Entscheidungsstichwort (Thema)
Gemeindliches Einvernehmen. Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens. Erteilung, fiktive. Fristverlängerung, einvernehmliche, Einvernehmensfiktion. Kiesabbau
Leitsatz (amtlich)
Die Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB ist nicht verlängerbar.
Normenkette
BauGB § 36 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OVG (Urteil vom 23.11.1994; Aktenzeichen 1 L 166/93) |
VG Schleswig-Holstein (Urteil vom 04.11.1993; Aktenzeichen 1 A 45/93) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 23. November 1994 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. Der Beigeladene zu 2 trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 20 000 DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Beigeladene zu 1 beabsichtigt, im Gemeindegebiet der Klägerin Kies abzubauen. Ihren Abbauantrag legte der Beigeladene zu 2 als zuständige Genehmigungsbehörde der Klägerin am 13. Mai 1992 zwecks Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens vor. Am 18. Juni 1992 stellte das Amt S… namens und im Auftrag der Klägerin bei dem Beigeladenen zu 2 den Antrag, die Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB zu verlängern, weil eine Gemeindevertretersitzung nicht vor dem 23. Juli 1992 und somit nicht vor Ablauf der Zwei-Monats-Frist am 13. Juli 1992 zustandekommen könne. Die Beigeladene zu 1 und der Beigeladene zu 2 stimmten einer Fristverlängerung zu.
Mit einem am 27. Juli 1992 eingegangenen Schreiben gleichen Datums teilte das Amt S… dem Beigeladenen zu 2 die Versagung des gemeindlichen Einvernehmens der Klägerin unter Hinweis auf einen dem Vorhaben entgegenstehenden Landschaftsplan sowie einen ebenfalls entgegenstehenden Entwurf des Flächennutzungsplans der Klägerin mit. Mit Bescheid vom 24. November 1992 lehnte der Beigeladene zu 2 den Antrag der Beigeladenen zu 1 wegen des von der Klägerin versagten gemeindlichen Einvernehmens ab. Dagegen legte die Beigeladene zu 1 Widerspruch ein und machte u.a. geltend, das Einvernehmen müsse als erteilt gelten; denn die Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB sei nicht verlängerbar. Durch Bescheid vom 4. Februar 1993 gab der Beklagte dem Widerspruch der Beigeladenen zu 1 statt. Er hob den Bescheid des Beigeladenen zu 2 auf und gab ihm auf, den Antrag der Beigeladenen zu 1 neu zu bescheiden. Zur Begründung führte er u.a. aus, die Klägerin sei mit dem bei ihr am 13. Mai 1992 eingegangenen Schreiben des Beigeladenen zu 2 unter ausdrücklichem Hinweis auf die gesetzliche Zwei-Monats-Frist ersucht worden, das gemeindliche Einvernehmen herzustellen. Die Stellungnahme der Klägerin sei erst am 27. Juli 1992 und mithin nach Ablauf der Zwei-Monats-Frist erfolgt. Damit gelte das gemeindliche Einvernehmen als erteilt.
Die gegen diesen Widerspruchsbescheid erhobene Klage der Klägerin hatte keinen Erfolg. Das erstinstanzliche Gericht und das Berufungsgericht haben eine einvernehmliche Verlängerbarkeit der Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB verneint. Zur näheren Begründung seines Urteils hat das Berufungsgericht u.a. ausgeführt: Der Wortlaut der Vorschrift schließe eine Fristverlängerung aus. Danach trete für den Fall, daß die Gemeinde sich nicht äußere, die fiktive Erteilung ihres Einvernehmens mit Ablauf der Zwei-Monats-Frist ein. Die Möglichkeit einer Verlängerung der Frist sei im Gesetz nicht vorgesehen. Eine Abweichung von dieser Regelung sei nicht zulässig. Das ergebe sich darüber hinaus auch aus der Systematik vergleichbarer Regelungen des Baurechts, die im Gegensatz zu § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB ausdrücklich eine Verlängerung von Fristen vorsähen. Die Frist stehe nicht zur Disposition der Verfahrensbeteiligten, weil sie neben dem Interesse an einem zügigen Verwaltungsverfahren auch dem Interesse der Beigeladenen zu 1 an einer Verfahrensbeschleunigung diene.
Die Klägerin hat die vom Revisionsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Revision eingelegt. Sie macht weiterhin geltend, die Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB sei verlängerbar. Sie beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 23. November 1994 und des Urteils des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 4. November 1993 den Widerspruchsbescheid des Landesamtes für Naturschutz und Landschaftspflege Schleswig-Holstein vom 4. Februar 1993 aufzuheben.
Der Beklagte und die Beigeladene zu 1 beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts für zutreffend.
Der Beigeladene zu 2 äußert sich nicht zur Sache und stellt keinen Antrag.
