen Vermögensunrechts nachzuholen, bei der Auslegung und Anwendung des § 1 Abs. 6 VermG als eine wichtige Erkenntnisquelle mitzuberücksichtigen sind (vgl. BVerwGE 108, 157 ≪163≫; Beschluß vom 23. Juli 1999 – BVerwG 7 B 52.99 – a.a.O.). Der Begriff des Vemögensverlustes in § 1 Abs. 6 VermG entspricht dem im früheren Rückerstattungsrecht verwendeten Begriff der Entziehung des Vermögens (vgl. BVerwGE 108, 157 ≪163≫). In der Rechtsprechung der Rückerstattungsgerichte wurde die bloße Anordnung der Feindvermögensverwaltung aufgrund der Feindvermögensverordnung nicht als eine zur Rückerstattung führende ungerechtfertigte Vermögensentziehung bewertet (vgl. OLG Frankfurt, RzW 1953, 281; KG, RzW 1953, 336; LG Berlin, RzW 1954, 218; OLG Bremen, RzW 1956, 8; ORG Berlin, RzW 1957, 112; KG, RzW 1965, 216; LG Nürnberg-Fürth, RzW 1966, 107; ebenso für die Rechtslage nach der Verordnung Nr. 120 der Französischen Militärregierung vom 10. November 1947, die nicht den Begriff der Entziehung verwandte: CSR Rastatt, RzW 1952, 187 und OLG Koblenz RzW 1952, 249). Von dieser Beurteilung wichen die Gerichte auch dann nicht ab, wenn es sich bei dem verwalteten Vermögen um jüdisches Vermögen handelte (vgl. LG Berlin a.a.O.; OLG Bremen a.a.O.; LG Nürnberg-Fürth a.a.O.; ebenso für die Bestellung einer Abwesenheitspflegschaft CSR Rastatt, RzW 1952, 90, sowie BOR Herford, RzW 1953, 320; vgl. ferner zur Rechtslage nach dem Bundesentschädigungsgesetz BGH, RzW 1956, 360). Eine ungerechtfertigte Vermögensentziehung wurde nur dann in Betracht gezogen, wenn der Verwalter das Vermögen veräußert hatte; in diesem Zusammenhang konnte neben der Nationalität des Eigentümers auch seine Eigenschaft als rassisch Verfolgter Bedeutung gewinnen (vgl. ORG Berlin, RzW 1957, 226, und RzW 1961, 370; ferner Schwarz, Rückerstattung nach den Gesetzen der Alliierten Mächte, München 1974, S. 132). Diese Rechtsauffassung beruhte maßgeblich auf der Vorschrift des Art. 2 Nr. 5 der Anordnung BK/O (49) 180 der Alliierten Kommandantur vom 26. Juli 1949 (ebenso Art. 2 Abs. 5 des Gesetzes Nr. 59 der Militärregierung Deutschland – britisches Kontrollgebiet – vom 12. Mai 1949), die speziell die Rückerstattung bei Verfügungen des Feindvermögensverwalters über das verwaltete Vermögen regelte und ersichtlich von der Vorstellung ausging, daß der wiedergutzumachende Vermögensverlust gegebenenfalls nicht schon in der Anordnung der Feindvermögensverwaltung, sondern erst in der Veräußerung des Vermögens durch den Verwalter bestand.
Nach alledem haben die Eltern der Klägerin, die wegen ihrer Auswanderung in das britische Mandatsgebiet Palästina als Feinde angesehen wurden (§ 2 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 2 der Feindvermögensverordnung), mit der Anordnung der Feindvermögensverwaltung und der Bestellung des Rechtsanwalts Dr. G. zum Verwalter im Jahre 1940 nicht das Eigentum an dem Grundstück M.straße 17 in D. verloren. Das Verwaltungsgericht hat auch für die Zeit danach bis zum 8. Mai 1945 keine Maßnahmen feststellen können, die zu einem Vermögensverlust im Sinne von § 1 Abs. 6 VermG führten; im Gegenteil wurden die Eltern der Klägerin nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches – was den Charakter der vorangegangenen Feindvermögensverwaltung als einer bloßen Eigentumsbeschränkung nachdrücklich bestätigt – von den deutschen Behörden ohne weiteres als Eigentümer des Grundstücks behandelt. Soweit das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen hat, daß die Eltern der Klägerin im Falle des Fortbestands der nationalsozialistischen Herrschaft keine realistische Chance auf Freigabe ihres Vermögens gehabt hätten, ist ihm zwar nicht zu widersprechen; doch kann eine an diese Prognose anknüpfende noch so große Ungewißheit über die Wiederherstellung der uneingeschränkten Eigentümerrechte die nach § 1 Abs. 6 VermG erforderliche Feststellung des tatsächlichen Vermögensverlustes bis zum 8. Mai 1945 nicht ersetzen.
2. Da auch die spätere Enteignung des Grundstücks durch die DDR zum Zwecke des komplexen Wohnungsbaus keinen Schädigungstatbestand im Sinne des § 1 VermG erfüllt – sie erfolgte gegen Festsetzung der gesetzlich vorgesehenen Entschädigung und ohne erkennbare Anhaltspunkte für eine manipulative Anwendung der maßgeblichen Enteignungsvorschriften (s. § 1 Abs. 1 Buchst. a und b und Abs. 3 VermG) –, ist der von der Klägerin verfolgte Entschädigungsanspruch nicht begründet.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Unterschriften
Dr. Franßen, Dr. Paetow, Dr. Bardenhewer, Kley, Herbert
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 02.12.1999 durch Röder Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
VIZ 2000, 84 |
ZAP-Ost 2000, 132 |
DÖV 2000, 834 |
NJ 2000, 329 |
OVS 2000, 112 |
OVS 2000, 92 |