Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle. Bebauungsplan. Nichtigkeit. Wirksamkeit, Unwirksamkeit. Gültigkeit, Ungültigkeit. Außerkrafttreten wegen Funktionslosigkeit
Leitsatz (amtlich)
Gegenstand eines Normenkontrollverfahrens nach § 47 VwGO kann auch die Entscheidung über die Gültigkeit eines Bebauungsplans im Hinblick auf die Frage eines Außerkrafttretens wegen Funktionslosigkeit sein.
Ohne einen substantiierten Vortrag des Antragstellers, der die strengen Anforderungen für das Funktionsloswerden eines Bebauungsplans (BVerwGE 54, 5 ≪9≫) im Einzelfall konkretisiert, besteht für das Normenkontrollgericht im allgemeinen kein Anlaß, von sich aus in eine Prüfung etwaiger Funktionslosigkeit eines Bebauungsplans einzutreten.
Normenkette
VwGO §§ 47, 86 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 30.06.1997; Aktenzeichen 10a D 93/94.NE) |
Tenor
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 30. Juni 1997 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Die Antragstellerin wendet sich im Normenkontrollverfahren gegen den Bebauungsplan Nr. 307 – Wiemhof – der Antragsgegnerin und dessen 1. Änderung.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin eines bebauten Grundstücks in der Altstadt des Ortsteils L… der Antragsgegnerin, auf dem sie Bäckereigeräte produziert. Das Grundstück liegt in einem Sanierungsgebiet, für das erstmals im Jahre 1982 ein Bebauungsplan, nämlich der hier streitige Bebauungsplan Nr. 307 – Wiemhof –, und dann im Jahre 1990 seine 1. Änderung aufgestellt wurde. Beide Pläne dienen der Schaffung eines Marktplatzes mit kerngebietstypischer Nutzung. Bei einer Realisierung der Planung wäre die Fortführung des Betriebes der Antragstellerin ausgeschlossen oder zumindest stark behindert.
Das Normenkontrollgericht hat die 1. Änderung des Bebauungsplans wegen eines Abwägungsmangels für nichtig erklärt. Für nichtig erklärt wurde ferner der Bebauungsplan in seiner ursprünglichen Fassung hinsichtlich einer textlichen Festsetzung, mit der im Kerngebiet eine Wohnnutzung teilweise zugelassen wird. Insoweit ist das Normenkontrollurteil rechtskräftig.
Im übrigen, also hinsichtlich der Ursprungsfassung des Bebauungsplans ohne die erwähnte textliche Festsetzung, hat das Normenkontrollgericht den Antrag abgelehnt.
Zur Begründung der Ablehnung hat es ausgeführt, mit Ausnahme der genannten Festsetzung seien die getroffenen Festsetzungen im Ursprungsplan unbedenklich und mit dem Abwägungsgebot vereinbar; die Nichtigkeit der textlichen Festsetzung führe auch nicht zur Gesamtnichtigkeit des Plans.
Offen könne bleiben, ob der Bebauungsplan inzwischen ganz oder teilweise funktionslos geworden sei. Denn im Normenkontrollverfahren könne nicht festgestellt werden, daß ein Bebauungsplan infolge Funktionslosigkeit seine ursprüngliche Geltung verloren habe. Das Normenkontrollverfahren sei auf eine Rechtmäßigkeitskontrolle, nicht auf eine Rechtswirksamkeitskontrolle gerichtet; es diene ausschließlich dazu, Satzungen daraufhin nachzuprüfen, ob sie formell und materiell ordnungsgemäß zustande gekommen oder wegen beachtlicher Mängel nichtig (ungültig) seien. Dies ergebe sich aus der Entstehungsgeschichte des § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO (i.d.F. vom 24. August 1976 ≪BGBl I S. 2437≫). Die Vorschrift sei eingeführt worden, um möglichst schnell die Rechtswirksamkeit insbesondere von Bebauungsplänen, die vor allem aus formellen Gründen fehleranfällig gewesen seien, klären zu können. Die nachträgliche Funktionslosigkeit sei dem Gesetzgeber noch nicht geläufig gewesen. Auch der Wortlaut des § 47 Abs. 6 Satz 2 VwGO 1976 (jetzt: § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO), nach dem die Rechtsvorschrift für nichtig zu erklären ist, spreche dafür, daß im Normenkontrollverfahren nur die Rechtswidrigkeit zu prüfen sei; der funktionslose Bebauungsplan sei aber nicht rechtswidrig aufgestellt, sondern als Folge veränderter Umstände unausführbar geworden. Die Befristung des Antragsrechts in § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO (i.d.F. des 6. VwGOÄndG vom 1. November 1996 ≪BGBl I S. 1626≫) und zuvor bereits in Art. 13 Nr. 1 Inv-WoBaulG (vom 22. April 1993 ≪BGBl I S. 466, 487≫) bestätige, daß die Normenkontrolle nur als Rechtmäßigkeitskontrolle gedacht sei. Erfordernisse der Prozeßökonomie sprächen ebenfalls dagegen, die Feststellung der Funktionslosigkeit im Normenkontrollverfahren zuzulassen; denn andernfalls wäre das Normenkontrollgericht gezwungen, die nach Inkrafttreten des Plans eingetretene Entwicklung zu prüfen. Diese Prüfung könne und müsse inzident in einem späteren Verfahren vorgenommen werden.
