Entscheidungsstichwort (Thema)
Erschließungsbeitrag. Vorausleistung. Erschließungsaufgabe der Gemeinde. Straßenbaulast. Übertragung. öffentlich-rechtliche Vereinbarung. Planüberschreitung. Planunterschreitung. Ermessen. Geschäft der laufenden Verwaltung
Leitsatz (amtlich)
Die Gemeinden dürfen Erschließungsbeiträge für nicht in ihre gesetzliche Baulast fallende Erschließungsanlagen dann erheben, wenn sie durch öffentlichrechtliche Vereinbarung mit dem gesetzlichen Baulastträger die Baulast übernommen haben; dies gilt jedenfalls dann, wenn die Übernahme der Baulast lediglich eine Grenzkorrektur im Bereich des Übergangs einer Kreis- in eine Gemeindestraße betrifft (Fortentwicklung von BVerwG, Urteile vom 5. September 1975 – 4 C 2.73 – Buchholz 406.11 § 123 BBauG Nr. 13 und vom 25. November 1981 – 8 C 10.81 – Buchholz 406.11 § 123 BBauG Nr. 22).
Normenkette
BauGB § 123 Abs. 1, § 125 Abs. 1, 3, § 127 Abs. 1, 2 Nr. 1, § 128 Abs. 3 Nr. 2, § 133 Abs. 3; StrWG NRW § 45
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Beschluss vom 16.04.2014; Aktenzeichen 15 A 1766/13) |
VG Münster (Entscheidung vom 24.06.2013; Aktenzeichen 3 K 2908/12) |
Tenor
Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16. April 2014 wird aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I
Rz. 1
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag für die Erschließungsanlage A.straße im Gemeindegebiet der Beklagten.
Rz. 2
Der Kläger ist Eigentümer des aus den Flurstücken …6 und …7 bestehenden Grundstücks A.straße … Das insgesamt 1514 m² große Grundstück ist mit einem zu einem Wohnhaus umgestalteten ehemaligen Bahnhof bebaut. Auf dem nördlich angrenzenden, dem Kläger früher ebenfalls gehörenden Grundstück (Flurstück 9…) steht ein Garagengebäude, das sich über die Grundstücksgrenze erstreckt. Die Zufahrt zu den Garagen führt ausschließlich über das Grundstück A.straße … Auf diesem Grundstück und dem nördlich angrenzenden Grundstück 9… ruht eine Baulast, wonach bei baulichen Anlagen und Einrichtungen auf den Flurstücken das öffentliche Baurecht so einzuhalten ist, „wie wenn die aneinandergrenzenden Teil-/Flurstücke zusammen ein einziges Grundstück bildeten (Vereinigungsbaulast)”. Mit Schenkungsvertrag vom 19. Juli 2012 übertrug der Kläger das 1741 m² große Flurstück 9… im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auf seinen Sohn. Zur Verdeutlichung der örtlichen Situation wird auf die folgende Darstellung verwiesen.
Rz. 3
Die A.straße verläuft in nördlicher Richtung zunächst als Teil der Kreisstraße 15 auf dem Straßenflurstück 822. In Höhe des Grundstücks des Klägers macht die K 15 einen nahezu rechtwinkligen Knick und verläuft in westlicher Richtung auf dem Straßenflurstück 81 als N. Weg. In nördlicher Richtung wird die A.straße auf den Straßenflurstücken 980 und 865 als Gemeindestraße fortgeführt. Die Grenze des im Eigentum des Kreises stehenden Straßenflurstücks 822 mit dem Straßenflurstück 980 der Beklagten verläuft schräg in nordöstlicher Richtung. Der auf die Zeit der Nutzung des klägerischen Grundstücks als Bahnhof zurückgehende unregelmäßige Grenzverlauf der beiden Straßenflurstücke führt dazu, dass das Grundstück des Klägers ausschließlich an das Straßenflurstück 822 angrenzt.
