Entscheidungsstichwort (Thema)

Schweinemast - Intensivschweinehaltung in faktischem Dorfgebiet: Keine Möglichkeit der Offenhaltung von Erweiterungen bzw. Umstellungen emittierender landwirtschaftlicher Betriebe angesichts heranrückender Wohnbebauung über Rücksichtnahmegebot

 

Leitsatz (redaktionell)

In einem dörflich geprägten Gebiet bietet weder das in § 34 Abs. 1 BBauG/BauGB enthaltene noch im Falle des § 34 Abs. 3 BBauG/§ 34 Abs. 2 BauGB das in § 15 BauNVO enthaltene Rücksichtnahmegebot eine Grundlage dafür, daß sich ein Landwirt gegen eine heranrückende Wohnbebauung, die sich in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, erfolgreich mit dem Argument zur Wehr setzt, durch eine Wohnnutzung in der Nachbarschaft werde ihm für die Zukunft die Möglichkeit abgeschnitten, seinen Betrieb zu erweitern oder umzustellen.

 

Orientierungssatz

1. In einer Innenbereichslage, die durch ein Nebeneinander von landwirtschaftlichen Betrieben samt dazugehörigen Wohnungen bzw. Wohngebäuden gekennzeichnet ist, läßt § 34 Abs. 1 BBauG es nicht zu, daß sich die landwirtschaftlichen Betriebe gegen konkurrierende Wohnnutzung "abschotten". § 34 Abs. 1 BBauG bietet keine Handhabe, überkommene Strukturen zu perpetuieren. Der Gedanke der strikten Wahrung eines Mindestmaßes an qualitativer und quantitativer Mischung, wie er etwa § 6 BauNVO zugrunde liegt, ist § 34 Abs. 1 BBauG fremd.

2. Bodenrechtlich relevant ist eine Änderung der Nutzungsweise dann, wenn sie für die Nachbarschaft erhöhte Belastungen mit sich bringt. Wird eine bauaufsichtliche Genehmigung für eine die Tierhaltung einschließende landwirtschaftliche Nutzung erteilt, so ist damit nicht jede beliebige Art der Tierhaltung legalisiert. Die Anforderungen, die zu stellen sind, differieren, je nachdem, ob die Stallungen z.B. ausschließlich oder vornehmlich für die Rinder- oder Schafhaltung bestimmt oder allein der Schweinemast - etwa im Flüssigmistverfahren - vorbehalten sind. Der Übergang von emissionsarmen Tierhaltungsformen, wie etwa der Rinderhaltung im Festmistverfahren, zur weit emissionsträchtigeren (Intensiv-)Schweinehaltung im Flüssigmistverfahren liegt außerhalb des Spektrums von Variationsmöglichkeiten, das ausgeschöpft werden darf, ohne daß die Genehmigungsfrage neu aufgeworfen wird.

3. Vom Schutz, den § 5 Abs. 1 BauNVO 1977 landwirtschaftlichen Betrieben vermittelt, nicht mitumfaßt sind Betriebserweiterungen und -umstellungen, die mit erhöhten, der Nachbarschaft nicht zumutbaren Immissionsbelastungen verbunden sind. Die Zukunftsperspektive, die der Landwirtschaft in einem Dorfgebiet eröffnet wird, besteht nicht darin, durch betriebliche Veränderungen zu beliebiger Zeit zu Lasten der Nachbarschaft eine Verschlechterung der Immissionsverhältnisse herbeiführen zu dürfen, sondern wird daran offenbar, daß auf der Grundlage der ausgeübten bereits vorhandenen Nutzung die weitere betriebliche Entwicklung dem Druck entzogen wird, der sonst in Gebieten mit gemischter Struktur von konkurrierenden Nutzungen ausgehen und in einem allgemeinen Verdrängungsprozeß seinen sichtbaren Niederschlag finden kann.

 

Normenkette

BBauG § 34 Abs. 1-2; BauGB § 34 Abs. 1, 3; BauNVO § 5 Abs. 1 Fassung 1977-09-15, Abs. 2 Fassung 1977-09-15, § 15 Abs. 1 Fassung 1977-09-15

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches OVG (Entscheidung vom 19.06.1989; Aktenzeichen 1 A 196/86)

VG Schleswig-Holstein (Entscheidung vom 10.07.1986; Aktenzeichen 2 A 169/85)

 

Fundstellen

BRS 1993, 189

BRS 1993, 481

DVBl. 1993, 652

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