Der Oberbundesanwalt hat sich am Verfahren beteiligt. In Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau hält er die Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB nicht für verlängerbar.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige Revision der klagenden Gemeinde ist unbegründet. Die vorinstanzlichen Urteile verletzen kein revisibles Recht. Zu Recht hat die beklagte Widerspruchsbehörde die Verweigerung des Einvernehmens durch die Klägerin zu dem von der beigeladenen Antragstellerin (Beigeladene zu 1) beabsichtigten Kiesabbau nach Ablauf der Zwei-Monats-Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB als unbeachtlich angesehen, obwohl die Beigeladenen zu 1 und die beigeladene Genehmigungsbehörde (Beigeladene zu 2) einer Fristverlängerung zugestimmt hatten; denn die Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB ist nicht verlängerbar.
Über die Zulässigkeit von Vorhaben nach den §§ 31, 33 bis 35 BauGB wird im bauaufsichtlichen Verfahren von der Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde, in deren Gebiet das Vorhaben durchgeführt werden soll, entschieden. Das Einvernehmen der Gemeinde ist auch erforderlich, wenn in einem anderen Verfahren über die Zulässigkeit nach den in § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB bezeichneten Vorschriften entschieden wird. Das von der Beigeladenen zu 1 geplante Vorhaben stellt ein privilegiertes (“ortsgebundenes”) Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB dar, das landesrechtlich, nämlich nach dem Landesnaturschutzgesetz, der Genehmigung durch die Beigeladene zu 2 als unterer Naturschutzbehörde bedarf.
Das Einvernehmen der Gemeinde ist “im bauaufsichtlichen Verfahren” bzw. “in einem anderen Verfahren” zu erteilen. Sein Gegenstand ist das Vorhaben, wie es sich aus dem Antrag ergibt (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 1980 – BVerwG 4 C 99.77 – Buchholz 406.11 § 29 BBauG Nr. 26). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ging der Genehmigungsantrag der Beigeladenen zu 1, der alle notwendigen Angaben und Unterlagen enthielt, am 13. Mai 1992 bei der Klägerin ein und setzte mithin die Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB in Lauf. Nach dieser Vorschrift gilt das Einvernehmen der Gemeinde als erteilt, wenn es nicht binnen zwei Monaten nach Eingang des Ersuchens der Genehmigungsbehörde verweigert wird.
Der Wortlaut der Vorschrift besagt für sich genommen nichts über eine Verlängerbarkeit. Ein Vergleich mit anderen Vorschriften des BauGB oder des BauGB-Maßnahmengesetzes zeigt indes, daß der Gesetzgeber Fristen, die er als verlängerbar ansieht, selbst so gefaßt hat. § 19 Abs. 3 BauGB beispielsweise regelt die Erteilung einer Teilungsgenehmigung. Nach § 19 Abs. 3 Satz 3 BauGB ist über die Genehmigung binnen drei Monaten nach Eingang des Antrags bei der Genehmigungsbehörde zu entscheiden. Satz 4 sieht eine Verlängerung dieser Frist, die nach Satz 5 höchstens drei Monate betragen darf, ausdrücklich vor. Das gilt aber nur dann, wenn die Gemeinde selbst die Genehmigungsbehörde ist. Ist sie es nicht, so gelten ihr Einvernehmen und die Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde als erteilt, wenn sie nicht binnen zwei Monaten nach Eingang des Ersuchens der Genehmigungsbehörde verweigert werden (Satz 7 1. Halbsatz). Für diesen Fall sieht das Gesetz eine Verlängerungsmöglichkeit nicht vor. Das BauGB-Maßnahmengesetz nimmt in § 5 Abs. 3 auf § 19 Abs. 3 Satz 7 und § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB Bezug; hiernach gilt das Einvernehmen der Gemeinde abweichend von diesen Vorschriften als erteilt, wenn es nicht innerhalb eines Monats verweigert wird. Kann die Prüfung des Antrags in dieser Zeit aus wichtigem Grund nicht abgeschlossen werden, kann die Frist von der Gemeinde durch Mitteilung an die Genehmigungsbehörde bis zu einem Monat verlängert werden (§ 5 Abs. 3 Satz 2 BauGB-MaßnahmenG).
Die Fristenregelung des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB ist durch das Gesetz zur Beschleunigung von Verfahren und zur Erleichterung von Investitionen im Städtebaurecht vom 6. Juli 1979 (BGBl I S. 949) in das BBauG eingefügt worden; in der ursprünglichen Fassung des Bundesbaugesetzes 1960 war sie nicht enthalten. Sie ist eingefügt worden, um das Genehmigungsverfahren zu beschleunigen (vgl. Gesetzesbegründung der Bundesregierung, BTDrucks 8/2451 S. 13 und 24). Das Gesetz über das Baugesetzbuch vom 8. Dezember 1986 (BGBl I S. 2191) hat die Fristenregelung des BBauG unverändert übernommen.