Rz. 4
Der als Gemeindestraße gewidmete Teil der A.straße liegt im Bereich des Bebauungsplans Nr. 45 „A.straße” (3. Änderung). Die südliche Bebauungsplangrenze stimmt mit dem unregelmäßigen Grenzverlauf der Flurstücke 822 und 980 überein. Die Ausbauplanung für die A.straße geht über diese Grenze hinaus und sieht eine Herstellung der Anlage bis zu einer zur Straßenachse rechtwinklig verlaufenden Linie etwa in Höhe der nördlichen Grenze des N. Wegs (Flurstück 81) vor. Die Ausbauplanung wurde am 28. Juni 2012 durch die Ratsversammlung der Beklagten beschlossen. In der Folgezeit stellte die Beklagte die Ausbaupläne in einer Anliegerversammlung vor und bot den Abschluss von Ablösungsverträgen an. Für den Fall, dass es nicht zu einer Ablösung komme, kündigte sie an, Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag zu erheben. Mit dem Kläger kam für das Grundstück A.straße … keine Ablösungsvereinbarung zustande. Nach vorheriger Anhörung zog ihn die Beklagte daraufhin mit Bescheid vom 24. Oktober 2012 zu Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag in Höhe von insgesamt 23 656,26 EUR heran.
Rz. 5
Unter dem 18./21. Februar 2013 traf die Beklagte mit dem Kreis S. eine Straßenbaulastvereinbarung über das durch den unregelmäßigen Grenzverlauf des Straßenflurstücks 822 gebildete Teilstück der A.straße nördlich der Einmündung des N. Wegs. Danach gehen die Planung, Bauausführung und der spätere Unterhalt sowie die Kostentragung betreffend das Teilstück auf die Beklagte über. Am 28. Februar 2013 beschloss die Beklagte eine Abweichungssatzung, wonach die A.straße abweichend von den Vorschriften der Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten endgültig hergestellt ist, ohne dass die Gemeinde Eigentümerin dieses – in dem oben wiedergegebenen Plan dargestellten – Teilstücks sein muss.
Rz. 6
Die gegen den Vorausleistungsbescheid gerichtete Klage hatte in beiden Vorinstanzen Erfolg. Das Verwaltungsgericht stützte sein Urteil vom 24. Juni 2013 darauf, dass es an einer Ermessensentscheidung der Beklagten nach § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB über die Heranziehung zu einer Vorausleistung fehle. Das Berufungsgericht wies die dagegen von der Beklagten eingelegte Berufung mit Beschluss vom 16. April 2014 mit der Begründung zurück, eine Heranziehung des Klägers als unmittelbarer Anlieger des ausgebauten Teilstücks der Kreisstraße 15 scheitere daran, dass es sich insoweit nicht um eine beitragsfähige Erschließungsanlage handele. Die gesetzlich abschließend geregelten Voraussetzungen für eine Erschließung könnten nicht durch die mit dem Kreis abgeschlossene Straßenbaulastvereinbarung erweitert werden. Das Grundstück des Klägers sei auch nicht als Hinterliegergrundstück von der abgerechneten Erschließungsanlage erschlossen. Es fehle an der erforderlichen Eigentümeridentität.
Rz. 7
Die Beklagte rügt mit der vom Bundesverwaltungsgericht zugelassenen Revision als Verfahrensmangel, das Oberverwaltungsgericht hätte über die Berufung nicht gemäß § 130a VwGO ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden dürfen, da sie unter Beweisantritt behauptet habe, das fragliche Teilstück der Parzelle 822 sei nicht als Kreisstraße gewidmet worden. Der angegriffene Beschluss habe im Übrigen zu Unrecht die Hinterliegereigenschaft des Grundstücks A.straße … wegen fehlender Eigentümeridentität verneint. Es könne nicht unberücksichtigt bleiben, dass ein einheitliches Bauwerk auf dem durch die Baulast vereinigten Baugrundstück errichtet worden sei.
