Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Beschluss vom 05.06.1998; Aktenzeichen 11a D 117/97.NE) |
Tenor
Der Beschluß des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 5. Juni 1998 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Die Antragsteller wenden sich im Wege der Normenkontrolle gegen die im Dezember 1997 bekanntgemachte Satzung der Antragsgegnerin über den Vorhaben- und Erschließungsplan Nr. 969 V Kirchenfelder Weg. Der Plan sieht die Ausweisung eines allgemeinen Wohngebiets nördlich des Kirchenfelder Wegs vor. Das Vorhaben betrifft die Errichtung von 7 Einzel- und 6 Doppelhäusern sowie den Bau einer dreispännigen Hauseinheit. Das Wohngebiet soll über eine Stichstraße erschlossen werden, die vom Kirchenfelder Weg abzweigt. Nördlich und südlich des Kirchenfelder Weges befindet sich bereits Wohnbebauung. Sie wird durch den Kirchenfelder Weg erschlossen. Die Antragsteller sind Eigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks Kirchenfelder Weg … Mit ihrem Antrag machen sie u.a. geltend: Das geplante Vorhaben werde erheblich mehr Kfz.-Verkehr durch den Kirchenfelder Weg führen. Damit werde die Belastbarkeit dieser schmalen Anliegerstraße überschritten und die Zugänglichkeit ihres Grundstücks beeinträchtigt. Für das Bauvorhaben müsse ein Waldstreifen gerodet werden, der dem Schutz vor Staub und Lärm eines nahegelegenen Kalksteinwerkes und als Naherholungsgebiet diene. Schließlich gefährde das Bauvorhaben die ordnungsgemäße abwasserrechtliche Erschließung ihres Wohngrundstücks.
Das Normenkontrollgericht hat den Antrag mit Beschluß vom 5. Juni 1998 als unzulässig abgelehnt: Den Antragstellern fehle die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO (n.F.). Aus ihrem Vorbringen ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß die Satzung über den Vorhaben- und Erschließungsplan gegen Rechtssätze verstoßen könnte, die zumindest auch zum Schutz der Individualinteressen der Antragsteller bestimmt seien. Eine Verletzung subjektiver Rechte scheide aus. Die Antragsteller könnten auch nicht geltend machen, durch den angefochtenen Plan in ihrem subjektiven Recht auf gerechte Abwägung ihrer Belange verletzt zu sein; denn ein solches Recht werde durch das Bauplanungsrecht nicht begründet.
Mit ihrer vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügen die Antragsteller neben Verfahrensfehlern die Verletzung von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO und ihres Anspruchs auf gerechte Abwägung ihrer Belange. Sie beantragen, den Beschluß des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 5. Juni 1998 aufzuheben und die vorbezeichnete Satzung über den Vorhaben- und Erschließungsplan der Antragsgegnerin für nichtig zu erklären. Die Antragsgegnerin beantragt, die Revision zurückzuweisen. Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Antragsteller ist zulässig und auch begründet. Der Beschluß des Normenkontrollgerichts verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), soweit er die Frage, ob dem Abwägungsgebot in § 1 Abs. 6 BauGB drittschützende Wirkung zukommt, verneint. Eine abschließende Entscheidung über den Normenkontrollantrag ist dem Revisionsgericht mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen nicht möglich, so daß die Sache an das Normenkontrollgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen ist (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
1. Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 24. September 1998 – BVerwG 4 CN 2.98 – (DVBl 1999, 100 = NJW 1999, 592) entschieden, daß das in § 1 Abs. 6 BauGB enthaltene Abwägungsgebot drittschützenden Charakter hinsichtlich solcher privater Belange habe, die für die Abwägung erheblich sind, und damit anerkannt, daß § 1 Abs. 6 BauGB den von der Planung Betroffenen einen Anspruch auf gerechte Abwägung ihrer Belange verleihen kann. Das vorgenannte Senatsurteil ist zwar in einem Verfahren der Normenkontrolle ergangen, dessen Gegenstand ein Bebauungsplan war. Mit diesem Urteil ist jedoch zugleich entschieden, daß die drittschützende Wirkung des Abwägungsgebots in § 1 Abs. 6 BauGB auch gegenüber Satzungen über den Vorhaben- und Erschließungsplan im Sinne des hier anzuwendenden § 7 Abs. 1 BauGB-MaßnG besteht; denn nach § 7 Abs. 2 Satz 1 BauGB-MaßnG mußte die Satzung insbesondere mit § 1 Abs. 6 BauGB vereinbar sein.
2. Die Entscheidung des Normenkontrollgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Zurückweisung des Normenkontrollantrags wäre allerdings dann im Ergebnis zu Recht erfolgt, wenn die Antragsteller aus anderen Gründen nicht antragsbefugt wären. Zur Beurteilung ihrer Antragsbefugnis bedarf es jedoch weiterer tatsächlicher Feststellungen durch das Normenkontrollgericht.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können an die Geltendmachung einer Rechtsverletzung im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO keine höheren Anforderungen gestellt werden, als sie auch für die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO gelten (Urteil vom 10. März 1998 – BVerwG 4 CN 6.97 – ≪NVwZ 1998, 732 = UPR 1998, 348 = ZfBR 1998, 205≫). Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Verletzung des Rechts auf gerechte Abwägung privater Belange geltend gemacht wird. Auch insoweit reicht für die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO aus, daß der Antragsteller Tatsachen vorträgt, die eine fehlerhafte Behandlung seiner Belange in der Abwägung als möglich erscheinen lassen. Macht der Antragsteller eine Verletzung des Abwägungsgebots geltend, so muß er allerdings einen eigenen Belang als verletzt benennen, der für die Abwägung überhaupt zu beachten war. Nicht jeder private Belang ist in der Abwägung zu berücksichtigen, sondern nur solche Belange, die in der konkreten Planungssituation einen städtebaulich relevanten Bezug haben. Nicht abwägungsbeachtlich sind insbesondere geringwertige Interessen sowie solche Interessenlagen, auf deren Beachtung kein schutzwürdiges Vertrauen besteht, oder solche, die für die Gemeinde bei der Entscheidung über den Plan nicht erkennbar waren (vgl. Senatsurteil vom 24. September 1998 a.a.O.). Ob die Antragsteller diese Darlegungsanforderungen des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO erfüllt haben, hat das Normenkontrollgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – nicht geprüft. Es hat daher auch keine Tatsachen festgestellt, auf deren Grundlage sich beurteilen ließe, ob die von den Antragstellern geltend gemachten privaten Belange im soeben umschriebenen Sinne abwägungsbeachtlich gewesen sind. Das nötigt zur Zurückverweisung.