Das gesetzgeberische Ziel, das zur Einführung des § 36 Abs. 2 Satz 2 BBauG/BauGB geführt hat, steht einer Verlängerung dieser Frist entgegen. Das Beschleunigungsinteresse kommt zwar in erster Linie dem Unternehmer zugute, ist aber zugleich auch ein öffentliches. Wenn es auch keine vom Gesetzgeber bestimmte Frist gibt, innerhalb derer über einen Genehmigungsantrag abschließend zu entscheiden ist, bietet § 75 Satz 2 VwGO einen gewissen Anhalt. Hiernach ist eine verwaltungsgerichtliche Klage im Regelfall bereits drei Monate nach Antragstellung zulässig, wenn innerhalb dieser Frist über das Begehren nicht entschieden worden ist. Werden einer Gemeinde hiervon zwei Monate eingeräumt, um die Vereinbarkeit des Vorhabens mit den gemeindlichen Bauplanungen zu prüfen, so ist davon auszugehen, daß der Gesetzgeber die der Gemeinde zur Verfügung stehende Zeit im Regelfall als ausreichend ansieht. Dies gilt umso mehr, als die Gemeinde nicht abschließend über die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens zu entscheiden hat, sondern bei ihrer Prüfung darauf beschränkt ist, ob das Vorhaben bauplanungsrechtlich zulässig ist. § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB verdeutlicht dies. Der Gesetzgeber konnte und kann ohne weiteres davon ausgehen, daß die Gemeinde mit den bauplanerischen Regelungen in ihrem Gemeindegebiet vertraut ist und mithin unschwer beurteilen kann, ob das beabsichtigte Vorhaben hiermit vereinbar ist.
Bei der bestehenden Gesetzeslage kann ein Unternehmer darauf vertrauen, daß über eine Teilfrage des Genehmigungsverfahrens – nämlich über die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens – innerhalb der Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB Klarheit geschaffen wird: Bei Versagung des Einvernehmens hat die Genehmigungsbehörde den Antrag ohne weitere Prüfung abzulehnen, es sei denn, das jeweilige Landesrecht ermöglicht es der Genehmigungsbehörde, das Einvernehmen zu ersetzen, wenn die Gemeinde keine durchgreifenden Versagungsgründe geltend machen kann. Wird das Einvernehmen erteilt (ausdrücklich oder durch Verschweigen), so hat die Genehmigungsbehörde über die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens abschließend zu entscheiden; sie hat dabei ferner zu prüfen, ob das Vorhaben auch im übrigen genehmigungsfähig ist. Es wäre mit Sinn und Zweck des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB nicht vereinbar, die Frist zur Disposition der Verfahrensbeteiligten zu stellen. Der Unternehmer gerät andernfalls in eine schwierige Lage. Wird an ihn der Wunsch herangetragen, einer Fristverlängerung zuzustimmen, so hat er bei realistischer Betrachtung keine echte Wahlmöglichkeit. Lehnt er es ab, sich auf eine Verlängerung einzulassen, so muß er befürchten, daß die Gemeinde ihr Einvernehmen versagt, ohne abschließend geprüft zu haben, ob die §§ 31, 33, 34 oder 35 BauGB dem Vorhaben entgegenstehen. Erklärt er sich mit einer Fristverlängerung einverstanden, so tut er dies in der Erwartung, die Gemeinde werde ihre Prüfung in der ihr zusätzlich eingeräumten Zeit mit einem für ihn positiven Ergebnis abschließen; diese Hoffnung erweist sich im nachhinein indes vielfach als trügerisch. § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB, der vornehmlich seinem Schutz dient, bewahrt ihn davor, sich in einer Interessenkonfliktsituation eine Fristverlängerung aufdrängen zu lassen, die seinem wohlverstandenen Interesse häufig zuwiderläuft.
Stünde die Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB zur Disposition der Verfahrensbeteiligten, so würde das Genehmigungsverfahren mit einer weiteren zeitlichen Unsicherheit belastet, die der Gesetzgeber mit Einführung der Fristenregelung gerade vermeiden wollte. Aus den dargelegten Gründen kann die Erteilung des Einvernehmens oder das als erteilt geltende Einvernehmen auch nicht “widerrufen” oder “zurückgenommen” werden; denn dieses würde den Sinn der Vorschrift, innerhalb der Frist klare Verhältnisse über die Einvernehmenserklärung der Gemeinde zu schaffen, leerlaufen lassen. Die Gemeinde, deren Einvernehmen nach § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB als erteilt gilt, erleidet keine schweren Nachteile, auch wenn sie erst nach Ablauf der Zweimonatsfrist zu der Erkenntnis kommt, daß das Vorhaben gegen §§ 31, 33, 34 oder 35 BauGB verstößt. Die Möglichkeit, ihren Rechtsstandpunkt zur Geltung zu bringen, wird ihr durch diese Regelung nicht endgültig abgeschnitten. Zwar ist sie aufgrund der Fiktion des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB dem Antragsteller gegenüber gebunden. Solange noch keine Entscheidung über die Genehmigung ergangen ist, bleibt es ihr indes unbenommen, der Genehmigungsbehörde gegenüber ihre Bedenken vorzubringen. Erweisen sich die Gründe, die sie gegen die Zulässigkeit des Vorhabens ins Feld führt als stichhaltig, so kann sie ungeachtet des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB damit rechnen, daß der Antrag abgelehnt wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO.
Unterschriften
Gaentzsch, Berkemann, Lemmel, Heeren, Halama
Fundstellen
DÖV 1997, 550 |
BRS 1996, 373 |
DVBl. 1997, 827 |