Rz. 8
Die Beklagte beantragt,
den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16. April 2014 sowie das Urteil des Verwaltungsgerichts Münster vom 24. Juni 2013 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Rz. 9
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Rz. 10
Er verteidigt den angegriffenen Beschluss.
Entscheidungsgründe
II
Rz. 11
Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Der angefochtene Beschluss verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) und erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 Satz 1 VwGO). Dies führt zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz, weil für die abschließende Sachentscheidung noch Tatsachenfeststellungen zu treffen und landesrechtliche Bestimmungen auszulegen sind.
Rz. 12
1. Ob die Rüge der Beklagten berechtigt ist, das Berufungsgericht habe das aus § 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO folgende Anhörungserfordernis und damit das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, weil es nicht darauf hingewiesen habe, dass es dem von der Beklagten mit Schriftsatz vom 25. März 2014 gestellten Beweisantrag nicht nachgehen werde, kann dahinstehen. Denn das Urteil erweist sich aus materiell-rechtlichen Gründen als fehlerhaft.
Rz. 13
2. Das Berufungsgericht ist tragend davon ausgegangen, eine die Erhebung einer Vorausleistung rechtfertigende (zukünftige) Beitragspflicht nach § 127 Abs. 1 und 2 Nr. 1 BauGB könne nicht entstehen, da es sich bei dem nördlichen Teilstück der Kreisstraße K 15 nicht um eine Erschließungsanlage handele, die von der Beklagten in Erfüllung einer ihr gemäß § 123 Abs. 1 BauGB obliegenden Erschließungsaufgabe hergestellt worden sei. Dies ist mit Bundesrecht nicht vereinbar.
Rz. 14
a) Das Berufungsgericht hat richtig erkannt, dass nach § 123 Abs. 1 BauGB die Erschließung Aufgabe der Gemeinde ist, soweit sie nicht nach anderen gesetzlichen Vorschriften oder öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen einem anderen obliegt. Der Gesetzgeber hat mit dieser Einschränkung dem Umstand Rechnung getragen, dass die Erschließung Aufgabe nicht nur der Gemeinde, sondern insbesondere auch der Länder oder des Bundes sein kann, die ihrerseits – wie § 127 Abs. 1 BauGB zeigt – zur Erhebung von Erschließungsbeiträgen nicht berechtigt sind. Obliegt die örtliche Erschließung – ausnahmsweise – nicht der Gemeinde, so erfüllt diese, wenn sie gleichwohl Erschließungsmaßnahmen durchführt, nicht eine gesetzlich ihr obliegende Aufgabe. Das führt dazu, dass auch die Erhebung eines Erschließungsbeitrags nicht zulässig ist. Denn aus § 123 Abs. 1 und § 127 Abs. 1 BauGB ist zu entnehmen, dass die Gemeinde einen Erschließungsbeitrag zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für Erschließungsanlagen nur erheben darf, sofern ihr die Erschließung als eigene Aufgabe obliegt (vgl. BVerwG, Urteile vom 5. September 1975 – 4 C 2.73 – Buchholz 406.11 § 123 BBauG Nr. 13 S. 3 und vom 25. November 1981 – 8 C 10.81 – Buchholz 406.11 § 123 BBauG Nr. 22 S. 15 f.). Aus dem dargestellten Zusammenhang zwischen § 123 Abs. 1 und § 127 Abs. 1 BauGB folgt auch, dass es der Gemeinde verwehrt ist, die Herstellung einer nicht in ihrer Baulast stehenden Anliegerstraße durch eine vertragliche Vereinbarung mit dem Straßenbaulastträger zu einer eigenen, in der Folge Beitragspflichten auslösenden Erschließungsaufgabe zu machen. Eine derartige vertragliche Übernahme von nicht durch die Straßenbaulast begründeten Erschließungsaufgaben würde zu einer vom Baugesetzbuch nicht gedeckten und deshalb unzulässigen Belastung der Anlieger mit Erschließungsbeiträgen führen (BVerwG, Urteil vom 25. November 1981 – 8 C 10.81 – Buchholz 406.11 § 123 BBauG Nr. 22 S. 17).