Mit der vom Normenkontrollgericht zugelassenen Revision wendet sich die Antragstellerin ausschließlich gegen die Auffassung, die Funktionslosigkeit eines Bebauungsplans könne nicht im Normenkontrollverfahren festgestellt werden. Sie beantragt, unter teilweiser Änderung des angefochtenen Urteils den Bebauungsplan Nr. 307 – Wiemhof – der Antragsgegnerin (Satzungsbeschluß vom 13. Juli 1982) für nichtig zu erklären.
Die Antragsgegnerin beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie tritt der Revision entgegen; die Auffassung des Normenkontrollgerichts hält sie für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Antragstellerin ist zulässig und mit dem Ergebnis der Zurückverweisung begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, soweit der Normenkontrollantrag abgelehnt worden ist. Insoweit verletzt es Bundesrecht.
1. Das Normenkontrollgericht legt im einzelnen dar, daß der Bebauungsplan Nr. 307 – Wiemhof – der Antragsgegnerin in seiner ursprünglichen Fassung im wesentlichen rechtswirksam erlassen worden sei, weil seine Festsetzungen (mit einer Ausnahme) zulässig seien und insbesondere auch nicht gegen das Abwägungsgebot verstießen. Gegen diese Ausführungen, die auch von der Revision nicht angegriffen werden, bestehen keine Bedenken.
2. Das Vorbringen der Antragstellerin, der Bebauungsplan in seiner ersten Fassung sei funktionslos geworden, hat das Normenkontrollgericht als unbeachtlich angesehen, weil die Feststellung der Funktionslosigkeit nicht Gegenstand des Normenkontrollverfahrens nach § 47 VwGO sein könne. Hiergegen wendet sich die Revision zu Recht.
a) Gemäß § 47 VwGO in der hier noch anzuwendenden Fassung vom 8. Dezember 1986 (BGBl I S. 2191 ≪2233≫) kann auch die Frage, ob ein Bebauungsplan wegen Funktionslosigkeit ungültig ist, Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle sein. Das Normenkontrollverfahren ist nicht auf die Prüfung beschränkt, ob eine Rechtsvorschrift formell und materiell rechtmäßig zustande gekommen ist. Vielmehr besteht der Zweck der Normenkontrolle in der Klärung, ob die Vorschrift geltender Bestandteil der Rechtsordnung ist. Diese Frage kann, wenn hierzu Anlaß besteht, auch die Prüfung erfordern, ob die – rechtswirksam erlassene – Rechtsvorschrift noch fortgilt, ob sie also nicht unwirksam geworden ist. Der Senat hat hierzu erwogen:
aa) In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Frage, ob die Funktionslosigkeit eines Bebauungsplans im Normenkontrollverfahren festgestellt werden kann, bisher nicht ausdrücklich entschieden worden. Der erkennende Senat ist von dieser Möglichkeit aber in zahlreichen Entscheidungen ohne weiteres ausgegangen. So hat er in Nichtvorlage- und Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren ausgeführt, es fehle an Anhaltspunkten für ein Außerkrafttreten des jeweiligen Bebauungsplans wegen Funktionslosigkeit (Beschluß vom 30. März 1998 – BVerwG 4 BN 2.98 – NVwZ-RR 1998, 711 ≪712≫; Beschluß vom 29. Dezember 1988 – BVerwG 4 NB 28.88 – ≪insoweit im Buchholz 406.11 § 173 BBauG Nr. 18 nicht abgedruckt≫; vgl. auch Beschluß vom 6. Juni 1997 – BVerwG 4 NB 6.97 – Buchholz 406.11 § 10 BauGB Nr. 37 = NVwZ-RR 1998, 415). Zu § 121 VwGO hat er dargelegt, die Normenkontrollentscheidung binde die Beteiligten bei unveränderter Sach- und Rechtslage auch in einem neuen Normenkontrollverfahren (Beschluß vom 12. März 1982 – BVerwG 4 N 1.80 – BVerwGE 65, 131 ≪137≫; Beschluß vom 2. September 1983 – BVerwG 4 N 1.83 – BVerwGE 