3. Ergänzend – auch im Hinblick auf das weitere Verfahren vor dem Normenkontrollgericht – ist darauf hinzuweisen, daß die von den Antragstellern erhobene Rüge, der angefochtene Beschluß sei mangels Beiladung des Vorhabenträgers verfahrensfehlerhaft zustande gekommen, unbegründet ist. Im Verfahren der Normenkontrolle eines Bebauungsplans nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist die Beiladung Dritter nicht zulässig (Beschluß vom 12. März 1982 – BVerwG 4 N 1.80 – BVerwGE 65, 131; Beschluß vom 7. Mai 1993 – BVerwG 4 NB 14.93 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 78). Das folgt vor allem aus Sinn und Zweck der Beiladung einerseits und der Normenkontrolle andererseits. Die (einfache und notwendige) Beiladung nach § 65 VwGO ist ihrem Wesen und ihrer prozessualen Funktion nach auf Rechtsstreitigkeiten über konkrete Rechtsverhältnisse zugeschnitten. Sie dient dem Zweck, die sonst auf die Hauptbeteiligten des Verfahrens beschränkte Rechtskraftwirkung des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 121 VwGO) auf Dritte zu erstrecken, die durch die Entscheidung rechtlich betroffen werden können. Im Umfang der materiellen Rechtskraft sollen weitere Prozesse über das streitige Rechtsverhältnis und zugleich auch die Möglichkeit einander widersprechender Entscheidungen über denselben Streitgegenstand ausgeschlossen werden (Beschluß vom 12. März 1982 a.a.O. S. 135 f.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 12. März 1987 – BVerwG 3 C 2.86 – BVerwGE 77, 102 ≪106≫). Wie der erkennende Senat in seinem Beschluß vom 12. März 1982 im einzelnen ausgeführt und begründet hat, scheidet eine Verfahrensbeteiligung Dritter mit einer derartigen prozeßrechtlichen Bedeutung im Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO aus.
Das gilt auch für Normenkontrollverfahren, deren Gegenstand die Satzung über einen Vorhaben- und Erschließungsplan ist: Die Frage nach der Gültigkeit oder Ungültigkeit dieser Norm selbst betrifft nicht ein Rechtsverhältnis, wie es § 65 VwGO voraussetzt. Die Rechtsposition des Vorhabenträgers im Verhältnis zur Gemeinde ergibt sich vor allem aus dem Durchführungsvertrag nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB-MaßnG. Ein Anspruch des Vorhabenträgers auf Erlaß der Satzung, der durch die Entscheidung des Normenkontrollgerichts berührt sein könnte, besteht nicht. § 7 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 BauGB-MaßnG bestimmte, daß entsprechend § 2 Abs. 3 BauGB auf die Einleitung des Satzungsverfahrens und auf den Erlaß der Satzung kein Anspruch besteht. Unzutreffend ist die Ansicht der Revision, nach Erlaß der Satzung über den Vorhaben- und Erschließungsplan bedürfe es keines zwischengeschalteten Verwaltungsakts (Baugenehmigung) mehr, der den Vorhabenträger zur Durchführung der Bauarbeiten berechtige, vielmehr sei dieser „direkt aufgrund der Satzung” befugt, das Bauvorhaben zu verwirklichen. Die Satzung über den Vorhaben- und Erschließungsplan ersetzt aber ebensowenig wie der Bebauungsplan die Umsetzung durch Baugenehmigungen.
Der Senat hat in seinem Beschluß vom 12. März 1982 im übrigen betont, daß die Unzulässigkeit der Beiladung es dem Gericht nicht verbietet, solche Personen, die durch die Normenkontrollentscheidung in ihren Rechten oder rechtlichen Interessen betroffen werden, in entsprechender Anwendung des § 47 Abs. 2 Satz 3 VwGO im Gerichtsverfahren anzuhören, d.h. ihnen Gelegenheit zur Äußerung zum Sach- und Streitstand zu geben. Im Rahmen der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht kann eine solche Anhörung sogar objektiv rechtlich geboten sein. Im Verfahren der Normenkontrolle betreffend die Satzung über einen Vorhaben- und Erschließungsplan wird sich die Anhörung des Vorhabenträgers nicht selten gerade deshalb anbieten, weil dieser die städtebauliche Planung in Abstimmung mit der Gemeinde erarbeitet und sich im Durchführungsvertrag dazu verpflichtet hat, den Plan innerhalb einer bestimmten Frist zu verwirklichen und die Planungs- und Erschließungskosten (ganz oder teilweise) zu tragen (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB-MaßnG).
Unterschriften
Gaentzsch, Lemmel, Heeren, Halama, Rojahn
Fundstellen
NVwZ 1999, 987 |
ZfIR 2000, 55 |
ZfBR 1999, 344 |