Rz. 15
b) Mit Bundesrecht nicht vereinbar ist jedoch die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, die dargestellten Grundsätze würden durch die zwischen dem Kreis S. und der Beklagten unter dem 18./21. Februar 2013 geschlossene Straßenbaulastvereinbarung umgangen. Das Oberverwaltungsgericht übersieht, dass die Beklagte in der Vereinbarung mit dem Kreis S. nicht nur die Herstellung des dort beschriebenen Straßenstücks, sondern in § 5 ausdrücklich auch die Straßenbaulast übernommen hat. Eine solche vertragliche Abweichung von der gesetzlichen Baulast hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 25. November 1981 – 8 C 10.81 – (Buchholz 406.11 § 123 BBauG Nr. 22) nicht grundsätzlich als unzulässig angesehen. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte die Gemeinde nicht die Straßenbaulast, sondern lediglich die Herstellung der Anliegerstraße vertraglich übernommen. Dass § 123 Abs. 1 und § 127 Abs. 1 BauGB hingegen dann, wenn die Gemeinde nicht kraft Gesetzes Trägerin der Straßenbaulast ist, der Übernahme einer „fremden” Baulast kraft öffentlich-rechtlichen Vertrages und einer daraus folgenden Erschließungsbeitragserhebung nicht generell entgegenstehen, ergibt sich bereits aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. September 1975 – 4 C 2.73 – (Buchholz 406.11 § 123 BBauG Nr. 13 S. 4 f.). Darin hat das Bundesverwaltungsgericht die Übertragung der gesetzlich dem Bund zugewiesenen Baulast für einen außerhalb der Ortsdurchfahrt liegenden Teil einer Bundesstraße und die Erhebung von Erschließungsbeiträgen durch die Gemeinde hierfür nicht schlechthin als unzulässig angesehen, sondern die damals zwischen dem Bund und der Gemeinde geschlossene öffentlich-rechtliche Vereinbarung zur Übertragung der Baulast wegen Nichteinhaltung zwingend vorgeschriebener Zuständigkeitserfordernisse für unwirksam erachtet. Solche Hindernisse bestehen im vorliegenden Fall nicht.
Rz. 16
§ 45 Abs. 1 des Straßen- und Wegegesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen – StrWG NRW –, den das Revisionsgericht auslegen und anwenden kann, da das Berufungsgericht diese landesrechtliche Norm seiner Entscheidung nicht zugrunde gelegt hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 6. Juli 1984 – 4 C 3.82 – Buchholz 310 § 137 VwGO Nr. 121 S. 8, vom 15. November 1990 – 3 C 49.87 – Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 224 S. 65 und vom 3. November 1994 – 3 C 17.92 – BVerwGE 97, 79 ≪82≫), regelt vielmehr ausdrücklich, dass die Vorschriften des Straßen- und Wegegesetzes über die Straßenbaulast (§§ 43, 44 StrWG NRW) nicht gelten, soweit diese aufgrund gesetzlicher Vorschriften oder aufgrund öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen anderen Trägern obliegt. Derartige Verpflichtungen können sich auch aus öffentlich-rechtlichen Verträgen ergeben, mit denen verschiedene Straßenbaulastträger Vereinbarungen über die Straßenbaulast treffen. Mit Abschluss der Vereinbarung wird die übernehmende Körperschaft Trägerin der Straßenbaulast mit allen Rechten und Pflichten, ohne dass es zu einer Änderung der Eingruppierung der Straße und deren Widmung kommt (vgl. Fickert/Schmidt, Straßenrecht in Nordrhein-Westfalen, 3. Aufl. 1989, § 45 Rn. 6). Erschließungsbeitragsrechtlich ist allein maßgeblich, dass die Straße überhaupt gewidmet ist, es sich damit um eine „öffentliche” Straße