68, 12 ≪15≫). Da eine Änderung der Sach- und Rechtslage nach der Normenkontrollentscheidung nicht auf den Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses zurückbezogen werden kann, sondern später erfolgt sein muß, kommt als neuer Grund für ein zweites Normenkontrollverfahren nur die Funktionslosigkeit in Betracht. Folgerichtig wird die Funktionslosigkeit in den beiden Beschlüssen vom 16. Juli 1990 – BVerwG 4 NB 20.90 – (Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 60 = NVwZ-RR 1991, 54) und vom 3. November 1993 – BVerwG 4 NB 33.93 – (Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 66 = BRS 55 Nr. 20) ausdrücklich als Beispiel für den Fall genannt, daß ein erneutes Normenkontrollverfahren trotz § 121 VwGO zulässig sein könne. Mit seiner Rechtsauffassung befindet sich der Senat in Übereinstimmung mit der ganz überwiegenden Meinung im Schrifttum (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 11. Aufl. 1998, § 47 Rn. 91, 117; Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, 1997, § 47 Rn. 111; Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 1996, § 47 Rn. 69) und in der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte (z.B. OVG Berlin, Urteil vom 31. März 1992 – 2 A 9.88 – UPR 1992, 357; VGH Baden-Württemberg, Beschluß vom 26. Juni 1997 – 8 S 967/97 – NatR 1997, 599). Die gegenteiligen Ausführungen des Normenkontrollgerichts sind nicht geeignet, diese vorherrschende Rechtsauffassung zu widerlegen.
bb) Aus der Entstehungsgeschichte des § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO lassen sich keine überzeugenden Argumente für eine Beschränkung der Normenkontrolle gewinnen. Zwar trifft es zu, daß Hintergrund der Einführung einer bundeseinheitlichen Normenkontrolle durch das Gesetz zur Änderung verwaltungsprozessualer Vorschriften vom 24. August 1976 (BGBl I S. 2437) die Annahme hoher Fehleranfälligkeit von Bebauungsplänen war. Ebenfalls richtig ist jedoch, daß die Normenkontrolle eingeführt worden ist, um möglichst schnell und allgemeinverbindlich die Rechtswirksamkeit insbesondere von Bebauungsplänen klären zu können. Wenn dies aber das Ziel ist, so stellt die Rechtmäßigkeitskontrolle zwar den Regelfall dar; an die Funktionslosigkeit dürfte der Gesetzgeber kaum gedacht haben, zumal deren Bedeutung für das Außerkrafttreten bauplanerischer Festsetzungen erst durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. April 1977 – BVerwG 4 C 39.75 – (BVerwGE 54, 5) allgemein bewußt gemacht worden ist. Mit dem vom Gesetzgeber beabsichtigten Zweck der Vorschrift ist eine Rechtswirksamkeitskontrolle im Normenkontrollverfahren aber durchaus vereinbar.
cc) Ebensowenig schließt der Wortlaut des § 47 VwGO eine Prüfung der Funktionslosigkeit im Normenkontrollverfahren aus:
Nach § 47 Abs. 1 VwGO wird im Normenkontrollverfahren über die “Gültigkeit” von Rechtsnormen entschieden. Sicherlich ist dabei regelmäßig an die “anfängliche” Gültigkeit, also an die rechtmäßige Inkraftsetzung der Norm, zu denken. Um die Gültigkeit, nämlich um das spätere Ungültigwerden der Norm, geht es jedoch auch bei der Funktionslosigkeit. Ein Bebauungsplan tritt wegen Funktionslosigkeit außer Kraft, wenn seine Verwirklichung wegen einer neuen tatsächlichen Entwicklung in evidenter Weise auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen ist; er verliert dann seine Gültigkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. April 1977 – BVerwG 4 C 39.75 – BVerwGE 54, 5 ≪9≫).