handelt (vgl. § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB). Eine bereits als Landes- oder Kreisstraße gewidmete Straße bleibt mithin Landes- oder Kreisstraße, die insoweit lediglich in der Baulast der Gemeinde liegt, wie dies nach § 44 Abs. 1 StrWG NRW bezüglich von Ortsdurchfahrten in Gemeinden von mehr als 80 000 Einwohnern bereits kraft Gesetzes der Fall ist. Die (fortbestehende) Einstufung einer Straße als Straße von regionaler bzw. überörtlicher Verkehrsbedeutung (§ 3 Abs. 2 und 3 StrWG NRW) steht auch nicht ihrer Bestimmung zum Anbau und der Erhebung von Erschließungsbeiträgen entgegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. August 1986 – 8 C 58.85 – Buchholz 406.11 § 127 BBauG Nr. 49 S. 48). § 128 Abs. 3 Nr. 2 BauGB stellt insoweit sicher, dass die Anlieger an einer solchen Straße nur mit den für die Erschließung der Bauflächen erforderlichen Straßenbaukosten belastet werden (BVerwG, Urteil vom 12. April 2000 – 11 C 11.99 – Buchholz 406.11 § 128 BauGB Nr. 52 S. 14; vgl. Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB 12. Aufl. 2014, § 128 Rn. 43).
Rz. 17
c) Es bedarf keiner Entscheidung darüber, ob aus § 123 Abs. 1 und § 127 Abs. 1 BauGB Einschränkungen für die erschließungsbeitragsrechtliche Berücksichtigung vertraglicher Straßenbaulastvereinbarungen folgen oder ob die Anlieger insoweit bereits durch die Beschränkung des umlagefähigen Erschließungsaufwandes gemäß § 128 Abs. 3 und § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB vor nicht gerechtfertigten Kosten, wie sie etwa beim Ausbau einer in erster Linie dem überörtlichen Verkehr dienenden Straße auftreten können, hinreichend geschützt sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 1978 – 4 C 18.76 – Buchholz 406.11 § 135 BBauG Nr. 11 S. 17 f.). Denn vorliegend handelt es sich um eine bloße Grenzkorrektur der Straßenbaulast, die die unterschiedlichen Verkehrsfunktionen von Kreisstraße und Gemeindestraße in deren Einmündungsbereich nachvollzieht und damit zu einer den örtlichen und verkehrlichen Verhältnissen entsprechenden Aufteilung der Straßenbaulast führt. Dies ist auch mit Blick auf die zukünftige Unterhaltungslast im Einmündungsbereich sachgerecht und liegt im Interesse der Anlieger der Gemeindestraße an einer einheitlichen technischen und baulichen Gestaltung der Anbindung des gemeindlichen an das überörtliche Straßennetz.
Rz. 18
Ob das den Gegenstand der Baulastübertragung bildende Teilstück von der Widmungsverfügung für die Kreisstraße K 15 umfasst war, ist für die Wirksamkeit der vertraglichen Baulastübertragung ohne Belang. Auch wenn dies trotz des im Straßenrecht geltenden Grundsatzes der Elastizität der Widmung (vgl. Herber, in: Kodal, Straßenrecht, 7. Aufl. 2010 Kap. 8 Rn. 24) nicht der Fall gewesen sein sollte, wäre der Kreis als Eigentümer der Straße und als faktischer Träger der Straßenbaulast (zur der der Widmung vorausgehenden Straßenbaulast vgl. Tegtbauer, in: Kodal, Straßenrecht 7. Aufl. 2010, Kap. 13 Rn. 1) berechtigt gewesen, die Vereinbarung mit der Beklagten über den Übergang der Baulast abzuschließen.
Rz. 19
d) Der Heranziehung des Klägers im Wege der Vorausleistung steht nicht entgegen, dass die Straßenbaulast erst nach Erlass des Vorausleistungsbescheides auf die Beklagte übertragen worden ist und diese auch erst nach dem genannten Zeitpunkt ihre Abweichungssatzung erlassen hat.
Rz. 20
aa) Aus der Natur der Vorausleistung als einem Vorfinanzierungselement auf den Erschließungsbeitrag folgt, dass im Zeitpunkt der Vorausleistungserhebung bei dem Grundstück alle gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sein müssen, die bei späterer Herstellung der Erschließungsanlage die Beitragspflicht entstehen lassen (BVerwG, Urteil vom 20. Juni 1973 – 4 C 62.71 – juris Rn. 13 [insoweit in Buchholz 406.11 § 133 BBauG Nr. 45 und BVerwGE 42, 269 nicht abgedruckt]; Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014, § 133 Rn. 28). Daran fehlt es etwa dann, wenn das Grundstück im Zeitpunkt der Vorausleistungserhebung nicht bebaubar im Sinne des § 133 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist. Indes betrafen die bei Erlass des Vorausleistungsbescheides noch fehlende Straßenbaulast und die fehlende Abweichungssatzung keine an die Bebaubarkeit oder sonstige erschließungsbeitragsrechtlich relevante Nutzbarkeit des Grundstücks zu stellenden gesetzlichen Voraussetzungen für das (spätere) Entstehen der Erschließungsbeitragspflicht, sondern Voraussetzungen, die – wie das Fehlen einer gültigen Satzung oder Widmung – lediglich dazu führen, dass die Beitragspflicht noch nicht entstehen kann.
Rz. 21
bb) Der im Berufungsverfahren und in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgebrachte Einwand des Klägers, es handele sich bei der nachträglichen Übertragung der Straßenbaulast und der Abweichungssatzung um eine unzulässige Vereinbarung zu Lasten Dritter „Lex K.”), die ausschließlich darauf ziele, ihn unter Verstoß gegen das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG mit dem Grundstück A.straße … in die Aufwandsverteilung einzubeziehen, greift nicht durch. Insbesondere rechtfertigt der Umstand, dass die Beklagte die Beitragspflicht des Grundstücks A.straße … zunächst mit dessen Hinterliegereigenschaft und der einheitlichen Nutzung mit dem damals ebenfalls im Eigentum des Klägers stehenden Grundstück 9… begründete, den Kläger später aber als unmittelbaren Straßenanlieger heranzog, nicht die Annahme, es sei ihr darum gegangen, den Kläger „um jeden Preis” mit dem Erschließungsaufwand zu belasten. Denn erst nachdem der Kläger – offensichtlich in Reaktion auf die angekündigte Heranziehung als Hinterlieger – das Anliegergrundstück 9… mit Vertrag vom 19. Juli 2012 im Wege der Schenkung auf seinen Sohn übertragen hatte, bestand für die Gemeinde Veranlassung zu prüfen, ob das Grundstück nunmehr als Anliegergrundstück zu den Kosten des Ausbaus der A.straße heranzuziehen ist. Anders als der Kläger vermutet, ist auch das Ausbauprogramm der Gemeinde für den Kreuzungsbereich nicht nachträglich darauf zugeschnitten worden, ihn noch einbeziehen zu können. Der Kläger übersieht, dass die das fragliche Teilstück einbeziehende Ausbauplanung für den Ausbau der A.straße vom N. Weg bis O. vom 2. Mai 2012 stammte und am 28. Juni 2012 und damit zeitlich vor Abschluss des Schenkungsvertrags vom Gemeinderat beschlossen worden ist (vgl. die Angaben im erstinstanzlichen Urteil des VG Münster vom 24. Juni 2013).
Rz. 22
3. Eine abschließende Sachentscheidung ist dem Senat nicht möglich, weil noch tatsächliche Feststellungen zu treffen und landesrechtliche Bestimmungen auszulegen sind.