Auch daß das Normenkontrollgericht gemäß § 47 Abs. 6 Satz 2 VwGO 1976 (= § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO 1996) die Rechtsvorschrift für “nichtig” erklärt, wenn es zu der Überzeugung kommt, daß sie ungültig ist, bedeutet nicht, daß die Vorschrift nicht auf einen funktionslosen Bebauungsplan anwendbar ist. Dabei kann offenbleiben, ob die Ungültigkeit des Plans darauf beruht, daß er rechtswidrig geworden ist (so Baumeister, GewArch 1996, 318), oder ob der funktionslose Bebauungsplan als ein bis zuletzt rechtmäßiger Plan lediglich als Folge veränderter Umstände außer Kraft tritt, wie die vorherrschende Auffassung annimmt (vgl. z.B. Steiner, in: Festschrift für Otto Schlichter, 1995, S. 313 ≪325 f.≫); denn auch wenn ein funktionsloser Bebauungsplan nicht im engeren Sinne rechtswidrig sein mag, so ist er doch jedenfalls unwirksam oder ungültig. Er kann deshalb, wenn das Gesetz dies so vorschreibt, in einem weitergehenden Sinne für nichtig erklärt werden. Daß die Formulierung der gerichtlichen Entscheidung nicht von ihrer dogmatischen Einordnung abhängt, zeigt letztlich auch die Neufassung des § 47 Abs. 5 VwGO durch Art. 8 des BauROG vom 18. August 1997 (BGBl I S. 2081 ≪2111≫); wenn die überprüfte Norm bei Vorliegen bestimmter Mängel gemäß § 47 Abs. 5 Satz 4 VwGO 1997 nur “für nicht wirksam” – und nicht “für nichtig” – zu erklären ist, so wird auch hiermit nur die Ungültigkeit der Norm zum Ausdruck gebracht und lediglich wegen der unterschiedlichen Heilungsmöglichkeiten im Wortlaut differenziert. Dahinstehen kann schließlich, ob § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO dem Normenkontrollgericht nicht die Rechtsmacht einräumt, “das Außerkrafttreten einer Vorschrift mit allgemeinverbindlicher Wirkung festzustellen”, wie das Normenkontrollgericht meint; denn jedenfalls darf das Oberverwaltungsgericht die Gültigkeit der Rechtsvorschrift prüfen und sie, wenn es die Gültigkeit verneint, mit allgemeinverbindlicher Wirkung für nichtig erklären (§ 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
dd) Das Normenkontrollgericht hat in der Befristung des Antragsrechts durch § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO in der Fassung des 6. Änderungsgesetzes vom 1. November 1996 (BGBl I S. 1626) eine Bestätigung seiner Rechtsauffassung gesehen, daß die Normenkontrolle nur eine Kontrolle der anfänglichen Rechtmäßigkeit sein könne. Es hat ferner auf Art. 13 Nr. 1 Inv-WoBauLG vom 22. April 1993 (BGBl I S. 466 ≪487≫) verwiesen. Danach war ein Normenkontrollantrag in den neuen Bundesländern nur innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten der anzugreifenden Regelung zulässig.
In aller Regel wird sich – darin ist dem Normenkontrollgericht zu folgen – die Frage der Funktionslosigkeit kaum innerhalb der Antragsfrist von zwei Jahren stellen. Vielmehr würde ein entsprechender Gesichtspunkt eher auf eine anfängliche Rechtswidrigkeit hindeuten. Ob aus der gesetzlichen Befristung bestätigend zu folgern ist, daß der Gesetzgeber im Rahmen des § 47 Abs. 5 VwGO die Feststellung der Unwirksamkeit infolge Funktionslosigkeit ganz ausschließen oder jedenfalls die Zulässigkeit des Antrags auf den Zeitraum der Antragsfrist begrenzen wollte, bedarf keiner Entscheidung. Der Normenkontrollantrag war hier vor Änderung der Rechtslage gestellt. Demgemäß war nach alter Prozeßrechtslage zu entscheiden (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. März 1998 – BVerwG 4 CN 12.97 – DVBl 1998, 775 = NVwZ 1998, 731). Der Senat läßt daher unentschieden, welche Bedeutung die nunmehrige Befristung des Normenkontrollantrags für die Entscheidung über eine beantragte Feststellung eingetretener Funktionslosigkeit hat.
ee) Erfordernisse der Prozeßökonomie sprechen nicht gegen, sondern für die Prüfung der Funktionslosigkeit im Normenkontrollverfahren.