Rz. 23
a) § 125 Abs. 1 BauGB macht die Rechtmäßigkeit der Herstellung einer Anbaustraße vom Vorhandensein eines wirksamen Bebauungsplans abhängig. Der Gesetzgeber hat mit dem erschließungsrechtlichen Planerfordernis sicherstellen wollen, dass insbesondere die Anbaustraßen in Übereinstimmung mit der übrigen städtebaulichen Struktur der Gemeinde angelegt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. November 1989 – 8 C 27.88 – Buchholz 406.11 § 125 BBauG/BauGB Nr. 25 S. 10). Der Bebauungsplan entfaltet daher die ihm von § 125 Abs. 1 BauGB zugedachte Wirkung auch bei geringfügigen Planabweichungen. Unter dem Blickwinkel des erschließungsrechtlichen Planerfordernisses scheitert die Rechtmäßigkeit einer Straßenherstellung weder, wenn im Einzelfall die durch den Plan für diese Herstellung vorgesehene Fläche tatsächlich nicht in vollem Umfang in Anspruch genommen worden ist, noch, wenn nicht alle Teile dieser Fläche so ausgebaut worden sind, wie es seinerzeit geplant war; derartige Abweichungen sind vielmehr ebenso wie geringfügige Planüberschreitungen kraft des bundesrechtlichen Erschließungsrechts noch durch den Bebauungsplan gedeckt (vgl. BVerwG, Urteile vom 9. März 1990 – 8 C 76.88 – BVerwGE 85, 66 ≪71 f.≫ und vom 30. Mai 1997 – 8 C 6.96 – Buchholz 406.11 § 125 BauGB Nr. 36 S. 18 f.)
Rz. 24
Voraussetzung für eine Heranziehung bei einem planabweichenden Ausbau ist allerdings, dass die Abweichung mit den Grundzügen der Planung vereinbar ist und – im Falle des planüberschreitenden Ausbaus – die Erschließungsbeitragspflichtigen nicht mehr als bei einer plangemäßen Herstellung belastet sowie die Nutzungen der betroffenen Grundstücke durch die Abweichung nicht wesentlich beeinträchtigt werden (§ 125 Abs. 3 Nr. 2 BauGB). Durch die geringfügige Planüberschreitung wird im vorliegenden Fall die in der Verkehrserschließung nach dem Bebauungsplan zum Ausdruck kommende planerische Konzeption erkennbar nicht berührt (vgl. zu diesem Erfordernis BVerwG, Urteil vom 9. März 1990 – 8 C 76.88 – BVerwGE 85, 66 ≪72 f.≫). Jedoch ist durch den flächenmäßig über das im Bebauungsplan Festgesetzte hinausgehenden Ausbau der Erschließungsanlage mit Mehrkosten zu rechnen, deren Höhe in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat streitig geblieben ist. Hinzu kommt, dass es an einer Erklärung der Beklagten, auf die entstehenden Mehrkosten zu verzichten, fehlt. Eine solche wäre nur dann entbehrlich, wenn die mit dem angefochtenen Bescheid erhobene Vorausleistung (deutlich) hinter dem endgültigen Erschließungsbeitrag zurückbliebe. Hierzu fehlt es ebenfalls an hinreichenden tatsächlichen Feststellungen in dem Beschluss des Berufungsgerichts. Der Bescheid selbst enthält keinerlei Hinweis darauf, dass die Vorausleistung auf einen Teilbetrag des voraussichtlichen endgültigen Erschießungsbeitrags beschränkt wurde. Es spricht nach Aktenlage vielmehr einiges dafür, dass – anders als in der mündlichen Verhandlung vom Prozessbevollmächtigten der Beklagten dargestellt – die Beklagte die Vorauszahlung „bis zur Höhe” des voraussichtlichen Erschließungsbeitrags festgesetzt hat.