Zwar wird der Prozeßstoff des Normenkontrollverfahrens erweitert, wenn im Normenkontrollverfahren nicht nur das rechtswirksame Zustandekommen der Norm zu erörtern ist, sondern auch ihre Funktionslosigkeit geprüft werden muß. Es trifft aber schon nicht zu, daß eine solche Prüfung “auch ohne ausdrücklichen Antrag des Antragstellers zumindest immer veranlaßt” wäre, “wenn ein Anhalt für eine von den Festsetzungen gegebenenfalls nur partiell abweichende Entwicklung bestünde”. Es ist nicht Aufgabe der Verwaltungsgerichte und folgt auch nicht aus der Sachaufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO, gleichsam ungefragt auf Fehlersuche zu gehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. September 1979 – BVerwG 4 C 7.77 – Buchholz 406.11 § 10 BBauG Nr. 10 ≪S. 9, 17 f.≫ = DVBl 1980, 230). Ohne einen entsprechenden Vortrag des Antragstellers besteht im Regelfall kein Anlaß, im Normenkontrollverfahren auch die Funktionslosigkeit des Plans oder einzelner Festsetzungen zu überprüfen.
Darüber hinaus verkennt das Normenkontrollgericht, daß Bebauungspläne nur in äußerst seltenen Fällen funktionslos sein können. Eine bauplanerische Festsetzung tritt nur dann außer Kraft, wenn und soweit die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt und wenn diese Tatsache so offensichtlich ist, daß ein in ihre Fortgeltung gesetztes Vertrauen keinen Schutz verdient (BVerwG, Urteil vom 29. April 1977 – BVerwG 4 C 39.75 – BVerwGE 54, 5 ≪9≫). Entscheidend ist, ob die jeweilige Festsetzung noch geeignet ist, zur städtebaulichen Ordnung im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB im Geltungsbereich des Bebauungsplans einen sinnvollen Beitrag zu leisten. Die Planungskonzeption, die einer Festsetzung zugrunde liegt, wird nicht schon dann sinnlos, wenn sie nicht mehr überall im Plangebiet umgesetzt werden kann (BVerwG, Beschluß vom 17. Februar 1997 – BVerwG 4 B 16.97 – Buchholz 406.11 § 10 BauGB Nr. 34; Beschluß vom 6. Juni 1997 – BVerwG 4 NB 6.97 – Buchholz 406.11 § 10 BauGB Nr. 37). Daraus folgt, daß das Normenkontrollgericht nur dann zur Prüfung der Funktionslosigkeit des gesamten Bebauungsplans oder einzelner seiner Festsetzungen genötigt ist, wenn der Antragsteller hierzu substantiiert vorträgt oder wenn gewichtige Anhaltspunkte hierfür vorliegen.
In diesen – seltenen – Fällen muß das Normenkontrollgericht seine Prüfung allerdings auch auf die Frage erstrecken, ob der Plan oder eine einzelne Festsetzung möglicherweise später außer Kraft getreten ist. Wenn ernsthaft in Betracht kommt, daß der Bebauungsplan oder eine seiner Festsetzungen zwar wirksam in Kraft gesetzt worden ist, später jedoch seine Wirksamkeit verloren hat, so wäre eine Beschränkung des Normenkontrollverfahrens auf die erste Frage nicht sinnvoll. Den Beteiligten wäre nicht gedient, weil weiterhin unklar bliebe, ob der Bebauungsplan gültig ist und angewendet werden kann. Und die Verwaltungsgerichte müßten befürchten, alsbald mit einem zweiten Verfahren befaßt zu werden, und zwar dann typischerweise in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, in dem eine Klärung der Wirksamkeit des Plans wegen der Eilbedürftigkeit der Entscheidung sehr viel schlechter herbeigeführt werden kann. Auch für die Feststellung der Ungültigkeit einer Norm wegen Funktionslosigkeit im Normenkontrollverfahren gilt, was allgemein zugunsten des Normenkontrollverfahrens spricht, daß nämlich in ihm eine schnelle und fachkundige Klärung mit rechtlich allgemeinverbindlicher oder – im Falle der Zurückweisung des Antrages – zumindest tatsächlich im allgemeinen gleichartiger Wirkung herbeigeführt werden kann.
b) Das Normenkontrollgericht hat – von seinem rechtlichen Ansatz her folgerichtig – nicht geprüft, ob der streitige Bebauungsplan in seiner ursprünglichen Fassung funktionslos geworden ist. Seine Feststellungen reichen auch nicht aus, um dem Senat eine eigene Entscheidung hierzu zu ermöglichen. Die Sache ist deshalb zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Normenkontrollgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Gaentzsch, Berkemann, Lemmel, Halama, Rojahn
Fundstellen
NJW 1999, 3650 |
BVerwGE, 71 |
BauR 1999, 601 |
NVwZ 1999, 986 |
DÖV 1999, 555 |
NuR 1999, 322 |
ZfBR 1999, 155 |
BRS 1999, 159 |
UPR 1999, 222 |