Rz. 25
Der Erhebung der Vorausleistung steht allerdings nicht entgegen, dass nach Aktenlage der Plan zur Abweichungssatzung nicht mit dem Ausbauplan der Gemeinde übereinstimmt, sondern flächenmäßig dahinter zurückbleiben dürfte. Denn die fehlende Eigentümerstellung und damit das Fehlen eines satzungsrechtlichen Herstellungsmerkmals ist Voraussetzung nur für das Entstehen der endgültigen Beitragspflicht, nicht jedoch für die Erhebung von Vorausleistungen auf den zukünftigen Beitrag.
Rz. 26
b) Sieht die entsprechende Satzung – wie hier die der Beklagten – eine Erhebung von Vorausleistungen nicht zwingend, sondern nur als Möglichkeit vor, steht die Erhebung von Vorausleistungen im Ermessen der Gemeinde. Dieser Ermessensakt muss eindeutig zumindest in Vermerken, Niederschriften, Abrechnungsunterlagen usw. zum Ausdruck kommen. Weitergehende formelle Anforderungen stellt das Bundesrecht nicht. Er wird regelmäßig kundbar gemacht durch entsprechende Heranziehungsbescheide (BVerwG, Urteil vom 26. September 1983 – 8 C 47, 67 – 69.82 – BVerwGE 68, 48 ≪56≫ zur Kostenspaltung; Beschluss vom 12. Dezember 1995 – 8 B 171.95 – juris LS zur Vorausleistung). Ob sich derartige Äußerungen den Akten entnehmen lassen, hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent – offengelassen. Es ist daher auch nicht der Frage nachgegangen, ob die Anforderung einer Vorausleistung auf einen Erschließungsbeitrag ein so genanntes Geschäft der laufenden Verwaltung im Sinne des § 41 Abs. 3 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen – GO NRW – ist oder ob es hierzu eines Beschlusses des Gemeinderates bedarf (für laufendes Geschäft: OVG Lüneburg, Urteil vom 8. November 1988 – 9 A 11/87 – NVwZ 1989, 582 ≪583≫, VGH Mannheim, Beschluss vom 25. August 1995 – 2 S 971/95 – VBlBW 1996, 30 und OVG Saarlouis, Beschluss vom 31. August 2005 – 1 W 10/05 – juris Rn. 20 f.; verneinend OVG Koblenz, Urteile vom 13. September 1983 – 6 A 66/82 – AS RP-SL 18, 236 ≪237 ff.≫ und vom 16. Juli 1992 – 12 A 11309.91 – NVwZ-RR 1993, 50; ebenso Wansleben, in: Held/Winkel, GO NRW, 2. Aufl. 2009, Anm. 4, S. 241 und von Lennep, in: Rehn/Cronauge/von Lennep, GO NRW, Stand Juni 2015, § 41 S. 14; unter Hinweis auf OVG Münster, Urteil vom 13. September 1972 – 3 A 919/71 – KStZ 1973, 123 zu § 28 GO NRW a.F.). Diese tatsächlichen und rechtlichen Fragen wird das Berufungsgericht zu klären haben.
Rz. 27
4. Ist danach die Heranziehung des Klägers als Anlieger der A.straße dem Grunde nach nicht zu beanstanden, ist eine Entscheidung der Frage, ob er trotz der bestehenden (kompletten) Eigentümerverschiedenheit zwischen Anliegerund Hinterliegergrundstück als Eigentümer eines Hinterliegergrundstücks zu Vorausleistungen hätte herangezogen werden können, im vorliegenden Rechtsstreit nicht geboten, weil sie nur innerhalb nicht bindender rechtlicher Hinweise erfolgen könnte.
Unterschriften
Dr. Bier, Buchberger, Prof. Dr. Korbmacher, Dr. Bick, Steinkühler
Fundstellen
BVerwGE 153, 306 |
MittBayNot 2016, 549 |
DÖV 2016, 531 |
Gemeindehaushalt 2016, 188 |
JZ 2016, 243 |
KStZ 2016, 72 |
VR 2016, 215 |
ZfBR 2016, 372 |
GK/BW 2017, 3 |
NWVBl. 2016, 192 |